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XVIII.

Ehe wir Wolff weiter folgen, kehren wir nach B. zurück und suchen dort die Personen unserer Erzählung wieder auf.

Paul Bentheim war so überzeugt von der Unschuld und Reinheit der Baronin, daß er mit Zuversicht darauf rechnete, die Nachforschungen Wolff's würden auch dazu dienen, alle über die Baronin umgehenden Gerüchte im Hannover'schen Lügen zu strafen und ihn in Stand setzen, die Verwandten Stiltens zu zwingen, ihr eine öffentliche Genugthuung zu geben.

Der Präsident Altrock besuchte ihn, kurz nachdem er Wolff gesprochen. Er war überrascht, Bentheim so heiter und zuversichtlich zu finden und hielt es für Freundespflicht, ihn darauf vorzubereiten, daß ihm doch eine Enttäuschung bevorstehen könne.

Bentheim ließ ihn nicht aussprechen. »Herr Präsident«, sagte er, »verzeihen Sie, daß ich Sie unterbreche. Ich errathe, was Sie in freundschaftlicher Absicht mir sagen wollen, aber hier darf es nicht ausgesprochen werden. In amtlicher Beziehung werden Sie mir keinen Vorwurf machen können, ich bin darauf gefaßt, das Härteste zu erleben. Aber allen Vorstellungen meiner Freunde und Gönner bin ich dadurch zuvorgekommen, daß ich meine Verlobung veröffentlicht habe. Ich würde dies nicht gethan haben, wenn ich gestatten dürfte, daß im Privatgespräch Jemand einen Zweifel an meiner Braut äußert. Es giebt ein Gefühl, das mächtiger zeugt, als alle Beweise, die der Verstand finden kann und wenn ich heute als Jurist genöthigt wäre, die Baronin Stilten für schuldig zu erkennen, würde ich als Mensch doch an ihre Unschuld glauben. Dies Gefühl ist mir klar geworden, als ich ihr meine Hand geboten, ich bin mit mir darüber einig, was ich zu thun habe, wenn die Pflicht mir gebietet, die Anklage gegen sie zu erheben. Gestern widersprach ich Ihnen noch, da hegte ich Zweifel, aber ich habe seitdem in ihr Herz geschaut und ich will vertrauen, will nicht irre werden an ihr.«

»Wenn Sie sich recht geprüft haben, so ist das der einzig richtige Entschluß den Sie fassen konnten«, versetzte der Präsident, »Sie können nicht lieben, ohne zu vertrauen. Gebe Gott, daß Ihre Hoffnung sich bewähre.«

»Ich baue auf jene wunderbare Hilfe, die immer der Unschuld den Sieg verleiht, wenn sie auch oft damit zögert. Ich erinnere Sie an tausend Fälle, in denen Gerichte nach voller Ueberzeugung, auf scheinbar unumstößliche Beweise hin, das Urtheil über Unschuldige gesprochen. Hier muß Aehnliches geschehen. Die Baronin ist zu stolz, sich zu rechtfertigen, da sie dessen bewußt ist, ihre Feinde nicht widerlegen zu können. Sie sagte mir selbst, nur die Flucht könne sie retten. Sie dachte daran, sich lieber den Tod zu geben als die Schande einer Anklage zu ertragen. Ich erklärte ihr, daß ich ihrem Wort vertrauen werde trotz aller Beweise, daß ich sie lieben würde, komme, was da wolle und das hat sie getröstet, das wird ihr den Muth geben, auszuharren. Ich glaube an sie wie an mich selber und freudig sage ich, ihre Ehre ist fortan die meine, was sie zu tragen hat, lastet auch auf mir.«

Der Präsident drückte die Hand des jungen Freundes, eine solche Zuversicht hatte etwas Beruhigendes für die sorgende Theilnahme. Wo er hinkam, sprach er sich in dieser Weise aus.

Es war naturgemäß, daß man sich überall über die Angelegenheit unterhielt, die ungeheures Aufsehen gemacht. Für und wider stritten die Parteien, je nachdem man die schöne Frau beneidet oder gefeiert. Die Partei »wider« war größer als die ihrer Vertheidiger und zwar schon deshalb, weil die Verlobung der Baronin einerseits manche Hoffnungen enttäuscht, andrerseits man sich sagte, sie habe sehr klug gehandelt, den Staatsanwalt zu fesseln und so rasch ihr Jawort zu geben.

Im Allgemeinen hatte die Baronin durch Erscheinung und Auftreten mehr geblendet und interessirt als daß sie sich wärmeres Interesse gewonnen. Wer sie in Schutz nahm, sagte nicht, daß er ihrem Charakter keine verbrecherische Handlung zutraue, sondern er sträubte sich nur, die Dame von Stand anzuklagen, die sich in den ersten Kreisen bewegt hatte. Man besorgte, daß wieder auf die vornehme Gesellschaft die Schande eines Scandals falle, besondere persönliche Achtung hatte sie sich nicht erworben. Man erinnerte sich ihrer bizarren Launen, ihrer Koketterie und war darüber einig, daß sie wenig Herz besitze und sich sehr hochmüthig auf den angeheiratheten Adel gezeigt. Das war das Urtheil, welches auch Bentheim über sie gefällt, als ihn ihre Schönheit zuerst gefesselt. Jetzt hatte er sie besser kennen gelernt, aber nur er allein. Er glaubte zu verstehen, daß nur die Bitterkeit ihrer Erfahrungen sie stolz und kalt gemacht, öffnete sie ihm doch jetzt ihr ganzes Herz. Zu ihren Füßen bat er um Vergebung, daß er eigenmächtig gehandelt und die Verlobung veröffentlicht.

