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XXVII.

Der Baron Kurt von Stilten traf in B. ein und die Eröffnungen, welche er machte, trugen nicht wenig dazu bei, die Stimmung zu Gunsten der Angeklagten zu heben. Er gab zu Protocoll, daß er ein rechter Vetter des Verstorbenen sei und der Erste gewesen, der seine laute Mißbilligung über den beabsichtigten Schritt seines Vetters, eine Bürgerliche zu heirathen, zu erkennen gegeben. Georg von Stilten habe ihm erwidert, er werde sein Urtheil ändern, wenn er die Braut kennen gelernt habe, übrigens hege er liberale Anschauungen und sein Bruch mit hergebrachten Traditionen werde der liberalen Partei den Beweis seiner Gesinnungen liefern. Kurt bestätigte demnach, daß der Baron Georg die Wirkung seines Schrittes berechnet, daß er eine Demonstration beabsichtigt und er äußerte sich überhaupt über den Character des Vetters in derselben Weise, wie Julie dies gethan. Er sagte, daß der Schritt des Vetters die Familie um so mehr gereizt, als Niemand geglaubt, daß Georg der Leidenschaft einer heftigen Neigung nachgebe, sondern weil man gefühlt, daß sein hartnäckiger, eigenwilliger Sinn nur durchführe, was er sich einmal in den Kopf gesetzt.

Kurt erklärte, daß er, um der Wahrheit die Ehre zu geben, gestehen müsse, daß Julie von den Mitgliedern seiner Familie in einer Weise herausfordernd behandelt worden sei, daß sie eine verächtliche Natur gewesen wäre, wenn sie sich hätte bewegen lassen, einen entgegenkommenden Schritt zu thun. Dieser sei ihr aber von Georg zugemuthet worden, derselbe habe sich ihm gegenüber geradezu dahin ausgesprochen, als er in der Parlamentswahl durchgefallen: ›er werde seine Frau veranlassen, dem Stolze der Familie, der sie angehöre, ein Opfer zu bringen.‹

»Diese Worte«, sagte Kurt, »empörten mich. Es lag uns jetzt wenig daran, eine Versöhnung herbeizuführen, da die Ehe einmal geschlossen, da unser Vetter sich der Opposition einmal hingegeben hatte; im Gegentheil, wir mißbilligten sein Vorhaben als eine unnütze Inconsequenz, die ihn nur verächtlich mache und, mit Ausnahme einiger älteren Damen der Familie, welche der Frau des Vetters eine Demüthigung gönnten, hätte Keiner das Entgegenkommen angenommen. Ich begann das Wesen zu beklagen, das der tyrannischen Laune meines Vetters unterworfen war«, fuhr Kurt fort, »ich konnte sie nicht mehr hassen und das um so weniger, als ich gehört, sie habe andere Partieen ausgeschlagen und ihr sei nicht vorzuwerfen, daß sie nach einem reichen Gatten getrachtet, oder gar ihre Netze nach einem solchen mit Berechnung ausgeworfen. Ich wurde neugierig, sie kennen zu lernen, aber ich mochte die Verbindung mit dem Vetter nicht wieder anknüpfen und erst als das Unglück geschehen und fast alle Glieder der Familie sich vereinten, bei der Leichenfeier dem Todten die letzte Ehre zu erweisen, begab ich mich ebenfalls nach Stilten. Seit mein Vetter verheirathet, hatte Keiner von uns diese Schwelle betreten, fast Keiner hatte die Gattin meines Vetters persönlich kennen gelernt, ich hatte sie noch nicht gesehen. Es waren, wie gesagt, Verhandlungen über eine anzubahnende Annäherung gepflogen worden, aber sie waren gescheitert, von unserer Seite waren die Antipathieen bewahrt worden, Julie von Stilten hatte sich mit richtigem Stolze geweigert, eine unverdiente Demüthigung sich aufzuerlegen. Das Erscheinen der Familienglieder auf Stilten war daher eine sehr delicat zu behandelnde Angelegenheit, ich kann hier die Versicherung geben, daß der Charakter, den leider die Sache angenommen, nicht beabsichtigt wurde, Keiner von uns war so unzart und tactlos, in diesem Augenblick die Wittwe unseres Verwandten beschimpfen zu wollen. Die Verhältnisse verschuldeten es allein, daß die Sache einen demonstrativen Charakter annahm, der die Veranlassung zu den Gerüchten gab, welche später die Wittwe meines Vetters verfolgt. Die Familie hielt es für ihre Schuldigkeit, bei der Leichenfeier gegenwärtig zu sein, wollte aber weder Gastfreundschaft auf dem Schlosse fordern, noch annehmen. Die Fahrt wurde so eingerichtet, daß man bei Beginn der Feierlichkeit auf Stilten eintreffen mußte. Es war jedoch eine Verzögerung eingetreten und uns blieb nur die Wahl, auf dem Schlosse den Beginn der Feier abzuwarten, oder bei dem Wirthshause zu halten. Ich bin überzeugt, daß wenn eine Berathung stattgefunden hätte, man beschlossen haben würde, im Schlosse einzukehren, obwohl es immerhin peinlich war, einer Dame zum ersten Male bei der Leiche ihres Gatten gegenüber zu treten, einer Dame, der man bisher Feindseligkeiten erwiesen und die auf das Recht einer Verwandten Anspruch machen konnte. Es wollte jedoch Keiner etwas thun, worin die Anderen ihm nicht folgten, die ersten Wagen hielten beim Wirthshause, die anderen abzuwarten: dort trug man ihnen Gerüchte entgegen, welche nicht geeignet waren, eine günstige Stimmung für die Wittwe des Vetters zu erzielen. ›Der arme Herr!‹ so eiferte der Wirth, ›Gott allein weiß, wie er um's Leben gekommen. Die Leute reden Arges. Sie sagen, wenn er heute noch lebte, wäre die Baronin nicht mehr auf dem Schloß.‹

