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Endlich konnte ich mich gründlich ausschlafen. Wir hatten keine Eile mehr, waren wir doch in den Banden des Eises gefangen. Nachdem das Lager an einem kleinen natürlichen Hafen provisorisch eingerichtet worden war, erhielten unsere prächtigen Fährleute aus Lailik ihren Lohn, den ich verdoppelte und dem ich noch das Geld für die Rückreise hinzufügte. Mit Tränen in den Augen zogen sie von uns fort. Parpi Bai wurde zum Oberaufseher der Pferde ernannt; er machte sich sogleich daran, einen Stall von Schilfbündeln zu bauen. Turdu Bai und Faisullah, russische Untertanen aus Ostturkestan, wurden Kamelhüter. Kurban, ein sechzehnjähriger, hübscher, offener und vergnügter Bursche aus Aksu, wurde zum Laufjungen der Mohammedaner erkoren, Ördek, ein Eingeborener aus dem Loplande, den wir hier trafen, besorgte die gröberen Arbeiten, trug Wasser für die Küche, holte Holz aus dem nächsten Walde und sorgte für Futter. Hierbei halfen ihm eine Menge Lopleute aus der Gegend. Islam Bai war der Anführer der Mohammedaner, die Kosaken standen mir mit nächsten im Range. Chalmet, der Aksakal oder Vorstand der Kaufleute von Korla, ein alter Freund von 1896 her, besuchte mich hier einige Tage und wurde beauftragt, Maulesel, mongolische Filzzelte und kleines Silbergeld aus Korla zu besorgen und eine Masse Proviant zu kaufen.
Die Karawane hatte fünf Hunde aus Kutschar und Korla mitgebracht. Unter ihnen waren zwei hübsche, sympathische Windhunde, die »Maschka« und »Taigun« genannt wurden und vom ersten Tage an meine Lieblinge waren. Sie waren hochgewachsen und hatten sehr kurzes weißes Fell, so daß sie im Winter beständig das Feuer aufsuchten und nachts bei mir in eigens für sie angefertigten Filzmänteln schliefen. Es war komisch anzusehen, mit welcher Gewandtheit sie ohne Hilfe in die Mäntel kriechen lernten und wie dankbar sie waren und wie behaglich sie seufzten, wenn man sie warm zudeckte. Auf dem Kriegspfade aber waren sie unüberwindlich und richteten große Verheerung unter den Hunden der Gegend an. Maschka und Taigun führten auf raffinierte Weise Krieg. Sie umkreisten ihren Gegner, bis sie eines seiner Hinterbeine fassen konnten, schlenkerten ihn daran rund herum und ließen ihn nicht eher wieder los, als bis die Drehung so geschwind war, daß der Ärmste kopfüber hinfiel und dann auf drei Beinen hinkend mit lautem Geheul die Flucht ergriff. Beim Füttern wagte keiner der anderen Hunde die Fleischstücke anzusehen, bevor Maschka und Taigun sich sattgefressen hatten. Nach ihrer Ankunft im Lager fiel Jolldasch nicht gerade in Ungnade, aber er fühlte sich doch vernachlässigt und zog sich freiwillig ins Privatleben zurück; er wagte nie in meine Schilfhütte zu gucken, wenn die Neuen dort waren. Ein solcher Versuch hatte schon einmal ein klägliches Ende genommen. Ich hatte vergeblich versucht, den Vermittler zu spielen, denn Hunde haben nun einmal ihren eigenen Kopf. Jolldasch schlief aber noch immer treu vor meiner Hütte und wenn ich, was oft vorkam, hinaustrat und ihn streichelte, sprang und bellte er vor lauter Entzücken und Dankbarkeit.
Das Winterquartier in Jangi-köll.
Jollbars, der »Tiger«, war ein kolossaler, schwarzbrauner Hund, ein Sohn des Dschungels, mit Wolfsblut in den Adern, ein Hofhund furchtbarer Art, ein Ritter der mörderischen Reißzähne. Er lag an einer eisernen Kette, und niemand, außer mir und einigen der Leute, wagte sich in den Kreis der Kette hinein. Er war ein Schrecken für alles, was Dieb hieß, denn nachts wurde er losgemacht. Auch er erlebte während der folgenden Jahre verschiedene Abenteuer. Einmal wurde er von einem verwundeten, wütenden Wildschwein buchstäblich aufgeschlitzt, so daß ihm ein paar Darmschlingen aus der Seite heraushingen, aber er wurde nach dem Unfälle wieder ordentlich zusammengenäht. Ein anderes Mal nahm er in der glühenden Wüste Reißaus und galt für verloren, tauchte aber nach einem halben Jahre wieder auf. Sein Andenken ist mir besonders lieb, denn er begleitete mich auf dem harten, gefährlichen Ritte nach Lhasa und warnte uns nachts vor Überfällen. Ja, ich liebte meine Hunde; sie vernachlässigten nie ihre Pflichten und gingen ganz und gar in dem Karawanenleben und seinen Anstrengungen auf.
