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Am 8. Juli durchquerten wir eine sehr hügelige Gegend, die sehr reich an Yaken und Kulanen war. Aber obgleich wir nicht mehr als 14 Kilometer zurücklegten, konnten nur 27 Kamele das Lager Nr. 33, das in 5041 Meter Höhe lag, erreichen. Drei fehlten, unter ihnen der Veteran von 1896; am Tage darauf kamen er und einer der Kameraden noch ins Lager, aber das dritte Kamel lag tot auf seinem Posten. So konnte es nicht länger weiter gehen, eine Veränderung in der Marschordnung mußte vorgenommen werden. Elf Kamele, von denen fünf in der letzten Zeit keine Lasten getragen hatten, und sechs Pferde wurden hier ausgeschlossen. Mit dem besseren Teile der Karawane wollte ich in längeren Tagemärschen nach Süden vorrücken. Die Nachhut bildeten Rosi Mollah, Mollah Schah, Kutschuk, Chodai Kullu, Almas mit Tschernoff als Chef. Sie durften Maltschik, Hamra, Kalmak und Kara-Itt, vier von unseren Hunden, nebst der Hälfte des Dutzends noch vorhandener Schafe behalten. Tschernoff hatte Befehl, die Tiere hier einige Tage ruhen zu lassen und nachher in langsamen, kurzen Märschen unserer Spur zu folgen, die wohl nicht so bald verlöschen würde. Da, wo die Beschaffenheit des Bodens eine solche Möglichkeit vermuten ließ, wollten wir der Sicherheit halber Steinpyramiden errichten. Acht Kamellasten, beinahe ausschließlich Proviant, wurden ebenfalls zurückgelassen und sollten gerecht auf die elf Kamele verteilt werden. Ganz recht war es wohl nicht, gerade jetzt, da wir uns bewohnten, vielleicht feindlichen Gegenden näherten, unsere Heeresmacht zu teilen, aber es war notwendig, und auch die Nachhut war gut bewaffnet.
Es war ein ganz merkwürdiges Gefühl, den Unseren am Morgen des 10. Juli Lebewohl sagen zu müssen. Regen, Hagel und Schnee waren beinahe zwei Tage ununterbrochen gefallen, die Lasten wurden dadurch schwerer, Zelte und Tiere naß und übelriechend, der Boden ganz durchweicht. Das verlassene Lager sah in Schmutz und Nässe hoffnungslos erbärmlich aus, die elf Kamele lagen da und dort zwischen den Hügeln, die schlechte Weide verachtend. Aber Tschernoff und seine Leute waren nicht traurig, sie würden schon fertig werden.
Würden wir uns je wieder treffen? Es war ziemlich ungewiß, denn bei der Ankunft im Hauptquartiere, das zwischen frischen Weiden aufgeschlagen werden sollte, würde die Nachhut mich und die beiden anderen Lhasapilger dort nicht mehr vorfinden, und es war noch sehr die Frage, ob wir von dem Abenteuer überhaupt wieder zurückkehren würden.
Nach herzlichem Abschied brachen wir während eines Gußregens auf. Das verlassene Lager mit seinen feuchten Rauchsäulen verschwand bald hinter dem Rauche. Ich ritt mit dem Lama voran. Wir waren patschnaß, als die Sonne sich zeigte; aber kaum waren wir trocken geworden, so erhielten wir eine neue Dusche. Nach einem Ritte von 23 Kilometer fanden wir einen geeigneten Lagerplatz, wo wir uns niederließen und die Karawane erwarteten. Diese Zeit nahm der Himmel wahr, um uns wieder zu durchnässen. Ich hüllte mich in eine Decke von Kamelhaarfilz, die stets aufgerollt hinter meinem ungarischen Feldsattel lag. Der Lama kümmerte sich nicht um den Regen; mit philosophischer Ruhe nahm er Platz und ließ die 108 Perlen seines Rosenkranzes zwischen den Fingern durchgleiten, während er die heilige Formel »Om mani padme hum« (o Juwel in der Lotusblume) murmelte.
