Emanuel Geibel
Klassisches Liederbuch
Emanuel Geibel

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Quintus Horatius Flaccus.

Der Schwätzer.
Satire.

                Über den heiligen Weg hinschlendert' ich, wie ich gewohnt bin,
Irgendein Verschen im Kopf, was weiß ich? und ganz in Gedanken –
Kommt mir da einer gerannt, kaum kenn' ich den Mann nach dem Namen,
Drückt mir die Hand fast lahm und: »Wie geht es, Verehrtester?« fragt er.
»Leidlich, so weit« – antwort' ich zerstreut – und »ergebenster Diener.«
Drauf, als er Schritt stets hält, abbrechend: »Befiehlst du noch sonst was?«
»Teuerster,« sagt er, »so fremd? Ich gehöre zur Kunst ja.« – »Das freut mich
Herzlichst«, gab ich zurück, und loszukommen begierig,
Ging ich geschwinder und blieb dann stehn und raunte dem Diener
Dies und jenes ins Ohr, indes auf die Stirn mir der helle
Angstschweiß trat. »O stünde Bolans glückselige Grobheit
Mir zu Gebot!« So seufzt' ich für mich, da jener ins Zeug nun
Schwatzt' und die Straßen umher und die Stadt pries. Als ich beharrlich
Schwieg, da begann er zuletzt: »Du möchtest um alles mich los sein,
Längst schon hab' ich's gemerkt; doch vergib, ich bin zäh, und ein Endchen
Geh' ich noch mit. Wo soll's denn hinaus?« – »Nicht nötig; ein Umweg
Wär' es für dich. Ich will auf Besuch; du kennest den Mann nicht,
Jenseits liegt er mir krank, weit weg, an den Gärten des Cäsar.« –
»Bin ich doch frei und wacker zu Fuß; ich begleite dich immer.« –
Kleinlaut hing ich das Ohr und verdrossenen Sinns, wie ein Esel,
Dem man zu viel auf den Rücken gepackt. Da begann er aufs neue:
»Überschätz' ich mich nicht, so werd' ich so lieb dir wie Viskus
Oder wie Varius sein. Schreibt einer so viel und so rasch denn
Verse wie ich? und bewegt sich so leicht mit gefälligem Anstand?
Auch zu singen versteh' ich, Hermogenes dürft' es beneiden.« –
Ärgerlich fahr ich dazwischen: »Du hast noch die Mutter am Leben?
Oder Geschwister vielleicht, die um dich sorgen?« – »Nicht eins mehr.
Alle begraben!« – Die Glücklichen die! Nun bin ich geliefert.
Mach' denn ein End'! Es erfüllt sich das Schicksal, das mir als Kind einst,
Da sie das Los mir warf, die Sabellische Hexe geweissagt:
»Diesen entführt nicht Gift, nicht feindliches Schwert zu den Schatten,
Auch kein Lungengebrest noch Husten und lähmende Fußgicht,
Sondern es bringt ihn einmal ein Schwätzer ums Leben; die Schwätzer
Halt' er sich weislich darum vom Leibe, sobald er heranwächst.« –
Schon auf Mittag ging's und wir kamen zum Tempel der Vesta,
Wo zufällig er heut auf Bürgschaft vor dem Gericht sich
Stellen mußte, wo nicht, auf ein günstiges Urtel verzichten.
»Gingst du mir,« sprach er, »vielleicht hier etwas zur Hand?« – »Ich bedaure.
Müßt' ich sterben darum, kein Wörtchen versteh' ich vom Rechtsgang;
Und dann eil' ich, du weißt ja, wohin?« – »Schlimm,« sagt' er; »was tu' ich?
