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V.

Als Paul Bentheim in die Nähe des Hauses der Baronin kam, fiel es ihm auf, daß die Leute, sobald sie ihn erkannten, sich etwas zuflüsterten und ihm nachschauten. Es war nicht zu verkennen, daß Wolf Recht gehabt; die Klatschsucht trug sich bereits mit Gerüchten und der milde Winterabend, der das Stehen vor den Thüren gestattete, erleichterte dies ungemein.

Vor den Thüren der Baronin stand ein Haufen Neugieriger. Das Gespräch verstummte, als der Staatsanwalt nahte. Ein Diener der Baronin beeilte sich, Bentheim zu melden, sein Erröthen bewies, daß er fürchtete, auf einer Klatscherei ertappt zu sein.

Bentheim erinnerte sich erst jetzt daran, daß der Abschied, den er von der Baronin genommen, ihm kaum diesen Besuch gestattete, daß er auf eine Abweisung gefaßt sein müsse. Was sollte er dann sagen, sein Gesuch dringender zu wiederholen, ohne der Dienerschaft neuen Stoff zu Vermuthungen zu geben? Doch er kam nicht in diese Verlegenheit. Der Diener öffnete die Thür und bat ihn, einzutreten. Das Herz pochte ihm fieberhaft. Was sollte die nächste Stunde bringen?

Er trat in das Vorzimmer und von hier ins Boudoir. Eine Lampe auf dem Sophatisch warf einen, durch den Lichtschimmer rosa gefärbten Schein auf eine ruhende Gestalt, die sich auch beim Eintritt Bentheim's nicht erhob. War es die berechnete Koketterie der Sirene, ihn also zu empfangen, als könne sie nichts aus ihren Träumen stören? Wollüstig hingestreckt lag der schöne Körper in den weichen Kissen, und das Gesicht war abgewandt, wie um den Besucher zu necken.

Hatte sie also den Diener abgefertigt, sollte der Diener sehen, wie sie den späten Besuch empfing? Die Sinne glühten dem jungen Manne bei diesem Anblick: durch das Herz zog aber dennoch der eisige Hauch der Verachtung. Er fragte sich, ob es nicht gerathener sei, umzukehren und sich zu stellen, als respectire er den Schlummer, den sie heuchelte. Da ertönte ihre Stimme.

»Treten Sie näher, Herr Bentheim!« sagte sie. »Ist die Thüre geschlossen? Sind wir allein?«

»Wir sind allein, gnädige Frau,« versetzte er befremdet. Da wandte sie sich um und zeigte ihm ein Antlitz, verstört, bleich, die Augen rothgeweint und noch thränenfeucht.

»Verzeihen Sie, aber ich bin zu matt, mich zu erheben. Ich errathe, was Sie herführt, die zudringliche Dreistigkeit meiner Dienstboten hat dafür gesorgt, daß mir kein Zweifel bleibt.«

»Gnädige Frau, ich verstehe Sie nicht –«

»Machen Sie keine Umstände, Herr Bentheim, es ist nicht der Mühe werth. Ich bin auf Alles gefaßt. Nur diesen elenden Söldlingen mochte ich nicht zeigen, daß ich geweint. Es bedarf keiner Schonung, ich weiß, es ist ein Verhör, was mir bevorsteht, Sie kommen in Ihrem Beruf. Quälen Sie mich nicht mit Rücksichten, die keinen Werth für mich haben.«

»Gnädige Frau, Sie irren sich. Mein Amt ist, anzuklagen, nicht zu verhören, und wenn ich hier bin, so stehe ich vor Ihnen nur als Freund, als Rathgeber, der es wagt, trotz des Verbotes, sich Ihnen wieder zu zeigen.«

Sie schaute ihn mit ihren großen Augen an und es war als ob Rührung, Liebe, Bewunderung, Hoffnung darin kämpften mit dem ersten Ausdruck des Zweifels.

