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Zweites Kapitel.
Über Gebirge und durch Wüsten nach dem Flusse Jarkent-darja.

Die Entfernung zwischen Osch, der östlichsten Stadt der russischen Provinz Ferghana, und Kaschgar, der westlichsten Stadt Chinas, beträgt 450 Kilometer. Ein bequemer, malerischer Weg führt dorthin über den Paß Tongburun des bis zu 7000 Meter ansteigenden Alai-Gebirges, und in zwei Wochen kann man mit Leichtigkeit über das Gebirge reiten. Nach der Wüstenhitze hat man von der frischen Luft doppelten Genuß.

Ich hatte 7 Leute und 26 Pferde; Islam Bai war der »Karawanbaschi« oder Führer unseres Zuges. Zwei nette, lebhafte junge Hunde aus Osch begleiteten uns; der eine hieß »Dowlet«, der »Glückliche«, der andere, ein asiatischer Wilder von Mischrasse, hörte auf den Namen »Jolldasch«, der »Reisekamerad«. Sie wohnten in meinem Zelte, verzehrten ihre Mahlzeiten in meiner Gesellschaft und waren meine erklärten Günstlinge, und als ich sie verlor, betrauerte ich sie wie menschliche Wesen. Jolldasch hielt 2½ Jahre bei mir aus und spielte in unseren Quartieren eine Hauptrolle.

Bei der kleinen russischen Festung Irkeschtam passieren wir die Grenze zwischen Rußland und China und reiten dann in den herrlichen Wald von Pappeln, Weiden und Buschholz hinein, der sich an den Ufern des Flusses von Nagara-tschalldi zwischen senkrechten Felswänden erhebt. In dieser lieblichen Oase müssen wir beim Rauschen frischsprudelnden Wassers einen Tag rasten; es ist so schön und kühl im Walde während der Tagesstunden, und die Nacht ist so ernst und feierlich, besonders wenn, wie jetzt, große Kamelkarawanen mit Baumwolle von Kaschgar vorbeiziehen.

Mit unbeschreiblichem Wohlbehagen lauscht man im Liegen dem dumpfen Klange der leitenden Glocken in der Ferne; der Klang wird immer heller, er klingt ernst und feierlich und markiert den majestätisch ruhigen Gang der Kamele. Schaut man in die Nacht hinaus, so sieht man mächtige schwarze Schatten gespensterhaft vorbeischweben; ihre weichen Tritte rufen keinen Laut hervor, aber die Glocken läuten mit durchdringenden Tönen, und von den Felswänden antwortet das Echo mit demselben Klange. Man kriecht in seine Lagerstatt zurück und hört das Läuten langsam zwischen den Bergen ersterben. Wer sollte es nicht verstehen, wie es möglich ist, daß dieser einfache Glockenklang mit hypnotischer Kraft auf meine Gehörnerven einzuwirken und die Erinnerung daran meine Gedanken in eine helle, fröhliche Richtung zu lenken vermag? Zwanzig Jahre sind es schon her, seit ich diesen Klang zum ersten Male hörte, und seitdem ist er, wie ein leiser Ton klingend, durch mein Leben gegangen. Beim Klange der Glocken bin ich damals aus Bagdad nach Kurdistan hinaufgeritten, als die Araber für meine Ungeduld zu langsam zogen und ich ihnen einfach durchbrannte, um von Aga-Mohammed Hassan gastfrei aufgenommen zu werden und unbegrenzten Kredit zu erhalten, weil ich ein Landsmann Karls XII. war. Beim Klange der Glocken bin ich durch Chorassan und Turkestan gezogen und habe die Wüste Takla-makan durchreist; dort läuteten sie uns zu Grabe, denn die ganze Karawane, außer mir und zweien meiner Leute, kam vor Durst um. Und beim Klange der Glocken zog ich auch durch das Land der Mongolen und durch Nordchina.

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Auf dem Wege nach Kaschgar.

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Meine erste Kamelkarawane.