Geb' ich nun dich auf oder den Spruch?« – »Mich, Liebster!« – »O nicht doch!«
Ruft er und stapft drauf zu, und ich, vom vergeblichen Kampfe
Mürbe bereits, ihm nach. – »Wie stehst du denn jetzt mit Mäcenas?«
Fragt er aufs neu', »er ist schwer zugänglich, heißt es, gescheit sonst,
Und sein Schäfchen versteht er zu scheren. Du fändest an mir hier
Einen verläßlichen Freund, dein Spiel zu begünstigen, wärst du
Mich zu empfehlen geneigt. Mein Leben verwett' ich, wir stächen
Alle die übrigen aus.« – »Du irrst! So geht es nicht zu dort,
Auch im entferntesten nicht. Kein Haus ist reiner und solchen
Häßlichen Künsten so fremd. Mir schadet es nie, wenn ein andrer
Witziger oder vermögender ist. Der gebührende Platz wird
Jedem zuteil.« – »Da behauptest du viel. Kaum glaublich!« – »Und dennoch
Wahr.« – »Nun machst du mich erst recht lüstern: ich würd' ihm ein Freund sein,
Näher als einer. Du darfst in der Tat nur wollen; wie du stehst,
Setzest du mich schon durch. Er ist weich, und weil er das selbst fühlt,
Läßt er nicht gleich jedweden heran. Auch soll es an gar nichts
Fehlen; ein Trinkgeld tut's bei den Dienern. Empfängt er mich heut nicht,
Komm' ich morgen, ich passe die Zeit ab, such' ihn zu treffen,
Zeigt er sich draußen, und bring' ihn nach Haus. Uns Sterblichen fällt ja
Mühlos nichts in den Schoß.« – So schwatzt er noch, sieh da begegnet
Fuskus Aristius uns, mein Hausfreund, welchem zu gut nur
Jener bekannt. So bleiben wir stehn. Woher und wohin jetzt?
Fragt er und gibt uns Bescheid. Ich zupf' ihn am Mantel, ich kneip' ihn
Scharf ins Weiche des Arms, umsonst, wie deutlich ich winke,
Wie ich die Augen verdrehe, er soll mich befrein: der Verräter
Tut, als verständ' er mich nicht und lacht. Ich kochte vor Ärger.
»Sagtest du nicht, du hättest mit mir ein Geschäft zu bereden?
Ganz im Vertrauen?« – »Jawohl, ich besinne mich; aber wir tun es
Wohl zu gelegnerer Zeit. Hauptsabbat ist heut, und Geschäfte,
Spricht der Ebräer, verderben die Luft.« – »Was frag' ich nach solchem
Aberglauben, Arist?« – »Ich aber, ich habe die Schwachheit,
Darin lauf' ich so mit. Du verzeihst; wir treffen uns sonst wohl.« –
Ging je schwärzer ein Morgen mir auf? Er entschlüpft mir und läßt mich
Unter dem Messer, der Schelm. – Da führt mein Stern mir den Mann her,
Der sich für jenen verbürgt. Und »Wohin, du Abscheulicher?« schreit er
Grimmig ihn an, und zu mir: »Dich nehm' ich als Zeugen!« Ich biet' ihm
Willig das OhrEs war römische Sitte, denjenigen, den man als Zeugen vor Gericht auffordern wollte, beim Ohr zu fassen. – Der im früheren erwähnte Bolanus war ein seiner rücksichtslosen Derbheit wegen verrufener Sonderling; Viskus und Varius literarische Freunde des Horaz und selbst Dichter.. Nun geht's ins Gericht. Dort Streit und Gezeter,
Lärm und Gedräng' ringsum. So ward mein Retter Apollo.