»Es ist geschehen,« sagte sie, »ich dulde es; ich hätte aber nie meine Zustimmung gegeben, wenn Du mich gefragt. Jetzt erkenne ich Deine Liebe aus dieser That. Mit Gewalt zwingst Du mein zitterndes, scheues Herz, seine Ranken um Dich zu schlagen und jetzt soll kein Geheimniß mehr zwischen uns sein.«

Sie erzählte ihm ihre Geschichte, während er zu ihren Füßen ruhte und hinaufschaute in ihr Auge. »Ich war eine Waise,« begann sie, »als Stilten mir zum ersten Male begegnete. Viele hatten mir schon den Hof gemacht, darunter auch der Graf Hartwig. Während die Huldigungen Anderer mich eitel gemacht, fühlte ich vor diesem eine Scheu, wie vor einer giftigen Schlange. Er war damals Student, aber unerhört keck, unverschämt zudringlich, eingebildet und ich fürchtete, er werde mich compromittiren. Auf meinen Wunsch verbot ihm meine Tante ihr Haus. Ich hatte schon damals eine Ahnung, daß mir ein Unglück von ihm kommen werde. Als ich Stilten kennen lernte, war ich in den Jahren, wo ein Mädchen seine Träume verwirklichen will. Ich sehnte mich danach, eine Frau zu werden. Die Huldigungen vieler Verehrer hatten mich eitel und wählerisch gemacht. Ich war arm und hatte nicht zu befürchten, daß mich Jemand aus Speculation heirathen werde, aber ich hatte viele Romane gelesen und zitterte davor, einen Mann zu bekommen, der aus Eitelkeit eine gefeierte Schönheit wählt, den nur das Aeußere geblendet, dem die Gattin bald alltäglich wird. Ich träumte vom Glück der Liebe, ich wollte schwärmen und den Geliebten begeistert sehen, ich lebte in Illusionen von idealer, poetischer Liebe. Stilten erschien mir anfänglich zu nüchtern, zu pedantisch. Aber er war sehr reich, hatte stolze Verwandte und ich sagte mir, es wäre ein Beweis inniger Zuneigung, wenn er ein armes, bürgerliches Mädchen wählte, auf die Gefahr hin, sich mit seinen Verwandten zu entzweien. Genug, ich gab ihm das Jawort. Unsere Ehe ward geschlossen, trotz aller Gehässigkeiten, mit denen seine Verwandten mich schon als Braut verfolgten. Ich war stolz auf den Mann, der, meiner innern Ueberzeugung nach, mich mehr liebte als die ganze Welt und ritterlich für seine Geliebte in die Schranken getreten. Aber bald bemerkte ich, daß ich mich getäuscht. Er forderte von mir, zuerst mit Bitten und Vorstellungen, dann gereizter und befehlend, daß ich eine Versöhnung mit seinen Verwandten anbahnen, ihnen mit ihm meinen Besuch mache. Ich hatte gehofft, er werde sie empfinden lassen, daß sie mich eine Intriguantin gescholten, mich boshaft verleumdet und verspottet, aber er wollte, daß ich mich vor ihnen demüthigte. Ich wies diese Zumuthung stolz zurück. Ich hätte das nicht gethan, wenn er mich nicht dazu aufgefordert, sondern mir nur angedeutet hätte, daß ich ihm damit eine Freude bereiten könne. Er wußte nicht einmal, wie tief sie mich durch Blick und Wort beleidigt, herausgefordert, ich sah jetzt, daß er ihnen gegenüber nur seinen Willen hartnäckig durchgesetzt, ohne sich zu bekümmern ob ich dabei beschimpft worden. Ich lernte seinen Character kennen, er war hartnäckig, berechnend, tyrannisch. Er ließ es nie merken, auf welche Weise er seinen Willen durchzusetzen suchte, aber er ging nicht davon ab, nur scheute er sich, offene Gewalt zu zeigen. Was ihn mir vollends entfremdete, war die Entdeckung, daß er bei den Wahlen und überall, wo er mit Bürgerlichen in Verkehr kam, den Liberalen spielte, mit bürgerlichem Sinn kokettirte, nur um in den Landtag zu kommen. Hinterm Rücken bespöttelte er die Spießbürger. Ich war enttäuscht über ihn und begann ihn zu verachten als einen Heuchler. Ich sah die Kunstgriffe, die er hinter meinem Rücken anwandte, mich zufällig in Berührung mit seinen Verwandten zu bringen, als ich mich entschieden geweigert, mit ihnen zu verkehren, ich erfuhr, daß er kurz nach unserer Hochzeit, grade demjenigen seiner Vetter, der unsere Verbindung am lautesten bespöttelt, einen versöhnlichen Brief geschrieben.

Ich würde«, unterbrach sich Julie, als sie bemerkte, daß ihre Worte nicht den Eindruck auf Bentheim machten, den sie vielleicht erwartet, »ich würde kein Gewicht auf diese Dinge an und für sich gelegt haben, wenn ich nicht aus ihnen fortwährend neue Beweise dafür geschöpft hätte, daß Stilten mich völlig über seinen Charakter getäuscht und daß er dies mit Absicht, mit Bewußtsein gethan. Ich ward mehr und mehr davon überzeugt, daß er unfähig sei, Jemand anders als sich selber zu lieben und in anderen Menschen etwas mehr zu sehen als Figuren, von denen er mehr oder minder Nutzen und Annehmlichkeiten ziehen konnte, je nachdem er mit ihnen manövrirte. Er verbarg es mir nicht, als ich ihm eines Tages bittere Vorstellungen darüber machte, daß er von mir Alles, von seinen Verwandten gar nichts fordere, um ein gutes Verhältniß herzustellen, daß er diese Reibungen und ihre Folgen schon vorhergesehen, als er sich mit mir verlobt. ›Meine Verwandten‹, sagte er, ›hätten mich gerne unter ihre Vormundschaft genommen, in ihre Kreise gezogen und beeinflußt, ich hätte die Sorgen der Familie getragen und die Schulden ihrer Mitglieder bezahlt, wenn ich mich nicht emancipirt hätte. Ich zeigte ihnen, daß ich selbstständig handeln könne, meinen Willen durchsetze, daß ich mich selbst nicht scheue, alle Familienbande zu zerreißen, wenn es gilt, einen Vorsatz durchzuführen, der wohl erwogen ist. Der Spott und Hohn, mit dem meine Verwandte sich gerächt, war gegen Dich gerichtet, sollte aber mich treffen, er hat diese Wirkung verfehlt und jetzt kannst Du allein die Vermittlerin sein. Es ist keine Demüthigung, die ich von Dir fordere, sondern eine Unterstützung meiner Tactik: man muß den geschlagenen Gegner wieder versöhnen, dann erst ist der Sieg vollkommen, dann erst der Zweck des Kampfe erreicht.‹

Dies waren die Grundsätze des Mannes, den ich mir idealisirt, dem ich in meinen Träumen Alles angedichtet, was die Hoffnung ersehnte. Ich erklärte ihm, daß ich mich selber verachten würde, wolle ich die Rolle spielen, die er seiner Gemahlin zumuthe. Dem geliebten Gatten einen Wunsch zu erfüllen, hätte ich jedes Opfer gebracht, den berechnenden Intriganten in seinen Plänen zu unterstützen, wäre ich zu stolz. Habe er seinen Verwandten gezeigt, daß er eine bürgerlich Geborene würdig halte, Baronin von Stilten zu werden, so würde ich denselben jetzt zeigen, daß sie, wenn nicht meine Person, so doch die Erwählte des Baron von Stilten hätte respectiren müssen; der Beleidiger müsse den ersteren Schritt thun, nicht der Beleidigte.

