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XXVI.

Die Verhandlung des Schwurgerichts war anberaumt und unter anderen Zeugen auch Elise Felter mit ihrem Vater nach B. beschieden. Der Staatsanwalt Krämer hatte die Vertretung Bentheims übernommen. Niemand, selbst der Präsident Altrock, der doch günstig genug für die Baronin gestimmt worden, begriff, wie Bentheim noch immer unerschütterlich an seinem Glauben, die Baronin sei unschuldig, festhalten konnte, ja, daß diese Ueberzeugung eher festere Wurzeln im Laufe der Untersuchung gefaßt, als lockerer geworden. Man sah allgemein der Verhandlung mit dem gespanntesten Interesse entgegen, es sollte sich ja aufklären, in welchem Grade die Baronin schuldig. Es waren verschiedene Annahmen möglich. Sie konnte, zu Füßen des Barons knieend, absichtlich oder zufällig den Abzug des Gewehres niedergezogen haben, in einem Falle leugnete sie den Mord, im anderen ihr unglückliches Geschick. Es war ferner möglich, daß der Jäger die That belauscht und entflohen, oder aber, daß er mit ihr verabredet, wie man sie verbergen könne. Das Verhältniß der Baronin zum Jäger interessirte die Neugierde am lebhaftesten. Einige behaupteten sogar, der Jäger könne sich ins Zimmer geschlichen, für die Baronin um Gnade gebeten und den Mord begangen haben. Das Einverständniß zwischen Julie und dem Jäger war erwiesen durch ihre Versuche, ihn vor Verfolgung des Gerichts zu schützen, hier ließen sich Combinationen pikanter Natur aufstellen. Alle weiblichen Herzen nahmen lebhaftes Interesse an diesem Don Juan aus dienender Klasse, der zwei hübschen Zofen den Brautkranz geflochten, für den beide Rivalinnen sich zu opfern bereit gewesen und der eine romantische Neigung zu der schönen Baronin in allen Phasen der Leidenschaft durchgekämpft. Es gab fühlende Frauenherzen, welche der Baronin den Mord des Gatten eher verziehen hätten als die grausame Verfolgung dieses Verehrers, andere, welche fest überzeugt waren, die Baronin liebe ihn noch heißer als ihre Zofe dies gethan, ihr Stolz habe sich aber gesträubt, mit denselben zu rivalisiren und der Haß habe in diesem Kampfe über die Neigung triumphirt.

Bedeutsam war es immer, daß der Jäger bis zum letzten Augenblick kein directes Geständniß gegen die Baronin richtete und daß diese die Wahrscheinlichkeit bestritt, daß der Jäger sich durch ihr Zimmer geschlichen und den Mord begangen haben könne. Keiner von beiden schien den Andern mit Blutschuld belasten zu wollen.

Gerade dies noch unerklärte Verhältniß der Baronin zum Jäger befestigte Bentheim in dem Glauben an ihre Unschuld. Ihm erschien's unmöglich, daß sie für den Menschen, der sie belauscht und beim Gatten verleumdet, das geringste Mitleid haben könne. War hier auch nur von einem Einverständniß beider Personen die Rede, so entbehrte die Baronin der gewöhnlichsten Schaam, dann war sie die verächtlichste Creatur der Welt.

Bentheim hatte sie aufgesucht, als er sein Amt an den Stellvertreter übergeben um ihr nochmals seine Hilfe bei der Vertheidigung anzubieten, aber wieder hatte sie mit Ergebung trübe gelächelt und ihm versichert, ihr könne Niemand helfen als Gott. Auf seine Fragen in Betreff des Jägers hatte sie erwidert, daß sie die Wahrheit gesagt. Sie wolle nicht, um sich zu retten oder ihre Ankläger irre zu führen, eine Möglichkeit zugeben, an die zu glauben ihrem Gefühl widerstreite.

»Wildhorst«, sagte sie, »wußte, daß seine ganze Stellung von der Gunst Stiltens abhängig war, daß ich ihn verachtete und seine Entlassung gefordert. Er kannte mich zu gut, um zu wissen, mein Stolz werde sich durch Drohungen erschüttern lassen, er versuchte dies erst, als er glaubte, die Zeit habe mich anders gestimmt. In seinem Interesse lag es, daß sein Gönner lange lebte. Von Stilten konnte er Alles erpressen, er wußte wie ängstlich derselbe für seine äußere Ehre besorgt war, daß er jeden Scandal fürchtete. Er besaß Geheimnisse mit denen er Alles von ihm erzwingen konnte, unmöglich kann er also den einzigen Mann, der ihn hielt, der ihm Wohlthaten erwies, auf den er seine Hoffnungen baute, ermordet haben.