Hütten, Ställe, Zelte, ganze Berge von Proviant und Gepäck erhoben sich um den »Markt« unseres Dorfes herum, auf dem die Männer ihre offene Küche und ihren »Klub« an dem Feuer, das erst im Mai des folgenden Jahres erlosch, hatten. Von nah und fern kamen Eingeborene, teils aus Neugier, teils um Waren zu verkaufen. Es war ein beständiges Kommen und Gehen; ein unablässiges Stimmengewirr ertönte wie auf einem Marktplatze. Aber außerordentlich gemütlich war unser Gutshof, unser Dorf, das wie durch einen Zauberschlag aus der Einöde emporgestiegen war.
Ich gönnte mir einige Tage im Hauptquartiere Jangi-köll Ruhe. Während derselben unternahm ich eine Rekognoszierungstour in die südliche Sandwüste hinein, um ihren Charakter kennen zu lernen. Es war mein fester Entschluß, die ganze Wüste bis nach dem Dorfe Tatran am Tschertschen-darja zu durchqueren, eine Strecke von 285 Kilometern. Die Eingeborenen taten ihr Möglichstes, um mir davon abzuraten. Sie betrachteten mich als Selbstmörder und das ganze Unternehmen als reinen, echten Wahnsinn. Nie habe sich einer in diese unheimliche Sandwüste hineingewagt, und keiner, der sich dorthin verirrt habe, könne sich je wieder herausfinden. Das einzige, was man wisse, sei, daß vor vielen hundert Jahren fern im Südosten ein heidnisches Volk unter dem Herrscher Atti Kusch Padischah gewohnt habe. Heilige Imame hätten sich dorthin begeben, um den Islam zu predigen, da aber das Volk sich nicht zu dem neuen Glauben habe bekehren wollen, hätten die Imame den Fluch und die Rache des Himmels herabgerufen; da habe es tagelang Sand geregnet, und Land und Leute seien begraben worden.
Meine Leute in Jangi-köll.
Die guten Menschen machten sich beinahe ein Gewissen daraus, mich aus ihren friedlichen Hütten direkt ins Verderben ziehen zu lassen, und sie schlugen mir vor, lieber von Süden zu beginnen, die Wüste zu umgehen und sie dann in der Richtung nach Jangi-köll zu durchqueren. Sie würden dann, von einem bestimmten Tage an, allabendlich auf einer hohen Düne einen gewaltigen Holzstoß anzünden, und von dessen Licht geleitet, könnte ich den Weg zu Wärme und Rettung finden. Diese Fackel in der Winternacht auf der äußersten Klippe des Wüstenmeeres würde prachtvoll sein, und festlich würde unser Einzug in die Hütten werden. Die Schiffe der Wüste würden geradeswegs auf den freundlich einladenden Leuchtturm zusteuern, der uns das Ende unserer Mühsal verkünden würde. Ja, alles war recht malerisch und verlockend, aber ich ließ mich nicht dadurch verführen; es war besser, von einem festen, sicheren Punkte aus mit ausgeruhten Tieren zu beginnen! Und dabei blieb es.
Die Karawane war folgendermaßen zusammengesetzt: Islam Bai, der mich schon einmal, 1895, durch die Schrecken der Wüste begleitet hatte, Turdu Bai, Ördek und Kurban. Wir hatten nur sieben Kamele und ein Pferd mit und von den Hunden Jolldasch und Dowlet, da die Windhunde die Winterkälte unter freiem Himmel schwerlich ausgehalten hätten.
Die Ausrüstung wurde mit größter Sorgfalt zusammengestellt; nichts Unnötiges durfte mitgenommen werden, die Kamele durften in dem hohen Sande nur leicht beladen sein. Wir hatten Reis und Mehl für zehn Tage, fertig gebackenes Brot für zwei Wochen und für ebenso lange Zeit »Talkan«, geröstetes Weizenmehl, das, mit Wasser angerührt, gegessen wird. Ich hatte einige Büchsen mit Konserven, Tee, Kaffee und Zucker, die Leute einen gewaltigen Block Ziegeltee. Der Proviant war so berechnet, daß er nur bis nach der kleinen Stadt Tschertschen reichte, wo wir leicht neue Vorräte kaufen konnten. Überdies nahm ich alle nötigen Instrumente mit; an schweren Sachen seien Winterkleider und Pelze genannt, sowie Filzdecken, um nachts darauf zu schlafen. Dagegen wurde kein Zelt mitgenommen. Während des ganzen Winters, über zwei Monate, schlief ich gleich meinen Dienern unter freiem Himmel, wo es frisch genug war, wenn die Kälte unter -30° herunterging.