Das Glück der Beschränkung.
Satire.

                    Dies war einst mein sehnlichster Wunsch: ein bescheidenes Stücklein
Ackers, ein Garten dabei und am Haus' ein lebendiger Brunnquell,
Etwa dazu noch ein weniges Wald. Nun haben's die Götter
Reicher und besser gefügt; wohl mir! So fleh' ich denn eins nur,
Daß du mir, Majas Sohn, das Beschiedene gnädig erhaltest,
Wenn ich das Meinige nie unredlich zu mehren getrachtet,
Noch es zu schädigen denke durch Leichtsinn oder Verschwendung,
Wenn mir der törichte Wunsch nie kam: O hätt' ich doch jenes
Winkelchen dort noch dazu, das jetzt mir die Grenze verunziert,
Oder: O fänd' ich doch auch solch Kistchen mit Gelde wie Jener,
Der vom gehobenen Schatze das Grundstück, das er um Taglohn
Früher gepflügt, als Besitzer erwarb, durch Herkules' Gnade;
Wenn ich zufrieden genieße, was da ist, höre mich bitten:
Mache die Herde mir fett und das übrige, was ich besitze,
Außer dem Geist, und sei, wie bisher, mein Hüter und Helfer!
Floh ich ins freie Gebirg' aus der Stadt, wo böte sich bess'rer
Stoff für ein schlichtes Gedicht der zu Fuß hinwandelnden Muse?
Plagt mich doch hier kein höfischer Zwang, kein bleierner Südwind,
Kein schwülatmender Herbst, der leidigen Schoß für das Grab heischt. –
Vater der Frühe – vernimmst du es lieber, so grüß' ich dich: Janus –
Du, mit welchem der Mensch die Geschäft' und Mühen des Lebens
Nach urewigem Rate beginnt, sei meines Gesanges
Anfang! Zeitig in Rom schon weckst du mich: Auf! du bist Bürge!
Eile, daß keiner zum Dienst sich beflissener zeige! Geschwinde!
Mag dann draußen der Nord hinfegen oder im düstern
Schneesturm nahen der kürzeste Tag: fort muß ich aufs Stadthaus.
Hab' ich nun feierlichst dort für den Schaden zu stehn mich verpflichtet,
Gilt es den Weg im Gewühl zu erkämpfen und tapfer zu drängen.
»Bist du denn gänzlich von Sinnen?« so schnauzt mich ein grober Gesell wohl
Unter Verwünschungen an, »du zerbrichst ja den Leuten die Rippen,
Wenn es dir just einfällt, zu deinem Mäcenas zu laufen.«
Nun, das mundet mir süß, ich gesteh's. Doch komm' ich am alten
Friedhof zu den Esquilien kaum, so schwirren auch hundert
Fremde Geschäfte bereits um das Haupt mir. »Morgen vor acht Uhr
Bittet dich Roscius, ihn bei Gericht zu vertreten am Forum.«
»Wegen gemeinen Bescheids in neuer und wichtiger Sache
Lassen die Schreiber, Horaz, an die heutige Sitzung dich mahnen.«
»Sorge, daß hier auf die Schrift Mäcen sein Siegel mir drücke!«
Sprichst du: »Womöglich,« so heißt's: »O du brauchst nur zu wollen, so kannst du.«
Tief ins siebente Jahr nun geht's, beinah' in das achte,
Daß Mäcenas zuerst zu den Seinen mich rechnete; freilich
Nur, um auf Reisen einmal mich mitzunehmen im Wagen
Oder bei Muße mit mir leichtwiegende Dinge zu plaudern.
Etwa: Wieviel ist die Uhr? Ficht Syrus so gut wie der Thraker?
Kühl schon weht's in der Früh, man erkältet sich ohne den Mantel,
Oder was sonst für ein undicht Ohr Harmloses sich eignet.
Seit der Zeit hatt' euer Poet tagtäglich und stündlich
Mehr zu leiden vom Neid. Kaum, daß er mit ihm sich im Schauspiel
Oder im Marsfeld zeigt, brummt ärgerlich alles: Der Glückspilz!
Strömt nur irgendein Schauergerücht vom Markt in die Stadt aus,
Gleich hält jeder mich an und fragt: »Sprich, Bester, du mußt es
Wissen, du bist ja so nahe vertraut mit den waltenden Göttern,
Sage, was ist's mit den Dakern?« – »Ich weiß nichts.« – »Seht mir den argen
Spötter, er foppt uns doch stets!« – »So strafen mich sämtliche Götter,
Ist mir das mindeste kund!« – »Wird Cäsar denn drüben am Ätna,
Wird in Italien hier er das Land an die Krieger verteilen?« –
Schwör' ich, daß nichts mir bewußt, so schütteln erstaunt sie die Köpfe
Oder beloben mich gar als einzigen Meister im Schweigen.