Die Veranlassungen zu Freud und Leid, die während einer langen Reise abwechselten, sind mir stets mit derselben klangvollen Musik begleitet worden. Träume ich jetzt gelegentlich in meinem stillen Heim von der Wüste und erwache plötzlich, so horche ich unwillkürlich nach dem dazugehörigen Glockenklange. Wird in einer Kirche zur Beerdigung geläutet, so denke ich an den Aufbruch nach der Wüste, und wenn dieselben Glocken die Gemeinde zum Gottesdienste rufen, kehren mir meine Erinnerungen an die Sonntagsruhe der Wüste und an die göttliche Feierlichkeit unter den tibetischen Gebirgsdomen zurück. Und ich weiß ja, daß man einst mich selbst bei Glockengeläute forttragen wird, entweder beim Klange der Glocken einer Kirche oder beim Klange der Glocken einer Karawane. In jedem Falle ist es eine Siegeshymne, die mir unendlich teuer ist. –

Jetzt sind wir am Ufer des Flusses Kisil-su, »das rote Wasser«, in dessen Bett sich ungeheure Wassermassen dahinwälzen, trübe und dick wie Hagebuttensuppe. Nachdem einige von den Leuten vergebens versucht hatten, eine Furt zu finden, ist Kader an der Reihe, sein Glück zu probieren. Entschlossen stemmt er seinem zottigen kleinen Kirgisenpferde die Absätze in die Seite und reitet gerade in das dumpf und schwer rauschende Wasser hinein. Das Pferd sinkt immer tiefer; jetzt reicht ihm das Wasser bis an den Sattelknopf. Im Augenblick verschwinden Roß und Reiter in den trüben Wellen; nur ihre Köpfe sind noch über der Oberfläche des Flusses zu sehen. Kader hat die Arme um den Hals des Pferdes geschlungen; mit schwindelnder Schnelligkeit werden beide von der Strömung fortgerissen, und sie scheinen sich bei der ersten Biegung wie ein Kreisel zu drehen. Vermutlich wurde Kader auf irgendeine Weise der Situation Herr, denn nach einer guten Weile erschien er wieder, naß und begossen wie eine getaufte Maus, das Pferd am Zügel führend. So seltsam es klingen mag, kamen wir doch ziemlich trockenen Fußes über den Fluß, als wir bald darauf eine leidliche Furt gefunden hatten. –

Die Karawane, mit der ich am 5. September 1899 Kaschgar verließ, zählte 15 prächtige Kamele, 1 Dutzend Pferde und eine ganze Schar von Dienern. Von den Pferden entrann keines lebend den Schicksalen, die unserer warteten, von den Kamelen nur zwei; treu, würdig und ruhig gingen sie vom ersten Tage an sicheren Schrittes dem Tode entgegen, und wieder läuteten die Karawanenglocken.

Von den Mohammedanern unter meinen Dienern muß ich einige vorstellen. Turdu Bai und Faisullah, zwei Weißbärte aus Russisch-Turkestan, waren während der ganzen Zeit, die sie bei mir in Dienst standen, über jedes Lob erhaben; Nias Hadschi dagegen erwies sich als ein vollendeter Schuft, obgleich er die Wallfahrt zum Grabe des Propheten gemacht hatte.

Mit ein paar Worten will ich noch erzählen, wie es kam, daß die beiden westsibirischen Kosaken Sirkin und Tschernoff an dieser Reise teilnahmen. Gelegentlich einer Audienz beim Zaren Nikolaus im April 1899 hatte der Kaiser mir gesagt, daß er mir eine Kosakeneskorte mit auf die Reise zu geben wünsche, »um mich mit aller Sicherheit und allem Schutze, der in menschlicher Macht stehe, zu umgeben«. Als ich mir erlaubte, mein Bedenken zu äußern, weil ich nur an mohammedanische Diener gewöhnt sei und noch keine Erfahrung im Befehlen über Kosaken hätte, weil ich auch Unannehmlichkeiten haben könnte, wenn ich mich der indischen Grenze mit Kosaken näherte, erwiderte der Kaiser lächelnd, ich würde es nie bereuen, wenn ich seinem Rate folgte; »denn«, sagte er, »auf der Reise, die ich selbst durch Indien, Japan und Sibirien gemacht habe, begleiteten mich Kosaken, und ich weiß aus Erfahrung, wie brauchbar sie sind«. Ich dankte dem Zaren für diese große Güte. Am selben Tage feierte die Gardekavallerie das Fest ihres Schutzpatrons, und der Kaiser mit allen Großfürsten nahm daran teil. Bald darauf erhielt ich einen Brief von General Kuropatkin mit der Aufforderung, ihn wenn möglich sofort zu besuchen. Beim Feste hatte ihm der Kaiser befohlen, die Frage über meine Kosakeneskorte zu regeln. Obwohl der Kaiser zehn Kosaken vorgeschlagen hatte, glaubte ich, daß zwei genügen würden, und bat den General, daß diese am 14. Dezember in der Gegend des Sees Lop-nor zu mir stoßen möchten. Sie sollten in jedem Falle von dem transbaikalischen Kosakenheere abkommandiert werden und nach dem ausdrücklichen Wunsche des Kaisers sollten es Burjaten und Anhänger des lamaistischen Glaubens sein, »denn von solchen haben Sie in Tibet Nutzen«, erklärte er mir.

