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Der Staatsanwalt saß in seinem Arbeitszimmer, aber heute fehlte ihm die Ruhe zur Arbeit. Umsonst hatte er sich bemüht, die Gedanken an Julie zu verscheuchen; gerade das Geheimniß machte das Bild der Sirene nur um so reizvoller. Die stolze Würde, mit der sie gesprochen, schien unumstößlich festzustellen, daß sie selbst gegen eine gehässige Verleumdung sich zu vertheidigen verschmähen werde, daß sie viel eher das Land verlassen und sich anderswo ein Asyl suchen werde. Und das sollte geschehen, weil müßige Neider und boshafte Feinde sie verdächtigt! Sie sollte dulden, während die Bosheit triumphirte?
Bentheim vermochte keinen klaren Gedanken für etwas Anderes zu fassen; so lange ihn der Zweifel beschäftigte, was in der Sache Julien's zu thun sei, mußte er die Arbeit weglegen.
Wie er sich jetzt die Lage der Baronin überlegte, erschien sie einfach und klar. Baron Stilten hatte durch die Verbindung mit einer bürgerlich Geborenen die Verwandten doppelt erbittert, denen sein Erbe entging, sobald er sich verheirathete. Bei seinem plötzlichen Tode waren die Verwandten vermuthlich abermals enttäuscht worden, sie hatten gehofft zu erben, da keine Kinder aus der Ehe vorhanden und nicht geahnt, daß ein Ehevertrag Gütergemeinschaft des reichen Mannes mit der armen Gattin festgesetzt habe. – Graf Hartwig hatte der jungen Frau den Hof gemacht, den Frieden der Ehe gestört; vielleicht ohne daß Julie der leiseste Vorwurf traf, hatte er Stilten zur Eifersucht verleitet und die Bosheit der Verwandten hatte dies ausgedeutet, sich an Julie zu rächen. Vielleicht hatte man sich nicht entblödet, durch indiscrete Fragen bei der Dienerschaft die Baronin zu compromittiren, diese hatte in Folge dessen die Dienerschaft entlassen und war, zu stolz, sich gegen gemeine Verdächtigungen zu vertheidigen, in's Ausland gegangen. Jetzt hatte sie, in ihr Vaterland zurückgekehrt, sich ein neues Asyl gesucht. Ein früherer Diener ihres Gatten bestahl die Baronin, er wußte, wo sie ihre Cassette gewöhnlich untergebracht. Die Baronin fürchtete, daß er, des Diebstahls angeklagt, sich dadurch rächen könne, daß er ihren Ruf verdächtigte, daß die alten Geschichten wieder zur Sprache gebracht und sie zum Gegenstand der Neugier schwatzhafter und klatschsüchtiger Menschen gemacht werden könnte. Lieber aber wollte sie den Dieb unbestraft wissen, als sich dieser peinlichen Lage aussetzen. Sie begriff es selbst vielleicht nicht, welche Thorheit sie begangen, eine solche Bitte auszusprechen, daß sie damit Jedem, der sie nicht kannte, Zweifel und Argwohn in die Brust legte. Es ist eine alte Erfahrung, daß empfindliche Naturen lieber ein Opfer bringen, einen Verlust hinnehmen, als vor Gericht erscheinen, und daß das Recht der freien Vertheidigung dazu mit beiträgt, diese Empfindlichkeit zu begründen. Der Angeklagte sucht den Kläger zu verdächtigen, um sich selber rein zu waschen oder sich an ihm zu rächen, ihn zu kränken. Ein hingeworfener Argwohn, eine Verleumdung, so haltlos sie auch sei, findet immer Gläubige in der großen Masse, besonders, wenn der Arme den Vornehmen angreift. Die boshafte Schadenfreude am Skandal ist ein Erbfehler der Menschen und die Vorzüge der öffentlichen Gerichtsbarkeit erhalten dadurch Schatten, die nicht wegzuleugnen sind.
Bentheim überlegte sich noch, wie er dem vorbeugen solle, daß der Verbrecher auf die Idee kommen könne, seiner Sache zu nützen, wenn er die Baronin compromittire, als Wolf gemeldet wurde. Der Mann kam ihm gerade recht. Durch ihn konnte er den Verbrecher wissen lassen, daß die Baronin sich für ihn verwandt, daß sie ihm ein gutes Zeugniß für die ihrem Gatten geleisteten Dienste ausgestellt.