Also vergeht mir Ärmstem der Tag, und ich seufze mit Sehnsucht:
O mein Wald, wann werd' ich dich schaun, wann wird mir vergönnt sein,
Nun aus Schriften der Alten und nun aus Träumen der Muße
Süßes Vergessen der Welt und ihrer Beschwerde zu saugen!
O, wann winkt mir die Bohne, Pythagoras' Regel zum Trotze,
Wann der gedünstete Kohl mit Speck mir wieder bei Tische?
O Nachtschmäuse der Götter! Da tafl' ich im Kreise der Meinen
Fröhlich am eigenen Herd, und ein Volk mutwilliger Sklaven
Mach' ich noch satt mit den Resten des Mahls. Ungleich, nach Belieben,
Mischt sich jeglicher Gast den Pokal, vom Zwange verbohrter
Zechvorschriften befreit, gleichviel, ob er stärkere Becher
Tapfer ertrag', ob er froh schon werde bei schwächeren. Traulich
Plaudern wir dann, doch nicht von den Hauseinrichtungen andrer
Oder vom neusten Ballett; nein, was uns näher ans Herz geht,
Was unentbehrlich zu wissen für uns, das kommt zur Erwägung:
Ob ein erhabener Sinn, ob Reichtum echteres Glück sei,
Was uns fester verknüpfe, Bedürfnis oder Charakter,
Oder wodurch sich das Gute bewähr' und das höchste der Güter.
Nachbar Cervius tischt zur Nutzanwendung dazwischen
Alte Geschichten uns auf. Preist einer Arellius' Schätze,
Der von den Sorgen des Manns nichts weiß, so beginnt er: Vor Zeiten
Nahm ein Mäuschen einmal vom Land' im bescheidenen Erdloch
Freundlich die Stadtmaus auf; denn sie waren sich alte Bekannte.
Streng haushälterisch sonst mit dem Vorrat, übte sie gern doch
Heute die gastliche Pflicht und schonte, der Freundin zu Ehren,
Weder die Erbsen im Schrein noch die länglichen Körner des Hafers.
Auch ein Rosinlein trug sie im Maule daher und benagte
Würfelchen Specks, mit dem Wunsch, durch Wechsel der Speise die Eßlust
Jener zu reizen, die kaum ein Gericht anrührte, die Leckre,
Während die Hausfrau selbst, auf heuriger Schütte gelagert,
Spelt nur und Wicke genoß, für den Gast das Gewähltere sparend.
Endlich begann die Städterin so: »Wie hältst du, Geliebte,
Solch ein Leben nur aus hier draußen am Hange der Waldschlucht?
Willst du's nicht lieber einmal mit der Stadt und den Menschen versuchen?
Laß dir raten und komm gleich mit! Mit dem Leben auf Erden
Ist ja für uns doch alles vorbei, und keiner, wie vornehm
Oder gering er auch sei, entgeht der Vernichtung. So lebe
Wenigstens lustig, solang' es vergönnt, und genieße, was möglich.
Leb' und bedenke, wie flüchtig die Zeit!« – Dies deuchte der Feldmaus
Triftig gesagt, und sie sprang aus dem Häuslein, fertig zur Reise.
Rasch nun fördert die Schritte das Paar, um im Schutze des Dunkels
Unter der Mauer hinein in die Stadt zu schlüpfen. Es stand schon
Hoch am Himmel die Nacht, da betraten die Wandergefährten
Trippelndes Fußes ein prächtig Gemach, wo Decken von Scharlach
Breit um den Tisch her glänzten auf elfenbeinernen Sesseln
Und vom gestrigen Schmaus noch überreichlicher Vorrat
Rings im Silbergeschirr hoch aufgerichtet umherstand.
Als nun die Städterin hier auf purpurnem Kissen die Feldmaus
Sorglich gebettet, beschickt sie das Mahl als hurtige Wirtin,
Wechselt die Speisen behend, und trotz dem gewandtesten Kellner
Wartet sie auf und kostet zuvor von jeglicher Schüssel.
Jener behagt die Veränderung wohl, und gemächlich sich dehnend,
Schmaust sie vergnügt als fröhlicher Gast; da, plötzlich erschüttert,
Krachen die Flügel der Tür, und vom Pfühl auftaumeln die beiden.
Angstvoll rennen im Saal sie umher; doch ärgerer Schreck noch
Schüttelt und tötet sie fast, als Doggengebell die gewölbten
Räume durchhallt. Und die Feldmaus ruft: »Nein, Schwester, nach solchem
Leben gelüstet mich nicht. Fahr' wohl! Da sitz' ich doch lieber
Draußen am Wald im sicheren Loch und knuspere Wicken.«