Es widerte mich an«, fuhr Kurt in seiner Aussage fort, »ein Geschwätz anzuhören, das mit sichtlichem Eifer einen schweren Verdacht zu erwecken suchte, ohne bestimmte Thatsachen anzugeben. Daß die Ehe unglücklich gewesen, wußten wir Alle, ebenso war auch Jedem von uns das Renommée des Grafen Hartwig bekannt. Diese Umstände erhielten jedoch dadurch Bedeutung, daß sie, wie es schien, in der Umgegend bekannt geworden, daß sie in Wirthshäusern besprochen wurden und wenn man daraus auch grade keine Schuld herzuleiten brauchte, so drängte sich Jedem doch der Gedanke auf, daß eine vornehm erzogene Dame nichts gethan haben würde, ihr eheliches Verhältniß von Gutsangehörigen durchschauen zu lassen.

Ich habe diese Umstände näher erörtert, um zu erklären, daß zufällig zusammenwirkende Verhältnisse, nicht aber ein vorher besprochener Plan die Begegnung zwischen den Angehörigen des Vetters und der Wittwe dasselbe äußerst frostig machten, und bei jedem Beobachter den Eindruck hervorrufen mußten, als habe man eine Demonstration beabsichtigt. Man ist soweit gegangen, Gerüchte auszusprengen, daß die Familie Stilten am Sarge des Verstorbenen die trauernde Wittwe so behandelt habe, als wäre sie die Mörderin desselben. Ich kann im Namen aller Mitglieder meiner Familie versichern, daß wir es bedauert haben, daß der müßigen Neugier ein solches Schauspiel gegeben wurde. Ich bin hierher gekommen, um meinerseits darzuthun, daß ich an der Intrigue nicht theilgenommen, welche einzelne Verwandte meines Vetters auf Grund der umlaufenden Gerüchte unternahmen, die näheren Umstände seines Todes zu erforschen, andererseits um ein Zeugniß zu Gunsten der unglücklichen Frau abzulegen. Die Neugierde, welche ich gehegt, die schöne Gattin meines Vetters kennen zu lernen, war durch die Bemerkungen des Schankwirths erhöht worden, aber der Art, daß ich mit einem ungünstigen Vorurtheil ihr gegenüber trat. Ich beobachtete sie bei der Einsegnung der Leiche, beim Schließen des Sarges, und jedes Vorurtheil schwand, ich fühlte mich zur Bewunderung hingerissen und von Hochachtung für sie erfüllt. Ihr bleiches Antlitz trug die Spuren schwerer Tage, schlummerloser Nächte. Mit einer ruhigen Würde, die etwas Majestätisches hatte, stand sie der Familie gegenüber, welche sie bei Lebzeiten ihres Gatten verfolgt und die jetzt auch am Sarge ihr weder einen Trostspruch geboten, noch Theilnahme ausgesprochen, sondern dastand, als wolle sie von ihr die Leiche für das Erbbegräbniß fordern, nachdem er ihr im Leben angehört.