Von diesem Augenblicke an waren Stilten und ich einander entfremdet und die Spannung wuchs, als ich bemerkte, daß Stilten ein weiteres Verfahren einschlug, welches mich empörte. Hätte er Gewalt gebraucht, tyrannisch seine Befehle gegeben, ich würde nicht so erbittert worden sein, als dies der Fall war, sobald ich seine neuen Intriguen durchschaute. Er gab scheinbar nach, schrieb aber in meinem Namen Entschuldigungen und machte in Gegenwart von Fremden Aeußerungen, die andeuteten, ich wäre untröstlich darüber, daß mir seine Familie ihre Kreise nicht geöffnet.

Ich mag die Einzelheiten nicht aufzählen, die mich um so tiefer empörten, als ich sah, daß Stilten mich durch solche Nadelstiche quälen, in meiner Festigkeit erschüttern wollte und dabei eine Miene annahm, als sei er der harmloseste Mensch und der zärtlichste Gatte.

Die Familie meines Mannes kannte ihn und ließ sich nicht täuschen, er blieb für sie ein Geächteter, der seinen Namen durch eine Mißheirath befleckt, man spottete seiner Bemühungen, eine Aussöhnung herbeizuführen und dem Einfluß der Familie gelang es, die stolzen Adelsgeschlechter Hannovers zu veranlassen, uns in den Bann zu thun. Stilten hatte kein Glück bei seiner Wahlcandidatur und der benachbarte Adel behandelte ihn wie einen Fremdling, ihm fehlte der Umgang mit seinen Standesgenossen und von den Bürgerlichen war er längst durchschaut.

Eines Tages erzählte er mir in sehr freudiger Stimmung, daß ein Freund von ihm, der Graf Hartwig, ihm seinen Besuch versprochen. Es war für ihn ein gewisser Triumph, daß der in den höchsten Kreisen vertraute junge Mann den Bann brechen und auf Schloß Stilten einkehren wollte; mir aber sagte eine Vorahnung, welche Motive Hartwig leiteten, im Trotz gegen das ausgesprochene Urtheil seiner Standesgenossen, Stilten die Hand zu reichen. Ich stellte meinem Gatten vor, daß der Ausdruck seiner Freude nur beweise, wie tief ihn die Beleidigung von Seiten der aristocratischen Gutsbesitzer getroffen und daß Graf Hartwig nicht der Mann sei, dessen Handlungsweise mustergiltig und tonangebend für den Adel sein werde. Er hörte mich nicht; ich gestand ihm die Ursache meines persönlichen Widerwillens gegen diesen Gast; er lachte mich aus und schalt mich eine Thörin, daß mich etwas beleidige, was Andere eitel gemacht habe.

Ich tröstete mich mit der Hoffnung, der Graf Hartwig werde die Gattin seines Freundes achten, aber ich erkannte bald, daß meine Ahnungen mich nicht getäuscht, Hartwig hatte erfahren, daß unsere Ehe nicht glücklich sei und gründete darauf verbrecherische Hoffnungen.

Wenn Dir der Graf Hartwig bekannt ist, Paul,« fuhr Julie mit einem Seufzer fort, »so brauche ich Dir nicht zu schildern, was ich von ihm befürchtete. Er ist nicht der Mann, der dem Herzen eines Weibes durch Liebenswürdigkeit gefährlich werden kann, aber seine unglaubliche Frechheit, verbunden mit schamloser Frivolität mußte bei dem intimen Verkehr um so gefährlicher sein, als er wohl wußte, wie leicht es ist, die Verwirrung eines Weibes zu benutzen und dann auf ihre Discretion zu rechnen, weil die Schaam sie abhalten muß, zu gestehen, was der freche Beleidiger gewagt. Bei der ersten Begegnung unter vier Augen, die Hartwig sehr bald herbeizuführen wußte, warf er sich mir zu Füßen, gestand mir, daß er mich anbete, daß er wisse, wie unglücklich ich sei und während ich noch vor Empörung und Schrecken wie betäubt dastand, schloß er mich in seine Arme.

Ich schlug ihm ins Antlitz aber das brachte ihn nicht aus der Fassung. Er setzte mir mit beispielloser Frechheit auseinander, wie es durchaus keine Beleidigung für mich sei, wenn mich Jemand anbete und die Gewalt meiner Reize ihn zu einem Wagniß hinreiße; ich allein könne ihn beherrschen und ihm Schranken setzen, mein Gatte vermöge das nicht. Rufe ich Stiltens Hülfe an, so gäbe es schlimmsten Falles ein Duell, bei dem immer die Ehre des Ehemannes den Kürzeren ziehe. Er versprach mir, sich künftig in den Schranken zu halten, die ich ihm ziehen würde, und verließ mich, als ob nichts geschehen, und als ob er nichts zu befürchten habe.

Ich überlegte lange, was wir die Pflicht zu thun gebiete, ich mochte meinem Gatten kein Duell zuziehen, seine Ehre nicht dem Leumund preisgeben. Aber ich wußte auch, daß Hartwig jede Schonung mit eitler Selbstgefälligkeit zu seinen Gunsten auslegen werde, und entschloß mich, Stilten ein Bekenntniß des Geschehenen abzulegen, dies aber in einer Weise, die es ihm möglich machte, sich damit zu begnügen, daß Hartwig das Schloß verließ.

Mein Gatte war am Abend sehr heiter und aufgeräumt, er neckte mich wie ein verliebter Bewerber und als ich ihn endlich, nach Aufbruch der Tafel, in unserem Schlafgemach unter vier Augen sprechen konnte, lachte er schon bei meinen ersten Worten. ›Ich weiß Alles,‹ sagte er, ›Hartwig hat schon gebeichtet. Er ist verliebt in Dich und ich gebe gern zu, daß meine Frau alle Welt bezaubern muß. Vergieb ihm! Der Frau des besten Freundes kann man schon einen Kuß geben, besonders wenn man so ehrlich ist wie Hartwig.‹

Ich stand da, wie versteinert. Dieser Mann schien nicht zu begreifen, daß die Dreistigkeit Hartwigs keiner Entschuldigung bedurft hätte, wenn in ihr keine Beleidigung gelegen, er kannte den Charakter seines Freundes so wenig, wie er sich bemüht, den meinen kennen zu lernen. Ich sah jetzt, daß ich nichts mehr verbergen dürfe, enthüllte ihm, wie Hartwig mich früher verfolgt, in welchem Rufe er stehe und daß es ein ernstes Gebot für Stilten sei, die Beleidigung zu strafen und meine und seine Ehre gegen künftige, ähnliche Versuche zu vertheidigen.

