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Siebentes Kapitel.
Wir frieren ein.

Der Sonnenuntergang rief in der herbstklaren Luft oft herrliche Beleuchtungen hervor. Am Abend des 19. November glänzte die ganze Steppe in intensiv brandgelbem Lichte; weit umher schien das Schilf in Flammen zu stehen. Still und dunkel schlängelt sich der Fluß durch das Dickicht, die Verstecke des Königstigers. Es pfeift und stöhnt in den Eisscheiben, die alle Lagunen bedecken. Manchmal blitzt es wie ein elektrischer Funke in dem dunkeln Wasser vor uns auf, wenn eine vorher unsichtbare Treibeisscholle sich zufällig in einem Wirbel querstellt und eine glashelle Ecke über das Wasser erhebt, in der sich die Strahlen der untergehenden Sonne widerspiegeln, brechen und nach allen Seiten zerstreut wie in einem Prisma spielen. Nackt und schwarz stehen die Pappelstämme da und stecken ihre knorrigen, dürren Zweige über die Wogen des lebenspendenden Flusses aus.

Am nächsten Abend erreichten wir Ketschik, einen Punkt, wo der Fluß vor einigen Jahren sein altes Bett verlassen hat und sich einen neuen Lauf quer durch die wilde, öde Sandwüste gesucht hat. Da dieser Teil des Flusses für gefährlich galt, hatten sich hier einige eingeborene Beke und Kahnführer versammelt, um uns Hilfe zu leisten. Das Gerücht von unserer Wasserreise hatte sich in Innerasien weit umher verbreitet. Doch die Eingeborenen wußten nie, woher wir kamen, noch, wo unsere Fahrt enden sollte, sie fanden nur, daß ich ein außerordentlich sonderbarer Mensch sein müsse. Mehr als zwei Jahre später fragten mich in Ladak einige indische Kaufleute, ob ich nicht von einem Weißen gehört hätte, der monatelang eilten großen Fluß im Norden hinabgesegelt sei; sie erklärten, auf dem Indus sei eine solche Fahrt unmöglich.

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Drohender Schiffbruch.

Der 21. November war unser erster Tag in dem neuen Flußbette, das höchst unregelmäßig war, da die Wassermasse sich unaufhörlich um kleine Eilande teilt, auf die wir sicherlich aufgerannt wären, wenn nicht ein ganzes Geschwader von Kähnen uns durchgelotst und das Fahrwasser mit Rudern untersucht hätte. Hier und dort stehen absterbende Pappeln mitten im Wasser und strecken uns drohend die Äste entgegen. Der Sicherheit halber mußten wir das Zelt fortnehmen und die Instrumente vom Dache der schwarzen Kajüte entfernen. Auf beiden Seiten erheben sich hohe Sanddünen, und der Vegetationsgürtel an den Ufern wird immer schmaler.

Mit schwindelnder Fahrt ging es über die Stromschnellen hinweg, wir legten über 100 Meter in der Minute zurück. Gerade als wir in die eigentliche Sandwüste hineintrieben, wurde es dunkel, und wir hielten es für das Ratsamste, Halt zu machen. Beim ersten Morgengrauen aber ging es weiter. Fünfzehn Meter hohe, gelbe Sanddünen fassen den Fluß ein. Auf diesen märchenhaft öden Ufern war alles tot und kalt; keine Menschen, keine Tiere, nicht einmal Raben und Geier, die Gäste der Wüste, zeigten sich. Es ist so still wie auf einem Friedhofe; kein Gruß aus der Tiefe der Wüste dringt zu uns, nur der Fluß singt sein rauschendes Lied. Doch auch dieses sollte bald auf den Lippen des Tarim erfrieren.