Unterwegs schossen Sirkin und Schagdur je einen Yak, und zwei Leute blieben zurück, um die besten Stücke von den Tieren mitzubringen. Die Weide war hier knapp und bestand aus dünnem Moose und wildem Lauche. Letztere Pflanze war bei allen sehr beliebt. Mit ihr wurden meine Suppe und die ewigen Schnitzel gewürzt; die Mohammedaner aßen den Lauch roh, und die Kamele rissen seine saftigen Stengel gierig ab. Dort, wo er dichter als gewöhnlich stand, pflegte Turdu Bai auch auf dem Marsche eine Weile Halt zu machen, um den Kamelen Gelegenheit zu geben, sich daran zu laben.
Auch der folgende Tag bot uns mehr Niederschläge, als wir brauchen konnten. Ein Gewitter rumorte donnernd in den Tälern, ihm folgten Hagel- und Regenschauer. Die Pferde werden unruhig und scheu, die Kamele suchen einander die Leeseite abzugewinnen, was die Lasten in Unordnung bringt. Man wird naß und klebrig, es rinnt von Mütze und Ärmeln, es gluckst in den Filzstiefeln. Sobald es ein wenig aufhellt, rasten wir eine Weile, um den Zug zu ordnen. Die Bergrücken um uns, auf denen der Niederschlag als Schnee gefallen war, sahen aus, als wären sie mit blendendweißer Ölfarbe angestrichen. Ich will nicht damit prahlen, daß es gerade angenehm ist, in das feuchte Bett auf dem zum Schwimmen nassen Boden zu kriechen, bis uns die Nacht nach den Mühen des Tages endlich Ruhe schenkt.
Steinpyramide als Wegzeichen.
Trotz alles Regens, der im Erdboden versickert, wurde es uns schwer, Trinkwasser zum Abend zu finden. Ein Tümpel, an dem wir lagerten, hatte scharfsalziges Wasser. Mit zwei kupfernen Kannen ging Schagdur auf die Suche nach einer Quelle. Nach einer Weile rannte er ganz aufgeregt zurück. Er war von einem Wolfe überfallen worden, der zweimal auf ihn losgestürzt war, und hatte zu seiner Verteidigung nur die Kannen gehabt. Jetzt wollte er seine Flinte holen und mit Sirkin zusammen dem Isegrim den Standpunkt klarmachen. Wir sahen den zottigen, beinahe weißen Wolf auf dem Kamme eines naheliegenden Hügels laufen, er hielt es jedoch für das Ratsamste, sich aus dem Staube zu machen.
Über niedrige Bergrücken, durch Täler und über salzige Wasserläufe ging es nach Südosten weiter. Auf einer Halde zur Rechten unseres Weges graste einsam ein großer Yakstier. Wir hielten es nicht für nötig, ihm das Leben zu nehmen, aber ein bißchen Vergnügen sollte er den Kosaken doch machen, deshalb hetzten sie die Hunde auf ihn. Diese umringten ihn unter wilden Sprüngen und bellten sich heiser, blieben jedoch in angemessener Entfernung. Nur der Schelm Jolldasch zupfte den Yak ab und zu am Seitenbehange, während dieser mit dem Versuche beschäftigt war, Jollbars auf seine Hörner zu spießen. Der Yak tanzte mit seinen Angreifern umher, daß die Erde nur so in die Luft wirbelte, er keuchte, schnob und richtete seinen büschelartigen Schwanz hoch auf. Da kam Turdu Bai mit dem Todesurteile. Wir brauchten mehr Fleisch, erklärte er. Zwei Kugeln pfiffen durch die Luft, aber der Yak reagierte weder auf sie, noch auf die widerhallenden Schüsse. Er stand einige Sekunden regungslos, als aber die Hunde wieder in geschlossener Reihe auf ihn losstürmten, wurde er wütend, setzte ihnen mit ein paar wilden Sprüngen nach und lief den Abhang hinunter, so daß ich, der ich mit dem großen photographischen Apparate nur einige 100 Meter weiter unten stand, fand, daß dies anfing bedenklich auszusehen. Gefährlich war es jedoch nicht, denn der Yak brach zusammen, rollte noch eine Strecke abwärts und blieb mausetot liegen.