Stilten hörte mich lächelnd an; je mehr mich seine Stumpfheit empörte, um so weniger schien er meine Vorstellungen zu beachten. ›Liebe Julie,‹ sagte er, ›Du gehst in Deinen Befürchtungen zu weit, Dein Argwohn beleidigt den Grafen, er ist ein Ehrenmann und mein Freund. Ich gehöre nicht zu den eifersüchtigen Narren, die überall Unrath wittern, ich verschließe meine schöne Blume nicht vor den Blicken meiner Freunde und wundere mich nicht, wenn der Duft der mich berauschte auch Andere berauscht. Ich bin stolz darauf daß Du mich dem Grafen vorgezogen, daß ich der glückliche Eroberer war. Nichts giebt bessere Antwort auf den neidischen Spott meiner Verwandten, als die Thatsache, daß Du es verschmäht hast, Gräfin Hartwig zu werden. Beruhige Dich also und lege Dingen kein größeres Gewicht bei, als sie es verdienen. In der vornehmen Welt gelten nicht die engeren Schranken, wie in bürgerlichen Kreisen, denn ein Cavalier vertraut der Ehre des Anderen und an ihr zu zweifeln ist schon eine Beleidigung.‹

Ich hielt es für unnütz,« fuhr Julie fort, »hierauf Entgegnungen zu versuchen. Ich konnte meinem Gatten unmöglich ein Gefühl einflößen, das er nicht besaß und an mir nicht verstand; mein Urtheil über das Betragen Hartwigs galt ihm nichts gegen die eitle Befriedigung, eine Frau zu haben, deren Besitz ihm ein Graf neidete. Ich war durch den Vorfall in seiner Achtung gestiegen, er konnte jetzt seinen Verwandten sagen, daß ich einen Grafen ausgeschlagen. Schon am nächsten Tag hatte Hartwig die Dreistigkeit mir zu erklären, daß mein Gatte mich nicht liebe, auch nicht der Mann sei, ein Weib, wie mich, zu verstehen, zu würdigen und noch weniger, es glücklich zu machen. Ich brach das Gespräch ab und faßte den Entschluß, so lange der Graf auf Stilten sei, an keinem Gespräche theilzunehmen, mich einsylbig, langweilig zu zeigen und ihm dadurch zu erkennen zu geben, wie gleichgiltig er mir sei, meinen Gatten aber zu veranlassen, den Grafen nicht zu längerem Bleiben zu nöthigen. Ich erreichte durch dieses Verfahren jedoch nur das, daß mein Gatte mir zuerst unter vier Augen, dann in Gegenwart Hartwigs die heftigsten Vorwürfe machte, ich wolle ihm nicht nur seinen Verwandten, sondern auch seinen Freunden entfremden.

Hartwig lächelte triumphirend, ich war vor ihm gedemüthigt, mein Gatte zürnte mir, daß ich ihn mit Kälte behandelte, sein Blick schien mir zu sagen, Stilten verdiene, daß ich ihn verrathe und mich in den Armen eines Anderen tröste.

Ich weiß nicht,« sagte Julie mit bebender Stimme, »was geschehen wäre, wenn ein Anderer als Hartwig der Freund meines Gatten gewesen wäre. Ich haßte Stilten bereits aus tiefstem Herzen, ich sehnte mich nach Erlösung von diesen Ketten einer trostlosen Ehe und am liebsten hätte ich sie durch eine Flucht mit Gewalt gebrochen. Aber andererseits war meine Bitterkeit gegen den frechen Verführer so groß, daß ich ihm den Triumph nicht gönnte, meines Herzens Elend zu ahnen.

Und doch konnte ihm meine Stimmung nicht entgehen. Dieselbe erreichte den höchsten Grad, als Stilten Anspielungen achte, welche verriethen, er beargwöhne nicht den Freund, sondern mich. Es wäre zwischen ihm und mir zu keiner Harmonie gekommen, weil ich ein ander Bild im Herzen getragen und vielleicht bereut habe, Hartwig launenhaft behandelt zu haben. ›Es scheint,‹ sagte er mir in's Antlitz, ›Du hast die Rollen verwechselt, um mich zu täuschen. Du liebst ihn und kämpfest gegen dies Gefühl, während er sich in sein Schicksal gefunden. Deine Kälte gegen mich, Deine Scheu vor Hartwig verrathen mir, was in Dir vorgeht.‹

Ich begriff diese schamlose Anklage nicht, bis ich eine andere Entdeckung machte. Mein Gatte ließ mich durch einen seiner Diener beaufsichtigen, einen Menschen, den er sehr bevorzugte und der sein ganzes Vertrauen besaß, der mir unausstehlich geworden durch Geckenhaftigkeit und Arroganz. Dieser Mann, der Jäger Wildhorst, war der Verlobte meiner Kammerzofe, und da ihm alle Thüren des Schlosses offen standen, schlich er sich überall ein und horchte.

Eines Tages war Hartwig in meinem Boudoir und erbot sich, mir die Wolle zu halten, die ich aufwickelte. Ich war schon so weit gekommen, daß ich seine faden Huldigungen völlig überhörte. Er küßte mir die Fingerspitzen, als sie den verwirrten Faden der Wolle zu lösen suchten. Ich bat ihn, das zu unterlassen. ›Ich gehorche,‹ erwiderte er, ›wenn Sie mir heute Abend eine Gartenpromenade versprechen.‹ Ich sagte zu, ich hätte diese ja doch kaum verhindern können, da bemerkte ich zufällig, daß der Jäger Wildhorst in die halb offene Thür getreten war. Mir fiel das weiter nicht auf, er machte sich oft in dem Zimmer zu schaffen. Der Abend kam heran, Stilten hatte in K. Geschäfte. Ich befahl, den Thee in der Veranda zu serviren. Es war ein schöner Abend nach heißem Tage, die Luft erfrischend kühl, Alles einladend zur Promenade. Hartwig forderte mich dazu auf, er unterhielt mich, indem er von seinen Reisen erzählte, wir gingen aus dem Garten in den Park und kamen in die Forst. Da änderte er plötzlich das Thema.