»Ist das wahr?« fragte sie mit bebender Stimme, »wären Sie ein echter, wahrer Freund?«

»Gnädige Frau, was ist geschehen? Was hat Sie jeden Haltes beraubt – ich verstehe Sie nicht.«

»Sie spotten meiner oder ich bin irre. Sind Sie denn nicht der Staats-Anwalt?«

»Ich bin es, und begreife nicht, was Sie in diese Aufregung versetzt hat.«

»Dann begreife ich es noch weniger. Als Sie mich heute verlassen, kündigte meine Zofe mir den Dienst. Ich befragte sie nach der Ursache dieses plötzlichen Entschlusses, sie schaute mich frech an und erwiderte, sie wisse, wer bei mir gewesen. Empört befahl ich ihr, auf der Stelle das Haus zu verlassen. Mit frechem, höhnischem Lachen verließ sie das Zimmer. Ich gab einem Diener Befehl, mir eine andere Zofe zu verschaffen, die mich auf der Reise begleiten wollte. Er sah mich seltsam fragend an; ich forschte, was ihn zu dieser Neugier bewege. Da sagte er zögernd, in der Stadt gehe das Gerücht, es sei eine Anklage gegen mich erhoben und er rathe mir, die Abreise nicht zu versuchen. Ich verbarg unter einem Lächeln die Empörung, der Mann schien es doch gut zu meinen. Ich konnte mich nicht dazu überwinden, weiter zu forschen, obwohl brennende Ungeduld mich verzehrte. Ich wollte an Sie schreiben, Ihre Hilfe, Ihren Rath erbitten, aber auch dazu konnte ich mich nicht entschließen. Was ich ausgestanden in den wenig Stunden, ist nicht zu beschreiben. Unter meinem Fenster versammeln sich Neugierige, meine Diener flüstern geheimnißvoll, es ist, als ob ein Ungewitter dem Hause drohe. Sie kommen, das ist ein Trost. Und wenn Sie das Bitterste mir zu verkünden haben, es ist besser als diese quälende Ungewißheit. Ich beschwöre Sie daher, sagen Sie mir, was gegen mich im Werke ist.«

»Gnädige Frau, ich kam, darüber als Freund mit Ihnen zu sprechen, aber es ist mir unerklärlich, wie ein Gerücht Thatsachen zuvorkommen kann, die noch nicht existiren und vielleicht niemals eintreten werden. Sie sagten mir gestern, Sie wollten mir Ihr Vertrauen schenken. Ich erinnere Sie an dies Wort. – Wollen Sie mir einige Fragen beantworten?«

»Dem Freunde oder dem Staatsanwalt?«

»Ich kann nicht verhindern, daß der Eine den Andern hört, aber ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß der Freund allein hierher gekommen. Der Staatsanwalt durfte es nicht.«

»So fragen Sie. Wenn ich es vermag, werde ich antworten.«

»Gnädige Frau, ist gestern, ehe Sie zum Balle fuhren, Besuch bei Ihnen gewesen? Hat Jemand Sie zu sprechen verlangt?«

»Dem Freunde kann und will ich hierauf keine Antwort geben,« erwiderte sie, während ihre Wangen Leichenblässe angenommen.

»Gnädige Frau, dann muß ich offen reden. – Dem Staatsanwalt ist eine Anzeige gekommen, die ein Verhör nöthig macht, aber der Freund hat sich für Sie bei ihm verbürgt. Es gilt, Ihre Ehre vor einem Verdacht zu bewahren, der immer etwas hängen bleiben läßt. Ich beschwöre Sie, haben Sie Vertrauen zu mir.«

»Ich habe Vertrauen zu Ihnen, ich achte Sie hoch und darum antworte ich Nein! Der Freund muß vertrauen und darf nicht fragen, das ist Sache des Inquisitors. Es steht böse mit mir. Wer mir nicht glauben will, der wird mich verurtheilen müssen, denn ich habe keine Beweise gegen meine Feinde. Ich hätte im Auslande bleiben sollen. Mich kann nichts retten, als die Flucht. Ich weiß nicht, was man mir Alles andichten will, aber ich weiß, daß der geringste Flecken an meiner Ehre so schlimm ist, als der größte, und daß ich mir lieber den Tod gebe, als unter der Schande einer schmählichen Anklage erröthe. Gott wird mir die Sünde verzeihen. Ich habe zu viel gelitten, um es noch länger zu tragen, um noch mehr aushalten zu können.«

