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Dreizehntes Kapitel.
Lebensgefährliche Seefahrten.

Kaum war das Glockengeläute im Walde verhallt, so verließ ich mit Sirkin, Ördek und einigen Ruderern in zwei Kähnen die Fähre, um Lotungen anzustellen und von dem See Göllme-ketti auf dem rechten Tarimufer eine Karte aufzunehmen. Der See ist kaum 10 Kilometer lang und liegt zwischen kolossalen Dünen eingebettet. Mit Hilfe der Strömung und der Ruder sausten unsere leichten Fahrzeuge in schwindelnder Fahrt stromabwärts und bogen in den schmalen Kanal ein, der den Fluß mit dem See verbindet, dessen hellgrüner, weißflockiger Spiegel sich weit nach Süden zog. Es wurde eine ganz gefährliche Ruderpartie, denn der Wind schwoll zu einem halben Sturme an. Schon auf dem Flusse hatten wir wieder halten und die Kähne ausschöpfen müssen, und nun hatten wir das ganze empörte Wasser vor uns und schossen unbedacht über seine falsche Tiefe hin. Tiefe, sagte ich? Ei bewahre, der See blieb lange so flach, daß zu befürchten war, die Kähne würden beim Abwärtstauchen gegen den Sandboden streifen, und wenn der Wogenschwall von der Seite kommt, kentert das Fahrzeug unfehlbar.

Selbst bei mäßigem Seegang sind die Lopkähne außerordentlich gefährlich. Solch ein Ding ist aus einem einzigen Pappelstamme ausgehauen, sein Boden ist also rund, weswegen ein ungeübter Ruderer nicht das Gleichgewicht halten kann; bei der geringsten Bewegung schlägt der Kahn um. Dieses Schlingern parieren die Lopleute jedoch mit ihren Rudern, die meistens im Wasser liegen, und im übrigen balancieren sie in ihren Kähnen ebenso sicher und gleichmütig wie wir auf unseren Stahlrossen.

Um Grundstöße zu vermeiden, mußten wir eine ziemliche Strecke vom Lande abhalten. Doch bald ging der See so hoch, daß ganze Wogenkämme über die niedrigen Relinge schlugen und ich mich in einem recht erfrischenden Sitzbade befand. Die Lage war spannend, aber für die Dauer unhaltbar. Die Kähne waren schon bis zur Hälfte mit Wasser gefüllt, und je tiefer sie lagen, desto leichter wurde den Wellen das Hineinschlagen. Plötzlich sank Sirkins Kahn und wurde von der Brandung hin und her geworfen. Die Leute wateten und schwammen ans Land, wo wir sie nach einer Weile ganz ruhig ihre Kleider ausringen sahen.

Mein Kahn wurde wie eine Nußschale auf den Wellen umhergetrieben. Ich schöpfte das Wasser aus, während meine Ruderer sich abarbeiteten, was das Zeug halten wollte, und gerade auf das Land zusteuerten. Jeder Wellenkamm gab uns eine kalte Dusche; das Wasser gluckte und spritzte zwischen den Filzdecken, die meinen Sitzplatz bildeten. Der Atem stockt einem unwillkürlich bei jeder neu herankommenden Welle. Jetzt sinken wir, wir fahren in die Höhe und springen ins Wasser; zum Glück ist hier flaches Wasser, das uns nur bis zur Hüfte reicht. Meine Instrumente und Papiere konnten daher, wenn auch mit Mühe, gerettet werden.

In undurchdringlicher nächtlicher Finsternis wurde die Heimfahrt angetreten. Ich begreife nicht, wie unsere Ruderer zwischen den Sandbänken des Flusses hindurchfinden konnten, es ist aber Tatsache, daß wir nicht ein einziges Mal auf Grund stießen. Ein Feuer brannte am Ufer, und die »Salons« der Fähre waren erleuchtet, als wir an ihrer Seite anlegten.

Am folgenden Tage kommandierte ich »Los« und, von der Strömung mitgerissen, glitt die Fähre schnell flußabwärts. Die Besatzung bestand jetzt aus Sirkin und Schagdur, Ördek, vier Stangenleuten und den beiden wackeren Männern Pawan Aksakal (»der weißbärtige Jäger«) und Kirgui Pawan, einem alten Manne, der mir 1896 sehr große Dienste geleistet hatte und dieses Land ganz genau kannte. Die Hundebesatzung bestand aus Maschka, Jolldasch und den beiden jungen Hunden, die mehr als komisch anzusehen waren, besonders wenn sie, trotz lebhafter Proteste, im Tarim gebadet wurden.