Mit einem eigentümlich behaglichen Gefühle gleitet man durch dieses unbekannte Land dahin, das selbst unsere Kahnleute noch nicht besucht haben. Sie dienen uns jetzt mehr denn je als Avisoboote. Sie senken ihre breitblättrigen Ruder senkrecht ins Wasser und verschwinden hinter der nächsten Ecke, bleiben eine Weile fort und erscheinen dann wieder vor uns, wenn sie eine kritische Stelle gefunden haben. Sie umkreisen die Fähre wie Schaluppen eine Fregatte. An einer Stelle teilte sich der Fluß in fünf Arme, deren Wasser weiß zwischen den Holmen von Spänen und Treibholz schäumte. Wir treiben mit sausender Fahrt gerade auf einen von ihnen los; nur knapp kommt die Fähre durch den engen Gang, an beiden Seiten schrammen wir mit lautem Krachen an, aber es ging doch, und mit Rufen und Schreien treibt das Geschwader flußabwärts weiter.

Am 24. November hatten wir eine außergewöhnlich abenteuerliche Fahrt. Zufällig trieb gerade die große Fähre an der Spitze und alle kleinen Fahrzeuge hinterdrein. Die Strömung war schnell, aber der Fluß war auch schmal und regelmäßig, und hurtig ging es zwischen den Ufern vorwärts. Da machte der Fluß eine scharfe Biegung, in der man von dem hohen, senkrechten, terrassenartigen Ufer, gegen das die ganze Wassermasse reißend drängte, abhalten mußte. Erst unmittelbar unterhalb der Biegung bemerkte Palta eine umgestürzte Pappel, die wagerecht gerade über demjenigen Teile des Flusses lag, wo die Strömung sich befand. Ihre Krone reichte bis zum Wasser, aber der Stamm lag etwa zwei Meter darüber, und wir trieben mit voller Fahrt auf diese tückische Brücke zu. Palta erhob ein gellendes Geschrei, alle Stangen senkten sich, aber die Tiefe war zu groß. Paarweise ergriffen die Männer die neuangefertigten Stoßruder und arbeiteten mit dem Mute der Verzweiflung; unterdessen näherten wir uns mit beängstigender Schnelligkeit der unheimlichen Pappel, die wohl im nächsten Augenblicke das ganze Obergestell der Fähre wegfegen oder diese gar, wenn sie schräge dagegen fuhr, zum Kentern bringen würde. Das Wasser brodelte gerade vor uns unter der Pappel, der Schiffbruch mußte im nächsten Augenblick erfolgen und unsere ganze Habe ertränkt und in diesem unheimlichen Strudel begraben werden. Die Leute arbeiteten mit wahnsinniger Kraft. Einige schnell entschlossene Kahnführer enterten die Fähre, ließen ihre Kähne treiben und stellten sich fest und breitbeinig auf das Vorderdeck, wo auch ich und Islam bereitstanden, um zu versuchen, rechtzeitig den Pappelstamm zu packen und so den Stoß wenigstens abzuschwächen. Doch auch hier hatten wir Glück. Die Leute von Lailik ruderten wie Galeerensklaven und zwangen in der letzten Minute die Fähre in einen Wirbel am anderen Ufer hinein. Hier drehten wir uns einmal im Kreise und wären natürlich wieder nach der Pappel hingetrieben, wenn nicht Alim mit einem Tau ins eiskalte Wasser gesprungen wäre und uns an der gefährlichen Stelle vorbeigezogen hätte.

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Palta als Lotse.

Während wir uns in dem Wirbel drehten, sausten Kasim und Kader mit der Proviantfähre und der Jolle an uns vorbei, gerade auf die Pappel los. Sie hatten so viel Geistesgegenwart, der empfindlichen Jolle einen tüchtigen Stoß nach dem Wirbel hin zu geben, wo wir sie auffingen. Aber ihre Fähre trieb gegen die Pappel und wäre um ein Haar gekentert, als Kasim den Baumstamm packte.

Wäre dieses Abenteuer in dunkler Nacht passiert, so hätten wir die Pappel gar nicht gesehen und es hätte ein großes Unglück geben können. Den Leuten von Lailik fing es an, unheimlich zu werden; einer meinte, einmal müsse dieser Fluß doch ein Ende nehmen, aber wir stürmten ja Tag für Tag nur immer weiter nach Osten. Zweitausend Kilometer auf einem Flusse! Würden wir nie Halt machen, so würden sie auch nie nach Lailik in ihre friedliche Heimat zurückkehren können! Ihnen schwindelte vor der wachsenden Entfernung.