Sie hatte keine Thräne, keine Klage. Hätte das leiseste Bewußtsein einer Schuld auf ihr gelastet, sie hätte Thränen gehabt oder geheuchelt. Sie machte auf mich den Eindruck, als ob sie fühle, daß ihr derjenige, den man jetzt hinaustrug, niemals ganz angehört, als ob dies der Schlußact einer Tragödie sei, in der ihr Herz nur bittere Enttäuschungen erfahren. Sie folgte dem Sarge bis an die Thüre des Erbbegräbnisses, trat dort zurück, den stolzen Anverwandten ihres Gatten denselben gewissermaßen zurückzugeben. Ruhigen Schrittes kehrte sie, ohne Jemand eines Blickes zu würdigen, auf einem Seitenwege in's Schloß zurück, den Leuten, die ihr ein Wort der Theilnahme versagt, keinen Gruß des Abschieds spendend.

Ich war tief erschüttert, mir wollte es das Herz sprengen vor Scham und Reue, daß Keiner von uns daran gedacht, wie furchtbar sie leiden mußte unter dieser frostigen Kälte, daß Keiner so ritterlich gewesen, der gebeugten Frau die Achtung und Artigkeit zu erweisen, die man der Wittwe des Vetters als solcher nicht bezeugen mochte. Ich schlich ihr nach. Es drängte mich, ihr zu sagen, was ich fühlte, ich sah, wie ihr Schritt schwankte, wie sie mit der Hand nach dem Kopfe griff, als erfasse sie ein Schwindel, als sei es mit ihrer Kraft zu Ende, aber schon hatte sie eine Seitenpforte des Schlosses erreicht und eintretend schloß sie hinter sich die Thüre. Ich fühlte, daß es unpassend sei, mich ihr jetzt melden zu lassen, da ich vorher nicht gewagt, ihr den Arm zu bieten, wo sie eine Stütze bedurft hätte.

Ich fand es richtig, daß sie nach diesen Vorgängen das ihr zugestandene Erbe annahm, ohne nur eine Anfrage zu machen, ob Jemand von der Verwandtschaft ihres Gatten einen Anspruch erhebe oder einen Wunsch habe. Wenn einzelne Mitglieder unserer Familie es empörend fanden, daß sie uns nicht den Ankauf des Erbgutes, auf dem sich das Erbbegräbniß befand, angeboten, so muß ich ihr Verfahren als das einzig richtige anerkennen. Eine stolze Natur wie die ihre mußte annehmen, daß der Stolz, der ihr mit kaltem, verletzendem Hochmuth entgegengetreten, in einem solchen Anerbieten eine Schwäche gesehen haben würde. War kein versöhnend Wort am Sarge gesprochen, so konnte sie am wenigsten uns jetzt entgegenkommen. Ich bin überzeugt, daß, wenn auf ihrem Gewissen eine Schuld lastete, wenn sie Ursache gehabt hätte, Verfolgungen zu fürchten, daß sie dann jedenfalls die unausgesprochenen aber nahe liegenden Wünsche der Familie befriedigt hätte.

Sie ging ins Ausland. Sie that nichts, die über sie umlaufenden Gerüchte zu widerlegen und behauptete auch hierbei den edlen Stolz, den ich an ihr stets bewundert. Eines Tages kam der Jäger Wildhorst zu mir – es mögen etwa 10 Wochen her sein – und bewarb sich um eine freigewordene Försterstelle. Ich hätte den Menschen abgewiesen, ohne ihn vorzulassen, denn ich hatte genug Uebles von ihm gehört, wenn ich nicht errathen, daß seine Bitte nur als Vorwand gewählt sei, mir ein Anliegen anderer Natur vorzutragen, mir war bekannt, daß er sich rühme, Geheimnisse von der Baronin Julie zu besitzen und daß er schon Versuche gemacht, sich andern meiner Verwandten zu nähern, dann aber, wenn er dort zurückgewiesen, geprahlt, er habe Bestechungsversuchen widerstanden. Wenn sich das Gerücht verbreitet hat, daß meine Familie die Baronin Julie mit übler Nachrede auch nach dem Tode Georgs verfolgt, so glaube ich versichern zu können, daß der Jäger Wildhorst dieselbe absichtlich ausgesprengt, ich halte meine Verwandte dessen nicht für fähig, obwohl sie freilich auch nicht in der Lage waren, zu Gunsten der Baronin Julie gegen diese Gerüchte auftreten zu mögen.