An Albius Tibullus.
Epistel.

        Albius, gütiger Freund und Anwalt unsrer Satiren,
Womit denk' ich dich jetzt auf Pedums Fluren beschäftigt?
Schreibst du Gedichte vielleicht, um des Cassius Ruhm zu verdunkeln?
Oder schlenderst du schweigend im Hauch der erquickenden Waldluft,
Über den hohen Beruf nachsinnend des Guten und Weisen?
Nie ja warst du verlassen vom Geist, und es liehen die Götter
Schönheit dir und reichen Besitz und die Kunst des Genießens.
Was kann Muttergebet noch Größeres flehn für den Liebling,
Wenn er zu leben versteht und was er empfindet zu sagen,
Wenn ihm Gesundheit, Achtung und Ruhm in Fülle beschert sind,
Und zum reinsten Behagen genug, und noch etwas darüber?
Zwischen Hoffnung und Furcht, in wechselnden Sorgen und Bangen
Denk an jeglichem Tag, er sei dein letzter, und täglich
Wird dir zum holden Geschenk, die du nicht hofftest, die Stunde. –
Mich, Freund, würdest du glänzend und rund antreffen vor Wohlsein,
Kämst du einmal, um »ein Tier aus dem Stall Epikurs« zu belachen.

An Fuscus Aristius.
Epistel.