Wir waren noch nicht viel weiter gelangt, als gellendes Hilfegeschrei von oberhalb des Flusses her ertönte, wo Kasim und Kader nach ihrer ersten Havarie zurückgeblieben waren. Allgemeine Bestürzung! Was war jetzt wieder geschehen? Ich gab sofort Befehl zum Landen und schickte alle Mann durch das Schilfdickicht hinauf. Es stellte sich heraus, daß die beiden Männer mit der kleinen Fähre und der Jolle in eine Stromschnelle geraten und auf einem über der Oberfläche kaum sichtbaren Pappelstumpfe aufgerannt waren. Die Jolle hatte den ersten Stoß erhalten, und ihr Segeltuchrumpf war vorn wie mit einem Messer durchschnitten. Kader hatte sich jedoch mit dem »Wrack« ans Land gerettet. Die Fähre dagegen hielt zwar, aber kenterte so gründlich, daß ihr ganzer Inhalt teils unterging – wie Laternen, Beile und Spaten, Kasserolle, kupferne Kannen und dergleichen –, teils vergnügt auf den Wasserwirbeln umhertrieb, eine tragikomische Karawane von Eimern und Töpfen, Holzkisten mit Mehl, Brotfladen, Rudern usw. bildend, welche die Kähne nachher auffischten. Der Kapitän selber, Kasim, hatte sich an den Stumpf angeklammert und brüllte im Strudel. Auch er wurde von einem Kahne gerettet. Nach dieser gründlichen Einweichung wurde der Abend zum Trocknen benutzt und gerettet, was sich retten ließ. Kasim war außerordentlich zahm und niedergeschlagen und verhielt sich am Abendfeuer so still wie eine ins Wasser gefallene Katze.

Am folgenden Tage erhielt unser Geschwader eine neue Verstärkung und zählte jetzt zehn Fahrzeuge, die in festlicher Prozession den Tarim hinabplätscherten. Sehr imponierte die Landschaft, die sich bei Tokkus-kum, den »neun Dünen«, vor uns aufrollte. Bis zu 60 Meter hohe Sanddünen erhoben sich auf dem rechten Tarimufer. Regungslos und gelb stechen diese ungeheuren Berge von losem Sande grell gegen das klare, muntere Wellenspiel an ihrer Basis ab. Man empfindet diesem Spiele der Natur gegenüber ein Gefühl feierlichen Ernstes, und als wir langsam unter dem steilen Abhange hinglitten, war es mir, als träte ich in eine gothische Kathedrale von einfacher, aber darum nicht weniger erhabener Architektur ein. Ich erklomm den Gipfel einer Düne, um unter meinen Füßen den Fluß sich wie ein unbedeutendes, bläuliches Band nach Osten schlängeln und in der Ferne verschwinden zu sehen und um meine Blicke nach Süden über die unfruchtbare, unheimliche Sandwüste hinschweifen zu lassen.

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Tokkus-kum, das Nordufer der Sandwüste.

Gleich unterhalb dieses Punktes wurden wir in einem kleinen Dorfe, wo zehn Familien vom Loplikstamme in luftigen Schilfhütten wohnten, gastfrei aufgenommen. Ihr Bek lud uns zu erfolgreichem Fischfang ein. In der Mündung einer langen, schmalen Flußbucht wurde dicht am Eisrande ein Netz ausgespannt. Ein paar Kähne rudern auf den Eisrand hinauf, das Eis bricht, und am inneren Rande wird wieder ein Netz gelegt und so weiter, bis schließlich nur noch die innere Spitze der Bucht übrig ist. Hierher haben sich die Fische zurückgezogen, als der Lärm sie erschreckte, und hier sind sie eine leicht zu fangende Beute; einer oder der andere, der nach dem Flusse zu entkommen versucht hat, ist dabei in den Maschen hängen geblieben; 26 herrliche, fette Fische wurden erbeutet.