Der Beamte trat ein. Wolf war ein ehrgeiziger, eifriger, überaus brauchbarer Criminalist. Man verwandte ihn bei den schwierigsten Untersuchungen, und er setzte seinen Stolz darin, dem Vertrauen zu entsprechen, aber er war auch eitel, eigensinnig und verlangte, seinen eigenen Weg gehen zu können. Er wollte das Verdienst mit Niemandem theilen und für sich allein die Ehre einer gemachten Entdeckung behalten. Man schonte diese Eitelkeit, da man bisher nur Nutzen davon gehabt. Wo der Beamte nur Gehilfe gewesen, hatte er sich als todte Maschine gezeigt, wo er selbstständig einen Auftrag erhalten, hatte er nicht geruht, bis er ein glückliches Resultat erzielt.
»Nun?« sagte Bentheim, ihn freundlich grüßend, »ist der Delinquent richtig eingebracht? Das war ein rascher Erfolg, den wir Ihrem Scharfblick verdanken. Erzählen Sie mir, wie Sie so rasch die rechte Spur gefunden.«
»Herr Staatsanwalt, wenn ich bitten dürfte, erlassen Sie mir die Erklärung, bis ich selber klar schaue. Die Sache liegt nicht so einfach, wie sie scheint.«
»Was meinen Sie damit.? – Hatte der Dieb Mitschuldige?«
»Wenn der Herr Staatsanwalt erlauben, schweige ich noch darüber. Ich bin auf einer Spur, die mich vielleicht zu wichtigen Entdeckungen führt.«
»Herr Wolf, ich bedaure, Ihre Wünsche nicht erfüllen zu können, überdem schafft es Ihnen keine Concurrenz, wenn Sie mir Ihre Geheimnisse anvertrauen. Ich werde keinen Andern mit Verfolgung einer Angelegenheit betrauen, welche von Ihnen so erfolgreich begonnen worden.«
»Herr Staatsanwalt –«
»Keinen Einwand, Wolf,« unterbrach ihn Bentheim mit Strenge. »Ich habe Ursachen zu meiner Forderung. Es ist möglich, daß die Baronin von Stilten bald diesen Ort verläßt. Ich muß also ihre Aussage so früh als möglich zu Protokoll nehmen lassen.«
»Ah,« sagte Wolf lächelnd, »die Baronin will abreisen. Ich hatte so etwas erwartet.«
»Was soll das heißen?« herrschte Bentheim, die Farbe wechselnd.
»Herr Staatsanwalt, als ich heute der Frau Baronin den Namen des Diebes mittheilte, machte sie Aeußerungen, die mich fast befremdet hätten.«
»Verdammt!« murmelte Bentheim, innerlich die Unvorsichtigkeit der Baronin verwünschend, aber bald faßte er sich. »Der Wunsch der Baronin, einen frühern Diener ihres Gatten zu schonen,« sagte er laut, »ist sehr erklärlich. Ich habe mit ihr darüber gesprochen und ihr bereits erklärt, daß die Untersuchung ihren Fortgang haben muß.«
»Herr Staatsanwalt,« versetzte Wolf geheimnißvoll lächelnd, »Sie mißverstehen mich. Wenn ich keinen Argwohn gehegt hätte, würde mich der Wunsch der Baronin nicht befremdet haben, dann hätte ich auch, wie Sie, an Großherzigkeit und Gutmüthigkeit geglaubt. Aber ich fürchte, die Baronin hat triftige, schwer wiegende Gründe, den Jäger Wildhorst schonen zu wollen, und daß sie mir hundert Thaler bot, wenn ich den Mann entschlüpfen ließe, hat meinen Argwohn bestätigt.«
»Das hat sie gethan? – Sie hat Ihnen Geld geboten?«
»Die Dame war außerordentlich erregt und bedachte wohl nicht, was sie sprach und that. Jetzt will sie abreisen, denn das macht ihre Sache noch schlimmer. Gehörte sie nicht zur Aristokratie, so würde ich einen Verhaftsbefehl auf mein Gewissen nehmen.«
»Einen Verhaftsbefehl? – Wolf! – Was denken Sie!?«
Bentheim war so wenig Herr seiner Bewegung, daß er selbst fühlte, wie seine Züge ihn verrathen mußten, und das machte ihn noch verwirrter.