Als er mir sagte, welche Gefahr mein Ruf liefe, wenn ein Selbstmord constatirt werde, ließ ich ihn heftig an, ich wollte von ihm weder Rath noch Hülfe. Da schwur er mir, daß er bereue, was er gethan, daß der Baron ihn zu Allem gezwungen und ihm die Wahl gestellt, fortgejagt zu werden oder mich zu beobachten. Ich schenkte ihm Glauben, mir war es, als müsse er hart genug bestraft sein durch die Folgen seiner Thaten, um aufrichtig zu bereuen. Er erklärte mir, daß der Tod durch einen Zufall stattgefunden, daß aber die böse Welt einen Selbstmord annehmen werde, um mich beschimpfen zu können. Meine Feinde und Neider würden dies ausbeuten, meine Ehre und die des Todten müsse gewahrt werden vor gehässigem Leumund. Ich beging den Fehler, ihm zu trauen, da ich auch nicht an einen Selbstmord glaubte. Der lag außer dem Charakter der Handlungsweise Stilten's und ich mochte den Verwandten meines Gatten nicht den Triumph gönnen, unser eheliches Unglück öffentlich an den Pranger gestellt zu sehen. Es handelte sich also zwischen mir und Wildhorst um nichts Anderes, als darum, daß ich ihm gestattete, sein schnödes Spiel mit meiner Ehre aufzugeben, über das zu schweigen, was er gethan und gehört. Ich bewilligte ihm aus freien Stücken eine kleine Pension, ich habe ihm auch versprochen, für ihn zu sorgen, wenn er ein anderes Leben beginne und wahre Reue bethätige.

Damals,« fuhr sie fort, »als mein Gatte eben gestorben, als die eisige Kälte von Seiten seiner Verwandten, ihr zur Schau getragener Haß mich empörten, da würde ich eine öffentliche Untersuchung eher gewünscht als gefürchtet haben, wenn ich gewußt, welchen Argwohn man auf mich werfen werde. Aber die Ahnung, wie weit mich das Unglück verfolgen könne, lag mir fern. Ich war froh, das Schloß verlassen zu können, ich zwang mich, Stilten zu vergessen, um gegen den Todten nicht bitter in Gedanken zu werden, er stand ja vor seinem Richter. Als aber allmälig mein Herz den Frieden gewonnen und nichts Anderes, als die Bosheit meiner Feinde mich belästigte, indem sie Gerüchte übler Art über mich verbreiteten, da fürchtete ich die Erregungen, die peinlichen Eröffnungen, welche eine Klage meinerseits für mich selber heraufbeschworen und je mehr ich die Erinnerungen bei mir vorüberziehen ließ und prüfte was ich durchlebt, sah ich ein, daß ich meine Gegner nicht Lügen strafen, nur meinen Ruf auch hier preisgeben könne.

Diese Besorgniß leitete meine Handlungsweise, machte mich unsicher, schwankend und gab Wildhorst wohl den Muth, mir zu drohen?«

Bentheim schaute die Geliebte mit unbeschreiblich zärtlich-schmerzlichem Ausdruck an. »Du glaubst also nicht,« sagte er, »daß Wildhorst dennoch, durch irgend eine Unruhe bewogen, in das Waffenzimmer gedrungen, Du hegst gegen Niemand den Verdacht des Mordes, Du hegst keinen Argwohn, daß Stilten einen Feind gehabt, der diese Umstände benützt?«

»Ich wüßte Niemand, könnte mir auch nicht erklären, wie ein Mann unbemerkt hätte nach der That entfliehen können. Das Hineinkommen wäre möglich gewesen. Die Treppenthüren von der Veranda her waren offen, ich war mit meinen Gedanken beschäftigt, in furchtbarer Erregung über die Scene, die Stilten aufgeführt. Aber, sobald der Schuß fiel, stürzte ich, Unheil ahnend, in das Waffenzimmer. Das Zwischengemach, das Zimmer meines Gatten, war erleuchtet, es brannten dort stets zwei Lampen. Der Flüchtige hätte mir oder Elisen begegnen müssen.«