Jetzt war es klar, daß unsere Tage auf dem Flusse gezählt waren. Nachts sank die Lufttemperatur auf -16° und die des Wassers näherte sich dem Nullpunkte. Die Lopleute prophezeiten, daß es nach dem ersten Auftreten des Treibeises bis zum Zufrieren des ganzen Flusses nur noch zehn Tage dauern würde. Mit zunehmender Spannung erwarteten wir diesen verhängnisvollen Tag. Er traf auf den 28. November. Als ich morgens aus dem Zelte trat, sah ich die ganze Wasserfläche mit runden, porösen Eisschollen bedeckt, jede am Rande von einem Kranze kreideweißer Eisnadeln umgeben. Es waren die Vorboten des langen Winterschlafes, welche die Fische in die flachen Buchten und Uferlagunen treiben. Jetzt fahren auch alle Lopleute mit ihren Kähnen aus, um Vorrat an Fischen für den Winter zu sammeln.

Mit Beilen und Hacken wurden die Boote aus ihren nächtlichen Eisbanden herausgehauen. Alles ist jetzt gefroren, Kabel und Taue sind hart wie Holz. Wir zündeten vorn und hinten auf dem Schiffe ein Feuer an und froren trotzdem. So schoben wir uns in das Treibeis hinaus und folgten seinen tanzenden Schollen. Sie zu beobachten, gab uns an Bord ein neues Interesse. Sie wurden in die Strömung, wo sie immer am zahlreichsten waren, hineingezogen, sie wurden in Strudel hineingelockt, wo sie kreisten, bis es dort so voll wurde, daß einige wieder in die Strömung hinausgedrängt wurden, sie gerieten da, wo Sandbänke lagen, auf Grund und lauerten am Wasserrande und warnten uns rechtzeitig; sie schwammen, kleinen Inseln gleich, munter flußabwärts, schlugen mit scharrendem Laut aneinander, stießen gegen die Fähre, zersprangen, fügten sich wieder zusammen, trieben gegen die gefrorenen Ufer und gerieten dadurch von neuem ins Kreisen.

Am Tage darauf war das Treibeis noch dichter. Der Fluß sah merkwürdig aus; er schien überfroren und mit frischgefallenem Schnee bedeckt zu sein. Aber diese weiße Masse war in ununterbrochener Bewegung begriffen. Stand man am Ufer und fixierte den vorbeieilenden Streifen, so wurde einem ganz schwindlig vor Augen und man glaubte schließlich, jener liege regungslos da und man schwebe selber flußaufwärts.

Wir hatten diesmal einen unglücklichen Lagerplatz gewählt – eine ruhige, geschützte Bucht, die am Morgen so fest, zugefroren war, daß man zwischen den Fahrzeugen des Geschwaders bequem umherspazieren konnte. Die Schiffe lagen wie in Lava eingeschmolzen, und es dauerte geraume Zeit, bis wir einen Kanal nach der Strömung hin gehauen hatten. Draußen klapperten die Eisschollen wie zerbrochenes Porzellangeschirr. Den ganzen Tag erklang es um uns her wie das Glockenspiel einer Kirche, und Millionen Eiskristalle funkelten und spielten im Sonnenscheine wie Diamanten. Das beständige Summen und der blendende Lichtschein haben einen betäubenden, einschläfernden Einfluß auf unsere Sinne. Zahllose, schneeweiße Ringe, die Totenkränze des Flusses, verkünden, daß der Tarim bald unter seinem kalten Leichentuche zur Ruhe geht.

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Blick vom rechten Tarimufer flußaufwärts (1. Dezember).

An diesem Abend hüteten wir uns vor den stillen Buchten. Mitten in der ärgsten Strömung lagerten wir, und als ich abends am Schreibtische die Tagesnotizen ausarbeitete, schlug jede vorbeiziehende Eisscholle gegen die Fähre, die bei jedem Stoße knackte und zitterte. Ich hatte einen vierzehnstündigen Arbeitstag. Kaum angekleidet, stießen wir ab. Ein Kohlenbecken wurde neben den Schreibtisch gestellt, damit ich mir gelegentlich die Hände wärmen konnte. Während der Fahrt wurde das Frühstück gegessen – gekochte Fische – und auch das Mittagsessen wurde jetzt an Bord serviert. Geschirr und Proviant waren ja stets zur Hand, das Essen wurde auf dem Feuerherde am Achterdeck zubereitet, Wassermangel brauchten wir nicht zu befürchten, und die Abwaschkufe stand überall, wohin man sich wendete, mit ihrem süßen, auf Eis gekühlten Wasser bereit.

