Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.
In schwindelnder Fahrt den großen, einsamen Tarim hinab.

Als wir am 30. Oktober auch an der Mündung des Chotan-darja vorbeitrieben, hatten wir endlich alle großen Nebenflüsse des Tarim hinter uns. Die Mündung des letztgenannten Nebenflusses war jetzt trocken, aber daß sein Bett doch Wasser – fließendes und stehendes – enthält, kann ich bezeugen, der ich am 5. Mai 1895 an seinem Ufer von dem qualvollen Tode des Verdurstens errettet worden bin.

Am Tage darauf waren wir noch nicht weit gekommen, als sich ein wütender Oststurm erhob. Der Fluß war ganz gerade, breit und offen, und ungehindert peitschte der Wind das Wasser zu schaumgekrönten Wellen auf, die so heftig an den Vorsteven der Fähre schlugen, daß der ganze Rumpf bebte. Über beiden Ufern schwebte hellgrauer Nebel aus feinem Staube, der den Wald verhüllte. Das Zelt drohte fortgeweht zu werden; lange Zeit lag die Fähre stampfend still, obwohl die Strömung unter uns weitertrieb.

Doch jetzt wurde es uns gar zu toll; wie Donner rollte der Sturm schonungslos über die Erde; lieber im Walde liegen und besseres Wetter abwarten. Drinnen zwischen den Bäumen herrschte mitten am Tage Dämmerung. Ein gewaltiges Feuer wurde angezündet; es war herrlich, sich in der Kälte wärmen zu können! Ich wollte die Gelegenheit wahrnehmen und mir gründlich den Genuß eines erfrischenden Sportes bereiten, was mir nicht zu verdenken war, nachdem ich wochenlang still gesessen und auf die feinen Zahlen der Karte gestarrt hatte. Die Jolle wurde getakelt: ein Bambusmast wurde aufgerichtet, Wanten, Segel und Ruder zum Steuern angebracht. Keiner durfte mitkommen; sie wurden schon beinahe seekrank, als sie sahen, wie ich fortsauste, einer fliegenden Wildente ähnlich, die die Wasserfläche nur zu streifen schien. Der Mast knackte beängstigend, aber was hätte es geschadet, wenn er gebrochen wäre, stand doch der Wald voll schlanker, junger Bäume. Ich wollte jetzt nur vorwärts eilen und, alles vergessend, von dem jagenden Sturme durch die wilde, großartige Einsamkeit getragen werden.

So segelte ich flußauf gegen die gehemmte Strömung; die grauen, trüben Wellen zischten und kochten um das gebrechliche Zeugboot, das gelbe Buschholz leuchtete nur selten durch den Ufernebel hervor; gerade vor mir gähnte ein unendliches Chaos. Ich hatte außerordentlich starken Wind im Rücken, und das Segel war so aufgeblasen wie ein Ballon, der Mast glich einem Bogen. Ich lehnte mich bequem an die Reling und ließ die Dinge ihren Gang gehen.

Welch ein Toben, Sausen und Pfeifen auf allen Seiten, und doch welch erhabener eindringlicher Friede! Nur die Elemente waren in Aufruhr und feierten in ausgelassenem Lauf ihren Herbstkarneval mit gelben Kränzen, die den Tarim hinuntertanzten. Hier hörte man keinen anderen Laut als das wilde Spiel des Wassers und der Winde. Wenn das Krachen vertrockneter Zweige an mein Ohr schlug, war es der Wind, der sie brach; die Schritte des flüchtigen Hirsches würden vom Heulen des Sturmes übertönt worden sein. Wenn aber dieses Knistern und Krachen lauter als sonst klang, konnte ich mir sagen, daß ich mich ganz in der Nähe eines Ufers befand und daß es klug wäre, weiter ins Strombett hineinzusteuern. Vielleicht wurde meine wilde Jagd von irgendeinem schleichenden Tiger beobachtet, der in den dämmrigen Verstecken der Tamarisken vergeblich auf mehr Vögel dieser fremden Art lauerte. Was sind alle Schauspiele der Welt mit solch einem Tage verglichen! Mitten in einem verheerenden Sturme allein mit seinem eigenen Gewissen zu sein, gehört zu den ergreifendsten und erhabensten Festen, die man erleben kann.