Die letzten Tage hatten wir im Süden eine gewaltige Bergkette gesehen, deren schneebedeckte Gipfel gelegentlich zwischen kleineren, die Kette verdeckenden Hügeln hervorschimmerten. Um jeden Preis mußten wir über diese Kette, denn erst südlich von ihr konnten wir erwarten, gutes Weideland zu finden, und erst dort mußten sich Spuren von Menschen zeigen. Wir spähten schon nach einer geeigneten Einsenkung in dem Kamme dieser gräßlichen Kette aus, himmelhohe Pässe würden wir jetzt nicht mehr überschreiten können. Am 15. Juli ritten wir über einen gewaltigen Fluß, der sich in eine Menge Arme geteilt hatte. Die Hügel auf seinem Westufer waren von Yaken ganz schwarz getüpfelt – wir zählten 75. In einer anderen Richtung zeigte sich etwas, das wir für einen einsamen Wanderer hielten. Sofort wurde Halt kommandiert. Mit dem Fernglase musterten wir die rätselhafte Gestalt. Der Lama versicherte, es sei ein Yakdung sammelnder Tibeter. Am Ende waren die Yake gar zahm? Diese hatten jedoch inzwischen die Karawane gewittert und zogen sich in guter Ordnung zurück. Der einsame Wanderer war ganz einfach ein Kulan, den wir in Verkürzung gesehen hatten.
Eine Strecke weiter trat folgendes kleines Ereignis ein. Jollbars hatte einen jungen Hasen aufgescheucht, dem es gewiß schlecht ergangen wäre, wenn es ihm nicht gelungen wäre, im letzten Augenblick nach vielen schlauen und schnellen Seitensprüngen in ein kleines Erdloch zu schlüpfen. Schagdur zog ihn heraus, band ihn in sein Halstuch, und wir streichelten den armen, furchtsamen Kleinen. Als die Karawane und alle Hunde vorbeigezogen waren, ließ ich ihn wieder los, und, ganz erstaunt, so leichten Kaufes davongekommen zu sein, eilte er in vergnügten Sprüngen über die Steppe hin. Er war jedoch noch nicht sehr weit gelangt, als ein Falke, den wir nicht gesehen hatten, pfeilschnell auf sein Opfer herabstieß. Schagdur eilte herbei, um seinen Schützling zu retten. Da ließ der Falke seine in Todeszuckungen liegende Beute, der er die Augen ausgepickt hatte, fahren. Es war augenscheinlich dem Häslein vom Schicksale bestimmt gewesen, daß es in Jollbars Magen enden sollte.
Das Lager Nr. 38 wurde am linken Ufer eines neuen Flusses aufgeschlagen. Turdu Bai und Hamra Kul erhielten den Auftrag, talaufwärts zu rekognoszieren, um zu sehen, ob dieser Weg zu einem leidlichen Passe hinaufführte. Wir hatten infolgedessen am 16. Juli einen Rasttag, und ich arbeitete in schönster Ruhe in meinem Zelte, als Geschrei und Rufe ertönten, und ein großer Bär auf das Lager zutrabte, von Sirkin und Schagdur verfolgt. Das Untier witterte rechtzeitig die Gefahr, bog seitwärts ab, plumpste in den Fluß, schwamm hinüber, wobei das Wasser um ihn schäumte und rauschte, erkletterte auf der anderen Seite die Uferterrasse und setzte seine Flucht fort, während ihm die beiden berittenen Kosaken schon wieder dicht auf den Fersen waren. Kaum war die wilde Jagd vorbeigestürmt, so krachte ein Schuß aus Tscherdons Zelt. Ein großer, alter, weißgrauer Wolf war zu aufdringlich gewesen und dafür war ihm der Garaus gemacht worden.