Die Stromgeschwindigkeit war jetzt groß, und herrlich war es, die Ufer hinter uns verschwinden zu sehen. Eine ganze Flottille von Kähnen umkreiste uns, an Bord herrschte Leben und Bewegung, die Kosaken saßen teils vor ihrer Kajüte und plauderten, teils ließen sie sich an Land rudern, um Wildenten zu schießen.

Nach einigen Tagereisen wurde der Fluß unregelmäßig und bildete mehrere kleine, seichte, ganz mit Schilf bewachsene Seen; mit der Fähre über diese hinüber zu kommen, war gar nicht leicht. Wohl gab es ausgehauene Kanäle, in denen die Lopleute ihre Netze auslegten, aber sie waren gewöhnlich zu eng. In einem solchen Kanale wären wir beinahe hilflos stecken geblieben. Er war um 1½ Meter zu schmal, und auf beiden Seiten standen ungeheuer dichte Hecken von 4 Meter hohem Schilf. Obendrein war der Kanal so seicht, daß die Fähre nicht schwimmen konnte. Nun wurden aus allen benachbarten Fischerdörfern Leute mit Spaten aufgeboten. Nach einigen Stunden kamen die Kähne in ganzen Schwärmen angesaust. Der Kanal wurde tiefer gegraben und das Schilf an den Seiten weggehauen, dann wurde die Fähre Fuß für Fuß hindurch gepreßt. Es dauerte freilich lange, aber es war auch schön kühl in dem Korridore; nur die Bremsen, die eine unerträgliche Plage waren, summten in Wolken in der Luft und fielen auf meinem Kartenblatte nieder, daß es nur so knallte.

Als das Schilf so dicht wurde, daß alles Bearbeiten mit Spaten nichts nützte, steckten wir es einfach in Brand. Selbst mitten im Sonnenschein war dieser Sumpfbrand ein großartiger Anblick. Das Feuer griff mit erstaunlicher Schnelligkeit um sich. Es knallte und sprühte zwischen den dürren Schilfstengeln, es zischte, kochte und dampfte, wenn das Feuer mit der Wasserfläche in Berührung kam, die Flammen rollten wie Lavaströme in die dichten Schilfbestände hinein, von denen ganze Wolken rabenschwarzen Rauches aufstiegen. Ein paarmal griff das Feuer in der Richtung der Fähre um sich, und ich fing an zu fürchten, daß auch sie ein Raub der Flammen werden würde; es war, als wage man sich auf einen brennenden See hinaus. Der Kniff glückte jedoch, und wir lagerten bei dem Dorfe Jekkenlik-ui (das »Binsenhaus«), das auf einer Insel liegt.

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In brennendem Schilfe.

Am 25. Mai unternahm ich mit Schagdur, einigen zuverlässigen Fischern und zwei Kähnen eine Ruderpartie nach dem großen, in der Sandwüste liegenden See Beglik-köll. Der alte Kirgui Pawan kam auch mit. Erst fuhren wir über den Jekkenlik-köll, zogen dann die Kähne über eine Landenge und kamen in den langen, schmalen Kanalarm, der nach dem Beglik-köll führte.

In der Atmosphäre herrschte völlige Ruhe, kein Schilfstengel nickte. Es war sehr still und friedlich, nur dann und wann hörte man eine Wildente schnattern. Der gewaltige Seespiegel lag so ruhig wie eine Glasscheibe, und es tat mir beinahe leid, sie mit den Kähnen zu zertrümmern. Die Spiegelbilder der Dünenketten im Wasser waren ebenso deutlich und scharf wie das Original, das Ganze war irreführend. Wir hatten eine Landschaft über uns, eine zweite unter uns; beide waren gleich öde und gelb, aber der See glänzte blau, und sein Wasser war klar und rein wie Kristall. Wir ruderten gerade nach Süden, und die Sonne schien uns heiß ins Gesicht. Unaufhörlich mußte ich meinen dünnen weißen Anzug mit Wasser besprengen, um es einigermaßen kühl zu haben.