              Dich, den Verehrer der Stadt, mein Fuscus, grüß' ich von Herzen,
Selbst ein Verehrer des Lands. Denn in dem einzigen Punkt ja
Sind wir verschiednen Geschmacks, doch im übrigen treulich verbrüdert,
Zwillinge fast, die stets miteinander dasselbe verneinen
Oder mit Nicken bejahn, wie beisammen gealterte Tauber.
Du nun hütest das Nest, mich locken die Reize des Landes:
Quellengeriesel, bemoostes Geklüft und schattende Wipfel.
Ja, ich empfinde mich erst als Mensch und König, sobald ich
Hinter mir ließ, was ihr mit Gejauchz' in den Himmel emporhebt;
Opfergebäck hab' ich satt, wie der Knecht, der dem Priester davonlief;
Brot ist's, was ich bedarf. Das stillt trotz Kuchen den Hunger.
Wenn du begehrst, dem Gesetz der Natur entsprechend zu leben
Und beim Bauen zuerst nach der günstigsten Stelle dich umsiehst:
Kennst du den Ort, der ein traulicher Heim, als das Land, dir gewährte?
Wo doch wären die Winter so lau? Wo kühlte der Luftzug
Sanfter des Hundssterns Wut und die sengende Nähe des Löwen,
Wenn er, gestreift von der Sonne Geschoß, wie ein Rasender anspringt?
Wo auch störte den Schlaf dir minder die neidische Sorge?
Weicht Mosaiken aus libyschem Stein gründuftiger Rasen?
Oder ist reiner die Flut, die sich staut in der Stadt Bleiröhren,
Als die murmelnden Lauts im Gefälle des Baches dahinschießt?
Pflanzt man doch künstlichen Wald in den Kranz buntfarbiger Säulen
Oder erwählt sich ein Haus um den Blick in die Ferne der Landschaft.
Wirf aus der Tür die Natur nur hinaus und sie steigt dir ins Fenster,
Mit still siegender Kraft die ermüdenden Schnörkel durchbrechend.
Wer am Wollengewand das verschießende Rot von Aquinum
Mit der gediegenen Pracht des sidonischen Purpurs verwechselt,
Wird nicht sichrer dadurch noch empfindlicher Schaden erleiden,
Als wer Irriges nicht zu scheiden versteht von dem Wahren.
Wer bei glücklicher Zeit maßlos im Vergnügen sich gehn läßt,
Knickt wie ein Rohr, wenn sie flieht. Unentbehrlich Geschätztem entsagst du
Schwer, so verwöhne dich nicht, und du magst es auch unter dem Strohdach
Fürsten an wahrem Genuß und Fürstenfreunden zuvortun.
Streitbar pflegte der Hirsch von der Weide, die beiden gemein war,
Stets zu verjagen das Roß, bis dies, des vergeblichen Kampfes
Müde, den Menschen zu Hilfe sich rief und dem Zaum sich bequemte.
Aber nachdem es das Feld nun trotzig als Sieger behauptet,
Ward es den Zügel nicht los aus dem Maul, noch den Reiter vom Rücken.
Siehe, so trägt, wer niedrig den Schatz aufopfert der Freiheit,
Weil er die Armut scheut, auf dem Rücken den Herrn und verdammt sich
Selbst zu ewigem Fron, statt klug mit Geringem zu hausen.
Wer sich nicht einzurichten versteht, dem geht's nach der Fabel:
Stolpern macht ihn der schlappende Schuh und es drückt ihn der enge.
Lebe denn froh des beschiedenen Teils, wie dem Weisen es zukommt,
Fuscus, und lies mir den Text zur Erwiderung, dünkt es dir jemals,
Daß ich mehr als genug aufhäuf' und ein Ende nicht finde.
Denn das gesammelte Gold wird Knecht uns oder Gebieter;
Richtiger freilich gehorcht es dem Zaum, als daß es ihn handhabt.
Dies diktiert' ich für dich am zerfallenden Tempel Vacunas,
Dich zu missen betrübt, im übrigen fröhlichen Mutes.

An Torquatus.
Epistel.