Schließlich dachte ich, daß ich mich nun weit genug entfernt hätte; ich landete, schleppte das Boot geschützt vor dem Winde aufs Ufer, zog das Segel ein, zündete ein kleines Feuer an, kochte mir Tee und verzehrte in der Einsamkeit mein einfaches Frühstück. Dann trieb ich mit der Strömung wieder nach der Fähre zurück, wo die schwarze Kajüte verdunkelt und die zuletzt aufgenommenen Photographien entwickelt wurden.

Endlich hatte der Sturm ausgetobt, und wir konnten weiterfahren. Bei einer Hütte am Ufer stand ein Mann mit weitaufgerissenem Munde; als er uns aber erblickte, nahm er sofort Reißaus. Mit schwindelnder Fahrt ging es durch den Kara-tograk, den »schwarzen Wald«. Der Fluß ist hier seicht, und das Wasser rauscht in schäumenden Füllen über die Schnellen. Wir wurden gerade nach einer vorspringenden Landspitze förmlich hingezogen, und eine Katastrophe erschien unvermeidlich. Doch im rechten Augenblick nahm sich die Strömung selbst unser an, so daß nur die linke Seite der Fähre das Dickicht streifte und einige Tamariskenzweige mitnahm; es ging wie geschmiert – es war eine feine Umschiffung und dabei ein Vergnügen, die Ufer vorübereilen zu sehen.

Von dem schwarzen Walde erstreckte sich der Fluß unendlich weit ganz gerade nach Nordnordosten; die gelben Schilfgürtel der Ufer verwischten sich in weiter Ferne, und am Horizont schien die Wasserfläche direkt in den Himmel überzugehen. Es hatte den Anschein, als beabsichtige unsere freundliche Pulsader, sich von der Erde loszulösen und in den grenzenlosen Weltenraum hinauszufließen. Gerade als wir, nichts Böses ahnend, an einer stark überhängenden, unterwaschenen Uferterrasse vorbeitrieben, rutschte das Erdreich ab und überschüttete beim Sturze ins Wasser die rechte Seite der Fähre und die dort befindlichen Leute mit einer gründlichen kalten Dusche, wobei ein solcher Seegang verursacht wurde, daß wir ungewöhnlicherweise tüchtig schaukelten.

Eine Strecke weiter abwärts tauchte eine einsame Wanderin aus dem Schilfe auf. Sie rief uns unerschrocken zu, sie wolle uns zehn Stück Eier schenken. Die Fähre wurde so nahe an das Ufer hinangesteuert, daß das Achter das Schilffeld streifte; Islam nahm das Bündel mit den Eiern in Empfang und händigte der unbekannten Dame einige Geldstücke ein. Wer war sie? Sie glich dem Winde; wir wußten weder, woher sie kam, noch wohin sie ging.

Der Herbst fing an, kalt zu werden. Das Feuer auf dem Achterdeck wurde sorgfältiger unterhalten als bisher, und die Seeleute saßen dort abwechselnd, um sich zu wärmen. Kader las ihnen die Abenteuer der mohammedanischen Missionare in Ostturkestan vor, und Islam Bai pflegte sich mit Brotbacken zu amüsieren.

Plötzlich kam es anders, die Strömung wurde bedeutend schneller, jeder Stangenmann stand breitbeinig an seiner Ecke. Die gewaltige Wassermasse schob sich von einer Flußbiegung in die andere; hier hieß es aufpassen und stets rechtzeitig abstoßen. Einmal nützte jedoch unsere Wachsamkeit nichts, die Fähre rannte mit voller Fahrt gegen ein senkrechtes Ufer und erhielt einen gewaltigen Stoß; es geschah aber weiter kein Unglück, ein paar Purzelbäume an Bord und eine Schürze voll Erde auf das Vorderdeck waren alles.

Der Fluß wird immer wilder; er drängt sich zwischen 5 Meter hohen, ganz öden und unfruchtbaren Ufern in einen engen, schmalen Korridor zusammen; die Lage wird immer spannender, man ist jeden Augenblick auf eine Katastrophe gefaßt. Unser Schiff treibt mit schwindelnder Geschwindigkeit durch diesen unheimlich rollenden Hohlweg; wir hatten das Gefühl, von einem saugenden Strudel rettungslos dem unvermeidlichen Untergange entgegengeführt zu werden, aber mau konnte nichts dabei tun, als hübsch weiterzutreiben und die Stöße rechtzeitig zu parieren.