Von klingendem Eise dicht umrahmt gleitet die Fähre mit der Strömung weiter. Anfangs waren die Hunde wütend über diese neue, ihnen unerklärliche Erscheinung und bellten die unschuldigen Eisschollen ohne Unterschied an, bald aber gewöhnten sie sich daran und lernten sogar, sich, von Scholle zu Scholle springend, an Land zu arbeiten.

Am 2. Dezember war der Himmel mit dichten Wolken bedeckt, die wie ein Laken über der Erde schwebten, ohne jedoch eine Schneeflocke herzugeben. Abends aber leuchtete die Sonne wie eine Kugel von geschmolzenem Golde unter diesem dunkeln Thronhimmel hervor, und wieder hatten ihre Strahlen eine belebende Wirkung. Die ganze Luftschicht schien Feuer gefangen zu haben wie ein brennbares Gas; die Schilffelder erglänzten purpurn, die Pappeln standen mit ausgestreckten Händen und offenen Armen da, gleichsam den Abschiedskuß der fortziehenden Sonne erwartend; die untersten Partien des Firmaments leuchteten in intensiv violetten Schattierungen. Das erhabene Bild währte nur einige Minuten, dann kam die Dämmerung und hüllte alles in ihren gedämpften, eisengrauen Farbenton ein, und die Schilfbüschel, die eben noch ihre langen Stengel wie eine Leibgarde zu Fuß bei festlicher Parade präsentiert hatten, standen wieder so langweilig und einförmig da wie Zaunpfähle an der Landstraße.

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Nächtlicher Kampf mit dem Treibeise.

Als die Dunkelheit undurchdringlich wurde, kommandierte ich Halt. Die Kähne eilen wie Irrlichter über das Wasser, und die Laternen schwanken und schaukeln auf ihren Stangen. Sie schlüpfen wie Glühwürmchen durch das Schilf. Endlich halten sie an; ja, der Platz ist schon gut, aber es fehlt dort an dürrem Holze. Um die Gegend zu erhellen und mit besserem Erfolge nach Brennholz absuchen zu können, zünden die Leute das ungeheuer dichte Schilf an, das an den Ufern wuchert. Knisternd, knallend und pfeifend wird dieses dürre Schilf von den entfesselten Flammen verzehrt. Es war ein riesenhaftes bengalisches Feuer, und sein wilder, gelbroter Schein fiel auf das dunkle Wasser und beleuchtete intensiv die Tausende von Treibeisschollen, die in rastlosem Zuge dahintrieben. Sie kamen und verschwanden wie Kränze, nicht von Immortellen, sondern von vergänglichem Eise.

Welch eine Veränderung war eingetreten, seit wir Lailik verlassen hatten! Damals war es noch Sommer, und der Wald stand grün auf beiden Ufern des ruhigen, stillen Jarkent-darja. Jetzt war es bitterkalt, die gelben Blätter waren abgefallen, im Süden erhoben sich noch immer, soweit das Auge reichte, ganze Gebirge von gelbem Sande, und ununterbrochenes Summen erfüllte die Luft. Die Eisbänder der Ufer näherten sich einander, und die Teile des Flusses, die langsame Strömung hatten, waren schon mit einer glashell glänzenden Eisdecke überspannt. Wo der Fluß gerade ist, sieht man das weiße Band bis weit in die Ferne glänzen – eine echte Milchstraße. Das Summen des Treibeises wird nur dann und wann von dem eigentümlichen Geräusch übertönt, das entsteht, wenn unsichtbare Kräfte neue Netze von spiegelblankem Eise über ruhige Wasserflächen des Flusses spannen.

Bei Karaul traf ich wieder einen alten Bekannten, meinen redlichen, treuen Diener Parpi Bai, der mich 1896 begleitet hatte. Er brach in Tränen aus, als er an Bord kam und seine alten Reisegefährten, mich und Islam Bai, wiedersah. Er sah prächtig aus mit seinem graugesprenkelten Barte, dem dunkelblauen Pelzrock und der pelzverbrämten Mütze. Nun mußte er seine Schicksale seit unserer Trennung erzählen und wurde von jetzt an mit festem Lohne wieder angestellt.