»Gnädige Frau, sollten Sie nicht deshalb so schwer gelitten haben, weil Ihre Seele in sich Alles verschloß, was sie trug, weil sie zu stolz gewesen, ihre Noth einem theilnehmenden Herzen zu klagen? Der tröstende Zuspruch Anderer erleichtert das Herz, während der einsam nagende Kummer dasselbe zerfrißt.«

»Ich hatte Keinen, der mir nahe stand,« antwortete sie im düstern Tone bitterster Stimmung, »aber wenn das auch der Fall gewesen wäre, so giebt es Dinge, die man Niemand mittheilen kann und darf, weil Niemand sie verstehen würde, und ein Zweifel tiefere Wunden schlägt, als hundert Trostworte heilen können.«

»Gnädige Frau, nach diesen Worten klingt es, als ob Sie noch nie geliebt, als ob Sie niemals werden lieben können.«

Sie schaute ihn an, als erwarte sie eine Erklärung dieser Worte, um in denselben keine Beleidigung sehen zu müssen.

»Sie sind zwar verheirathet gewesen,« fuhr Bentheim fort, »aber das ist kein Beweis gegen meine Behauptung; wie ich die wahre Liebe verstehe, gehört dazu ein Herz, welches das Bedürfniß fühlt, sich mitzutheilen, und das nicht daran glaubt, sein Vertrauen könne getäuscht werden. Gnädige Frau, es mag besonders für eine stolze Natur sehr bitter und empfindlich sein, sich im Vertrauen getäuscht zu sehen, aber selbst der empörendste Betrug verletzt das Herz nur momentan und läßt ihm noch den Trost, daß es nur ein Unwürdiger gewesen, in dem es sich geirrt. Wie tief aber die Wunde auch sei, sie ist minder gefährlich, als jene das Herz austrocknende Krankheit, welche die Furcht, getäuscht werden zu können, erzeugt und zum Menschenhaß steigert. Wer kein Herz hat, das einmal betrogen werden kann, ist unglücklich und einsam von vornherein, dem ist nicht zu helfen.«

Sie schaute zu Boden und das Wogen ihrer Brust verrieth die Bewegung ihres Innern, aber leise, scheinbar ohne jede tiefere Bedeutung, erwiderte sie, daß er der Letzte sein sollte, ihr diesen Vorwurf zu machen, da sie ihm vertrauensvoll entgegen gekommen, ohne ihn näher gekannt zu haben.

»Das thaten Sie,« erwiderte Bentheim, »weil Ihnen in Folge der kleinstädtischen Verhältnisse hier nur die Wahl blieb, ohne Prüfung zu verdammen oder ohne Prüfung zu vertrauen und Sie zogen das Letztere vor, eine Erklärung zu erhalten. Es war eine Laune, eine momentane Stimmung, der Sie folgten, denn sonst würden Sie jetzt, wo Sie eines Rathgebers bedürfen, nicht verzweifeln. Sie möchten vertrauen, aber Sie können es nicht; Ihr Stolz sträubt sich, etwas einzugestehen, was einen Dritten auf die Vermuthung bringen könnte, Sie wären keine Göttin, sondern auch mit menschlichen Schwächen behaftet.«

Das Blut stieg ihr ins Antlitz, aber die Bitterkeit, mit der diese Worte gesprochen wurden, dämpfte den Hohn und gab ihnen mehr etwas Schmerzliches, so daß die Baronin fühlte, der Zorn sei hier nicht am Platze. Und doch, gestand sie nicht ein, daß er die Wahrheit gesprochen, wenn sie diesen Vorwurf schweigend hinnahm?