Der Tag verging unter fleißiger, ergebnisreicher Arbeit. Von einem hohen Dünenkamme aus wurde das umliegende Gebiet studiert. Der Sand war glühend heiß und brannte durch die Sohlen. Daher war es schön, nach der Rückkehr zu den Kähnen eine Weile im Wasser plätschern zu können.

Lange hatten wir noch nicht gerastet, als Kirgui Pawan, auf die hohen, steilen Dünen des uns gegenüberliegenden Ostufers zeigend, in gedämpftem, fragendem Tone »Kara-buran (der schwarze Sturm)« sagte. Eine dunkle Säule erhob sich über dem Horizont und trug ein Kapitäl von helleren Wolken. Auf beiden Seiten bildeten sich mehrere solche Säulen und verwuchsen allmählich zu einer einzigen gezähnten Kontur; nun wußten wir, um was es sich handelte.

Einen Augenblick wurde die Lage erwogen. Die Lopleute waren einstimmig für Warten. Kirgui Pawan war nicht furchtsam, hielt es aber für ein gewagtes Unternehmen, über das allergrößte und tiefste Becken des Sees, das uns von der Kanalmündung trennte, zu rudern. Hätte man am Ufer entlang fahren können, so wäre es nicht so gefährlich gewesen, aber gerade die linke Uferlinie war von einer langen, tief einschneidenden Bucht durchbrochen, und man mußte daher die große, offene Wasserfläche kreuzen.

»Die Kähne aussetzen!« rief ich, und alle Mann nahmen im Handumdrehen ihre Plätze ein, tauchten die Ruder ins Wasser, und in wenigen Minuten waren wir draußen auf der großen, offenen Wasserfläche und hatten den ganzen See vor uns. Wir sausten über das ruhige Wasser hin, und der Schaum brodelte in Kaskaden vor dem Buge; die Ruder waren krumm wie Fiedelbogen, und ich erwartete, sie jeden Augenblick krachen zu hören. Die Geschwindigkeit betrug nach dem Log 2,4 Meter in der Sekunde, oder 8,6 Kilometer in der Stunde, was man gut gerudert nennen kann! Den Mohammedanern war es unheimlich zumute, und alle Augenblicke ließen sie ein dumpfes, ernstes »Ja Allah (o Gott!)« hören. Einstweilen war die Luft noch vollkommen ruhig, aber man fühlte, daß etwas Fürchterliches bevorstand, und man sah an dem wechselnden Farbenspiel des Himmels, wie schnell der Sturm Boden gewann.

»Jetzt ist er bei den äußersten Dünen«, rief Kirgui Pawan; in demselben Augenblick verschwanden die eben noch so scharfen Konturen der gelben Dünenkette, und das ganze Ostufer hüllte sich in dichten, graugelben Nebel. »Rudert, Kinder, rudert! Chodaim var (es gibt einen Gott)«, fügte er aufmunternd hinzu.

Noch herrschte eine Minute Stille; in der nächsten verschwand der glänzende Spiegel von der Wasserfläche, als hätte ihn eine scharfe Säure fortgeätzt. Ein unheimliches Brausen ertönt, als der schwarze Sturm auf das Wasser niederschlägt. In demselben Augenblick erreichen uns die ersten Windstöße, andere folgen ihnen; dunkel rollen die Wogen gerade gegen die Steuerbordseite, immer breiter werden ihre Schaumkämme. Immer kräftiger ruderten die Lopmänner, wir fuhren jetzt gewiß mit einer Geschwindigkeit von 10 Kilometer in der Stunde. »Wir kommen nicht hin«, riefen sie, »ja Allah!«

Hastig entkleidete ich mich bis zur Hüfte und brachte die Instrumente und Papiere, die nicht verloren gehen durften, in Sicherheit. »Jetzt ist er da!« schrien unsere Ruderer, legten sich auf die Knie, beugten sich vornüber und arbeiteten mit der Kraft der Verzweiflung. Die Ruderschläge folgten so dicht aufeinander wie die Schaufelblätter eines Raddampfers, das Wasser zischte vor den Kähnen, die es wie verfolgte Schwertfische durchschnitten.