Der Jäger trug mir sein Gesuch vor. Er sagte, daß er wisse, in wie schlechtem Rufe er stehe. Er trage jedoch an seinem Unglück keine Schuld. Er habe meinem Vetter Georg treu gedient, die Gunst, die ihm derselbe stets bezeigt, habe das bewiesen. Beim plötzlichen Tode des Barons habe die Baronin Julie ihm versprochen, für ihn gut zu sorgen, wenn er dem Hause die alte Anhänglichkeit bewahre und über Vorgänge schweige, die nur ihm und den Betheiligten bekannt seien. Im Vertrauen auf dies Versprechen, habe er keinen anderen Dienst gesucht. Die Baronin habe jedoch nicht Wort gehalten und scheine jetzt, wo die Rede gehe, daß sie sich wieder vermählen wolle, einen anderen Ton anzuschlagen.

Sie glaube vielleicht, daß er nicht wagen werde die Erfüllung ihrer Verheißungen zu fordern, daß er so unvorsichtig gewesen sei, sich keine Beweismittel zu verschaffen. Er besitze jedoch ein Document, mit dem er ihre Ehre vernichten könne. Aus Rücksicht für seinen verstorbenen Herrn und dessen Namen werde er von dem Document keinen Gebrauch machen, es sei denn, die Noth zwinge ihn zum Aeußersten. Er gab mir zu verstehen, daß seine Enthüllungen die ganze Familie Stilten compromittiren, der Baronin Julie aber sehr gefährlich werden müßten. Ich stellte mich, als ob ich, um Solches abzuwenden, auf sein Gesuch eingehen könne, aber zuvor seine Angaben prüfen müsse. Da zeigte er mir ein Billet, in welchem Graf Hartwig von der Baronin Julie ein Rendezvous erbeten. Er gab es mir nicht in die Hand, sondern ließ mich nur die Unterschrift sehen. »Das Rendezvous fand statt,« sagte er, »die Baronin wird dabei ertappt und eine Stunde später starb der Baron durch einen Schuß, der sich zufällig aus seinem Gewehr gelöst.« Er betonte das Wort »zufällig« derart, daß man Alles dabei errathen konnte. Ich entgegnete ihm, daß er, wenn er wahr rede, die Gerichtsbeamten der Leichenschau betrogen, daß er sich selber in hohem Grade strafbar gemacht, ich aber Alles, was er sage, für boshafte Verleumdung, den Brief für gefälscht hielte. Ich hieß ihn, mich verlassen und zeigte der Baronin Julie schriftlich den Vorfall an, ihr anheimstellend, Schritte gegen den Träger zu thun.

Es erfolgte keine Antwort, darauf war ich gefaßt. Sie konnte ja nicht ahnen, welche Ehrerbietung sie mir eingeflößt und mußte annehmen, dieses Billet sei in listiger Absicht geschrieben, sie zu bedrohen oder ihr einen kränkenden Vorwurf zu machen, aber es befremdete mich doch, daß sie gegen den Jäger keine Schritte that. Die Nachricht von ihrer Verhaftung erklärte mir Alles. So lange es sich nur um den Argwohn handelte, daß sie den Betrug des Jägers unterstützt, der den Verdacht, Georg habe sich selbst getödtet, niederschlagen wollte, konnte ich mich nicht in die Sache mischen, jetzt aber, wo die Anklage des Mordes gegen sie erhoben ist, muß und darf ich zu ihren Gunsten sprechen. Ich habe sie bei der Leiche ihres Gatten gesehen und der Eindruck, den sie mir gemacht, hat jedes ungünstige Vorurtheil, das ich gegen sie gehegt, erstickt, ich möchte Bürgschaft leisten für ihre Unschuld und bin überzeugt, daß der Jäger Wildhorst durch Fälschungen und erlogene Angaben diesen Verdacht auf sie gelenkt.«