Am 20. Dezember wurde ich früh morgens von Islam geweckt. Er fragte, ob wir trotz des heftigen, aus Südwesten tobenden Sturmes aufbrechen wollten. Ich dulde kein Aufschieben, wenn der Tag der Abreise einmal bestimmt ist, und gab daher Befehl zum Aufbruch. Ich nahm Abschied von den Kosaken und den übrigen meiner Leute, die in Jangi-köll überwintern, unsere Sachen gut in Ordnung halten und besonders die Gepäckstapel nachts sorgfältig bewachen sollten. Die Kamele wurden auf einem mit Sand bestreuten Pfade über das Flußeis geführt, und das Beladen begann. Zwei Kamele trugen das Gepäck und den Proviant, das dritte Mais für die Tiere, das vierte war mit Brennholz in dicken, massiven Klötzen beladen, denn in der Wüste würden wir kein Feuerungsmaterial finden; die drei übrigen trugen gewaltige, mit Ziegenleder umwickelte Eisklumpen, denn dort einen Tropfen Wasser zu entdecken, konnten wir ebenfalls nicht erwarten. Drei Reservekamele marschierten unter schweren Eis- und Holzlasten; sie sollten uns mit drei Leuten vier Tagereisen weit begleiten und dann wieder umkehren; diese kleine Hilfskarawane stand unter Parpi Bais Befehl.
Islam meldet, daß alles fertig ist, und langsam schreitet der schwerbeladene Zug am Tarimufer entlang bis an den kleinen See Tana-bagladi. An seiner südlichsten Bucht wird eine kurze Rast gemacht; vier kleine Öffnungen werden in das Eis gehauen, und die Kamele dürfen für längere Zeit zum letztenmal so viel trinken, wie sie mögen. Sie scheinen zu begreifen, daß Durst ihrer wartet, denn sie trinken lange und saugen das Wasser in langen, schlürfenden Zügen ein.
Im Süden des Sees überschreiten wir eine Schwelle von hohem Sand und lagern an der letzten Stelle, wo Schilf wächst! hier wurde ein Platz ausgerodet, auf dem wir uns niederließen, und so hatten wir Schutz gegen den Wind, aber den Himmel als Dach.
Als ich am folgenden Morgen aufstand, tobte der Sturm noch, aber das Schilfdickicht schützte gegen ihn, und das Feuer verbreitete im Halbdunkel wohltuende Wärme. Schwerbeladen und langsam beginnt jetzt wieder der Marsch beim Klange der Glocke des letzten Kamels. Der Boden ist weich, und die Kamele sinken tief ein, besonders das erste, das als Schneepflug dient und den nachfolgenden den Weg bahnen muß. Ich reite auf meinem kleinen Grauschimmel als Letzter im Zuge und folge dem Pfade, den die breiten Fußschwielen der Kamele getreten haben. So geht es weiter, der unbekannten, unheimlichen Wüste entgegen. Wir sind jetzt schon von vollständiger Todesstille und Öde umgeben; wenn es auf dem Monde Sandwüsten gibt, können sie nicht weniger organisches Leben haben als diese. Es gibt nichts, absolut nichts, was anzeigt, daß hier jemals Leben in irgendeiner Gestalt existiert hat. Beim abendlichen Lager entbehrten wir das Schilfdickicht sehr; wir waren jetzt allen Winden des Himmels preisgegeben und dem umherwirbelnden, erstickenden Flugsande ausgesetzt, der in undurchdringlichen Wolkensäulen um unser kleines Feuer kreiste. Islam und ich, die wir früher schon in einem so entsetzlichen, verheerenden Marsche die Takla-makan-Wüste durchquert hatten, wußten, um was es sich handelte, und daß dieses Unternehmen tatsächlich als Wahnsinn bezeichnet werden konnte. Hier war die Wüste doppelt so breit wie auf der Linie, auf der wir 1895 die Takla-makan durchzogen hatten und wo die ganze Karawane umgekommen war! Würde einer von uns diese neue Wüstenwanderung überleben? Diese Frage stellten wir uns täglich im Stillen, sprachen aber nicht davon.