Die ersten Windstöße waren nur der Vortrab gewesen. Nun kam der Sturm selbst mit staunenerregender Gewalt. Er gab uns förmlich einen Schlag, der die Kähne umgekippt hätte, wenn die Lopleute sich nicht schnell nach der Windseite hinübergeworfen hätten. Eben noch war das Nordufer in der Ferne wie eine feine gelbe Linie vor uns sichtbar gewesen, jetzt verschwand alles, und wir waren in feinen, vom Winde getriebenen Staubnebel gehüllt. Ein ernstes Gefühl bemächtigte sich unser, als wir nichts anderes sahen als rasende, kochende Wellen, zwischen denen die Kähne wie Strohhalme verschwanden. Von den Ufern war jetzt keine Spur mehr zu sehen.

»Halte dich am Kahne fest, wenn er sich füllt!« rief ich Schagdur zu, der nicht schwimmen konnte. Jetzt, jetzt galt es! Dumpf und donnernd rollten die Wellen, ihre Schaumkämme wurden beständig von dem tollen Winde zerstäubt. Die Ruderer hielten sich ausgezeichnet; sie überwanden die Hindernisse dadurch, daß sie mit den Kähnen schräge die Lücken in den Wogenkämmen durchschnitten; noch hatten wir nicht sehr viel Wasser eingenommen, und ich schöpfte aus Leibeskräften aus, aber patschnaß waren wir vom Spritzwasser, das sich mit den Schweißtropfen auf den Stirnen der Männer vermischte.

Dieser Kampf ums Leben dauerte eine Weile, die mir wie eine Ewigkeit erschien. Die Wogenkämme begannen immer dichter über die Reling hereinzubrechen, und immer öfter erhielten wir eine Spritzwasserdusche. Mit dem Arme suchte ich wenigstens einen Teil jeder neuen Welle zu parieren; dazwischen schöpfte ich wieder aus. Doch was nützte dies auf die Dauer! Der Kahn füllte sich allmählich und ruderte sich immer schwerer. Wir waren todmüde und würden es keine Minute länger aushalten. Um uns herum war es dunkel, obgleich die Sonne noch nicht untergegangen war.

Doch jetzt! Was ist geschehen? Wie mit einem Zauberschlage hört der Seegang auf, nichts ist zu sehen, die Wellen sind nicht mehr der Rede wert und nicht mehr schaumgekrönt. Es war, als wäre eine Ölhaut über den See gespannt worden. »Zwei Fuß Wasser«, ruft Kirgui Pawan triumphierend, »Chodaim var«!

Es stellte sich heraus, daß sich vom Nordufer eine lange, schmale Landzunge in den See hineinzog, und ohne es zu ahnen waren wir so glücklich gewesen, auf die vom Winde abgekehrte Seite dieses Wellenbrechers zu gelangen. Eine kleine Weile später schimmerten ein paar dunkle Punkte durch den Nebel, es waren Tamarisken; dann bohrten sich die Kähne in den Sand des langsam abfallenden Ufers ein.

Die Ruderer waren jetzt – mehr von der seelischen Erregung als von der Arbeit – so erschöpft, daß wir ihnen erst etwas Ruhe gönnen mußten. Währenddessen ordneten Schagdur und ich unsere Sachen, und die Kähne wurden leer geschöpft. Erst spät wurde die Rückreise angetreten. Die Nacht brach herein; man kann sich denken, welch undurchdringliche Finsternis da herrschte. In einem geschlossenen Kassengewölbe kann es nicht dunkler sein. Noch heute ist es mir ein unlösbares Rätsel, wie die Männer sich zurechtfanden. Sie konnten nicht sprechen, sich nicht über den Weg beraten, einander weder anrufen, noch warnen; man konnte schreien, daß die Lungen platzten, es war nichts zu hören, das Heulen des Sturmes übertönte alles, es pfiff, zischte und quiekte in dem Schilf, dessen lange, scharfe Blätter einem das Gesicht zu zerfetzen drohten, wenn man nicht mit dem Arme parierte. Ich schloß die Augen, denn ich sah ja doch nichts; um mich herum herrschte nur Finsternis und ein betäubendes Sausen. Wir glichen einer Gesellschaft Taubstummer. Nur die Rucke der Ruderschläge sagten mir, daß wir uns vorwärts bewegten, und die dichten Schilfstauden mußten dieselben Hecken sein, durch die wir am Morgen gerudert waren. Dank ihnen konnte auf dem Jekkenlik-köll kein Seegang entstehen.

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Sandsturm auf dem Beglik-köll.

