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XXXI.

Die erste Folge des Geständnisses, welches der Mörder abgelegt, war die Verfügung des Gerichts, die Baronin in Freiheit zu setzen. Wir überlassen dem Leser es, sich selber auszumalen, mit welchen Gefühlen Paul Bentheim den Bericht Wolff's anhörte, wie er hineilte, Julie die frohe Botschaft zu verkünden, wie Beide einander in die Arme sanken und mit Thränen des Dankes für den Lenker aller Dinge das Gefängniß verließen. Die Baronin beschloß in Uebereinstimmung mit Bentheim, dem sie es überließ, ihr die nöthigen Effecten nachzusenden und ihre Angelegenheiten in B. zu ordnen, diesen Ort sogleich zu verlassen, um der Neugierde von Menschen zu entgehen, welche heute verdammen um morgen zu bewundern, und an den Leiden und Schicksalen anderer Personen nur das Interesse nehmen, welches eine Romanfigur beim Lesen erweckt.

Sie sollte jedoch nicht ohne tröstende Eindrücke scheiden. Sie erfuhr von Bentheim, in welch' edler und loyaler Weise Kurt von Stilten für sie aufgetreten, und Wolff führte ihr ein Wesen zu, dem ein verzeihender Blick von ihr das blutende Herz lindernd erfrischte.

Wolff hatte einen Collegen gebeten, sich Elisen's anzunehmen, bis er Muße gefunden, für sie zu sorgen; er fühlte wohl, daß sie nicht nur des Trostes, sondern der Aufsicht bedürfe, um nicht in der Bitterkeit der Verzweiflung sich ein Leid anzuthun. Er fühlte, was diese edle, stolze, leidenschaftliche Natur leiden mochte unter dem Drucke der Schande, der Reue, der Enttäuschung, welch einen bittern Kampf sie durchgefochten haben mußte, um sich selber eine Dirne zu nennen. Und da war denn auch keiner der Anwesenden unerschüttert geblieben. Da hatte Wolff es in jedem Auge gelesen, daß man ihr Hochachtung und Bewunderung zolle, ihm selber aber hatte das Herz zerspringen wollen vor Genugthuung, Stolz und Wehe.

Mit einigen Worten hatte er die Baronin vorbereitet, ehe er ihr Elise zuführte. Julie aber hatte ihre frühere Zofe an's Herz gezogen und weinend ihre Stirn geküßt.

»Ich weiß Alles,« sagte sie, »und Du sollst mir fortan theuer wie eine Schwester sein. – Ich bedarf des Trostes wie Du.«

Ein solcher Gruß des Herzens von der Frau, die sie für stolz gehalten, deren Leben sie in Gefahr gebracht durch ihre Anklage, ließ in Elisen's Brust jedes bittere Gefühl unter der brennenden Sehnsucht schmelzen, ihr durch hingebende Treue zu danken, daß sie verziehen.

Die Baronin verließ B. in Begleitung des alten Felter und seiner Tochter. Bentheim reichte sein Entlassungsgesuch ein, er wollte seine Carrière aufgeben, um mit der Geliebten im Auslande ein stilles einsames Plätzchen zu suchen, wo sie fern von der Welt und ihrem Geräusch, dem Glücke der Liebe leben konnten, aber ein Brief Juliens warf ihn aus allen seinen Träumen. Die Baronin beschwor ihn, sie ihres Wortes zu entbinden, da sie es nicht vermöge, den Gedanken zu überwinden, er bringe ein Opfer, wenn er ein Weib, das durch infamirenden Argwohn dem Leumund preisgegeben gewesen, zu seiner Gattin mache.

»Ueberwindet Deine Liebe das Opfer,« so schrieb sie, »so vermag die meinige nicht, ein solches vom Geliebten anzunehmen und sich den bitteren Vorwürfen dieser Schwäche für den Rest ihres Lebens auszusetzen.«

Der Brief war derart gefaßt, daß Bentheim in ihm die unendliche Liebe und Dankbarkeit Juliens aus jeder Zeile fühlte, ebenso auch die Gewißheit, daß ihr Entschluß wohl kaum zu erschüttern sein werde. Er zeigte den Brief Kurt von Stilten, mit dem er sich in der kurzen Zeit eng befreundet. Derselbe rieth ihm, einige Zeit vergehen zu lassen, ohne die Baronin zu drängen, damit sie Muße habe zu erwägen, ob sie ihre Lage nicht allzustrenge beurtheile.