»Ich denke,« erwiderte Wolf, »daß es gut wäre, wenn in Wahrheit Gleichheit vor dem Gesetz herrschen wollte, und ich, ohne schwere Verantwortung auf mich zu ziehen, von hier zur Baronin gehen und sie verantwortlich vernehmen könnte.«
»Es herrscht Gleichheit vor dem Gesetz; wo ich, als Anwalt desselben stehe, soll dieser Vorwurf nicht erhoben werden,« rief Bentheim zornig. »Nennen Sie mir Ihren Verdacht, und finde ich die Vernehmung gerechtfertigt, so soll sie Ihnen zustehen.«
»Herr Staatsanwalt, ich bin vielleicht auf falschem Wege und möchte nicht einen Argwohn aussprechen, ohne ihn zu beweisen. Wenn Sie mir gestatten, zu schweigen und nach Ermessen zu handeln, werde ich entweder sehr bald erklären, daß ich mich geirrt, oder ich werde Beweise liefern, die das Einschreiten rechtfertigen. Sie interessiren sich für die Dame, sie ist von Rang und Ansehen, ein ausgesprochener Verdacht ist schon eine Beleidigung. Kann ich frei agiren, so bedarf es auch keiner Vernehmung.«
»Nichts davon!« rief Bentheim heftig, »Und wäre es meine Schwester, das sollte sie nicht schützen. Ich will Ihren Verdacht kennen, weil es schon ein Schimpf für sie ist, daß ein Argwohn gegen sie existiren kann, und ich vielleicht im Stande bin, denselben zu zerstreuen. Reden Sie, ich befehle es!«
»Dem Befehl muß ich gehorchen. Ich war vor einiger Zeit im Hannover'schen und hörte dort erzählen, der Baron Stilten sei ermordet worden.«
»Ermordet?!«
»Ja, Herr Staatsanwalt. Man erzählte, daß die Selbstmordgeschichte erfunden sei. Die Einen behaupten, es habe ein Duell ohne Zeugen, also ein Mord stattgefunden, die Andern wollten selbst diese Beschönigung des Verbrechens nicht zugeben.«
»Wer erzählt das? Sie müssen Bürgen stellen für diese Verleumdung, deren Quelle ich ahne.«
»Die Gutsangehörigen von Schloß Stilten flüstern leise, was in den Kreisen der Familie Stilten laut gesprochen wird. Die Criminalpolizei ist nicht unthätig gewesen. Sie hat constatirt, daß die Todtenschau sehr oberflächlich vorgenommen worden ist. Man hat den Grafen Hartwig überwacht, ebenso die entlassene Dienerschaft des Barons. Bisher ist kein genügender Anhalt gefunden worden, um darauf hin einschreiten zu können, aber die Beobachtung hat eher dahin geführt, den Verdacht, daß ein Verbrechen geschehen, zu vermehren, als zu verringern. Der Jäger Wildhorst konnte hier nicht eintreffen, ohne daß mir seine Ankunft signalisirt wurde, und hiermit wird Ihnen erklärt sein, daß ich keinen großen Scharfblick anzuwenden brauchte, den Dieb bei der Baronin zu entdecken. Das Avertissement von dem möglichen Eintreffen Wildhorsts hieselbst kam gestern Abend, der Commissär Walter, den ich beauftragte, ihn in's Auge zu fassen, meldete mir um eilf Uhr, der &c. Wildhorst habe bereits mit dem Nachtzuge die Weiterreise nach Hamburg angetreten, um zwölf Uhr kam die Meldung von dem Einbruch bei der Baronin. Ich zweifelte nicht daran, daß Wildhorst der Schuldige sei, mochte aber keinen Verdacht aussprechen, ehe ich Gewißheit hatte. Während ich den Flüchtigen durch den Telegraphen verfolgen ließ, stellte ich selbst Nachforschungen an. Diese ergaben folgendes Resultat: Der Jäger Wildhorst ist gestern Morgen hier eingetroffen und in der Ausspannung zum Stern abgestiegen. Er hat mit dem Wirth über den Preis eines Zimmers auf längere Zeit, wochenweise, verhandelt und ihm erzählt, er werde hier durch Protection einer hohen Dame eine gute Stellung finden. Der Mann hat durchaus keinen Verdacht erregt, sondern durch sicheres, zuversichtliches Auftreten Vertrauen gewonnen. Gegen ein halb sieben Uhr Abends ist er ausgegangen, nachdem er die Adresse der Baronin Stilten erfragt. Um halb 8 Uhr ist er auffällig erregt zurückgekehrt, hat erklärt, er müsse wahrscheinlich