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XXII.

Bertha hatte ihren Gast bei den Eltern eingeführt, sobald der Vater von der Arbeit vom Felde zurückgekehrt. Sie hatte den Vorwand, daß der Fremde im Auftrage ihrer bisherigen Herrschaft gekommen, dazu benutzt, die Eltern zu bitten, nicht von ihrem Verlobten zu demselben zu sprechen, der Fremde habe ihr Aufschlüsse über die Person desselben gegeben, die sie erröthen machen würden, zu gestehen, welche Hoffnungen sie gehegt.

Die Eltern Bertha's waren sehr damit zufrieden, solche Worte zu hören. Sie hatten Mißtrauen in einen Mann setzen müssen, der sich bis dahin den Eltern der Geliebten nicht vorzustellen getraut, der nach Bertha's Aeußerungen keine feste Stellung besaß, sondern in den nächsten Tagen eine Erbschaft erheben und dann die Braut nach Hamburg kommen lassen wollte. Dem ehrlichen graden Manne war Alles verdächtig erschienen, die plötzliche Entlassung Berthas aus dem Dienste, die Zuversicht, mit der sie von ihrem Verlobten sprach, der sich noch nicht um die Zustimmung der Eltern seiner Braut beworben, die Eleganz ihrer Kleidung, ihr kokettes Wesen und die Unruhe, welche sie trotz aller ihrer Betheuerungen der Mutter nicht ganz hatte verbergen können.

Dem alten Hillborn erschien es daher als ein sehr glücklicher Zufall, daß Bertha vor ihrem Verlobten durch Jemand gewarnt worden, der in Beziehungen zu ihrer früheren Herrschaft stand. Bertha hatte ihm den Titel Wolffs nicht genannt, aber die persönliche Erscheinung desselben erweckte bei günstigem Vorurtheil Vertrauen.

Das Mahl war sehr einfach und rasch beendet. Wolff erkundigte sich nach Boden und Aussaat, als ob er sich ankaufen wollte und bat endlich den Alten, ihm seinen Hof zu zeigen. »Sie schreiben unterdessen Ihren Brief«, flüsterte er Bertha zu »und, wenn Sie wollen, zeigen Sie ihn mir, damit ich sehe, ob er zweckentsprechend ist.« Bertha nickte ihm zu und beide Männer schritten in den Hof, nachdem sie gesagt, daß sie in einer halben Stunde zurückkehren würden.

Wolff bemerkte, daß Bertha ihrem Vater noch einen bedeutsamen Wink gab und er konnte leicht errathen, was derselbe bedeutete. »Ah«, sagte er, als sie durch eine Hecke in den Gemüsegarten traten, »hier giebt's Dornen und da hat Ihre Tochter wohl schon sich Finger und Kleid zerrissen.«

»Die ist noch nicht hierher gekommen,« versetzte der Alte mit einem Seufzer. »Ja wenn hier Blumen und Springbrunnen wären, hätte sie sich wohl danach umgeschaut.«

»Ihre Tochter ist ganz Städterin geworden. Aber sie war doch wohl hier unten. Sie zeigte mir ihren Finger, den sie sich vorgestern am Dorn zerrissen.«

»Das lügt sie. Sie kam mit einem Pflaster am Finger hierher und sagte, sie habe sich mit Glas geschnitten und that als ob sie deshalb nichts anfassen könne. Vor mir spielt sie die Stadtdame, vor Ihnen will sie vielleicht so thun, als ob sie das Landleben vorzöge. Aber ihr Sinn ist nach der Stadt gerichtet und wenn sie wieder in Dienst zöge, wär's das Gescheuteste. Sie mögen es am besten wissen, warum sie so plötzlich ihren Dienst verlassen, aber lieb wär's mir, Sie redeten ihr zu, wieder dahin zurück zu kehren.«

»Die neue Trennung von Ihrer Tochter würde Ihnen also nicht schwer fallen?«

»Nein Herr, 's ist traurig, aber es ist so. Sie paßt nicht mehr in's Haus.«

»Will sie nicht heirathen? Mir war's als hörte ich, sie sei verlobt.«

Der Alte antwortete nicht. Er zeigte Wolff eine kleine Obstanpflanzung, das Thema zu ändern.