Am 7. Dezember meldeten die Eingeborenen, daß es nach dem Punkte, wo der Fluß querüber zugefroren sei, nicht mehr weit sei. Infolge eines ganz besonderen Glückszufalles befand sich meine Karawane, die zu Lande gezogen war, in unserer unmittelbaren Nähe, und ich konnte die Kosaken benachrichtigen lassen, daß sie in Jangi-köll Halt machen sollten. Der 7. Dezember wurde unser letzter Tag an Bord; es war ordentlich traurig, dies zu wissen. Der Fluß strömt gerade nach Südosten; zur Linken dehnen sich unabsehbare Steppen von Gras und Schilf aus, zur Rechten türmt sich der hohe, unfruchtbare Sand auf, dessen Basis vom Flusse bespült und unterminiert wird.

Nur in der Mitte stand jetzt eine schmale Rinne offen in der man jedoch vor lauter Treibeis kein Wasser sah. Hier trieben wir mit ungemütlicher Schnelligkeit zwischen den Eisrändern hin, die klirrend wie Glas zersplitterten. Die Fähre fauchte wie eine Dorfsägemühle vorwärts! es war im höchsten Grade spannend und hübsch.

Bald erschienen einige Reiter am Ufer, es waren der Kosak Tschernoff, Faisullah und Nias Hadschi. Sie bestätigten, daß wir in einigen Stunden an der Stelle sein würden, wo der Fluß querüber zugefroren sei und wo keine menschliche Macht weiter kommen könne. Obgleich die Sonne sank, mußten wir doch noch dorthin. Erst wenn es unmöglich war, auch nur einen Fußbreit weiterzutreiben, wollten wir Halt machen. Keine Halbheit, keine Kapitulation! Nur unüberwindliche Hindernisse sollten uns Halt gebieten. Die Laternen wurden angezündet, und in den Kähnen, die uns durch die Mühle lotsten, in der das Eis zu Pulver zerquetscht wurde, brannten Fackeln auf hohen Stangen. Dann wurde es still um uns her, die Fähre hielt, das Treibeis tauchte unter die erste kompakte Eisbrücke. Am Ufer brannte ein gewaltiger Scheiterhaufen. Bis hierher und nicht weiter ging es; hier erwartete uns die Karawane. Unsere Flußreise war zu Ende! Wie im Traume konnte ich auf diese vergangenen Tage, die venezianischen Abende und das herrliche, frische Leben an Bord zurückblicken. –

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Photographische Verkleinerung (½) eines Blattes der Originalkarte des Tarim.

Der Leser wundert sich vielleicht, daß ich die Geduld gehabt habe, vier Monate lang wie angenagelt auf dieser Fähre zu sitzen und mich sachte und langsam den Tarim hinabtreiben zu lassen. Doch ich verfolgte damit einen bestimmten Zweck. Vor allen Dingen wollte ich von diesem wenig oder gar nicht bekannten Flusse eine Karte aufnehmen, Tag für Tag sein Bett, seine Wassermenge und seine Stromgeschwindigkeit untersuchen und die Wälder und Sanddünen, die seine Ufer schmücken, auf meiner Karte eintragen. Ich saß daher wie festgebannt an meinem Schreibtische auf der Fähre und ließ die großartigen Szenerien sich selbst aufrollen. Das Resultat war eine sehr eingehende, wirklich hübsche Karte des Tarim, die aus einer ganzen Reihe von Blättern bestand, von denen hier eines in halber Größe des Originals photographisch wiedergegeben ist. Man begreift also, daß ich mich nicht Vergnügens halber dieser Arbeit unterzogen habe. Doch wie lange die Tage an Bord mir auch erschienen, ich fand nie Zeit, dieses Lebens überdrüssig zu werden oder es langweilig zu finden. Kein Tag verging, ohne daß eine neue Entdeckung gemacht wurde. Wenige Flüsse außerhalb Europas und Nordamerikas sind jetzt so genau bekannt wie der große, einsame Tarim, der dort hinten in der Tiefe der Wüste rauscht.


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