Kasim trieb wie gewöhnlich an der Spitze. Auf einmal hörte man ihn mit verzweifelter Stimme rufen: »Halt, halt!« In dem nur 20 Meter breiten Flusse war ein Pappelstamm auf Grund geraten, und um ihn herum hatten sich Massen von Spänen und Treibholz angesammelt, um mitten im Fahrwasser eine unangenehme kleine Insel zu bilden, um die herum das Wasser weiß schäumte und kochte. Der tollste Wirrwarr entstand, alle riefen und schrien; man versuchte, die Fähre zu hemmen, aber die Stangen reichten nicht bis auf den Grund, und nach einigen Sekunden waren wir dicht vor der Insel, wo wir alle Aussicht hatten, umzuschlagen. Im letzten Augenblick aber rettete Kasim die Situation; es gelang ihm, mit einer Leine nackt an Land zu schwimmen und unter großer Anstrengung die Fähre festzuhalten. So glitten wir denn glücklich an dieser Falle vorbei, um nachher mit derselben wilden Geschwindigkeit von 101 Meter in der Minute weiterzustürmen. Abends am Lagerplatze trafen wir Hirten und konnten Schafe kaufen. Ein Heiliger hatte hier seinen »Masar« (Grabhügel); hier knieten die Mohammedaner nieder, um diesem unbekannten Ehrenmanne aufrichtig zu danken, da sie es seiner Güte zuschrieben, daß wir mit Sack und Pack unverletzt und trockenen Fußes so weit gelangt waren.

Woher kamen wohl die unzähligen Wildgänse, die immerfort, tagaus, tagein nach Westen flogen und selbst nachts ihr heiseres Geschrei hoch über den Pappelkronen ertönen ließen? Vielleicht aus Sibirien, der Dsungarei oder aus Kuldscha? Ich wurde nicht müde, diesen aus kleinen schwarzen Punkten zusammengesetzten edeln Pfeilspitzen und Drachen mit den Blicken zu folgen. Stets sieht man einen Führer an der Spitze, ohne Bedenken über die Richtung fliegt er gerade drauf los. Die beiden Flügel folgen ihm treu; die schwarzgetüpfelten Reihen wogen leicht auf und nieder, je nach den Bewegungen des Führers, wie zwei im Winde flatternde Wimpel. Wie wunderbar ist doch das Leben dieser Vögel eingerichtet! Sie kreuzen Asien jährlich zweimal, zwischen Sibirien und Indien. Und ich habe 39 Jahre gebraucht, um viermal durch den großen Kontinent zu reisen! Doch als ich es das erste Mal tat, war ich schon 27 Jahre alt, also älter als die meisten Wildgänse, und habe daher nicht mit Aussicht auf Erfolg mit ihnen um den Rekord kämpfen können.

Auf einer Schlammhalbinsel, um die der Fluß beinahe einen vollständigen Kreis beschrieb, saßen zwölf dunkelbraune Geier, struppige, plumpe, riesenhafte Vögel. Sie hatten sich an einem toten Schimmel, dessen leere Augenhöhlen ins Wasser starrten, vollgefressen. Um uns kümmerten sie sich wenig; sie betrachteten uns ganz ruhig und drehten nur den Kopf wie Sonnenblumen in dem Maße, wie die Fähre ihre Runde um die Landzunge beschrieb.

Am 6. November trieben wir an der Hirtenansiedlung Bostan vorbei, deren Bewohner uns Gemüse und einen großen, weißen Hahn schenkten. Kaum war dieser neue Passagier an Bord losgelassen worden, so schoß er wie ein Pfeil auf unsern alten Hahn los und stieß ihn auf die empörendste Weise ins Wasser, wo der Arme flatterte, plätscherte und erbärmlich schrie, bis er schließlich wieder herausgezogen wurde. Sie mußten nachher je auf einer Fähre hausen und waren, so lange Wasser zwischen ihnen lag, die besten Freunde; krähte der eine, so antwortete unfehlbar der andere in ländlicher Eintracht und Harmonie. Hähne sind lustige Geschöpfe; nur junge Kamele können es an Anlage für Humor mit ihnen aufnehmen.

.

Frühstücksrast.