»Herr Bentheim,« entgegnete sie, »ich bin in einer Lage, in der ich Vieles hören muß, was man mir sonst zu sagen nicht gewagt hätte.«

»Ich hätte es gewagt, auf die Gefahr Ihres Zornes, wie ich es jetzt wage, auf die Gefahr hin, von Ihnen für unedel gehalten zu werden. Gnädige Frau, wenn eine Dame in Gefahr ist, zu ertrinken, so ist es keine Rohheit, sie an den Haaren aus dem Wasser zu ziehen. Sie sagen, Sie wollten lieber den Tod suchen, als dem Gericht Rede stehen und angesichts dieser Eventualität sträuben Sie sich, einem Manne zu vertrauen, der helfen will, der sich sehnt, Ihnen Freundschaft und Ergebenheit zu beweisen. Das ist ein Frevel gegen Sie selber, gegen mich. Anstatt mir zu gestatten, für Ihre Ehre einzutreten, wollen Sie sich den stolzen Triumph bereiten, Hilfe in der Noth verschmäht zu haben, wollen mich in die Lage bringen, eine Anklage gegen diejenige erheben zu müssen, deren Herz ich vergebens zu beleben versucht, wollen mich Ihren Mörder nennen, mir das qualvolle Gefühl verschaffen, daß ich in meiner Amtspflicht eine Unschuldige verfolgt, die zu stolz gewesen, sich zu vertheidigen. Ich frage Sie selbst, ob das edel gedacht ist!«

Julie wandte sich ab, es war sichtbar, daß sie einen schweren Kampf mit sich selber durchzufechten hatte.

»Herr Bentheim,« erwiderte sie endlich, ohne das Auge, dem Thränen entströmten, aufzuschlagen, »Sie würden nicht zu solchen Mitteln greifen, wenn Sie wüßten, wie furchtbar Sie mich martern. Was Sie fordern, kann ich Ihnen nicht bewilligen, ich vermag es nicht. Aber ich will Ihnen ein anderes Geständniß machen, damit Sie mich nicht falsch, nicht hart beurtheilen. Als mein Mann noch lebte und ich keine Wolke am Horizonte meiner Zukunft sah, sprach der Graf Hartwig öfter von einem Freunde, welcher der einzige Mann gewesen, der ihm imponirt. Er nannte Ihren Namen als den seines Freundes und gestand mir, daß Sie ihm niemals die achtungsvolle Bewunderung, die er Ihnen gezollt, erwidert hätten. Es machte auf mich einen eigenen Eindruck, den leichtfertigen, frivolen Roué, den blasirten, jungen Mann, der mit Sittenverderbniß kokettirte, alles Heilige lästerte, mit seinem Spott jede Tugend höhnte, von einem Universitätsfreunde erzählen zu hören, der für ihn das unbegreifliche Ideal eines Tugendhelden sei. Ich ward neugierig, den Mann kennen zu lernen, der diesem Menschen Achtung eingeflößt und Hartwig erzählte mir hundert kleine Züge von Ihnen, deren Schilderung ihn wieder charakterisirte, denn indem er zu beweisen suchte, wie eine reine, tugendhafte Natur doch ein entsetzlich langweiliges, eintöniges Dasein führe und die besten Freuden der Welt verscherze, merkte man ihm an, daß ihn der Neid erfüllte, daß er trotz des äußeren Scheines einen noch guten Kern besaß, den die Unzufriedenheit mit sich selber zerfraß. Als ich hierher kam, hatte ich Schweres erlebt, da hatte die dunkle Seite meines Lebens ihre Schatten über mich gesenkt und ich suchte mich zu zerstreuen, suchte zu vergessen. Ich hörte Ihren Namen und die Neugierde, Sie kennen zu lernen, erwachte in mir doppelt lebhaft, ich fand eine Befriedigung in dem Gedanken, den Freund Hartwigs zu durchschauen, zu entlarven, meiner Ansicht nach konnte es nur ein vollendeter Heuchler sein, der dem Grafen Hartwig als Tugendheld imponirt hatte.