»Sie antworten mir nicht?«

»Herr – das sind Angelegenheiten meiner Tochter. Fragen Sie sie selbst.«

»Es sind auch Ihre Angelegenheiten. Der Tochter Unglück macht den Eltern Sorge.«

»Das ist ein wahres Wort, aber, nichts für ungut, Herr. Ich hab' der Bertha versprochen, von ihren Thorheiten nicht zu reden. Hoffentlich ist sie geheilt.«

»Sie nennen das Thorheiten? Wußten Sie nicht, Herr Hillborn, in welcher Gefahr Ihre Tochter schwebte, wenn sie diesen Jäger Wildhorst heirathete?« »Der Alte schaute bestürzt auf. In seinen Zügen lag der Schatten der Sorge. »Mir ahnte so etwas,« sagte er. »Da Sie die Sache kennen, brauche ich nicht zu schweigen. Ich bin froh, daß sie noch rechtzeitig gewarnt ist.«

»Ihre Tochter hat Sie getäuscht, Herr Hillborn,« versetzte Wolff in verändertem Tone, denn jetzt hatte er den Beweis, daß Wildhorst die Wahrheit gesagt, als er sich den Verlobten Berthas genannt, »die Gefahr ist nicht vorüber und Ihnen steht eine schwere Stunde bevor. Ich bin der Criminalcommissarius Wolff und muß Ihre Tochter verhaften. Aber beruhigen Sie sich,« fuhr er fort, als der Alte wie gelähmt schien vor Schmerz, Bestürzung, Erschrecken – »sie wird wie ich hoffe, mit einer gelinden Strafe davonkommen, die ihr für die Zukunft eine ernste Warnung sein wird.«

»Was hat die Unselige gethan! Oh – ich ahnte es längst, daß sie Schande bringen wird über mein graues Haupt.«

»Sie ist die Mitschuldige an einer versuchten Erpressung, die jener Wildhorst verübt.«

»Die Schamlose! darum wollte er sie nach Hamburg kommen lassen. Daher diese Geheimnißkrämerei! Gott vergebe ihr den Kummer, den sie mir bereitet.«

»Ich werde mich bemühen,« sagte Wolff mit dem Ausdruck warmer Theilnahme, »jedes Aufsehen zu vermeiden, wenn Sie mich darin unterstützen wollen. Hier braucht Niemand zu erfahren, was vorgeht. Fügt sich Ihre Tochter willig in die Nothwendigkeit, mir zu folgen, so brauche ich keinen Beamten von der Station zu rufen. Schonen wir ihre äußere Ehre, so ist Hoffnung vorhanden, daß diese ernste Lehre sie bessert. Gelingt das nicht, so ist sie verloren. Sie ist eitel und darin liegt immer der Kern einer Hoffnung. Sie wird dankbar für jede Schonung sein und vielleicht erleben Sie noch Freude an ihr.«

»Gott gebe es; haben Sie Dank für den Trost, den Sie mir spenden. Es ist eine schwache Hoffnung, aber es ist eine. Der verlorene Sohn kehrte auch gebessert heim. Wolle der Herr, daß ich nach schwerer Prüfung diesen Herzenstrost habe. Sie soll Ihnen gehorchen oder mein Fluch wird sie treffen. Sie soll sich beugen lernen in Demuth.«

»Der Gehorsam wird sich finden, Trotz befürchte ich nicht. Mir liegt daran, ihr vor Allem ein freiwilliges Geständniß zu entlocken. Ich habe deshalb bis jetzt ein Spiel mit ihr getrieben, welches ich nicht überall wagen würde: ich habe mich in sie verliebt gestellt und ihr den Hof gemacht. Es ist wahr, daß ich damit Vertrauen täusche, aber ich will das vor jedem Richter verantworten. Ihr Herz ist kokett, eitel, die Wunde, die ich schlage, trifft nur die Eitelkeit, nicht das Herz. Ueberdem glaube ich, ihr selber durch diese Täuschung genützt zu haben, sie tröstet sich über eine gescheiterte Hoffnung durch eine andere und hat den Gedanken an Wildhorst leicht und rasch aufgegeben, während sie andererseits vielleicht ihre Lage gefährlicher gemacht hätte, um ihn zu retten. Gestatten Sie mir daher, diese Rolle zu Ende zu spielen und mich erst zu demaskiren, wenn ich dies nöthig finde.«