          Wenn bei Tafel ein Sitz dir genügt aus Archias' Werkstatt
Und du mit Hausmannskost von bescheidener Schüssel vorlieb nimmst,
Hoff' ich dich bei mir zu sehn mit sinkender Sonne, Torquatus.
Weine vom anderen Jahre des Taurus werden wir trinken,
Zwischen Minturnäs Sümpfen verzapft und der Burg Sinuessas.
Wenn du Erlesneres hast, bring's mit; sonst füg' in die Wahl dich.
Blank schon funkelt mir Herd und Hausrat, deiner gewärtig.
Komm denn und laß die Gedanken daheim an den Streit um die Erbschaft
Und an Moschus' Prozeß! Ist uns morgen an Cäsars Geburtsfest
Gründlich doch ausschlafen vergönnt, und wir dürfen die warme
Köstliche Nacht sorglos hindehnen mit trauten Gesprächen.
Wozu soll mir ein Gut, des freier Genuß mir versagt ist?
Wer für die Erben nur spart und sich selbst nichts gönnet zum Wohlsein,
Deucht mir dem Wahnsinn nah. Nein, Blumen zu streun und zu trinken
Bin ich gelaunt, und mögt ihr darum leichtfertig mich schelten.
Was vollbrachte der Rausch nicht schon? Das Geheimnis enthüllt er;
Hoffnungen sieht er erfüllt; in die Feldschlacht treibt er den Feigling,
Nimmt vom bekümmerten Herzen die Last und begeistert den Künstler.
Wem nicht löste der volle Pokal schon plötzlich die Lippen?
Wen nicht ließ er befreit aufatmen vom Drucke der Armut?
Dies auch soll nach Gebühr und mit willigstem Eifer beschickt sein,
Daß kein schmutzig Gedeck, kein schäbig gewordener Teppich
Dein Mißfallen erweck' und du rings in Schüssel und Kanne
Ganz wie im Spiegel dich schaust, daß keiner im traulichen Kreise
Sei, der Gesprochenes weiter verschwatzt, und den passenden Nachbar
Jeglicher finde bei Tisch. Den Septicius triffst du, den Butra
Samt dem Sabin, falls diesen ein früherer Schmaus und ein Liebchen
Fest nicht hält. Auch wäre noch Platz für etliche Schatten,
Wenn du den Dunst nicht scheust bei allzu gedrängter Gesellschaft.
Schreib nur, wieviel Mitgäste du willst! Und dem Staube der Akten,
Wenn der Klient dir die Türe bewacht, entschlüpfe nach hinten.

An Mäcenas.
Epistel.

            Glaubst du dem alten Kratin, schriftkundiger Gönner Mäcenas,
Wird niemals ein Gedicht auf die Dauer bestehn und gefallen,
Das beim Wasser erdacht. Seitdem zu den Faunen und Satyrn
Seines Gefolgs Gott Bacchus die schwärmenden Dichter gesellte,
Pflegen die Musen von Wein schon früh zu duften am Tage.
Als Weinzecher erweist sich im Lobe des Weines Homerus;
Vater Ennius auch hub stets nur trunkenen Muts an,
Waffen zu singen. »Den Markt und die Börs' am Gehege des Libo
Räum' ich den Nüchternen ein; nur singe mir keiner der Biedern!«
Kaum, daß ich also gescherzt, so begannen im Nu die Poeten,
Nachts um die Wette zu zechen und tags Weindünste zu gähnen,
Gleich, als wär' es genug, wenn einer verwildert und barfuß,
Finsteren Blicks und im bäurischen Rock nachäffte den Cato,
Um schon Cato zu sein an Tugenden auch und Gesinnung.
Weil des Jarbas Sproß, um als modischer Redner zu glänzen,
Lauter zu donnern versucht' als Timagenes, barst er. Ein Vorbild,
Das in den Fehlern bequem sich nachahmt, führt in die Irre.
Säh' ich einmal blaß aus, was gilt's, gleich tränken sie Essig.
O Nachahmergeschlecht, armselige Herde, wie oft schon
Hat dein Lärm mir die Galle geweckt und wie oft das Gelächter!
Doch ich prägte die bahnende Spur in ein neues Gebiet ein,
Das vor mir kein Fuß noch betrat. Wer kühn sich vertraun darf,
Lenkt als Führer den Schwarm. Ich habe zuerst den Latinern
Parische Jamben gezeigt, an Archilochus' Rhythmus und Geist mich
Haltend, doch nicht an den Stoff und die Worte zum Hohn des Lykambes.
Und nicht schmälere mir deswegen die Ehre des Kranzes,
Weil ich mich scheute, den Takt und des Versbaus Kunst zu verändern.
Greift nach Archilochus' Maß doch im Liede die männliche Sappho,
Greift doch Alcäus danach; nur, anders in Stimmung und Inhalt,
Wählt er sich weder zum Ziel schwarzgalliger Strophen den Schwäher,
Noch auch dreht er den Strick für die Braut aus kränkenden Liedern.
Diesen, an den sich gewagt kein Früherer, führt' ich den Römern
Vor im Latinergesang. Und mich freut's, die eroberten Gaben
Heut' von den Besten gelesen zu sehn und in Händen gehalten. –
Fragst du mich aber, warum mein Lied mißgünstig so mancher
Zwar im geheimen verschlingt, doch öffentlich schmäht und herabsetzt?
Niemals konnt' ich die Gunst mir erkaufen des launischen Pöbels
Durch ein gebotenes Mahl und ein abgelegtes Gewandstück,
Nie – von den edelsten Meistern geehrt als Hörer und Anwalt –
Unserer kritischen Zunft schöntun um ein gnädiges Urteil.
Daher jener Verdruß! – »Unwürdiges möcht' ich im vollen
Saal nicht lesen und flüchtigen Scherz nicht bieten mit Anspruch.«
Wehr' ich mich so, gleich heißt's: »Ei freilich! Für Jupiters Ohren
Sparst du es auf; du triefst ja allein von poetischem Honig,
Einzig für dich nur schön.« – Hierüber empfindlich zu werden,
Hüt' ich mich wohl und, die spitzigen Klaun des Gereizten zu meiden,
Ruf' ich: Es will mir der Ort nicht passen; ein anderes Mal denn! –
Loses Gestichel erzeugt ja so leicht Wortwechsel und Jähzorn,
Jähzorn aber erbitterten Kampf und tödliche Feindschaft.