Wir näherten uns jetzt bewohnteren Gegenden; immer häufiger wurden die Schilfhütten, und hie und da lag ein Kahn, ein ausgehöhlter Pappelstamm, am Ufer. Ein solcher wurde von meinen Leuten ganz einfach annektiert, und Kasim führte in dem unsicheren, schwankenden Fahrzeug zum grenzenlosen Entzücken der anderen eine köstliche Wasserpantomime auf. Nachher wurde das gestohlene Gut anständig bezahlt, denn ich halte es für absolut verwerflich, auf Reisen Kähne zu stehlen, was meine Leute jedoch gar nicht einsehen konnten; sie huldigten der Ansicht, daß Strandgut Gemeingut sei.

Bei dem Dorfe Teres, das ich früher schon besucht hatte und wo ich jetzt zu beiderseitiger Freude meinen alten 73jährigen Freund Chalil Bai wiedersah, wurden wir festlich mit ganzen Ladungen von Geschenken empfangen, mit Birnen, Granatäpfeln, Gemüse, Hasen, Fasanen, Schafen, Hühnern, Eiern und, dem besten von allem, Milch in mehreren großen Schüsseln. Eine solche Verstärkung des Proviants war jetzt sehr nötig; unser Kamel konnten wir mit so viel beladen, wie wir wollten, es knurrte nicht, was bei den Karawanenkamelen leicht vorkommen kann.

Als wir am 10. November frühmorgens aufbrachen, lag ein feuchter Nebel über dem Lande und dem Flusse; die Nacht war außergewöhnlich kalt gewesen, und die Fähre und die schwarze Kajüte waren kreideweiß bereift. Nachdem sich aber eine frische südwestliche Brise erhoben hatte, wurde die Luft wieder klar, und wir segelten förmlich den großen Fluß hinab. Die Flottille zählte jetzt vier bemannte Fahrzeuge, an der Spitze trieb ein Führer im Kahne. Ein liebenswürdiger Bek in Teres hatte mir einen neuen Hund geschenkt, der den Namen »Dowlet« erbte. Es war ein rotbraunes, kurzbeiniges junges Hündchen, dick und fett, das vom ersten Augenblicke an ein wütendes Regiment an Bord führte; binnen kurzer Zeit war er der auserkorene Günstling aller zweibeinigen Passagiere, mit Ausnahme der Hähne. Das Eis begann jetzt allmählich seine dünnen klaren Spiegelscheiben über geschütztere Teile des Flusses zu legen. Mitte November waren sie stark genug, um das Gewicht der Hunde zu tragen. Diese pflegten oft am Ufer hinter der Fähre dreinzulaufen; wenn es ihnen auf der Fähre zu langweilig wurde, sprangen sie ab, und wenn sie von der Promenade genug hatten, schwammen sie ungeniert zurück. Kurz, sie waren ganz selbständig und bei ihren kleinen Rekognoszierungsausflügen sehr komisch anzusehen.

Das Eis erinnerte uns an den langen Weg, der noch bis nach dem Vereinigungspunkte zurückzulegen war. Wir mußten uns sputen, wenn wir nicht vorher einfrieren wollten. Was wäre dann aus uns geworden! Sollten wir zu Fuß durch diese unendlichen, stillen Wälder traben und unser Hab und Gut im Stiche lassen müssen? Nein, jetzt wurde es die Regel, täglich zwölf Stunden zu fahren. Wenn ich an dem frühen, kalten Morgen in die Kleider geschlüpft bin, eile ich nach dem Lagerfeuer der Leute, um aufzutauen und meinen dampfenden Tee zu trinken. Ein freundliches »Salam aleikum« (Friede sei mit euch) schallt mir von allen Seiten entgegen. Nach einigen Minuten befehle ich »Los!«, dann treibt die Fähre weiter auf ihrem langen Wege den Tarim hinab. Der Gesang der Schiffer erschallt stimmungsvoll zwischen den Wäldern und erstirbt erst gegen Abend; alle sehnen sich dann nach dem schönen Lagerfeuer. Doch um Zeit zu sparen, fahren wir noch lange nach Sonnenuntergang weiter. Keine Feuer sind auf diesen einsamen Strecken sichtbar, nur der Reflex des Mondes folgt geschäftig dem Gekräusel auf der Oberfläche des Flusses, und von dem Achterdecksfeuer fällt ein matter Schein auf das Schilf am Uferrande. Einer unserer Cicerone war beauftragt, sich mit seinem Kahne etwa 100 Meter vor der Fähre zu halten. In dem Kahne hing an einer schrägen Stange eine große chinesische Papierlaterne, in dieser brannte eine helle Öllampe. Der Kahn sah wie eine venezianische Gondel aus, und der Lichtschein zitterte im Wasser; hieran konnte man im Dunkeln sehen, nach welcher Seite sich der Fluß wandte.

