Emanuel Geibel
Klassisches Liederbuch
Emanuel Geibel

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Zweites Buch.
Römische Elegien und Verwandtes.

 

Albius Tibullus.

An Messala.

            Nach dem Ägäischen Meer, Messala, ziehst du von hinnen;
    Sei denn meiner in Huld mit den Gefährten gedenk!
Ach, mich fesselt erkrankt dies fremde Phäakengestade!
    Bleib mit der gierigen Hand, finsterer Tod, mir noch fern!
Bleib mir noch fern, o laß dich erflehn! Hier kann ja die Mutter
    Nimmer die Asche des Sohns sammeln ins Trauergewand,
Nimmer die Schwester den Staub mir sprengen mit duftiger Narde,
    Noch mit verwildertem Haar klagen am Rande der Gruft.
Ach, und Delia fehlt, die zärtlich, eh' sie mich fortließ,
    Um mein Wandern besorgt jedes Orakel befragt.
Dreimal zog ihr der Knabe das Los heilkündend, und dreimal
    Bracht' er vom Kreuzweg ihr günstige Zeichen zurück.
Alles verhieß Heimkehr; doch unwillkürlich ins Auge
    Kamen die Tränen ihr stets, wenn sie der Fahrt nur gedacht;
Ach, dann tröstet' ich wohl, und selbst doch ängstlich, als alles
    Schon zur Reise beschickt, hascht' ich nach jedem Verzug.
Bald weissagten die Vögel ein Unglück, oder die Opfer,
    Bald am Tage Saturns hielt mich die Feier zurück.
Noch beim Scheiden zuletzt, o wie oft zu schlimmer Bedeutung
    Glaubt' ich gestrauchelt zu sein, wenn ich die Schwelle beschritt!
Wage keiner hinfort zu entfliehn, wenn Amor ihn festhält,
    Oder dem Zorne des Gotts fällt er – er wiss' es – anheim.
Was hilft Isis mir nun, die du riefst: Was helfen die Zimbeln,
    Delia, die du so oft, fromm sie zu ehren, gerührt?
Was dein gläubiger Dienst am Altar und die sühnende Waschung?
    Oder daß du so lang' züchtig das Lager bewahrt?
Jetzt, jetzt, Göttin, erbarme dich mein! du weißt ja zu heilen;
    Manche Gedenkschrift zeugt's, welche den Tempel dir schmückt.
Dann soll Delia dir, mein sehnlich Gelübd' zu erfüllen,
    An der geheiligten Tür sitzen im Linnengewand
Und dich, wallenden Haars, weißschimmernd im Schwarm der Ägypter,
    Zweimal jeglichen Tag preisen mit Feiergesang.
Doch mir werd' es beschert, die Penaten der Väter zu grüßen
    Und dem Gotte des Herds wieder das Opfer zu weihn.
O wie lebte sich's gut in den Tagen Saturns, da den Erdkreis
    Ins Endlose noch nicht winkende Straßen gedehnt,
Da kein fichtener Kiel noch getrotzt der azurenen Woge
    Oder den Winden zur Lust schwellende Segel gebläht!
Damals staute noch nicht, in der Fremd' umschweifend, der Kaufherr
    Mit ausländischer Fracht, willig zum Tausche, das Schiff;
Noch nicht beugte der Stier in das Joch den gewaltigen Nacken,
    Nicht mit bezähmtem Gebiß knirscht' in die Zügel das Roß.
Keine Pforte beschloß noch das Haus, kein ragender Grenzstein
    Teilte, Gebiet von Gebiet scheidend, in Äcker das Land;
Honig gaben die Eichen von selbst, freiwillig dem Durst'gen
    Reichte zum Trunk sein milchschwellendes Euter das Schaf.
Hader und Groll war fern und der Krieg; noch hatt' in den Gluten
    Kein hartherziger Schmied schneidende Schwerter gestählt.
Jetzt, in Jupiters Reich, sind Mord und Wunden und Meerfahrt
    Tägliches Los und es naht tausendgestaltig der Tod.
Schonung, Vater! Es lastet auf mir kein Frevel des Meineids,
    Nie mit sträflichem Wort hab' ich die Götter verletzt.
Aber dafern mir die Frist der beschiedenen Jahre dahinrann,
    Werd' auf den Hügel ein Stein mir zum Gedächtnis gesetzt:
»Hier erlag dem Geschick frühzeitigen Todes Tibullus,
    Als er durch Land und Meer seinem Messala gefolgt.«
Aber es führt mich dann, den in Amors Dienste Bewährten,
    Cypria selbst voll Huld in den elysischen Hain.
Dort schallt Reigen umher und Gesang; aus silberner Kehle
    Hellaufzwitschernd vor Lust schwärmen die Vögel im Laub;
Edles Gewürz trägt wuchernd der Hag, in unendlicher Fülle
    Deckt die gesegnete Flur duftendes Rosengebüsch;
Unter die Jünglinge mischt sich der Chor holdseliger Mädchen
    Spielend, und ewig beginnt Amor von neuem den Kampf.
Dort weilt, wen das Geschick fortriß aus den Armen der Liebe,
    Dort mit Myrtengezweig kränzt er das schimmernde Haar.
Aber in ewiger Nacht liegt drunten das Reich der Verdammten,
    Das mit Klagegesang schwarzes Gewässer umrauscht.
Wütend schüttelt Tisiphone dort in den Locken die Schlangen,
    Und mit Entsetzen zerstiebt rings der verworfene Schwarm;
Dann speit zischende Glut aus den Drachenhäuptern der schwarze
    Cerberus aus und hält Wacht an der Pforte von Erz.
Sausend kreist auf dem Rade die Frevlergestalt des Ixion,
    Weil er die Gattin des Zeus frech zu versuchen gewagt;
Durch neun Morgen gestreckt liegt Tityos, welchem der Geier
    Unablässig mit Gier Herz und Geweide zerfleischt;
Tantalus steht in der Flut, doch sooft er die Qualen des Durstes
    Eben zu löschen vermeint, zieht sich die Welle zurück.
Und die Venus' Gebot mißachteten, Danaus' Töchter
    Schöpfen aus Lethes Strom in das durchlöcherte Faß.
O dort büße die Schuld, wer unsere Liebe verleumdet,
    Wer langwierigen Dienst mir in den Waffen gewünscht!
Doch dir leg' ich ans Herz: bleib treu, und immer am Ruhbett
    Sitze, die heilige Zucht hütend, das Mütterchen dir.
Märchen erzähle sie dir und spinne vom schwellenden Rocken
    Emsig beim Ampelgeleucht schimmernde Fäden herab,
Während den Mägden umher, den tagwerkmüden, im Halbschlaf
    Aus nachgiebiger Hand leise die Spindel entsinkt.
Plötzlich dereinst dann tret' ich herein und es meldet mich keiner,
    Nein, wie vom Himmel herab, Delia, bin ich genaht.
Doch du fliegst, wie du bist, in Verwirrung die flatternden Locken,
    Stürmisch mit nacktem Fuß stiegst du dem Freund an die Brust.
O den Morgen des Glücks, wann führst du ihn – höre mich flehen! –
    Uns mit dem Rosengespann, Göttin Aurora, herauf!