Der Alte heftete das kummervolle Auge mit ernstem, schwerem Vorwurf auf den Beamten. »Herr,« sagte er, »Bertha ist meine Tochter, und wenn sie mir auch schwere Sorgen bereitet und vielen Kummer gemacht, ist sie doch mein Kind. Glauben Sie, ich könne den Schmerz verbergen und mich verstellen und ruhig zusehen, wie Sie ihr das Herz arglos machen, damit es sich selber anklage? Es soll Wahrheit sein zwischen Eltern und Kind, und wenn das Kind sich der Lüge ergiebt, so sollen die Eltern es strafen, aber nicht selber zur Lüge greifen.«

»Sie haben Recht, Alter, ich habe nicht überlegt, was ich gefordert, das macht, ich habe selbst nie Kinder gehabt. Ich muß es auf andere Weise versuchen.

So geht es,« rief er plötzlich nach kurzem Sinnen. »Ich werde vorangehen und Bertha auf ihrer Kammer aufsuchen. Nehmen Sie dieses Zeitungsblatt. Wenn ich mit ihr hinabkomme, so zeigen Sie ihr die angestrichene Stelle und thun Sie die Fragen, welche Ihre Sorge dann stellt.«

Wolff reichte dem Alten eine Zeitung, die er von der Station mitgebracht und die das neueste Datum trug. Der Alte griff mit zitternden Händen danach. Sein Herz bebte, daß die Schande seiner Tochter schon darin erwähnt. Dann stand sein Name am Pranger, dann wußten alle Bauern des Dorfes, daß sein Kind ein Verbrechen begangen!

Wolff schritt voran. Er erreichte das Haus und stieg die Treppe hinan, aber er fand Bertha nicht in ihrem Zimmer. Auf dem Tische lag der Brief, den sie hastig geschrieben, noch unvollendet. Man sah es den Schriftzügen an, daß die Hand gezittert. Vermuthlich hatte sie, von Unruhe gequält, die Arbeit unterbrochen.

Und was hatte sie beängstigt? Das Räthsel war leicht gelöst. Sie zitterte, daß ihr Vater sich doch versprechen, ihrer Verlobung mit Wildhorst erwähnen könne. Dann mußte der neue Liebhaber sie als Lügnerin verachten und der Criminal-Commissar mußte Argwohn schöpfen. So lange Wolff ihr schmachtend in's Auge gesehen und ihr Schmeicheleien gesagt, hatte die Eitelkeit sich gesonnt und sie hatte sich nicht gefragt, ob diese Galanterie Wolff's nicht eine List des Criminalbeamten sein könne. In dem Augenblick, wo die Furcht auftauchte, daß der Vater ihr Geheimniß verrathen könne, packte der Argwohn ihr Herz. Wolff hatte ihr in B. gesagt, es könne lange dauern, bis er einmal Urlaub bekäme und schon heute war er bei ihr. Er hatte Sehnsucht vorgeschützt und doch bedenkliche Fragen gethan. Dieser Brief, den er forderte, sollte gegen Wildhorst benutzt werden. Wildhorst baute auf ihre Treue und der Mann, der sie verleiten wollte, ihn aufzugeben, war Beamter der Criminal-Polizei!

Sie beschloß hinabzueilen und ihren Vater und den Commissar zu belauschen, sich Gewißheit zu verschaffen, ob der Letztere eine falsche Rolle spiele. Beide gingen den Weg zwischen hohen Gesträuchen, vielleicht konnte sie ihnen unbemerkt nahen.

Als sie den Garten erreicht, hatte sie nur noch Zeit sich zu verbergen. Wolff hatte ihrem Vater eine Zeitung gegeben und eilte dem Hause zu. Der Vater sah tief ernst, sorgenvoll, bekümmert aus. Hier war etwas Besonderes vorgefallen. Sie trat aus dem Gebüsch hervor, sie sah, daß ihr Vater verwirrt, bestürzt erschien und verlegen vor sich hin schaute.