Endlich lichtet sich das Schilf. Ein einziger Fleck in der Dunkelheit vor uns wird gelblich, dann immer heller; es ist ein Feuer. Zwei Sekunden später landen wir an der Fähre. Die Luft war so mit Staub gesättigt, daß das Feuer nur auf einige 10 Meter Entfernung sichtbar war, und doch glühten die Scheiter weiß in dem peitschenden Winde.

Es war einer der unheimlichsten Stürme, die ich je erlebt habe. Die Fähre zerrte an ihren Tauen und wäre sicher auf den See hinaus getrieben, wenn wir die Vertäuungen nicht rechtzeitig doppelt und dreifach verstärkt hätten. Am Abend packte ich alle kleineren Gegenstände in meine Kisten, eine glückliche Vorsichtsmaßregel, denn mitten in der Nacht drückte der Wind die Kajüte auseinander, so daß sie mit Stricken notdürftig zusammengebunden werden mußte. Nun wurden Nachtwachen ausgestellt, die rechtzeitig zur Hand sein sollten, wenn eine neue Verheerung eintrat.

Ich will die Geduld des Lesers nicht länger mit der Beschreibung dieses langen Wasserweges aus die Probe stellen. Wir sehnen uns fort aus der Sommerhitze und von den Bremsenstichen, die wie Feuer brennen, wir sehnen uns danach, auf dem gefrorenen Boden in Tibet wieder Pferdehufe stampfen zu hören. Nur ein paar Seiten möge man mir noch erlauben; es wird mir schwer, mich von der Fähre loszureißen, denn die Reise und die Erfahrungen, die sie mir geschenkt hat, gehören zu den schönsten Erinnerungen meines Lebens.

Wir hatten die Seen verlassen und waren wieder draußen auf dem Tarim. Einmal lagerten wir in später Nacht an einem stillen, friedlichen Ufer. Die Leute waren schon zur Ruhe gegangen, ich saß noch beim Schreiben, da begannen die Hunde wütend zu bellen, Rudergeplätscher ertönte, und ein Kahn kam an die Seite der Fähre geeilt. Ich höre lebhaftes Sprechen und eilige Schritte, der Vorhang meiner Kajüte wird zurückgeschlagen, und ein unbekannter Fremdling stellt sich nur als ein vom russischen Generalkonsul gesandter Kurier aus Kaschgar vor, der mir Briefe aus der Heimat überbringen soll. Ich hätte gleich Brüderschaft mit ihm trinken mögen, wenn ihm daran gelegen gewesen wäre, ich hätte ihn umarmt, wenn er mich dann nicht für verrückt gehalten hätte. Ich vergab also meiner Würde nichts, nahm ruhig die Posttasche in Empfang und befahl Schagdur, dafür zu sorgen, daß der Mann reichlich mit Tee und Abendbrot versehen werde. Erst um 3 Uhr morgens löschte ich mein Licht aus, glücklich über die guten Nachrichten, die mich im Herzen von Asien erreicht hatten. Und was die brausende Unruhe des Weltgetümmels betraf, so genoß ich sie während der folgenden Tage in kleinen Portionen, dank dem großen Zeitungspaket, das die Posttasche enthielt.

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Knaben aus Tscheggelik, auf einem Kahne sitzend.

Im übrigen verflossen die Tage ruhig. Sagen wir einmal Sturmes halber still, so fischten die Kosaken zu ihrem Vergnügen mit gutem Erfolg. Bei ruhigem Wetter fuhren wir bis spät in die Nacht hinein. Kähne mit chinesischen Papierlaternen und großen Ölfackeln gingen dann voraus und erhellten die Ufer. Vor meinem Arbeitstische sitzen die Kosaken und plaudern mit Kirgui Pawan und Pawan Aksakal. Die Spieldose ist in vollem Gang. Alle freuen sich der erfrischenden Kühle nach einem drückend heißen Tage. Es ist so schön, die Kleider öffnen zu können, ohne Gefahr zu laufen, von Bremsen zerstochen zu werden. Doch wenn die Musik den Reiz der Neuheit verloren hat, stellen sich Schlafsucht und Müdigkeit ein. Der Aksakal beginnt bedenklich zu schwanken und wird von Sirkin geknufft, der bald darauf selbst dabei betroffen wird, wie er mit weitgeöffnetem Munde dem Sandmann ein Schnarchständchen bringt, den Rücken gegen die Reling gelehnt und den Kopf über diese hinaushängend. Heimtückischerweise gleitet seine Mütze herab und fällt ins Wasser; er zuckt zusammen und ist wieder so munter wie ein Fisch. Ich muß mich der Mütze erbarmen; stopp! wir landen, und nach fünf Minuten herrscht lautloses Schweigen.