Sulpicia.

            Festlich schmückt sich, o Mars, zu deinen Kalenden die Jungfrau,
    Weißt du, was schön ist, so komm selbst vom Olymp, sie zu schaun!
Venus wird es verzeihn; doch magst du dich, Stürmischer, hüten,
    Daß vor Bewunderung dir schmählich der Schild nicht entfällt,
Denn will Amor das Herz unsterblicher Götter entzünden,
    Ihr am Auge zuvor steckt er die Fackel in Brand.
Was sie beginnt und wohin die beflügelten Schritte sie wendet,
    Heimlich zu jeglichem Tun folgt ihr die Grazie nach.
Löst sie das Haar, o wie steht ihr so schön die entfesselte Locke,
    Schmückt sie es auf, wie verleiht würdigen Glanz ihr der Schmuck!
Wallt sie im faltigen Purpur daher, sie setzt dich in Flammen,
    Setzt dich in Flammen, umfließt schlicht sie das weiße Gewand.
So im hohen Olymp hat nur Vertumnus, der sel'ge,
    Tausendgestaltigen Schmuck, tausendgestaltigen Reiz.
O dies Mädchen allein ist wert, daß reiche Gewänder
    Ihr mit köstlichem Saft doppelt der Tyrier tränkt;
Ihr nur ziemt als Tribut, was fern der arabische Pflanzer
    Auf duftglühenden Aun sammelt an edlem Gewürz
Oder an Perlengeschmeid aus des Ostmeers purpurner Tiefe
    Nahe dem Sonnengespann Indiens Taucher gewinnt.
Stimmt ihr ein Lied denn an, ihr Musen, am heiligen Neumond!
    Herrlich, die Leier im Arm, führe den Reigen, Apoll!
Segnet ihr heute das Fest und noch oft in künftigen Jahren;
    Würdiger eures Gesangs findet ihr keine, wie sie.

Sulpicia an Cerinth.

        Schone den Jüngling mir, o schon' ihn, reißender Eber,
    Der du im Saatfeld wühlst oder im finstern Geklüft!
Heute vergiß es, zum Kampf die entsetzlichen Hauer zu wetzen!
    Amors treues Geleit schütze mir gnädig den Freund!
Aber es reißt ihn Diana dahin im Taumel der Jagdlust;
    O, verdürbe der Forst! Träfe die Meute der Tod!
Hat es denn Sinn, die bewaldeten Höh'n mit dem Seil zu umspannen,
    Bis die empfindliche Hand hart sich mit Schwielen bedeckt,
Oder das lagernde Wild in verwachsener Kluft zu beschleichen,
    Wo an Distel und Dorn blutig der Schenkel sich ritzt?
Dennoch, dürft' ich im Forst nur mit dir schweifen, Cerinthus,
    Über die Berge, wie gern trüg' ich die Netze für dich!
Selbst dann sucht' ich die Spur des beflügelten Hirsches zu finden,
    Selbst vom eisernen Ring löst' ich zum Stöbern den Hund.
Ja, dann deuchte der Wald mir schön, und möchten sie schelten,
    Daß ich, Geliebter, mit dir neben den Garnen geruht.
Käme der Eber uns dann ins Geheg, frei dürft' er entrinnen,
    Nimmer im seligen Rausch sollt' er uns stören fürwahr!
Aber solang' ich dir fern, sei keusch und, die keusche Diana
    Ehrend, stelle das Netz, Knabe, mit züchtiger Hand!
Sucht mir eine mit heimlicher List dein Herz zu entwenden,
    Ha, vom reißenden Wild werde die Falsche zerfleischt!
Doch du gönne dem Vater die Lust und Mühe des Weidwerks,
    Liebster, und kehr' im Flug mir an den Busen zurück.

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