Als die Kosaken endlich in starkem Trabe zurückkehrten, sah man ihnen sofort an, daß sie etwas Wichtiges mitzuteilen hatten. Der Bär war entronnen, aber bei der Verfolgung waren sie gerade auf ein tibetisches Lager losgeritten! Ein mit einer Flinte bewaffneter Mann hatte sich schleunigst hinter einem Hügel versteckt; seine zwanzig Yake und einige Pferde weideten in der Nähe. Die Kosaken waren sofort heimgeritten, um Bericht zu erstatten. Der Lama war ganz verdutzt; die gefährliche, erbarmungslose Wirklichkeit rückte ihm jetzt auf den Leib. Solange wir keine Menschenspuren gesehen hatten, war ihm mein ganzer Plan als etwas Ungewisses erschienen, jetzt aber waren die ersten Tibeter schon dicht bei uns, nun mußten wir uns fertig machen, wenn der wahnsinnige Ritt nach Lhasa überhaupt ins Werk gesetzt werden sollte. Vielleicht war der Kulan, den wir gestern gesehen hatten, doch wirklich ein Mann; ein Anzeichen, daß wir nicht mehr weit von menschlichen Wohnungen entfernt waren, war er jedenfalls gewesen.
Eine kurze Beratung folgte, hier war jedoch durchaus keine Zeit zu verlieren. Die Tibeter waren augenscheinlich Yakjäger, die bald nach Hause zurückkehren würden, und wir mußten unbedingt mit ihnen in Verbindung treten. Sie sollten uns wichtige Auskünfte erteilen, und vielleicht könnten wir uns ihnen anschließen; es wäre ja unbezahlbar gewesen, in diesem Gewirre von Bergen, das jetzt vor uns lag, Führer zu haben. Daß sie uns schon gesehen hatten, war ganz sonnenklar. Entwischten sie uns jetzt, so würden sie schleunigst weitererzählen, was sie gesehen hatten; die Neuigkeit würde von Mund zu Mund bis nach Lhasa dringen, und man würde uns hindern, nach der heiligen Stadt zu gelangen.
Schagdur und der Lama erhielten Befehl, sofort nach dem nur 3 Kilometer entfernten Lager der Tibeter zu reiten. Auch der erstere trug mongolische Kleidung und nahm Tabak und Tee mit, um die Tibeter zu überzeugen, daß sie es mit Freunden zu tun hatten. Auch Silbergeld gab ich ihm mit, damit er ihnen einige Pferde abkaufe. So vorbereitet, sprengten sie wieder durch den Fluß und verschwanden hinter den Hügeln.
In der Dunkelheit kehrten sie zurück. Von dem Lager war nichts mehr dagewesen als das rauchende Feuer von Yakdung nebst einigen Yakschädeln und Hufen, den Überbleibseln der Mahlzeit der Tibeter. Die Spur ihrer Karawane lief ostwärts, und es fragte sich jetzt, ob wir sie einzuholen versuchen sollten oder nicht. Wegen des erbärmlichen Zustandes unserer Pferde beschlossen wir, es zu unterlassen, um so mehr, als man überzeugt sein konnte, daß die Tibeter die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag hindurch marschieren würden, um sich vor den unbekannten Fremdlingen, die sie auf die Bärenjagd hatten reiten sehen, in Sicherheit zu bringen.
Nun war es mit dem Frieden in unserem Lager zu Ende; wir waren nicht mehr alleinige Herren über Tibets öde Landstrecken, wir waren ein Einfallheer, das wahrscheinlich feindlich aufgenommen werden würde. Von jetzt an mußte strenge Nachtwache gehalten und die Tiere mußten sorgfältig bewacht werden. Jetzt galt es, je eher, desto besser einen für ein Hauptquartier geeigneten Platz ausfindig zu machen, und nach einer Beratung mit Schagdur beschloß ich, daß nur er, ich und der Lama den Ritt nach Lhasa unternehmen würden, Tscherdon aber im Hauptquartier, das möglichst starker Verteidigung bedurfte, bleiben solle. Auch mußte Tschernoff bald wieder zu erwarten sein.