Dieses Zeugniß, von einem Manne freiwillig abgelegt, den die Baronin zu ihren Feinden gezählt, wirkte um somehr auf die Richter, als es auf den ganzen Charakter der Angeklagten, auch da, wo man ihr nach ihren eigenen Angaben den Vorwurf stolzer Unversöhnlichkeit und des Eigennutzes gemacht, ein ganz anderes Licht warf. Fügte man diesen Aussagen Kurt's die Thatsachen hinzu, daß sie bedürftige Mitglieder der Familie Stilten heimlich, ohne sich als Geberin zu nennen, unterstützt, so erschien ihr Charakter in einem Licht, das den Flecken schimpflichen Verdachtes zurückwies. Der Umstand aber, daß der Jäger Wildhorst schon nach dem Tode des Baron's Gerüchte gegen die Baronin ausgesprengt, deren Quelle man der Feindseligkeit der Verwandten Kurt's zugeschrieben, bewies, daß der Jäger nach einem wohlberechneten Plane gehandelt, daß er schon zu der Zeit, wo er vorgab, von der Baronin durch Verheißungen gewonnen zu sein, Vorbereitungen für den Fall getroffen, daß sie ihre Gesinnung ändere. Hieraus ging aber ziemlich klar hervor, daß er nicht viel darauf bauen konnte, daß die Baronin sich vor ihm fürchtete, daß ihre Versprechungen also nicht von ihm erzwungen, sondern dem reuigen Mann angeboten worden waren. Hätte die Baronin eine Schuld auf ihrem Gewissen gefühlt und den Jäger als Mitwisser derselben gekannt, so hätte sie ihn, wenn nicht später, so doch in jenen Tagen, wo die Leichenschau stattfand, fürchten müssen, und es war nicht anzunehmen, daß die Unsicherheit ihrer Versprechungen ihn dann veranlaßt hätte, einen Verdacht gegen sie vorzubereiten. Daß er dies gethan, bewies vielmehr, wie wenig er von ihr erreicht, wie sehr er fürchtete, sie werde bei ruhiger Ueberlegung die Aufrichtigkeit der geheuchelten Reue bezweifeln und er hatte daher sogleich Schritte gethan, einen moralischen Zwang auf sie ausüben zu können.

Die Annahme, daß er eine schwärmerische Neigung zu ihr gehegt, fiel hiermit zusammen und es war anzunehmen, daß er diese erheuchelt, um eine Erklärung dafür zu geben, daß er nach dem Tode des Barons seine sogenannte Treue auf diejenige hatte übergehen lassen, die er bis dahin verleumdet, um sich bei dem Baron einzuschmeicheln.

Wer aber war nun der Mörder? Alle diese Momente zeugten dafür, daß der Tod des Barons dem Jäger sehr ungelegen gekommen sein mußte, daß er also, wenn ein Fremder der Mörder gewesen, diesen in der ersten Wuth nicht geschont hätte. War die Baronin die Mörderin, so ließ es sich erklären, daß in ihm die Klugheit, das eigene Interesse auszubeuten, über den Wunsch, sie dem Gericht zu übergeben, triumphirt, dann war aber schwer erklärlich, was Jemand, der so überlegt handelte, bewogen, einen Verdacht gegen sie zu erwecken. Er konnte ihr nur trauen oder mißtrauen und danach allein handeln. War er jedoch selbst der Mörder, so war Alles erklärt. Dann hatte er durch seine erheuchelte Reue das Vertrauen der Baronin zu gewinnen gesucht und sich selber gegen jeden Verdacht dadurch gesichert, daß er den Argwohn gegen sie erweckte. Es war nicht unmöglich, daß der Baron dem Verleumder, dem Spion Rache gedroht, ihn entlassen gewollt, daß der Jäger ihn getödtet. Alles sprach jetzt hiefür, aber es blieb fraglich, wie er nach der That entkommen, ob die Baronin ihm bei der Flucht Vorschub geleistet und dadurch seine Mitschuldige geworden. War man jetzt aufgeklärt über den Charakter des Jägers und geneigt, ihm das Aergste zuzutrauen, so erschien um so unklarer das Verfahren der Baronin. In ihr hätte doch der Argwohn erwacht sein müssen, daß der Jäger der Mörder sein könne, aber noch ihre letzte Aussage hatte zu Gunsten Wildhorst's gesprochen. Leugnete man ihre Schuld, so erschien ihre Schonung für diesen Menschen unbegreiflich und höchstens dadurch zu erklären, daß ihr Gefühl sich sträubte, einen Argwohn gegen Jemand zu hegen, der ihr Böses zugefügt, damit es nicht aussähe, als wolle sie sich rächen. Altrock war es, der gegen Krämer und Kurt von Stilten diese Vermuthung aussprach.

Krämer zuckte die Achseln, aber Kurt ergriff die Hand des Präsidenten und drückte sie mit Wärme: »Es ist nicht leicht, eine edle Natur ganz zu verstehen«, sagte er, »Sie vernichten den Schatten eines Zweifels, der noch auf meinem Herzen lag – Sie haben Recht, man muß von ihr das Erhabenste glauben.«



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