Ich bemerkte, daß meine persönliche Erscheinung Ihr Interesse erweckte, und in der Bitterkeit meiner Stimmung wäre es mir willkommen gewesen, durch verletzende Gleichgültigkeit gegen den Freund Hartwig's mich für bittere Enttäuschungen zu rächen. Es war mir jedoch nicht möglich, das Ziel zu erreichen. Ich gewann die Ueberzeugung, daß Sie eine edle Natur, ich schämte mich der Art, wie ich Ihnen entgegengetreten, und als Sie mir gestern sagten, daß Hartwig von Ihnen niemals Freund genannt worden, schwand der letzte Zweifel über Ihren Charakter, und nur eines blieb mir unerklärlich – ich begriff nicht, wie man in der Stadt dazu gekommen, Sie meinen begünstigten Bewerber zu nennen! Ich verstand dies erst in dem Moment, wo ich einsah, daß mich mein Bemühen, von Ihnen Nachtheiliges zu hören, verrathen und wo ich mit Beschämung erkannte, daß ich mich getäuscht, wenn ich angenommen, Sie seien der Vertraute Hartwig's und die Kenntniß meiner Beziehungen zu diesem lasse Sie meine erheuchelte Kälte verspotten. Herr Bentheim, in wenig Stunden habe ich Sie völlig kennen gelernt und das freundschaftliche, theilnehmende Interesse, das Sie mir schenken, erfüllt mich mit Schaam, Rührung, Trauer. Sie sagten vorhin, ein Herz sei der Liebe nur fähig, wenn es vertrauen könne. Sie haben Recht, aber die Schaam erstickt das Vertrauen, wo das Gefühl waltet, daß man selber der Liebe unwerth geworden!

Jetzt wissen Sie Alles, was ich Ihnen gestehen kann. Ich will nicht, daß Sie Ihr Herz mir entgegen tragen, ich will nicht, daß Sie mir ein Opfer bringen, ich will mich nicht mit einer Dankbarkeit belasten, die mich erdrücken würde. Geben Sie mich auf und muthen Sie mir nicht die Qual zu, Ihnen aufzudecken, was mich vor Schaam erröthen macht. Ich kann nicht eine Frage beantworten, ohne den Schleier von Erinnerungen zu ziehen, die mir furchtbar sind. Mag über mich kommen, was das Schicksal mir beschieden, erschweren Sie mir die furchtbare Last nicht noch mehr. Ueberlassen Sie mich meinem Schicksal und gehen Sie mit dem Bewußtsein, einer Unglücklichen das Herz erfüllt zu haben mit unendlich süßen, wenn auch tief traurigen Gefühlen.«

Paul hatte die Hand Juliens ergriffen und preßte sie krampfhaft. Ein unendliches Weh hatte ihn ergriffen und ein Sturm von Gefühlen tobte durch seine Brust. Sie liebt Dich! jauchzte es durch das Herz, als wolle es die Seele berauschen, aber mit bleierner Schwere zog es die Flügel nieder: – sie selber bekennt sich schuldig, sie will büßen, was sie verbrochen!

Sie selbst bekennt sich schuldig. Was sie begangen, liegt im Dunkel noch begraben, aber wäre es auch das Schwerste, welches Herz könnte verdammen, ohne von Mitleid erschüttert zu sein! Was sie gethan, hat sie schwer gebüßt, und lastet auf ihr eine Schuld, wer weiß, welche Verzweiflung sie dazu getrieben, welche Dämonen man aufgerufen, ihre Seele zum Wahnsinn zu hetzen!

Paul drückte die Hand, die sie ihm nicht entzog und flammend in einem glücklichen Entschluß, der ihm Herz und Seele durchloderte, ließ er sich auf die Kniee vor ihr nieder.