Noch einen Tag blieben wir an diesem bedeutungsvollen Lagerplatze. Während dieses Tages wurde unsere ganze mongolische Ausrüstung in Ordnung gebracht, so daß für den Fall einer plötzlichen Trennung von der Karawane alles bereit lag. In der Dämmerung zeichneten sich die Schattenrisse unserer beiden Kundschafter ab, die auf unserem Wege nach Süden keine unüberwindlichen Hindernisse gefunden hatten.
Sie zeigten uns den Weg aufwärts durch das Tal des schäumenden Flusses, den wir mehrmals überschritten; in einer Erweiterung des Tales, wo das letzte schlechte Gras wuchs, schlugen wir Lager. Eines unserer 18 Kamele gelangte noch eben hierher, ließ sich aber am folgenden Morgen nicht mehr zum Mitkommen bewegen. Es war jedoch lange nicht so mager wie seine Kameraden und ging umher, um mit Geduld die einzelnen Grashalme auszurupfen. Ich beschloß, es hier zu lassen. Bis die Nachhut hierher kam, konnte es sich ausruhen und mochte dann kräftig genug zum Mitkommen sein. Der Wölfe wegen brauchten wir nicht besorgt zu sein, da diese, wie Turdu Bai sagte, nie ein Kamel anrühren, das einen Packsattel trägt. Auf einem kleinen Hügel im Tale wurde eine Zeltlatte eingerammt, an ihrer Spitze eine Konservenbüchse befestigt und in diese ein Zettel gelegt, auf dem auf Türkisch folgendes stand: »Wir haben hier ein Kamel zurückgelassen; wenn es nicht da ist, so folgt seiner Spur, bis ihr es findet.«
Fragend, aber ruhig folgten seine Blicke unserem Zuge, als wir unbarmherzig abzogen. Was mochte es wohl von uns herzlosen Menschen denken, die einen guten, treuen Diener mitten in der Wildnis verließen? Als ich mich zum letztenmal im Sattel umdrehte, um zu sehen, ob es uns nicht doch noch freiwillig folgen würde, sah ich es ganz ruhig den langen Hals beugen und weiter grasen.
Gerade an dieser Stelle machte der Nachtrab aus mir unbekannten Gründen einen Umweg. Sie sahen infolgedessen die Signalstange gar nicht und ebensowenig das Kamel, das so ohne Hoffnung auf Rettung verlassen blieb und von dessen weiteren Schicksalen wir nie etwas erfahren sollten.
Yakspuren gab es in Menge, aber die Tiere selbst ließen sich nicht sehen; sie schienen ganz kürzlich verscheucht worden zu sein. Dreimal passierten wir auch frische Feuerstätten, einige im Kreise aufgestellte Steine mit Asche dazwischen.
Der 20. Juli wurde ein anstrengender Tag, der uns in immer höhere, unwirtlichere Regionen hinaufführte. Wir sollten über die mächtige Bergkette hinüber; ihr Kamm war abgerundet und der Paß selbst auf beiden Seiten von breiten Gletscherzungen umgeben, von denen klare Bäche ausgingen, die den Boden weich und tückisch nachgebend machten. Ein ungeheuer heftiger Hagelsturm schlug uns gerade entgegen. Vom Pelzbaschlik hat man wenig Nutzen, wenn einem der Hagel wagerecht ins Gesicht gejagt wird, auf den Hals hinabrollt und dort schmilzt. Unterhalb der Gletscher grasten jetzt 300 Yake, einem kleinen Kriegsheere gleich, das bei unserem Herannahen retirierte. Wir arbeiten und kämpfen uns allmählich nach der Schwelle hinauf, wo die Instrumente eine Höhe von 5462 Meter anzeigen. Im Süden breitet sich ein Gewirr von Bergen aus; ein Bach fließt nach dieser Richtung hinab, erhält auf beiden Seiten Zuflüsse und wird nach und nach zu einem ansehnlichen Flusse. Hier griffen die Hunde mit Todesverachtung sieben alte Yake an. Vier ergriffen sofort die Flucht, drei hielten eine Weile stand, die Nase am Boden und die Hörner zum Aufspießen bereit. Als aber die Hunde den Angriff auf einen von ihnen konzentrierten, zogen sich die beiden anderen gleichfalls zurück. Der letzte hatte tüchtig mit dem Abwehren zu tun, verfiel aber schließlich auf die schlaue Taktik, mitten in dem schäumenden Flusse Posto zu fassen, wo ihm die Hunde nichts anhaben konnten. Nach einer Weile kamen zwei Kameraden zurück, um zu sehen, wie es ihm ging, die Hunde aber waren des Spieles schon müde und betrachteten den Feind vom Ufer aus.