noch in der Nacht abreisen, hat seinen Koffer gepackt und ist wieder fortgegangen. Um 9 Uhr ist er wieder im Gasthof gewesen hat seine Sachen abgeholt um sich zum Bahnhof zu begeben. Es scheint mir hieraus hervorzugehen, daß der Jäger nicht mit der Absicht, einen Diebstahl zu begehen, hergekommen. Ich vermuthe, daß er bei der Baronin gewesen, einen Erpressungsversuch gemacht und in einer Art beschieden worden, die in ihm den Gedanken an ein Verbrechen erweckt hat. Der Umstand, daß er sich nicht gescheut, das Ziel seiner Reise anzugeben, scheint mir darauf zu deuten, daß er die Verfolgung, nicht gefürchtet, daß er vielleicht gedacht, von Hamburg aus in Unterhandlungen zu treten. Dieser Annahme entspricht sein Verhalten bei der Verhaftung, seine Antwort auf meine Fragen, die ich ihm soeben, als er hier eintraf, vorgelegt. Bei der Verhaftung war er bestürzt, aber er zeigte sich mehr trotzig erbittert, als beängstigt; er verweigerte jede Auskunft über seine Person, die Cassette war unverletzt, das Schloß anscheinend noch nicht geöffnet. Auf meine Fragen gab er nur die ausweichende Antwort, daß er sprechen werde, sobald er die Baronin gesehen. Er verlange, sie zu sprechen. Es handle sich um ein Geheimniß, das ihr gehöre. Als ich ihm sagte, sie habe ihn als Dieb denuncirt, fuhr er wild auf, aber er durchschaute meine List und lächelte ungläubig.
›Die Baronin kennt mich zu gut,‹ sagte er, ›um mich eines Diebstahls fähig zu halten. Sie wird Ihnen die nöthigen Erklärungen geben. Sie hat Launen, aber die gehen vorüber.‹
Ich habe bis jetzt,« schloß Wolf seinen Bericht, »die Dienerschaft der Baronin noch nicht verhört. Der Beamte, der auf ihren Ruf in der Nacht den Diebstahl constatirte, sagt aus, daß die Leute ihm unverdächtig erschienen seien und Keiner eines fremden Besuches Erwähnung gethan, der am Abend bei der Baronin gewesen. Ich vermuthe daher, daß Wildhorst sich heimlich bei der Baronin einzuschleichen gewußt. Der Herr Staats-Anwalt mögen nun verfügen, was weiter geschehen soll.«
Es würde der Feder schwer fallen, die Gefühle zu beschreiben, welche Bentheim bestürmten. Es war Empörung und Beschämung, was abwechselnd sein Blut heißer durch die Adern strömen ließ. Der Jurist in ihm erkannte die schweren Belastungsmomente, die sich in drohender Weise gleich düsteren Gewitterwolken zusammenhäuften, in dem Menschenherzen kämpfte der Zweifel mit der Verachtung und Entrüstung. Hatte diese Frau ihn betrogen, als sie gesagt, sie wolle ihm vertrauen, als ihre stolze Würde ihm imponirt? War nur Etwas an ihr erheuchelt, so verdiente sie die tiefste Verachtung! Aber war es denkbar, daß eine vornehme Dame so verderbt, so raffinirt schlau in frecher Verstellung sein könnte, wie es hier nothwendig, wenn sie schuldig! Konnten diese schönen Augen lügen? Hätte die Baronin überhaupt den Diebstahl angezeigt, wenn sie Wildhorst gesehen? Sie hätte ja dann vorher ahnen müssen, was folgen werde. War nicht viel eher anzunehmen, daß Wolf in seinem Argwohn falsch combinirte?
Und doch, der Bestechungsversuch, die Bitte, Wildhorst nicht zu verfolgen, die Angst, die Unruhe der schönen Frau. Wenn sie in der ersten Leidenschaft des Zornes die Anzeige gemacht und erst bei ruhiger Ueberlegung die Folgen bedacht! Die Ruhe des Schuldigen, seine trotzige Zuversicht bestätigten dies in erschreckender Weise. So viel war gewiß, er konnte ihr drohen. War sie auch schuldlos, er konnte ihre Ehre antasten und vielleicht fand sich nie ein Beweis ihrer Unschuld. Sie wußte das und wollte deshalb abreisen. Aber es war zu spät. Die Criminalpolizei hatte schon ihr Netz ausgeworfen und er, der Staats-Anwalt hatte die Pflicht, vielleicht in nächster Stunde den Haftbefehl zu schreiben, die Anklage zu erheben!