An sein Buch.

          Nach Vertumnus und Janus, o Büchlein, schielst du und möchtest
Glatt und sauber bereits bei den Sosiern prangen im LadenIn der Tuskischen Straße zu Rom, unweit vom Durchgange des Janus und der Bildsäule des Vertumnus, lag neben andern Kaufläden auch das bekannte Buchhändlergewölbe der Sosischen Brüder, der Verleger des Horaz..
Riegel und Schloß, dem Bescheidnen erwünscht, du trägst sie mit Unmut,
Jammerst, daß dich so wenige schaun, und rühmst dir das Weite.
Anders erzog ich dich zwar, doch geh, wohinaus dich gelüstet.
Ließ ich dich fort, nie kehrst du zurück. »Ich Ärmster, was tat ich!«
»Wollt' ich denn das?« so wirst du verletzt dann klagen, und weißt doch,
Wie dich der »freundliche Leser« beiseit' wirft, wenn er genug hat.
Gleichwohl – trübt mir nicht Ärger um dich die prophetische Sehkraft –
Wirst du gefallen in Rom, bis der Neuheit Reiz dir entschwunden;
Aber, zerlesen darauf und beschmutzt von den Händen des Volkes,
Dienst du verstummt für die Motten zum Fraß! Vielleicht ins Exil auch
Magst du nach Utika gehn und, geschnürt wie ein Sklav', nach Ilerda.
Lachen werd' ich alsdann, wo umsonst ich warnte, wie jener,
Welcher im Zorn den verstockt an den Rand hindrängenden Esel
Selbst in den Abgrund stieß. Wer mag Unwollende retten?
Dies auch wartet noch dein: im Mund schwerlesender Knaben
Kommt in den Vorstadtschulen zuletzt dir das Stammeln des Alters.
Wenn dir ein lieblicher Tag dann einst mehr Hörer versammelt,
Magst du erzählen, wie ich, des Freigelassenen Enkel,
Arm von Geburt, aus niederem Nest hochauf mich geschwungen,
Was an Geschlecht mir gebrach, durch die Kraft des Talentes ersetzend;
Wie ich, den Besten zu Rom in Krieg und Frieden befreundet,
Mäßig von Wuchs, früh grau, wie ein Kind stets fröhlich der Sonne,
Rasch auflodernd im Zorn, doch leicht zu versöhnen gewesen.
Fragt dann einer vielleicht, wie hoch ich im Alter, so wiss' er,
Daß ich zum vierundvierzigstenmal den Dezember erlebte,
Als sich im Konsulamt mit dem Lollius Lepidus paarte.

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