Emanuel Geibel
Klassisches Liederbuch
Emanuel Geibel

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An Lollius.

        O fürchte nicht, es werde vergehn, was ich,
Der Sohn des fernhin brausenden Aufidus,
        Dem Wort in nie zuvor geübten
    Rhythmen vertraut und dem Klang der Saiten!

Der erste Kranz zwar bleibt dem Mäonier,
Doch nicht verklang drum Pindarus' Preisgesang,
        Nicht Ceas Lied, Alcäus' Kampfruf
    Oder Stesichorus' ernster Festchor.

Noch trotzt das süße Tändeln Anakreons
Dem Strom der Zeit, noch atmet die Liebe fort,
        Das brünst'ge Leid, das einst die Jungfrau
    In die äolischen Saiten hauchte. –

Nicht sie allein, die Sparterin Helena,
Entbrannt' um ihres Buhlen gelocktes Haar
        Und ließ ihr Herz durch Goldgewänder,
    Purpur und reiches Gefolg verblenden.

Nicht Teurer traf mit kretischem Pfeil zuerst
Sein Ziel; nicht einmalSchon unter Priamus' Vater, Laomedon, ward Troja durch Herkules bestürmt und erobert. ward die Dardanerburg
        Berannt; Idomeneus allein nicht
    Kämpfte, der Held, an des Freundes Seite

Sangwürd'gen Kampf; nicht boten Andromaches
Gemahl und vor ihm stürmend Deiphobus,
        Die ersten, Weib und Kind zum Horte,
    Trotzig die Brust dem Geschoß des Feindes.

Vor Agamemnon lebten der Tapferen
Schon viel, doch alle schlafen sie namenlos
        Und unbeweint im ew'gen Dunkel,
    Weil sie der Weihe des Lieds entbehren.

Verschollne Tatkraft ähnelt begrabener
Tatlosigkeit; drum nimmer, o Lollius,
        Soll unbekränzt mein Lied dich lassen,
    Nimmer gestatten, daß deines Lebens

Mühvolles Tagwerk schnöder Vergessenheit
Klanglos verfalle; wohnt doch ein Geist in dir,
        Der Welt und Zeit versteht und aufrecht
    Bleibt in beglückten und schweren Tagen.

Ein Rächer warst du feilen Betruges, nie
Vom Reiz des, ach, allmächtigen Golds betört,
        Und Konsul, nicht nur eines Jahres,
    Sondern so oft dich die schwere Pflicht rief,

Verschmähtest du, dem strenge Gerechtigkeit
Mehr als Gewinn galt, zürnenden Angesichts
        Den Preis der Schuld und brachst dir siegreich
    Bahn durch des drängenden Feinds Geschwader.

Was nennst du glücklich den, der unendlichen
Besitz gespeichert? Glücklich allein mit Fug
        Sei mir gepriesen, wer der Götter
    Gaben mit weisem Gemüt zu nutzen,

Doch auch die Armut heiter zu tragen weiß,
Der mehr als Tod ehrlose Gesinnung scheut,
        Und stets den Mut hat, für die Freunde
    Oder den heimischen Herd zu sterben.


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