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Die Pontonfähren auf dem Wege nach Abdall.

Durch wahre Wolken von Bremsen, Mücken und Stechfliegen trieben wir weiter den Tarim hinab. Der Fluß näherte sich jetzt seinem Ende, dem Kara-koschun, wo er nach seinem 2000 Kilometer langen Kampfe mit der Wüste unterliegt. Bei dem Fischerdorfe Tscheggelik wurde unsere gute alte Fähre im Stich gelassen und den Dorfbewohnern geschenkt, die über ein so großartiges Geschenk, dessengleichen sie noch nie gesehen hatten, entzückt waren. Auf provisorischen Pontonfähren gingen wir dann nach Abdall, wo die Flußreise endete.

In den letzten Tagen hatte ich eine unangenehme Nachricht erhalten. Ein neuer Eilbote brachte den Bescheid, daß Sirkin und Tschernoff wegen des Aufstandes in China zurückkehren müßten. Mir blieb nichts weiter übrig, als den Kurier nach unserem Hauptquartier in Nordtibet zu schicken und Tschernoff Befehl zu senden, daß er sofort nach Abdall eilen müsse. Es war mir ein Trost, daß ich in einem Briefe an den Kaiser die Kosaken gerühmt und gezeigt hatte, wie unentbehrlich sie mir waren. Ich wandte mich auch nicht vergeblich an die Güte des Kaisers, wie wir in der Folge sehen werden.

Eine von Turdu Bai geführte Kamel- und Pferdekarawane erwartete mich in Abdall, wo ich von den Umständen zu der Geduldsprobe einer mehrtägigen Rast gezwungen wurde. Erst mußte ich Tschernoffs Ankunft abwarten, und dann warteten wir mehrere Tage sehnsüchtig auf einen ordentlichen Sturm, um aufbrechen zu können. Die Sache lag so: die Tiefebene um die Sümpfe herum hatte sich in ein wahres Fegfeuer von Bremsen verwandelt, die es für Menschen und Tiere unmöglich, ja lebensgefährlich machten, ins Freie auch nur zu gucken. Unsere Kamele, die nach dem Verlieren ihrer Winterwolle jetzt ganz nackt waren, und die Pferde beherbergte ein großer Schilfschuppen, der noch dichter gemacht wurde; nur bei Nacht konnte man die Tiere zur Tränke führen. Hätte sich ein Oststurm auch nur von der gewöhnlichen Art erhoben, so wären die Bremsen spurlos verschwunden.

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Frauen und Kinder der Loplik.

Auch ich und die Kosaken wohnten in Schilfhütten. Tschernoff kam an, frisch und gesund, aber sehr niedergeschlagen darüber, daß er uns gerade jetzt, da alle sich nach dem Leben im Gebirge sehnten, verlassen mußte. Dann warteten wir noch ein paar Tage auf den Sturm, der aber nicht kam. Die Zeit wurde jedoch aufs beste angewandt. Es machte ein großes Vergnügen, die einfache Poesie des Lopvolkes, seine Liebesgeschichten und Märchen zu studieren. Brauche ich noch zu sagen, daß diese Dichtkunst mehr als einfach ist! Sie dreht sich meistens um die Liebe, wie überall bei den Menschenkindern, und über Kähne, Fischnetze und Ruderfahrten geht der Horizont der Lopleute nicht hinaus. Eine wehmütige Unterströmung zieht sich durch alle ihre Lieder, aber die Liebe zu der eigenen Hütte, dem eigenen Herde wirkt in all ihrer rührenden Naivität erfrischend. Anspruchslos, einförmig und in Armut leben diese Menschen, aber dennoch lieben sie ihr Land und ihre Seen. Sie lieben sie mindestens ebenso heiß wie wir Schweden unsere öden Felsklippen, unsere Hügel voll Heidekraut und Kiefern und unsere kargen Äcker, deren Korn oft zu früh eintretende Nachtfröste verderben, und dennoch haben wir so vieles, auf das wir stolz sein können, – was den Lopleuten fehlt.


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