Ein großes Glück für uns war jedoch die regelmäßige, vorteilhafte Form, in der der vorherrschende Wind den Flugsand zu Dünen angehäuft und aufgetürmt hatte. Dieser Wind, der hauptsächlich im Frühling und Sommer mit ungeheurer Heftigkeit und Regelmäßigkeit weht, kommt von Ostnordosten. Er häuft den Sand zu Wogen an, die denen des Meeres gleichen und ebenso hoch sind wie ein Kirchturm. Diese Sandberge laufen in unendlichen Reihen von Nordosten nach Südwesten; in den zwischen ihnen liegenden Tälern ist der Boden hart und sandfrei. Doch gibt es auch ein anderes Dünensystem, das jenes in rechten Winkeln netzförmig schneidet, aber bedeutend niedriger ist. In den Maschen zwischen beiden Systemen entstehen Mulden oder Depressionen, welche die Eingeborenen »Bajir« nennen. Indem wir diesen Mulden nach Südwesten folgten und die sie trennenden Sandpässe überschritten, konnten wir dem hohen, dichten Sande, der sich auf beiden Seiten unseres Weges zu gigantischen Rücken auftürmte, ausweichen. Tatsächlich legten wir nicht weniger als 143 Kilometer auf ebenem Bajirboden zurück, den Rest aber im Sande, der besonders in den südlichen Teilen der Wüste ungemein schwer passierbar war. Wäre, wie ich es erwartet hatte, die ganze Wüste ein Gewirr von 90 Meter hohen Dünen gewesen, so hätte unser Zug wohl unglücklich geendet. Ich glaube jedoch, daß, wenn auch die Kamele zusammengebrochen wären und das ganze Gepäck hätte im Stiche gelassen werden müssen, wir fünf Männer uns doch noch bis zum nächsten Wasser hätten hinschleppen können.
Wenn man eine dieser hohen Dünenanhäufungen besteigt, ist die Landschaft, die man im Osten erblickt, geradezu unheimlich, aber in ihrer erhabenen Öde dennoch großartig und staunenerregend. Hier trifft der Blick nämlich nur die hohen, steilen, von der Windseite abgewendeten Abhänge, die vom Kamme jeder neuen Dünenanhäufung jäh nach Westen abfallen. Man glaubt ein Sandmeer zu sehen, dessen empörte, riesenhafte Wellen im Begriff sind, gerade auf den Beschauer loszurollen, bereit, alles zu verschlingen und zu vernichten; aber eine unsichtbare Macht hat ihren Lauf gehemmt, sie sind in ihrer Lage erstarrt und scheinen jetzt nur auf die befreiende Zauberformel zu warten, um nach Westen weiter zu rauschen.
Im Lager des dritten Tages versuchten wir, einen Brunnen zu graben. In 1,2 Meter Tiefe gab er reichliches Wasser von +4,8°, aber es war so bitter wie die konzentrierteste Salzlösung. Auf diesen trügerischen Boden konnten wir uns also nicht verlassen; das einzige, was er uns bot, war unbrauchbar; wir mußten bei unseren Süßwassereisblöcken die größte Sparsamkeit beobachten. Nur so viel, als allabendlich und jeden Morgen durchaus notwendig war, durfte im Kessel geschmolzen, und von dem Holze durften an jedem Lagerplatze nur drei Klötze, zwei abends und einer morgens, gespalten werden.
Am vierten Tage tobte ein Sturm gerade aus Norden. Die Luft war mit Flugstaub und Sand erfüllt, und aus dem uns auf allen Seiten umgebenden dichten Nebel traten nur die allernächsten Gegenstände undeutlich, verzerrt und unheimlich hervor. Wir drangen in die düstere Heimat des Todesschlafes und der undurchdringlichen Winterfinsternis ein.
Als wir die zwölfte Mulde durchschritten hatten, sah das Terrain bedenklich aus. Bis ins Unendliche kletterten wir nach dem nächsten Sandpasse hinauf, aber die Steigung nahm kein Ende. Immerfort erhoben sich vor uns neue Sandhöhen, immer öfter blieben die müden Kamele stehen, um sich zu verschnaufen. Endlich erreichten wir den höchsten Paß, und tief unter unseren Füßen lag die dreizehnte Bajir, deren ebener Boden im Nebel verschwand. Wir rutschen nach ihrem Grunde hinab und lagern wieder auf ebenem Boden.