In einem Tone, der aus dem Herzen zu kommen schien, bat er mich um Verzeihung für alles Leid, das er mir bereitet. ›Ich weiß es,‹ sagte er, ›daß ich mit dazu beigetragen habe, Sie Ihrem Gatten zu entfremden. Ich liebte, ich habe nie an Tugend der Frauen geglaubt, ich hoffte, auch bei Ihnen zu triumphiren.‹ Er schüttete mir sein Herz aus, erklärte, wie er nie wahres Glück gekannt, wie ich ihn erst habe ahnen lassen, daß es eine edlere Liebe gäbe, als die, in der er Triumphe gefeiert. Er schien tief bewegt, ich fühlte Theilnahme, Interesse für ihn, und als er erklärte, er werde am anderen Tage das Schloß verlassen, um mich nie wieder zu sehen, da war ich bestürzt. Der Gedanke, dann allein mit Stilten zu leben, den Vorwurf zu ertragen, daß ich ihm den Freund verscheucht, war mir peinlich. Ich sagte ihm das, sagte ihm, daß ich in ihm nur den frivolen Menschen gehaßt, dem nichts heilig sei, daß ich ihn aber auch meinen Freund nennen würde, wenn er in mir die Gattin Stilten's achten und seinen Einfluß auf Jenen benutzen wolle, die gestörte Harmonie wieder herzustellen.

Hartwig traten die Thränen in die Augen, er nannte mich einen Engel, sich einen Verworfenen, der nicht würdig sei der Freundschaft, die ich ihm schenken wolle. Er könne nichts Besseres thun, als sich in die Einsamkeit begeben und ein verlorenes Leben betrauern. Er schien mir zerknirscht, gebrochen. Ich versuchte ihn zu trösten, ich ermunterte ihn, sich selber mehr zuzutrauen, als ich plötzlich, während ich ihm zusprach, daß er seinen Aufenthalt im Schlosse verlängern möge, hinter dem Buschwerk die lauschende Gestalt des Jägers bemerkte, der uns nachgeschlichen sein mußte. Entrüstet rief ich denselben heran und stellte ihn zur Rede. Er antwortete mit Blicken, die mir verriethen, daß er einen mich beleidigenden Verdacht hege und meinen Zorn nicht fürchte. Als ich ihn weggeschickt, erklärte mir Hartwig, Stilten habe sein Benehmen gegen ihn zwar nicht verändert, aber er habe bemerkt, daß mein Gatte sich zwinge, unbefangen und herzlich zu erscheinen. Diese Entdeckung, deren Ursache nur die Eifersucht des Barons sein könne, habe ihn den Abgrund erblicken lassen, an dem er stehe und in den er mich habe ziehen wollen. ›Ich bin überzeugt,‹ schloß er, ›der Jäger ist uns im Auftrage Stilten's gefolgt; aber ehe ich dulde, daß auch nur ein Schatten des Argwohns Sie trifft, bekenne ich offen meine ganze Schuld.‹

Ich entgegnete ihm, daß ich dies nicht wolle. Wenn der Baron Stilten so wenig Vertrauen zu Gattin und Freund habe – was ich jedoch bezweifeln werde, bis ich das Gegentheil erfahren – daß er einen Diener gegen sie in's Vertrauen zöge, so würde jede Rechtfertigung, jede Vertheidigung nur mich und ihn entwürdigen.

Wir gingen zum Schlosse zurück. In Gegenwart Hartwig's erklärte ich Stilten, als er zurückkehrte, sein Jäger sei uns auf der Promenade gefolgt und habe unsere Gespräche belauscht. Ich forderte seine Entlassung. Stilten antwortete ausweichend, war zerstreut und unterhielt sich im Laufe des Abends ausschließlich mit dem Grafen. Ehe wir den Abendtisch aufhoben, trat der Jäger herein und Stilten sprach mit ihm in so auffallend freundlicher und huldvoller Weise, daß ich daraus die Antwort auf meine Beschwerde entnehmen mußte. Ich stand auf und begab mich auf mein Zimmer, wo ich mich einschloß. Ich überlegte, wohin ich mich begeben könnte, ich war entschlossen, mich von meinem Gatten zu trennen, wenn er nicht anderen Tages eine volle Genugthuung gab; ich hoffte, Hartwig werde ihn dazu bewegen, er hatte ja die Ehrenpflicht, die Wahrheit zu bekennen.

Stilten erschien andern Tages nicht beim Frühstück, obwohl ich mich ebenfalls hatte entschuldigen lassen. Hartwig war allein im Salon und benutzte dies, ein kleines Billet an mich in meinen Nähkorb zu stecken. Ich fand dasselbe, als ich mich in den Salon begab, sobald Stilten ausgeritten. Ich erschrak über die Unvorsichtigkeit des Grafen; wenn Jemand anders dieses Billet gefunden, war meine Ehre vernichtet. ›Julie,‹ so lautete dasselbe, Sie boten mir gestern Ihre Freundschaft an, ich werde mich derselben werth zeigen. Umsonst habe ich versucht, Stilten zu sprechen, er weicht mir aus. Er hat Sie beschimpft, ich ahne, was in Ihnen vorgehen muß. Ich beschwöre Sie, fassen Sie keinen Entschluß, ehe Sie mit mir gesprochen. Vertrauen Sie mir, Sie können es, so wahr ich nie mein Ehrenwort gebrochen. Stilten läßt Sie durch Wildhorst beobachten, ich habe Beweise davon – das ist eine Infamie. Heute Nachmittag ist der Jäger mit Aufträgen in K. Gestatten Sie mir, sobald Stilten ausgeht, mit Ihnen zu sprechen? Es wäre gut, wenn dies unbemerkt von der Dienerschaft geschehen könnte, denn ich traue hier Keinem. Es gilt Ihr Wohl, Ihre Ehre. Ich habe die Pflicht, dafür aufzutreten, aber ich muß auch Sorge tragen, daß ein Disput zwischen mir und Ihrem Gatten, wenn er ernste Folgen hat, Ihrem Rufe nicht nachtheilig werden kann. Von Ihrem Schlafzimmer führt eine Treppe nach der Veranda. Ich werde dort heute, sobald Stilten sich nach Tische, wie gewöhnlich, entfernt, Ihrer harren.‹

Ich war so unvorsichtig,« fuhr Julie in ihrer Erzählung fort, »dies Billet zu verbergen, anstatt es zu vernichten. Ich kämpfte mit mir, ob ich dem Rufe folgen solle, aber ich war so sehr von der Umwandlung des Grafen überzeugt, daß ich beschloß, ihm zu vertrauen. Ich hatte keinen anderen Freund, keinen Rathgeber, keinen Beschützer, und was hätte ich auch befürchten sollen?