»Und Du traust dieser Zofe nicht zu, daß sie den Flüchtigen verborgen?«

»Nein, und wäre es ihr Vater gewesen, sie hätte ihn angegeben. Elise hat mich beargwohnt, sie war durch Wildhorst von Allem unterrichtet, aber, ob sie auch abhängig von mir war, sie hätte es für Gold und Verheißungen nicht vermocht, den Vorwurf zu verbergen, den sie mir macht. Sie ist eine ehrliche, brave Natur, an ihr ist kein Falsch. Oft war ich daran, ihr zu sagen, wie Alles zusammenhänge, daß mein Gatte mich nicht beschütze gegen den Grafen, mir war dieser stumme Vorwurf in ihren Blicken peinlich, aber ich mochte nicht die Geliebte Wildhorst's, meine Dienerin, zur Vertrauten eines Geheimnisses meiner Ehe machen. So duldete ich ihr Wesen und achtete sie deshalb. Das Einzige, was ich that, war, daß ich sie warnte, allzu blind ihrem Geliebten zu vertrauen. Ich glaubte auch, daß sie einen großen Einfluß auf diesen Menschen hatte und nahm an, daß ihre Vorstellungen ihn dahin gebracht, Reue über sein Thun zu fühlen, daß er sich vor ihr der Spionendienste schämte. Elise hätte den Mörder gestellt, wäre ein solcher im Zimmer gewesen. Unter ihrem Verschluß stand die Glaßthüre des Corridors, durch die er hätte entkommen können. Ich will mich dafür verbürgen, daß sie nichts aussagt, was nicht der Wahrheit gemäß.

Paul«, schloß die Baronin, als er trübe zu Boden schaute und zu verzweifeln schien, »Du hast mir Muth eingeflößt, zu dulden, was mir beschieden, verzage also nicht, denke an das, was ich Dir gesagt. Gott allein kann mir helfen. Will er, daß ich verurtheilt werde, so kann Niemand das ändern, will er es nicht, so kann er allein Licht in dieses Räthsel bringen. Glaube mir, ich habe oft in schlummerlosen Nächten darüber nachgegrübelt, wie das Unglück geschehen sein könne, denn die einzige Erklärung, daß ein Selbstmord stattgefunden, war mir die unwahrscheinlichste. Stilten hätte sich nie, unter keinen Umständen, das Leben genommen, ihm fehlte jede Entschlossenheit zu solcher That. Ich begreife aber auch nicht, wie die Büchse in seine Hand gekommen. An ein Entladen derselben konnte er in der erregten Stimmung, in der er sich befand, nicht gedacht haben; wollte er sich mit Hartwig schießen, so hätte er nach den Pistolen gegriffen. Du siehst also, es schwebt ein Räthsel über dem Vorgang, das nur der Allwissende enthüllen kann, denn Stilten ist todt. Sorge nicht um mich. In der Stunde, wo man mich verhaftet, schloß ich mit allen Hoffnungen meines Lebens ab, da fühlte ich, daß selbst ein freisprechendes Urtheil, der Beweis meiner Unschuld, nicht die Schmach dieser Anklage von mir nehmen können und daß ich verzichten müsse auf das Glück Dir anzugehören. Ich würde es nie ertragen, daß man von Deiner Gattin übel reden dürfte, ich bin des Opfers nicht werth, das Dein edles Vertrauen, Deine Liebe mir gebracht. Aber Deine Liebe hat mir wohlgethan in den bittersten Stunden meines Lebens, hat mich versöhnt mit Gott, hat mir den süßen Trost gegeben, der mich für Alles stählt und, glaube mir, der Tod ist mir willkommener als die Freiheit, habe ich doch die stillen Mauern meines Kerkers liebgewonnnen, da ich ungestört von der Welt in ihnen träumen kann von Deiner Liebe, Deinem Edelmuth.«

Bentheim preßte die zarte Hand der Gefangenen an seine Lippen – ihm fehlten die Worte etwas zu erwidern, das Herz wollte ihm vor Schmerz und Weh zerspringen.