Als ich Kaschgar verlassen und mich nach ein paar Tagen von meiner Karawane trennen sollte, um auf einem anderen, ungewöhnlichen Wege das Gebiet des Lop-nor aufzusuchen, dachte ich, daß es jetzt gerade recht passend wäre, wenn ich die Kosaken zur Bedeckung der Karawane, die den allergrößten Teil meines Gepäckes und 300 Kilogramm reines chinesisches Silber beförderte, zur Verfügung haben könnte. Ich vereinbarte daher mit dem russischen Generalkonsul Petrowskij, daß zwei Kosaken aus seiner Eskorte mich bis zu dem Tage, an welchem wir die burjatischen Kosaken treffen würden, begleiten sollten.

Es war ein großes Glück für mich, diese vortrefflichen Männer in meinem Gefolge zu haben; selten oder nie bin ich von solcher Treue und solchem Gehorsam umgeben gewesen wie in den Jahren, als sie in meinen Diensten standen. Gleich ihren burjatischen Kameraden, die sich uns später anschlossen, übertrafen die beiden orthodoxen Russen hinsichtlich ihrer militärischen Disziplin, ihres Mutes und ihrer Tüchtigkeit meine kühnsten Wünsche. Nächst dem göttlichen Schutze, der mich während meiner Wanderjahre nie verlassen hat, verdankte ich es den Kosaken, daß alles so glücklich ablief und daß ich auch in gefährlichen Lagen das Gefühl der Sicherheit und Ruhe hatte. Täglich segnete ich den Kaiser, denn er war es ja, der auf den Gedanken verfallen war, mir die Eskorte zu geben, und er war der einzige, der sie mir geben konnte. Und obendrein sollte sie mir auch nicht einen Pfennig kosten, so hatte ihr oberster Kriegsherr befohlen. Die Kosaken sollten ihren Sold nach der Heimkehr erheben und hatten eigene Pferde und Sättel, dazu jeder eines der neuen Repetiergewehre der russischen Armee nebst ausreichender Munition. –

Der Tag war heiß und schwül, als unsere schwerbeladene Reihe sich durch das Tor der Stadtmauer von Kaschgar schlängelte. Dicke, schwarzblaue Regenwolken segeln vom Gebirge her, heftige Windstöße fegen den feinen Stand in Kometenschweifen den Weg entlang, dann bricht das Wetter mit wahnsinniger Wut los. Zuckende Blitze kreuzen in Zickzacklinien von blendendem, bläulichem Feuer den dunkeln Himmel, mit betäubendem Gepolter kracht der Donner, und der Platzregen fällt hageldicht auf die Erde, um in wenigen Minuten den ganzen Weg und die Umgebung in eine große Lehmsuppe zu verwandeln. Pferde und Reiter, Kamele und Lasten sind patschnaß; es rinnt und tropft von allen Ecken und Kanten, es quatscht in unseren nassen Stiefeln und klatscht in unserer Kleidung, wenn man nur den Arm krümmt. Der Weg wird glatt und schlüpfrig, die Kamele mit ihren flachen, weichen Fußschwielen gleiten und glitschen. Großen Wirrwarr, Geschrei und Gerenne gibt es, wenn bald dieses, bald jenes der gewaltigen Tiere so stark ausgeglitten ist, daß alle vier Beine nach einer Seite liegen und das Tier mit seiner schweren Last auf die Erde aufschlägt, daß der Schmutz nur so herum spritzt. Ist das Kamel endlich wieder auf die Beine gebracht, so hat es auf der einen Seite einen gelben Extrapanzer, den der Regen kaum abwaschen kann, bevor das Tier wieder einen Purzelbaum schießt.

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Aufbruch der ersten Karawane aus Kaschgar.
Von links nach rechts: die beiden Kosaken Tichernoff und Sirkin, der junge Kader, der Verfasser und Islam Bai.

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Stadttor in Kaschgar.