Der Sturm legte sich während der Nacht. Als ich in der Frühe aus meinem Pelzneste herausguckte, goß noch der Mond sein Silberlicht über unser Lager aus, wo alle fest schliefen und nur das langgezogene Atmen der Kamele die große Stille unterbrach. Der Mond schien das sterbliche Gewürm, das sich in den ewigen Sand hineinverirrt hatte, erstaunt zu betrachten. Ich schickte mit seinen erbleichenden Strahlen einen Gruß in meine Heimat im fernen Norden, deren ich heute mit Sehnsucht gedachte. Heute war Heiligabend, Weihnachten in der Einöde – –
Ermüdet von dem gestrigen anstrengenden Marsche im Sande schliefen alle aus, und die Sonne war schon hoch über die Dünenrücken gestiegen, ehe es im Lager lebendig wurde. Die Kamele, die stets dicht gedrängt lagen, um sich aneinander zu wärmen, werfen lange, scharfe Schatten auf die Erde, jene seltsame, ungastliche Erde, auf der man sich wie ein hilfloser, linkischer Gast vorkommt; es ist, als gehörte ihr Boden einem anderen Planeten an.
Jetzt wurde alles, was sich entbehren ließ, abgesondert, denn von hier aus sollte die kleine Hilfskarawane nach dem Winterquartiere zurückkehren. Alle Leute baten und drängten, uns durch die Wüste begleiten zu dürfen, sie waren von ihrer Anziehungskraft wie verhext. Doch hier half kein Bitten; je weniger unser waren, desto länger reichte das Eis. Die Zurückkehrenden verschwanden bald in dem gelben Sande wie schwarze Punkte. So war die letzte Verbindung mit den Unsrigen abgeschnitten, und im Süden lag still und geheimnisvoll die Wüste, die unser wartete, – ob um uns zu verschlingen oder um uns freien Durchzug zu gestatten?
Der heilige Abend war für uns ein schwerer Tag. Die Mulden mit ebenem Boden schienen aufgehört zu haben, wir gerieten in immer höher werdenden Sand hinein, wo die Karawane Schritt für Schritt unendlich langsam vorrückte und es immer Aufenthalt gab, wenn ein Kamel gefallen war und seine Last umgepackt werden mußte, oder wenn ein gar zu steiler, ungünstiger Kamm mit dem Spaten zu bearbeiten war. Der Nordwind erhob sich wieder und hüllte die Landschaft in Nebel ein und brachte das Gefühl hoffnungsloser Beklemmung mit sich. Es kam mir vor, als hätten wir unsere angestrengten Kräfte nur dazu benutzt, um uns immer tiefer in ein Netz zu verstricken, aus dem wir uns nicht wieder würden befreien können.
Ich ging zu Fuß voraus. Eine unangenehme Aussicht wartete meiner, als ich endlich den Kamm einer 60 Meter hohen Düne erreichte. Ihre vom Winde abgekehrte Seite stürzte jäh nach der Bajir Nr. 16 ab, die wie ein kohlschwarzer Kessel unter mir gähnte; ihr Boden war bis an die Oberfläche moorig, um sie herum lief ein Ring von weißem Salze, und ringsumher erhoben sich hohe Dünen. Es war ein Abgrund, der geradewegs in die Hölle hätte führen können. Doch nachdem die Karawane mich eingeholt hatte, glitschten wir die Sandwand hinunter und lagerten am Rande der unheimlichen Mulde.
Wie trübe der Tag auch gewesen ist, wenn ich Halt kommandiere, wird die Stimmung sofort heiterer. Die Tiere werden von ihren Lasten befreit, die Kamele festgebunden, damit sie nicht während der Nacht nach den saftigen Weiden des Flußufers zurücklaufen, mein Bett wird in dem weichen Sande aufgeschlagen, Feuer angezündet, Essen gekocht, und wenn die Abendarbeiten verrichtet sind und ich bei einer flackernden Laterne meine Aufzeichnungen niedergeschrieben habe, hat man nichts weiter zu tun, als unter die Decken zu kriechen.
Nie werde ich den heiligen Abend in einer düstereren, schwermütigeren Umgebung verleben. Nur die Kälte erinnerte an das frohe Fest an dein alle Kindheitserinnerungen in buntem Zuge an dem Blicke vorbeiziehen, der sich in der ersterbenden Glut des Lagerfeuers verliert. Das schönste, froheste der Feste brachte ich in einem Abgrunde zu, wo die absolute Todesstille einen ihrer größten Triumphe feierte. Zusammengekauert wie Fledermäuse im Winter saßen wir schaudernd und frierend um das spärliche Feuer herum, über dessen Kohlen die letzten blauen Flämmchen tanzten; wir hüllten uns fest in unsere Pelze, um die eisigen Windstöße der Weihnachtsnacht weniger zu fühlen; der Weihnachtsengel aber ging stolz an uns vorbei, trotzdem alle Türen weit offen standen. Am Pole selbst kann der heilige Abend nicht trostloser sein.