Ich begab mich in mein Schlafzimmer, schützte Migräne vor, um den Tag über dort zu bleiben. Vergebens hoffte ich, daß mein Gemahl kommen werde, sich zu entschuldigen, oder mich anzuklagen. Es lag nicht in seinem Charakter, offen zu handeln.

Ich hatte mich zu Bett gelegt, damit die Zofe an mein Unwohlsein glaube. Gegen 6 Uhr kleidete ich mich an. Als ich in der Tasche meines Rockes suchte, vermißte ich das Billet. Ich fand es nirgend. Eine Vorahnung kommenden Unglücks beängstigte mich und in Qualen der Angst, des Zornes, der Verzweiflung, war ich entschlossen, Alles zu wagen, dieses unerträgliche Verhältniß zu lösen. Ich ging die Treppe hinab zur Veranda, ich fand den Grafen und bat ihn, nichts Anderes für mich zu thun, als mir Extrapost zu bestellen. Ich wollte das Schloß noch heute verlassen. Sein Billet fehle mir, ich müsse annehmen, daß es mir entwendet sei.

Der Graf beschwor mich, von meinem Vorhaben abzustehen. Er werde Stilten zwingen, ihn anzuhören, er werde ihm ein offenes Bekenntniß ablegen und von ihm fordern, daß er mir Gerechtigkeit werden lasse. Er werde, falls Stilten nicht nachgebe, ihm drohen, daß er als Beschützer meiner Person auftreten werde. Er scheue keine Schande, die auf ihn falle, wenn er damit gut mache, was er an mir verbrochen. Wenn Stilten ihn zum Duell fordere, werde es dies verweigern, bis Stilten mir gerecht geworden.

Ein Geräusch störte abermals unser Gespräch, in dem Augenblick, als Hartwig den Argwohn aussprach, daß der Jäger die Gunst meines Gatten dadurch erschlichen, daß er mich bei ihm verdächtige. Wir fürchteten Beide, abermals belauscht werden zu können. Die Veranda war dicht mit wildem Wein bewachsen, wir konnten nicht gesehen werden, aber auch Niemand sehen, der sich draußen verbarg. Ich mußte Alles befürchten, wenn mein Gatte hörte, daß ich, obwohl ich Tags über krank gewesen, mit Hartwig auf der Veranda gesehen worden, als er sich entfernt. Ich bat Hartwig zu warten, bis er sich unbemerkt entfernen könne, und kehrte in mein Schlafgemach zurück. Um jedes Geräusch zu vermeiden, ließ ich die äußere Thüre unverschlossen, auch die innere riegelte ich nicht ab, denn ich wollte erst später hinabgehen und sie verschließen. Es war keine Stunde vergangen, noch hatte ich auch nicht daran gedacht, die Treppenthüren zu schließen, als mein Gatte ins Zimmer trat. Mit kaltem, beleidigenden Hohne blickte er mich an. Ohne ein Wort zu sprechen, durchsuchte er das Gemach, schaute sogar unter das Bett. ›Er ist also fort!‹ sagte er endlich und griff nach der Thür. Als er diese offen fand, lachte er bitter!

Ich war so empört, daß mir zuerst die Worte gefehlt, ihm meine Verachtung auszudrücken. Jetzt sagte ich ihm, er solle mein Gemach verlassen, so lange ich noch darin verweilen würde; dasselbe sei durch Niemand geschändet worden, als durch ihn.

›Das Gericht wird darüber urtheilen,‹ versetzte er. ›Es wird Sie als Bettlerin zu Ihren bürgerlichen Verwandten zurückweisen, in Kreise, die für Sie passen. Sie haben meinen Namen entehrt und meinen Freund verführt.‹

Ich gab ihm keine Antwort. Ich setzte mich ans Fenster, ihm den Rücken zu wenden, damit er meine Thränen nicht sähe. Ich starrte hinaus in die Nacht – dunkel wie sie war meine Zukunft. Ich erinnere mich nur, daß die Thüre einmal ging, meine Zofe kam. Ich schickte sie fort. Plötzlich erweckte mich ein Schuß aus meinem düstern Hinbrüten. Ich stürzte in das Zimmer meines Gatten. Ich fand ihn nicht. Ich trat ins Waffenzimmer. Da lag er in seinem Blute. Ich ward ohnmächtig. Elise, meine Zofe, brachte mich zu Bett. Ich weiß nicht, wie lange ich bewußtlos gelegen habe. Ich war wie betäubt von dem schrecklichen Anblick und als die Erinnerung endlich wiederkehrte und ich mir Alles vergegenwärtigte, was geschehen, als mir Elise sagte, mein Gatte sei durch ein Mißgeschick getödtet, da war es mir, als habe Gott das so gefügt. Ich dankte ihm, daß um meinetwillen kein Mord geschehen, daß Hartwig nicht der Mörder. Ich ahnte nicht, daß die härteste Prüfung mir noch bevorstehen solle. Hartwig ließ sich andern Tages bei mir melden. Er sagte mir, daß mein Gatte sich muthmaßlich selbst getödtet und mit Vorsatz dies so angestellt, daß man an einen Zufall glauben könne. Wildhorst habe ihm gesagt, Stilten habe zu ihm schon gestern geäußert, er werde sich Klarheit verschaffen und dann entweder das Gericht aufrufen, die Scheidung zu beantragen oder der Sache ein anderes Ende geben. Der Jäger hatte ihm gestanden, daß er das Billet in einem Kleide auf dem Zimmer Elisens gefunden, daß er Stilten unser Rendezvous verrathen. Der Jäger, schloß er, bereue jetzt, was er gethan und werde schweigen. Niemand dürfe ahnen, daß ein Selbstmord stattgefunden, das würde meine Ehre vernichten. Hartwig war wie verstört. Er sagte, auf ihm werde dieses Blut lasten. Er beschwor mich, meinen Vorsatz, auf das Erbe zu verzichten, aufzugeben. Ich sei unschuldig und würde nur ein Bekenntniß der Schuld ablegen, wenn ich mich scheute, das Erbe zu behalten.