»Ich verlasse Dich nicht!« rief er. »Du bist mein durch diese Stunde. Wie Du bist, so liebe ich Dich, mit diesen Thränen bist Du mir theuer, und lastete auf Dir eine Todsünde, ich nehme die Hälfte des Fluches auf mich und helfe Dir tragen und bete mit Dir, daß sich der Himmel erbarme. Ich schwöre es Dir, daß ich nicht von Dir weiche, bis Du mir gelobst, die Meine zu sein. Ich lege mein Amt nieder, ich werde Dein Vertheidiger. Sage Ja und wir gehören einander für ewig, in Lust und Leid, in Trübsal und in Freude.«

Sie schlang den Arm um seine Nacken und ihre Thränen fielen auf seine Wange nieder, sie preßte sein Antlitz an ihre wogende Brust.

»Geliebter,« hauchte sie mit von Thränen erstickter Stimme, »ich fühle es jetzt, was Liebe ist, denn ich jauchze im Entsagen. Ich werfe dieses Opfer in die Wagschaale meiner Schuld und der Himmel wird mir verzeihen. Du machst mich so reich, daß ich Alles loskaufen kann, was mir auf der Seele lastet und doch noch Seligkeiten behalte. Dein Leben soll sich frei ringen von dem meinen und auf den Dankessegnungen einer unbeschreiblich Glücklichen sich wiegen. Scheiden wir von einander, Paul, es ist nicht gut, die Seligkeit der Stunde bis auf die Hefe zu leeren. Wir müssen scheiden, die Herzen haben genug daran zu zehren für immer.«

»Ich scheide nicht, bis Du gelobt, die Meine zu sein, zu erdulden, was auch kommen mag, zu leben für mich um meinetwillen, damit ich nicht verzweifle.«

»Ich bin die Deine vor Gott und will Dir gehorchen und das Härteste tragen, wenn Du nicht forderst, was mich vor Dir erröthen macht. Du wirst thun, was Deines Amtes ist, als wäre ich Dir eine Fremde. Alsdann geschehe Gottes Wille.«

»Julie, ich sollte als Ankläger Dir gegenüber stehen?«

»Warum nicht? Dein Blick wird mich trösten, erheben. Du bist der Vertreter des Gesetzes und was von Dir als recht erkannt wird, das sendet mir Gott. Vor einem Anderen würde mich die Schaam zu Boden werfen, von Dir weiß ich, daß Du mein Herz doch nicht verachtest.«

»Julie – sind meine Sinne irre? Du forderst, daß ich die Anklage erhebe gegen Dich, Du glaubst, daß ich das vermag?«

»Du wirst es vermögen, wenn Du willst, wenn Du Dir sagst, daß ich auf ein Wunder Gottes baue, seit mir das Glück Deiner Liebe geworden.«

Der Glockenschlag der Uhr erinnerte Beide daran, daß das téte à téte schon zu lange in die Nacht gedauert, um nicht Anlaß zu neuen Verdächtigungen zu geben.

»Eilf Uhr!« rief Bentheim erschrocken und sprang auf. »Morgen sehe ich Dich wieder. Dann wirst Du erwogen haben, daß Du Unmögliches forderst. Prüfe wohl und denke, daß es für die Sehnsucht der Liebe kein Opfer giebt, damit ihr Glück zu erkaufen, das sie nicht freudig darbrächte und daß man sich nur vor Einem hüten muß – das ist die Gefahr, sich selber untreu zu werden im Sturme der Leidenschaft. Die Carrière wechseln ist ein Kleines, der Welt Trotz bieten mit glücklichem Herzen ist leicht, aber gefährlich ist's, sich selber in Versuchung führen, und das thäte ich, wenn ich im Amte bliebe. Gute Nacht, Julie.«

»Gute Nacht, Paul. Du wirst morgen anders denken, wenn Du Dir sagst, daß Du mein Leben rettest, wenn Du meine Bitte erfüllst und daß ich lieber sterben wollte, als Dein Gewissen belastet sehen.«

Er preßte ihr einen Kuß auf die Stirne und verließ das Gemach wie ein Träumender. Hatte sie nicht ihre Schuld bekannt, ahnte sie nicht, was die Anklage ihr vorzuwerfen vermochte?

Es war die Sprache der Unschuld, die er gehört, Julie baute auf ein Wunder Gottes zu ihrer Rettung. Wer löste ihm diesen Widerspruch, dieses Räthsel?!



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