Die Eingeborenen dieser Gegend waren unglaublich scheu und unzugänglich. Manchmal standen sie regungslos wie Bildsäulen und starrten uns an, aber nur, um spurlos zu verschwinden, sobald wir uns näherten. In einem Gehöfte hofften wir sicher, irgendeinen Menschen anzutreffen, denn der Kessel kochte über dem Feuer, Schafe weideten um das Haus herum, und die Hunde machten entsetzlichen Lärm. Das Dickicht in der Nachbarschaft wurde durchsucht, und schließlich erwischten wir einen Knaben. Aber der arme Junge war so verängstigt, daß er sich nicht bewegen ließ, den Mund aufzutun, geschweige denn, uns Bescheid zu geben; er schaute nur zitternd zu Boden. Durch eine energisch ausgeführte Treibjagd gelang es uns jedoch, am folgenden Tage einen Hirten einzufangen, der an Bord gebracht und so lange in leichter Haft gehalten wurde, bis seine geographischen Kenntnisse erschöpft waren.

Wieviele phantastische Sagen und Märchen werden wohl infolge unserer Reise entstanden sein. Denn was sollten diese einfachen Hirten denken, wenn sie die Fähre wie ein gewaltiges Wasserungeheuer heranschleichen sahen, Füllhörnern gleich die Stangen nach allen Seiten ausstreckend? Besinnungslos liefen sie davon und laufen vielleicht noch, wie von Waldgeistern erschreckt.

In dem Walde von Dung-Kotan besuchten wir einen reichen Jäger und Hirten, der viele Tiger erlegt hatte, um die Felle an die Chinesen zu verkaufen. Er erzählte uns, wie dieses Tier getötet wird. Es muß mit List geschehen, denn mit den einfachen Vorderladegewehren, die man hierzulande benutzt, wäre es nicht ratsam, sich diesem wildesten und gefährlichsten aller Wald- und Dickichtbewohner zu nähern.

Wenn der Tiger ein Pferd, eine Kuh oder ein Schaf geraubt hat, schleppt er seine Beute in das Schilf hinein, frißt sich satt und läßt den Rest vorläufig liegen. Wenn er wieder seiner Wege geht, folgt er beinahe stets einem ausgetretenen Hirtenpfade. An der Spur sieht man, welche Richtung er eingeschlagen hat und von woher man ihn erwarten kann, und die Reste der Beute verraten, daß er wiederzukommen gedenkt, wenn er hungrig wird. Auf diesen Pfad wird das Eisen oder die Falle gestellt und gut mit Zweigen, Reisig und Laub verdeckt; unter ihr gräbt man eine einen halben Meter tiefe Grube. Der Tiger tritt, wenn er Pech hat, in die Rundung des Eisens und fängt sich darin. Die Falle ist von Eisen und so schwer, daß der Gefangene sie mitschleppen muß, wenn er sich zurückzieht. Sie loszuwerden, ist dagegen unmöglich, denn sie ist mit scharfen Widerhaken versehen und schnappt ungeheuer fest zu. Die Spur ist sehr leicht zu verfolgen, aber der Jäger läßt den Tiger mindestens eine Woche mit dem Eisen herumlaufen, ehe er sich an ihn heranwagt. Der Tiger, der so der Fähigkeit beraubt ist, sich frei zu bewegen, kann sich keine Nahrung mehr verschaffen, er verhungert beinahe und schwindet dahin, während seine Tatze einschrumpft. Endlich wagen sich die Männer ihm mit geladenen Flinten zu nähern; sie schießen oft vom Sattel aus, um weniger leicht erreichbar zu sein, wenn der Tiger mit dem Reste seiner Kraft versuchen sollte, sich auf sie zu stürzen.

Weiter flußabwärts kommt der Tiger häufiger vor; er greift beinahe nie einen Menschen an und zeigt sich selten bei Tage, sondern streicht nachts wie ein Geist auf den Hirtenpfaden umher.


 << zurück weiter >>