»Zeige mir das Blatt,« rief sie, »was steht darin?«

Hillborn ließ sich das Blatt nehmen. Er heftete den Blick ängstlich auf die Tochter, zu sehen, welchen Eindruck die angestrichenen Zeilen auf sie machen würden. Bertha überflog dieselben mit einem Blick: das Blut schoß ihr in's Antlitz.

Die Zeitung war ein in B. erscheinendes Blatt. Unter den Tagesneuigkeiten hieß es:

»Im Laufe des gestrigen Abends wurde eine Persönlichkeit aus aristokratischen Kreisen zur Untersuchungshaft gebracht. Wie man hört, soll der vor Kurzem gemeldete Einbruch Entdeckungen zur Folge gehabt haben, welche, wenn sich die Verdachtsmomente bestätigen das Schwurgericht veranlassen könnte, wieder über ein gräßliches Verbrechen das Urtheil zu fällen, ein Verbrechen doppelt entsetzlich, weil es, von zarter Hand ausgeführt, uns die Lehre giebt, wohin Habsucht, gepaart mit finsteren Leidenschaften und kalter Herzlosigkeit eine Dame von Rang, Geburt, Ansehen und großer Schönheit führen können, wenn ihr dasjenige fehlt, was dem Menschen allein den Halt giebt – die Moral.«

Die Baronin von Stilten war also verhaftet. Wolff hatte sich entweder schlecht unterrichtet oder absichtlich sie belogen. Das Letztere war das Wahrscheinliche. Er war hier, ihr ein Geständniß abzulocken, das ihre Mitschuld an der Intrigue Wildhorst's verrieth. Wuth, Angst, das empörte Gefühl beleidigter Eitelkeit, die Scham, in eine so grobe Falle gegangen zu sein, alles das drängte zusammen, die Wogen des Gefühls höher zu treiben und Bertha in eine Erregung zu versetzen, die ihren Busen wallen, ihr Auge flammen ließ.

»Ah« – knirschte sie, mit den schönen Zähnen die Lippe beißend, daß sie blutete, »er soll den Betrug büßen, er soll sich verrechnet haben, er hat zu früh die Maske abgeworfen und ist nicht schlau genug, mich zu überlisten.«

»Bertha!« rief der Alte entsetzt, »Du erröthest nicht vor der Schmach, die Dir bevorsteht! Du willst, Unselige? den ganzen Zorn der Gerechtigkeit herausfordern – –«

»Ich verstehe Dich nicht, Vater,« unterbrach sie ihn mit Stolz und Gereiztheit, »aber ich errathe, daß der Herr Commissar einen leichtgläubigen Vater in Dir gefunden, der, anstatt seine Tochter zu schützen, jeder Verleumdung Glauben schenkt. Der Commissar bat mich, seinen Stand vor Dir zu verbergen, aber ich kannte ihn und mich amüsirte es sehr, den Mann in seiner Eitelkeit zu bestärken, in der er sich entsetzlich schlau dünkt und alle Welt überlisten will. Es ist wahrlich sehr ehrenwerth von ihm, daß er einem Mädchen Liebe heuchelt, um demselben Geheimnisse zu entlocken. Ich habe ihn behandelt, wie er's verdient und über meinen Verlobten gespottet, weil ich sehen wollte, wohin er zielt. Du aber hältst lieber Deine Tochter für eine verlorene Dirne, als daß Du einem solchen elenden Polizeispion die Thüre weisest. Dort kommt er. Wenn Du ihm nicht zeigst, daß Du Deiner Tochter Ehre wahrst, so muß ich dies selber thun – –«

Der Alte starrte sie sprachlos an. Die Schuld konnte so dreist nicht trotzen, sein Kind mußte unschuldig sein!

Finster schaute er dem Kommenden entgegen und mit einem Blick erkannte Wolff die Situation. Er sah den Vater schwankend, die Tochter flammend in Trotz und Zorn, sein Spiel schien verloren.