Der Fluß empfängt von rechts einen Bach und wendet sich dann nach Südosten, ein ausgeprägtes Tal durchfließend, das uns, wie wir hofften, allmählich in Gegenden mit besserem Graswuchse führen sollte. Hier trat eine eigentümliche Formation auf, nämlich zwei mächtige Eisbänder, die sich auf beiden Flußufern hinzogen. Die Karawane wurde auf dem 2 Meter hohen Eisbande der rechten Seite entlang geführt. Bald aber gebot uns eine Unterbrechung der Scholle Halt, und es handelte sich jetzt darum, vom Eise auf den mit rauschendem Wasser gefüllten Talboden hinunterzugelangen. Es kostete uns viel Zeit, mit Äxten und Spaten einen Weg in das Eis zu hauen, der dann noch mit Kies und Sand bestreut werden mußte, ehe die Kamele eines nach dem anderen vorsichtig hinuntergeführt werden konnten. Inzwischen hatte Schagdur talabwärts rekognosziert. Als wir ihm begegneten, erklärte er, 5 Kilometer könnten wir noch bequem zurücklegen, dann aber dränge sich das Tal zu einem Hohlwege zusammen, in welchem sich der ganze Fluß tief und schäumend hinabwälze. An der Stelle, wo er umkehrte, sei das Wasser einen Meter tief gewesen. Ich sah sofort ein, daß es unser Verderben hätte sein können, wenn wir uns in die Mausefalle hätten hineinlocken lassen, denn um die Mittagszeit würde der Fluß anschwellen, und wenn uns dies zur Umkehr zwänge, würde uns das Hochwasser von den Gletschern erreichen und wir gerade wie Katzen ertränkt werden.
Also den ganzen Weg wieder zurück und dann hinauf in dem Tale des Nebenflusses, der von einem anderen Passe kam. Am Fuße des letzteren hatten wir für heute genug, um so mehr, als es immerfort stürmte und hagelte. Um die Nachhut vor dieser Extrapromenade zu bewahren, wurden mehrere den Weg anzeigende Steinhaufen errichtet.
Gegen Abend klärte sich der Himmel auf. Ich lag auf dem Bette, rauchte meine Pfeife und betrachtete die mit Engelsgeduld nach Gras umhersuchenden Kamele. Die sinkende Sonne färbt die Wolken braunrot, und in der Dämmerung schmettern wieder schwere Regentropfen auf das schon nasse Filzdach der Jurte.
Am folgenden Morgen brauchten ich und der Lama zwei gute Stunden, um diesen scheußlichen Paß zu erreichen, und zwei Stunden mußten wir dort oben noch auf die Karawane warten. Die boshafteste Phantasie kann kein abscheulicheres Terrain ersinnen. Die Tiere sinken bei jedem Schritt in den Brei ein. Regen und Hagel wechseln ab, um den Boden noch nasser zu machen. Wir nähern uns Gegenden, welche die Niederschläge von Wolken auffangen, die der Wind von ihrer Heimat im Indischen Ozean hierhertreibt. Die kolossale Höhe, das grauenhafte Wetter, der ziemlich steile Anstieg und der lockere Boden, alles dieses zusammen ist genug, um auch die beste Karawane aufzureiben.