Andern Tages hatte Kurt B. verlassen. Eine Woche später, und man las unter den Tagesneuigkeiten aller Blätter, welche sich lebhaft mit dem Prozesse beschäftigt, die Notiz, daß der Baronin Stilten die glänzendste Genugthuung geworden sei, welche den letzten Zweifel über ihren Character zerstreuen müsse. Ein Verwandter ihres verstorbenen Gatten, der Baron Kurt von Stilten, habe sie um die Ehre gebeten, ihr seinen Namen und seine Hand anbieten zu dürfen, um gut zu machen, was die Seinigen aus Irrthum an ihr verschuldet.

»Die Baronin,« so schloß die Notiz, »hat die angebotene Ehre dankend abgelehnt und sind wir von Seiten des Herrn Baron's ermächtigt, diese Nachricht zu veröffentlichen.«

Nur eine schwärmerische Neigung konnte Kurt veranlaßt haben, der Baronin diese Genugthuung im Interesse eines Dritten zu geben und so ward seine Handlungsweise auch von Bentheim und der Baronin aufgefaßt. Er ward der beste Freund der Neuvermählten, denn die Baronin hatte sich jetzt nicht länger gesträubt, Bentheim's und ihre eigenen Wünsche zu erfüllen. Alle jene Bedenken, welche einer zart empfindenden Natur jene Rücksichten auf das Urtheil der Welt, die Meinung der Leute, Sitte und Herkommen oft genug zum Nachtheile für das eigene Wohl und Interesse auferlegen, schwinden, sobald der Mensch sich in die Einsamkeit zurückgezogen. Es ist hiezu nicht nöthig, daß er in eine Wüste flieht oder sich absperrt vom Umgang mit Anderen – wer frei werden will von allen lästigen Pflichten und Rücksichten, welche das Leben in der Gesellschaft uns auferlegt, für den genügt schon, daß er aller Eitelkeit entsagt, denn nur Derjenige, den ein eitles Interesse an die Welt fesselt, der wird ihr Sclave, und einsam lebt schon der, welcher sein Glück im eigenen Hause sucht, Niemand die Thüre verschließt, aber die Hand nur dem erprobten Freunde drückt.

Wer frei geworden von der falschen Schaam vor den Menschen, von der Eitelkeit, das Glück in Dingen zu suchen, um die uns Gleichgültige beneiden, wer sich losgerungen aus der Vormundschaft der Gesellschaft und des Sittenzwanges, deren Ketten man sich allein selber aufbürdet, der überwindet auch das zermalmende Gefühl der Schaam über eine Schwäche der Vergangenheit und erfährt an sich, daß die wahre Zufriedenheit aus schweren Prüfungen hervorgehen muß. Sowohl die Baronin wie Elise Felter hatten Erinnerungen aus vergangenen Tagen zu überwinden, die einen Schatten über ihr Leben werfen konnten, düster genug, jeden Strahl einer Frühlingssonne zu verscheuchen. Die Baronin hatte unter der Verleumdung erröthen müssen, ihr Ruf war dem Gespött der Welt preisgegeben gewesen und wer ungläubig sein wollte, konnte noch immer zweifelnd die Achseln zucken, ob der Baron Kurt ihr eine so glänzende Genugthuung gegeben hätte, wenn sie minder schön gewesen wäre. Wo das Herz nicht die Kraft hat, bei innerer Zufriedenheit gleichgültig werden zu können gegen ein neidisch Achselzucken oder boshaftes Geklatsch, da verbittert das Gefühl, der Verleumdung ausgesetzt zu sein, das Leben. Elise lernte es von der Baronin, die Seele freizuringen von dem erdrückenden Gefühl einer Schuld, die sie schwer gebüßt, und als Wolff sie aufsuchte und ihr gestand, daß er ohne sie nicht glücklich werden könne, da erblühte in ihrem Herzen eine neue Jugend und sie brauchte nicht zu erröthen, denn vor dem, der ihr Herz kannte, hatte ihre Reinheit keinen Flecken.