Er hatte sich ihr als Beschützer angeboten, als er die Thränen in ihren Augen geschaut und er sollte jetzt als unerbittlicher Rächer der Schuld mit derber Hand in ihr Leben greifen, schonungslos und kalt, ob er auch als Mensch noch zweifelte an ihrer Schuld!
»Wolf,« sagte Bentheim nach einer Pause, mit tonloser Stimme, der nur ein eiserner Wille Festigkeit zu geben vermochte, »ich lege die Angelegenheit ganz in Ihre Hände. Sie wissen, was es heißt, den Ruf einer Dame vernichten; diese Rücksicht möge Sie leiten, keine andere. Denken Sie nicht daran, daß ich mich für die Dame interessire, wohl aber daran, daß sie unschuldig sein könnte, und daß eine Criminalanklage schon vernichtend ist für den guten Ruf. Nur eine Frage. Die Dame hat mein Vertrauen in Anspruch genommen, sie wird auf meine Hülfe rechnen, wenn Schritte gegen sie oder ihre Dienerschaft geschehen, welche sie ahnen lassen, daß eine Untersuchung sie bedroht. Wie soll ich mich verhalten, Ihre Wege nicht zu durchkreuzen? Wenn es für Ihre Zwecke nachtheilig ist, daß sie Ihren Argwohn errathet, so darf ich sie nicht besuchen, denn ich würde Gefahr laufen, zu verrathen, was ich weiß. Andrerseits macht ihr Vertrauen mir vielleicht Angaben, welche die Haltlosigkeit Ihres Verdachtes constatiren und es uns ersparen, ihren Ruf zu compromittiren. Merken Sie wohl, ich erbitte Ihren Rath als Freund der Dame, der ich so lange sein werde, bis ich mich getäuscht sehe; was Sie dem Staatsanwalt zu melden haben, wird nur der Beamte hören.«
»Herr Staatsanwalt,« erwiderte Wolf nach langer Pause, die Bentheim eine Ewigkeit erschien, »der Umstand, daß die Dame Ihnen Vertrauen schenkt, ändert viel. Sie ist Ihres Vertrauens entweder werth oder nicht, es ist also hier von völliger Schuld oder völliger Unschuld die Rede, ein Mittelding ist unmöglich. Sie können sehr gut der Freund und Rathgeber einer Dame sein, so lange nur Verdacht, nicht aber eine Anklage ihr naht. Sie werden selbst dabei Gelegenheit haben, zu prüfen, ob die Unschuld Ihren Schutz sucht oder die Schuld ihren Einfluß auf Sie benutzen will, der Gerechtigkeit zu entgehen. Wenn Sie als Freund der Dame selber prüfen, so erwächst mir daraus der Vortheil, gerechtfertigt vor Ihnen dazustehen, wenn ich mich geirrt. Ich werde mir erlauben, Sie von den Resultaten meiner Forschungen in Kenntniß zu setzen und vorzufragen, was Sie gehört. Wenn Sie der Dame den ganzen Umfang der Belastungsmomente mittheilen, wird die Antwort, die sie Ihnen, dem Freunde giebt, entscheidend sein, sie wird, verglichen mit den Resultaten meiner Nachforschungen, jeden Zweifel zerstreuen.«
Bentheim schüttelte den Kopf. »Nein,« sagte er, »Sie vergessen eins, Wolf, Sie beachten nicht, daß ich auch als Cavalier meine Pflichten habe, daß ich Vertrauen nicht ausbeuten kann, ohne mich zu entehren. So gut wie Sie von mir fordern können, daß ich im Amte Privatrücksichten fallen lasse, muß Jeder, der mir sein Haus öffnet, fordern und erwarten können, daß ich als Freund und nicht als Staats-Anwalt komme.«