Der Donner rollt über die Ebene aus den Kanonen einer Riesenartillerie. Es war, als wollte der Himmel uns bei unserem Aufbruch tausend unbekannten Gefahren entgegen mit donnernden Kanonenschüssen salutieren und uns daran erinnern, daß man nicht ungestraft unter Palmen wandelt, oder vielmehr unter Weiden und Pappeln in Ostturkestan. »Ein guter Anfang«, dachte ich; zum Glück waren die photographischen Platten in Blechbüchsen luftdicht verlötet und alle Instrumente gut verpackt. Das übrige Gepäck war weniger empfindlich.

Vielleicht sollte ich etwas über den Inhalt meiner Kisten sagen, die jetzt so nachlässig im Schmutze schlenkerten und vom Regen so durchnäßt wurden. In den Kisten waren Notizbücher und Zeichenmaterial für gut drei Jahre, Kleidungsstücke und Filzdecken, ein Bett, ein Boot aus Segeltuch, Konserven und Küchengeschirr, Werkzeuge aller Art, Proviant an Mehl, Gemüse, Brot und Reis für die ganze Karawane, eine Menge Chalate, Zeugstoffe, Mützen und verschiedene Kleinigkeiten, die zu Geschenken für Eingeborene bestimmt waren. Die photographische Ausrüstung nahm allein ein Kamel ganz und gar in Anspruch; ich nahm so viel Pfeifentabak mit, daß er nicht nur für mich, sondern auch für die Kosaken auf der ganzen Reise ausreichte, dagegen durfte in der Karawane kein Tropfen Wein oder Schnaps gefunden werden. Sich von Alkohol abhängig zu machen, ist unter allen Umständen ein Fluch, auf einer an und für sich schon anstrengenden Reise aber geradezu verwerflich. Die Leute, die sich dessen enthalten, sind in der Welt der Zivilisation sowohl wie außerhalb derselben die tüchtigsten, gar nicht davon zu reden, daß diejenigen, welche an Leib und Seele Sklaven dieses Schandzeuges werden, erbärmliche Wichte sind. In unserer Karawane gab es keinen, dem das Entbehren der Spirituosen hart fiel, und nie hörte ich die Kosaken auch nur das leiseste Verlangen danach aussprechen. In meiner Karawane herrschten die Zucht und Disziplin, die absolut notwendig sind, wenn ein großes Unternehmen gelingen soll.

Im übrigen kann sich der Leser wohl denken, daß, wer lange Jahre von der äußeren Welt abgeschnitten und ganz auf sich selbst angewiesen ist, eine Menge Dinge mitnehmen muß, besonders alles jenes, dessen man wahrscheinlich bedürfen wird. Ich kann nicht alles aufzählen; man denke nur an Dinge, wie Stricke, Eimer, Spaten, Beile und Spieße, und all die Werkzeuge und Geräte, die zum Wiederherstellen zerbrochener Gegenstände nötig sind. Die Zelte, die Schlafdecken aller Leute, die Jagdflinten und ihre Munition stellen ebenfalls ein ansehnliches Gewicht dar. Vor allem darf man die Arzneien nicht vergessen; ich benutzte sie für mich selbst nie, aber die Mohammedaner haben zu ihnen blindes Vertrauen, und wenn jemand in der Karawane sterben sollte, dürfen die anderen wenigstens nicht glauben, daß nicht alles geschehen ist, um ihn zu retten.

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In der Wüste auf dem Wege nach Lailik.

Meine Bibliothek war nicht groß, ich würde ja doch nur selten Zeit zum Lesen haben; sie bestand aus einigen wissenschaftlichen Werken über Physik und Geographie und einigen über den Buddhismus, ein paar Romanen, der Frithjofssage, Runebergs »Fähnrich Stål«, den Schwedischen Bildern und der Schwedischen Geschichte; wie früher stets war auch die Bibel darunter und das Gesangbuch, das mich auf allen meinen Reisen begleitet hat und jetzt sehr zerlesen ist.

Die chinesischen Papierlaternen waren in den Basargäßchen schon angezündet, als wir in der Nässe an der nördlichen Stadtmauer von Jangi-schahr, der Neustadt von Kaschgar, vorbeizogen, um bald darauf in einem Karawanserei an der Landstraße einzukehren.

Nach einigen weiteren Tagemärschen hatten wir die Wüste zwischen Kaschgar und dem Jarkent-darja durchquert und schlugen am linken Flußufer bei dem Dörfchen Lailik ein Standlager auf.


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