Der Südabhang war noch zehnmal schlimmer. Ein Lotse geht voraus, sein Pferd führend und den Boden untersuchend. Turdu Bai beeilt sich, damit die Kamele nicht so tief einsinken. Es nützt jedoch wenig; ein Brüllen ertönt, ein Strick hat sich gespannt und ist gerissen, und ein Kamel ist drauf und dran zu versinken. Einige Leute führen die anderen weiter, während die übrigen Leute herbeieilen, um das verunglückte Tier zu retten, ihm seine Last abnehmen, sie einstweilen in den Schlamm werfen und es mit vereinten Kräften wieder auf die Beine bringen. Die Kamele sinken bis an die Knie ein, die Löcher schließen sich sofort hinter ihnen. Der Regen gießt nur so herab, und die dämmerungsschweren Wollen lassen nirgends einen Lichtblick ahnen. Ein Maulesel ist stecken geblieben und gefallen und kann nur mit der größten Anstrengung gerettet werden. Wir tragen ganze Ladungen Schlamm bis hoch über die Stiefelschäfte hinauf mit uns herum. Es tropft und rinnt von den Menschen und den Tieren, die alle schwer und mühsam atmen. Ein hoffnungsloses Land! Die Menschen fliehen uns, und die Elemente verschwören sich, um uns zu Tode zu quälen. Wie wird es Tschernoff und der Nachhut gehen?
Die beiden Eisbänder im Tal.
Gleich unterhalb des Passes sinkt das letzte Kamel in den von den anderen noch mehr eingeweichten Boden ein und fällt dabei. Es schien zu begreifen, daß es sich hier um sein Leben handelte, denn es machte selbst Anstrengungen, um sich zu befreien. Die Karawane ist weit voraus, und Hamra Kul schickt mir einen Boten, um Anweisung zu erbitten. Ich schicke ihm Leute zu Hilfe, aber sie kommen mit dem Bescheid wieder, daß es, wenigstens jetzt am Abend, unmöglich sei, das Kamel herauszuziehen. Da befahl ich, daß drei Leute die Nacht in seiner unmittelbaren Nähe zubringen und Filzdecken, Stangen, Stricke und Leitern mitnehmen sollten, um in aller Frühe, wenn die oberen Schichten des Bodens noch gefroren waren, den Versuch zu machen, das Kamel, das eines der allerbesten der Karawane war, zu retten. Unsere Rettungspläne wurden zu Wasser. Während der Nacht sank das Kamel immer tiefer ein und wurde am Morgen tot und zur Hälfte in diesem verfluchten Boden festgefroren vorgefunden. Der Leser begreift vielleicht jetzt, daß es kein Spiel oder anregender Sport ist, durch Tibet zu reisen! Es ist Ernst den ganzen Tag über, und nachts träumen wir vergebens von Weideplätzen und festem, tragfähigem Boden. Manchmal sieht es so verzweifelt und düster aus, daß man es kaum bedauern würde, wenn die Erde die ganze Bescherung verschlänge und uns von allen Gefahren, Fallgruben und Verrätereien befreite.
Endlich, endlich kommen wir von diesen mörderischen Höhen hinunter an einen neuen Fluß, dessen rauschende Wassermassen wir durchziehen. Woher er kam und wohin er ging, sahen wir nicht, denn Schnee und Platzregen in brüderlichem Vereine hüllten das ganze Tal in undurchdringlichen Nebel; aber wir konnten zu unserer Freude und Erleichterung fühlen, daß sein Kiesgrund das Gewicht der Karawanentiere trug. Todmüde und pudelnaß schlugen wir an seinem rechten Ufer das dreiundvierzigste Lager auf.
Kosak Schagdur, der Verfasser und der Lama Schereb als mongolische Pilger.