»Herr Staats-Anwalt, ich habe diesen Punkt nicht unbeachtet gelassen bei meinem Vorschlag. Ich denke aber, daß der Beamte, wo er als Freund erscheint, dies nur so lange bleibt, als man auch ihn achtet und respectirt. Das würde nicht der Fall sein, wenn man ihn täuscht, ihm nur Vertrauen heuchelt, den Beamten zu überlisten. Wenn Sie in einem Hause Umgang haben und man Sie dort bestiehlt, rufen Sie auch die Polizei. Wenn ich argwöhne, daß Ihnen dergleichen bevorsteht, darf ich Ihnen ungerufen folgen. Die Verabredung, die ich vorschlage, geht nicht dahin, die Geheimnisse der Baronin zu ihrem Nachtheil auszuspioniren, sondern der Dame, wenn mein Argwohn falsch ist, ein peinliches Verhör zu ersparen. Sie können Ihr Amt von der Person nicht ganz trennen und die Baronin kennt Ihren Titel. Sie weiß es, daß Sie berufen sind, der öffentliche Ankläger zu sein. Vertraut sie sich Ihnen, so muß sie das berücksichtigen. Sie kann nicht erwarten, daß Sie Ihre Pflicht verletzen werden und forderte sie das, so würden Sie die Bittende zurückweisen. Sie können ihr das vorher sagen. Sie können Alles thun, was Loyalität und Ehre gebieten, es schadet nichts, grade weil die Dame Ihren Beruf kennt. Sucht sie die Freundschaft des öffentlichen Anklägers nur, um ihn zu bestechen, so muß sie darauf gefaßt sein, daß er mit Entrüstung antwortet, sucht sie dieselbe als Schutz ihrer Unschuld, so haben Sie in mir ein Werkzeug, das Alles daran setzen wird, die Unschuld zu beweisen.«
»Was sie sagen,« erwiderte Bentheim, »klingt bestechend, aber mein Gefühl sträubt sich dennoch dagegen. Es ist besser, ich sehe die Baronin nicht, bis ich Bericht von Ihnen habe.«
»Wie Sie befehlen, Herr Staats-Anwalt. Aber erwägen Sie wohl, welchen Eindruck es auf die Baronin machen muß, wenn Sie, auf dessen Freundschaft sie rechnet, in dem Moment fortbleiben, wo sie Ihrer bedarf. Nehmen wir die völligste Unschuld an, so ist die Verleumdung furchtbar. Die Baronin zittert vor ihr, das ist erwiesen. In ihrer Verzweiflung baute sie auf Ihre Hilfe und es muß ihr wie ein Verdammungsurtheil erscheinen, wenn Sie durch das Versagen erbetener Hilfe, erbetenen Rathes, nur durch Ihr Fortbleiben, Zweifel andeuten. Sie provociren damit Schritte der Verzweiflung oder jene stumpfe Gleichgiltigkeit, die Alles über sich ergehen läßt, weil sie die Hoffnung, die Lebenslust verloren. Sie waren heute bei ihr. Die Kleinstädter wissen das. Der freundschaftliche Verkehr mit Ihnen erstickt jedes nachtheilige Gerücht, welches auftauchen könnte, dessen Quellen immer unberechenbar sich finden.«
»Sie haben Recht, nur zu sehr Recht. Ich werde zu ihr gehen, was mich der Gang auch kostet. Sie haben vielleicht noch keinen so unentschlossenen Staats-Anwalt gesehen, lieber Wolf, aber meine Lage ist eigenthümlich und ich bin noch zu jung im Amt, um mich rasch in so schnelle Wechselfälle des Lebens zu finden.«
Es lag der Ausdruck der Ehrfurcht und wärmsten Verehrung in den Blicken Wolfs, als er die ihm dargebotene Hand ergriff. »Herr Staats-Anwalt,« sagte er, »ich habe viele Verbrechen entdeckt und mir war es nicht immer leicht ums Herz, der schweren Pflicht zu genügen, besonders, wenn ich wußte, daß der öffentliche Ankläger mehr Jurist als Mensch. Bei jungen Beamten – verzeihen Sie mir – ist das leider meist der Fall, da triumphirt der Jurist und bedenkt nicht, welche Wunden er schlägt, wenn sein Scharfsinn ein Verbrechen beleuchtet. Möge der Himmel wollen, daß Ihnen hier eine schwere Arbeit erspart bleibe.«
Paul Bentheim sprach diesen Wunsch im Herzen nach wie ein Gebet, und dann rüstete er sich mit schwerem Seufzer, zur Baronin zu fahren.