Ich kämpfte lange mit mir, ehe ich mich entschloß, seinem Rathe zu folgen. Aber die Gründe dafür waren überwältigend. Nicht, daß ich um meine Zukunft besorgt gewesen wäre und nach Reichthümern getrachtet hätte, aber sie gehörten mir von Rechtswegen, und gab ich sie auf, so erklärte ich mich schuldig. Ich konnte nur darauf verzichten zu Gunsten derer, die meinen Gatten gegen mich eingenommen, die den Frieden unserer Ehe von Anfang an gestört. Es war mir, als ob ich es auch meinem Gatten schuldig wäre, jeden Argwohn von seiner Wittwe abzuwenden. Die Welt durfte keinen Beweis dafür erhalten, daß wir unglücklich gelebt. Hatte er sich selbst getödtet, so hatte er gefühlt, was er mir gethan; hatte er sich bemüht, den Selbstmord zu verbergen, so durfte ich nichts thun, diese Bemühungen unnütz zu machen. Ich konnte freilich nur schwer an einen Selbstmord glauben. Es lag diese Handlungsweise außer dem Charakter Stiltens. Um so mehr aber mußte ich verhüten, einen solchen Verdacht auf ihn zu wälzen.

Der Jäger Wildhorst warf sich mir zu Füßen. Er gestand, daß er mich für schuldig gehalten und das Gift des Zweifels meinem Gatten eingeflößt; daß er gesehen, wie Hartwig ein Billet in den Nähkorb gelegt und daß er Elise veranlaßt, als er hörte, daß ich zu Bett gegangen, mein Kleid herauszuholen. Er habe dem Baron Stilten nur den Inhalt angedeutet und den Auftrag erhalten, mich zu beobachten. Zu spät erst habe er sich überzeugt, daß er im Irrthum gewesen. Die Zerknirschung des Grafen beim Anblick der Leiche seines Herrn, dessen Versicherung, daß er keine verbrecherische Absicht gehabt, bewiesen ihm, wie unvorsichtig sein Eifer gewesen. Der Baron, sagte er, habe noch im letzten Moment, als er ihn im Garten getroffen, an meiner Schuld gezweifelt. ›Was auch kommen mag,‹ habe er zu ihm gesagt, ›Du wirst nie darüber sprechen, nie die Ehre meiner Gattin angreifen. Hat sie sich vergessen, so trage ich die erste, einzige Schuld.‹

Ich wies den Menschen von mir,« schloß Julie ihre Erzählung, »ich mochte ihn nicht wiedersehen. Aber er besaß ein Geheimniß, das die Ehre Stiltens und meine Ehre nahe berührte, darum ließ ich ihm sagen, ich würde für ihn sorgen. Ebenso verschaffte ich meiner Zofe, seiner Geliebten, eine Existenz. Ich ahnte nicht, wie sehr ich mich dadurch in die Hand dieser Menschen gab, ich sollte erst daran erinnert werden, als man mich wissen ließ, der Jäger besitze noch das Schreiben des Grafen Hartwig an mich.

Das rohe, beleidigende Benehmen der Verwandten meines Gatten bei dessen Beerdigung gegen mich, der Umstand, daß sie angesichts der Leiche mich keines Wortes der Theilnahme würdigten und es sogar verschmähten, im Schlosse abzusteigen, die öffentliche Beschimpfung, die darin lag, das Alles war für mich eine blutige Herausforderung, und ich fühlte, daß jedes Entgegenkommen nur von ihrer Gehässigkeit ausgebeutet werden würde, mich zu verdächtigen. Ich war jetzt fest entschlossen, meine Rechte zu wahren, die mir im Ehecontract verbürgt worden. Vor Gott war ich mir keiner Schuld bewußt, und hatte ich, ohne es zu wollen, meine Jugend verkauft, so mochte ich den Feinden meines Glückes, die mir das Leben vergiftet, das Kaufgeld nicht herauszahlen. Ich ging ins Ausland, um zu vergessen und mich vergessen zu machen. Es erfüllte mich ein so tiefer Widerwillen und Ekel vor den Verhältnissen, in denen ich gelebt, daß ich Allem, was mich daran erinnerte, ausweichen und entfliehen wollte, daß ich mich nicht darum bekümmerte, wie man meine Abreise deuten werde und dieselbe Ursache bewegte mich, bei meiner Rückkehr nach Deutschland in die östlichen Provinzen zu gehen, ohne in Stilten einen Besuch abzustatten. Man hat meine sehr natürliche Handlungsweise dazu benutzt, mir nachzusagen, daß ein böses Gewissen mich fernhalte von dem Orte, an dem ich mit meinem Gatten gelebt. Dieselben Leute, welche Stilten aus ihren Kreisen verbannten, weil er eine Bürgerliche freite, dieselben, die mich mit Spott und Hohn behandelten, weil ich dem Wort und Schwur eines Edelmanns traute, die werfen mir jetzt vor, daß ich eine Intrigue angesponnen, den reichen Mann zu ködern, daß ich ihn zum Selbstmorde getrieben, ihn rasch zu beerben und sie vergessen, daß ihr ganzer Haß aus dem Neide quillt. Man hat sich nicht entblödet, meine entlassene Dienerschaft zu verhören, zu bestechen, zu erkaufen und die infamsten Gerüchte wider mich zu verbreiten. Ich beachtete dies anfänglich nicht, bis eines Tages die Kammerzofe, welche ich mir bei meiner Rückkehr nach Deutschland gemiethet, von diesen Gerüchten zu reden begann. Sie hatte in einem Hause gedient, wo die Verwandten meines verstorbenen Gatten viel verkehrt und sagte mir, die schlechte Behandlung, die ihr dort geworden, habe sie veranlaßt, den Dienst bei mir zu suchen, mir mitzutheilen, welche Complotte dort gegen meine Ehre geschmiedet würden und mir, wenn es nöthig sei, als Zeugin zu dienen. Ich verbot ihr, mir von diesen Dingen zu sprechen, an die ich nicht erinnert sein wollte, da sagte sie mir, sie habe erfahren, es werde dahin gearbeitet, eine neue Untersuchung über die Todesart meines Gatten einzuleiten, man habe viel von einem Jäger gesprochen, der einen Brief besitze, welcher mich stark compromittire, er sei aber bis jetzt noch unbestechlich geblieben, da ich ihn vermuthlich gut bezahle.