Aus dem Kerker der Gefangenen begab er sich zu Krämer. Er traf ihn beim Studium der Acten. »Ich habe sie wieder gesprochen,« sagte er, dem Collegen die Hand drückend, »ich will nicht auf Sie einwirken und doch muß ich immer und immer wiederholen: ›Sie kann nicht schuldig sein.‹«

Krämer bot ihm einen Sessel. »Hören Sie mich mit Ruhe an«, versetzte er, »setzen Sie nicht allzu große Hoffnungen auf meine Worte. Ich muß Ihnen sagen, daß mir da ein Umstand aufgefallen ist, den seltsamer Weise bisher Keiner beachtet und der doch sehr wichtig ist. Wolff sagt in seinem Bericht, wenn die Thüre des Geldschrankes offen stehe, habe Jemand bis in die Nähe des Barons, der vor dem Waffenschrank gestanden, hinschleichen können, ohne bemerkt zu werden. Im Protocoll des Beamten, der die Leichenschau abgehalten und das Zimmer besichtigt, ist bemerkt, daß der Geldschrank geöffnet gewesen. Es überraschte mich, daß Wolff dies nicht beachtet, ich befragte ihn heute deßhalb und er giebt zu, daß er diesen Punkt übersehen. Der Baron hatte wohl nicht die Gewohnheit, wenn er ausging, den Geldschrank offen zu lassen. Hat er ihn geöffnet, ehe er zum Waffenschrank getreten, so muß das einen besonderen Zweck gehabt haben. Gelder hat er an diesem Tage nicht eincassirt, hätte auch in seiner Laune wohl nicht daran gedacht, sie zu verschließen. Er hat also Geld oder Dokumente herausnehmen wollen. Das läßt darauf schließen, daß er entweder beabsichtigt, die Baronin fortzuschicken oder ein Duell zu bestehen und sich für eine Flucht vorzubereiten. Er hat den Schrank aber nicht wieder verschlossen und bei ihm ist weder viel Geld, noch sonst etwas gefunden worden, was das Oeffnen des Schrankes erklärt. Die Annahme liegt also nahe, daß er, als er vor dem Schrank gestanden, durch Jemand gestört worden, daß er, zur Abwehr desselben nach der Büchse gegriffen. War der Eingetretene, der ihn störte, ein Fremder, so hätte er Lärm gemacht. War es aber Jemand, der es wagen durfte, einzutreten, z. B. der Jäger, so kann er in seinem Zorn gegen denselben zur Büchse gegriffen haben, ohne Hülfe zu rufen. Nehmen wir an, daß er die Büchse in der Hand gehabt, als die Baronin eingetreten, ihn um Gnade zu bitten, so ist erklärlich, daß er sie nicht fortstellte, daß sie also an dem Abzug drücken konnte; nehmen wir aber an, daß er am Geldschrank gestanden, so ist es unwahrscheinlich, daß er, gegen seine Frau sich zu schützen, nach der Waffe gegriffen. In diesem Falle hätte sie auch einen Angstschrei ausgestoßen, der von der Zofe gehört worden wäre. Hatte er in der Wuth, als er ihr Zimmer betreten und dort den Grafen gesucht, sie nicht angetastet, so ist auch nicht anzunehmen, daß er in einem ruhigeren Moment nach der Waffe gegen sie gegriffen, wohl aber konnte ihn der Anblick des Jägers dazu veranlassen. Dieser Mann trug ja die Schuld der für ihn so entsetzlichen Situation. Meiner Ansicht nach ist daher die Aussage der Baronin glaublich.

Zum Oeffnen eines Geldschrankes gehört eine gewisse Ruhe, eine bestimmte Absicht, bei wallendem Blut macht sich Niemand ohne ganz besondere Ursache diese Mühe, wie denn auch ohne das Urtheil des Physicus, mir beim ersten Lesen der Acten schon die Angabe, der Baron habe sein Gewehr wie gewöhnlich entladen, ganz Unwahrscheinlich erschienen ist. Es scheint mir daher, daß Alles darauf ankommt, die Möglichkeit nachzuweisen, daß der Mörder unbemerkt entfliehen konnte. Gelingt das, so wüßte ich nicht, worauf die Anklage gegen die Baronin sich stützen dürfte, um einige Aussicht zu haben, acceptirt zu werden. Ich habe daher Wolff beauftragt, die Zofe Elise Felter in ein etwas strengeres Verhör zu nehmen und behufs ihrer etwaigen Verhaftung, sowie näherer Besichtigung des Schrankes nochmals nach Stilten zu reisen.«

Bentheim schaute auf wie verklärt. Sollte der Glaube der Baronin doch triumphiren und der Himmel ihre Unschuld an's Licht des Tages bringen? Krämer war mit dem Vorurtheil gegen sie an das Studium der Acten getreten und er gerade fand, was günstiger Gestimmte übersehen!



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