Wildhorst und Bertha Hillborn wurden zu den gesetzlichen Strafen für ihre Verbrechen verurtheilt, der Jäger aber in Anbetracht seines offenen Geständnisses und der Reue, die er gezeigt, der Gnade des Monarchen empfohlen welcher die zu büßende Strafe um die Hälfte milderte. Als er nach sechs Jahren der Haft entlassen wurde, hatte Wolff dafür gesorgt, daß er Arbeit fand und nachdem er dargethan, daß er ein anderer Mensch geworden, wurde ihm eine Försterstelle auf einer Besitzung Bentheim's zu Theil.

Bertha Hillborn war mit einem geringen Strafmaaß davon gekommen, obwohl die Richter nichts weniger als milde für sie gestimmt waren. Es fehlten die Beweise, sie als Theilnehmerin und Urheberin der Intriguen Wildhorst's zu bestrafen, da gegen sie nur das Zeugniß eines Angeklagten geltend gemacht werden konnte. Sie behauptete, das Billet des Grafen Hartwig, welches ihr der Jäger gegeben, ehe er mit der Cassette entflohen, verloren zu haben. Einige Jahre später, als sie bereits längere Zeit aus der Haft entlassen, erhielt sowohl der Graf Hartwig als Frau Bentheim Drohbriefe von ihr, die aus England datirt waren, worin sie angab, daß das Billet sich wiedergefunden und von ihr benutzt werden würde, die vergessene Geschichte in öffentlichen Blättern wieder zur Sprache zu bringen, wenn man es nicht vorzöge, ihr das Billet abzukaufen. Weder vom Grafen Hartwig, der unverheirathet geblieben noch von Julie Bentheim ward sie einer Antwort gewürdigt; trotzdem unterblieb der von ihr angedrohte Skandal, sie schien sich eines Besseren besonnen zu haben oder an der Ausführung ihrer Absicht behindert worden zu sein.

Bei einer Reise durch die Schweiz, welche Bentheim wieder einige Jahre später unternahm, lernte er auf dem Dampfer einen vornehmen Engländer kennen, der ihm und Julien erzählte, daß er eine Deutsche zur Frau habe und mit dieser in einer Villa am Ufer des Sees lebe. Als das Boot der Landungstreppe sich näherte, stand unter den Personen, welche Ankommende erwarten auch die Gemahlin des Engländers. Bentheim und Julie wurden stutzig – eine seltsame Aehnlichkeit mußte sie täuschen oder Lady Clinton war keine Andere, als Bertha Hillborn. Die Lady schien ebenfalls betroffen, aber nur einen Moment wechselte sie die Farbe, dann begegnete ihr Auge dreist und herausfordernd den forschenden Blicken Bentheims, als erwarte sie nur den Angriff, um ihn zurückzuweisen und zu erwidern.

Es konnte weder Bentheim noch Julie daran liegen, sich in die Angelegenheit eines Fremden zu mischen und ihn über die Persönlichkeit seiner Frau aufzuklären. Sie nahmen Abschied von dem Engländer, ehe er dazu kam, ihnen seine Frau vorzustellen, erfuhren aber, daß Lord Clinton sehr glücklich unter dem Pantoffel seiner Frau lebe, welche Gouvernante in dem Hause seiner Schwester gewesen und sich ebenso durch ihre strenge Tugend wie durch ihre Schönheit auszeichne.

So hatte Bertha Hillborn eine glänzendere Carrière gemacht, als die, welche ihr vorgeschwebt in der Zeit, wo sie die Hoffnung ihrer Zukunft auf Wildhorst baute, sie hatte es erreicht, eine glänzende Partie zu machen, aber der dabei verübte Betrug ließ ein Damoclesschwert über ihrem Haupte schweben, die Angst vor einer zufälligen Entdeckung mußte ihr den Genuß aller Freuden des Lebens, die ihr jetzt zu Gebote standen, verbittern.

 

Ende

 

Druck von R. Gensch in Berlin.

 


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