Diese Nachricht erschreckte mich. Ich weiß, wie weit der unversöhnliche Haß jener Leute geht, daß sie kein Mittel scheuen, mich zu compromittiren. Früher war Stilten der Abtrünnige, jetzt sollte er das Opfer sein. War mein Gewissen auch rein, so mußte ich doch fürchten, daß die Verleumdung mich an den Pranger stellte. Der Brief Hartwigs in den Händen meiner Feinde war eine furchtbare Waffe, ich that daher Schritte, mich der Treue des Jägers zu versichern. Ich ließ Erkundigungen einziehen; Bertha, meine Zofe erbot sich dazu, die Correspondenz zu führen. Ich erfuhr, daß der Jäger sich einem liederlichen Leben, dem Trunke ergeben. Er forderte als Preis des Briefes eine sehr bedeutende Geldsumme oder eine Anstellung. Das empörte mein Gefühl. Dem Manne, der mir Reue gezeigt, hätte ich Vertrauen schenken können, aber es erschien mir unwürdig, mit einem Menschen zu verhandeln, der trotzig forderte, als ob ich mich von einer Schuld loskaufen solle. Ich sagte mir, daß ich, wenn ich seine Forderung erfüllte, mich abhängig von ihm mache, und gewissermaßen eine Schuld eingestehe; ich hatte keine Garantie, daß er nach Abgabe des Briefes auch darüber schweigen werde, daß er ihn besessen und verkauft. Ich ließ ihn daher wissen, er solle zuerst seine Lebensweise ändern, arbeiten, sich gute Atteste verschaffen, dann würde ich ihm eine einträgliche Stelle besorgen. Die Antwort hierauf war eine Drohung. Ich schwankte, ob ich die Angelegenheit nicht lieber selbst den Gerichten übergeben solle, aber die Scheu, alles Unglück, das mein Herz gefoltert, fremder Beurtheilung preiszugeben, hielt mich davon zurück. Es kam noch hinzu, daß ich Dich kennen lernte – Paul – ich hatte Deinen Namen öfter von Hartwig gehört; wenn er von seinen Universitätsjahren sprach, erwähnte er Deiner und erzählte Stilten, wie er Dich als das einzige Beispiel eines Charakters kenne, der aus innerer Ueberzeugung, nicht um Carrière zu machen oder um damit zu kokettiren, den Moralisten spiele. Ich bemerkte die Aufmerksamkeit, die Du mir schenktest und mußte annehmen, daß meine Schicksale Dir nicht unbekannt seien, daß Hartwig Dir von mir erzählt. Du tratst mir entgegen, als ob Du nie meinen Namen gehört, als ob ich Dir eine völlig fremde Person wäre, ich hielt das für absichtliche Verstellung und der Argwohn keimte in mir, daß Du, der Staatsanwalt, mich beobachten wollest, daß die Verwandten Stiltens Dich dazu aufgefordert. Wildhorst erschien plötzlich unerwartet hier am Ort und forderte drohend, ich solle ihn befriedigen oder gewärtig sein, daß er meine Geheimnisse an Andere verkaufe. Ich kämpfte zwischen Stolz und Angst. Ich mochte mich nicht entwürdigen und zitterte doch auch vor der Schande, mit der mich die Verleumdung bedrohte. Ich erkannte aus seinen Worten, daß ich völlig wehrlos war. Ich vertröstete ihn auf den folgenden Tag, bis dahin wolle ich mich entscheiden. Ich faßte den Entschluß, mich Dir zu vertrauen, mochtest Du auch mein Gegner sein, überall hatte man mich dessen versichert, daß Du ein Ehrenmann. Als ich vom Balle zurückkehrte, sah ich mich bestohlen. Es fiel mir nicht ein, daß Wildhorst der Dieb sein könne, er hatte ja eine Waffe in Händen mich anders zu zwingen. Erst in dem Moment, wo ich zur Polizei geschickt, machte die Zofe mich darauf aufmerksam, daß ich vorsichtig sein müsse. Sie sagte: ›Wer weiß, ob der Dieb nicht von Ihren Feinden gedungen war, Ihre Papiere zu stehlen.‹ Es war zu spät, den Ruf nach der Polizei rückgängig zu machen, es hätte mich das vor meinen Leuten compromittirt. Das Uebrige weißt Du. Sonderbar ist mir aber das Benehmen meiner Zofe Bertha. Es scheint fast, als ob sie mir gegenüber eine falsche Rolle gespielt und im Einverständniß mit Wildhorst gewesen, denn sie kündigte mir plötzlich den Dienst, gerade in dem Augenblick, wo sie ihr Versprechen, für mich zu zeugen, hätte erfüllen können. Diese Entdeckung, daß auch sie gegen mich agitirt, erschreckte mich so, daß ich allen Muth verlor und nur Deine Liebe, Dein Vertrauen giebt mir die Kraft, der drohenden Gefahr zu trotzen und die Hoffnung zu nähren, daß Gott nicht dulden wird, daß die Bosheit triumphirt. Ich habe gegen Wolff geleugnet, daß Bertha Hillborn meine Vertraute gewesen, daß ich durch sie mit Wildhorst verhandelt. Hätte ich dies zugegeben, so wäre damit das Geheimniß meines Unglücks in der Ehe dem Gericht preisgegeben worden, man hätte nothwendiger Weise die Erklärung dieser seltsamen Schwäche für Wildhorst von mir gefordert. Niemals aber werde ich vor Gericht in dieser Sache mich vertheidigen. Was ich Dir, dem Geliebten, nur mit Erröthen gestanden, sollen Fremde nicht erörtern. Lieber will ich an der Wunde in meinem Herzen verbluten, als darin wühlen lassen von Fremden. Mag Bertha, wenn sie gedungen gewesen, mich zu verrathen, triumphiren, daß ihr dieser Streich gelungen, ich werde sie nicht verfolgen. Mit halbem Vertrauen habe ich ihre Hülfe benutzt, ich kann es ihr kaum verdenken, wenn sie Argwohn gegen mich gehegt. Ich bin darauf gefaßt gewesen, der Bosheit meiner Feinde eines Tages zu erliegen, ich sagte Dir, nur die Flucht kann mich retten, denn ich will lieber das Bitterste ertragen, als dem Gericht und der Menge die Geschichte meiner Leiden preisgeben. Ich fühle mich nicht frei von Schuld. Ich hätte mich den Wünschen meines Gatten fügen müssen, so schwer es mir auch geworden wäre, ich hätte mich demüthigen müssen und seinen Verwandten die Hand reichen sollen, da er es forderte. Ich habe schwer dafür gebüßt, daß ich meinen Stolz nicht beugen wollte, einem Gatten zu Liebe, der mich getäuscht, daß ich den Mann haßte, den ich nicht hinreichend geprüft, ehe ich ihm meine Hand reichte. Aber ich war damals jung, unerfahren, eitel, ich sehnte mich, aus meiner abhängigen Lage herauszukommen und vertraute mit vollem Herzen. Wie ich auch gefehlt – die Buße war grausam hart und ich hoffe, Gott wird barmherzig sein und mir vergeben und die Anschläge meiner Feinde zu Schanden machen. Nur er kann mir helfen, nur ein Wunder kann mich retten!« – –



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