»Sie haben ja Ihren Brief nicht beendet,« sagte er mit größter Unbefangenheit, »ich suche Sie oben und Sie sind im Garten?«

»Ich war der Comödie satt, Herr Commissar. Ihr Spiel ist zu grob, als daß es mich länger amüsiren könnte.«

»Das bedauere ich, Fräulein; Sie wären schließlich doch vielleicht damit zufrieden gewesen. Aber sagen Sie mir, wie kommen Taschentücher der Baronin Stilten in Ihr Zimmer?«

Bertha erröthete und es war, als ob Flammen aus ihren Augen blitzten. »Haben Sie etwa mein Zimmer durchsucht?« rief sie, »hat die Baronin Sie beauftragt, mich als Diebin anzuklagen, wie es mit Wildhorst geschehen?«

»Durchaus nicht. Es wird Niemand glauben, daß Sie sich mit einem Taschentuch bereichern wollen. Aber sehen Sie, dieses Tuch, das ich eben in Ihrem Zimmer fand, enthält einen Glassplitter und ist mit einem Pechflecken behaftet. Ist das nicht sonderbar? Es klebt da an einem Ihrer Röcke das Tuch, mit dem die Spuren des Einbruchs verwischt worden sind!«

Bertha wechselte die Farbe, aber mit rascher Geistesgegenwart faßte sie sich. »Herr Kommissar,« sagte sie, »wer seine Freunde allzu eifrig vertheidigen will, führt sie zuweilen damit ins Verderben. Mein Vater ist Zeuge, daß Sie dieses Tuch in Händen halten, daß Sie selbst die daran haftenden Merkmale angegeben. Ich habe das Tuch entwendet. Ich gestehe es ein.«

»Und zu welchem Zweck haben Sie das Tuch entwendet, wenn ich fragen darf?«

»Um die Schuld der Baronin zu beweisen, wenn sie Freunde findet, die Unschuldige ins Verderben stürzen möchten, um eine vornehme und reiche Dame zu retten. Mit diesem Tuche wischte die Baronin das Fenster ab, damit man nicht bemerken solle, daß das Pechpflaster von Innen angesetzt worden. Ich hoffe, Sie nehmen das zu Protokoll, Herr Kommissar?«

Bertha maß ihn mit triumphirendem, höhnischen Blick.

Er schien bestürzt, verwirrt. »Sie wollen beschwören, daß Sie dies Tuch mitgenommen? Ich glaube, Sie hätten es dann besser verborgen. Nein, Sie haben es aus Versehen in Ihren Koffer gethan.«

»Ich bitte, meine Worte nicht zu deuten. Ich hätte es besser verborgen, wenn ich geahnt, zu welchen Diensten sich Beamte hergeben, wenn es gilt, eine vornehme Dame von Argwohn zu befreien. Ich hatte es heute morgen noch in Händen, ich konnte nicht vorhersehen, daß Ihre Sehnsucht Sie so bald zu mir führen werde.«

Die bittere Ironie schien ihn nicht zu verletzen. »Fräulein Bertha Hillborn,« sagte er, »Sie machen mir einen Vorwurf, der den Anschein der Gerechtigkeit hat. Ich habe Sie getäuscht, aber es geschah in der wohlmeinenden Absicht, Sie dadurch zu verhindern, sich weiter zu compromittiren. Wo ist das Billet, das Ihnen Wildhorst geschrieben?«

»Welches Billet? Ich weiß von keinem.«

»Das Billet, in dem er Sie auffordert, Nachrichten von ihm hier zu erwarten.«

»Sie sind besser unterrichtet, als ich. Sie wissen Dinge, die gar nicht geschehen. Suchen Sie doch nach. Sie geniren sich ja doch sonst nicht.«

»Das Billet ist mit der Post angekommen und vom Landbriefträger Ihnen abgegeben. Wollen Sie das leugnen?«

»Herr Kommissar, bin ich hier im Verhör?«

»Sie sind es. Die Kriminalpolizei verhört immer, wenn sie frägt.«

»Auch wenn sie mit ihren zärtlichen Gefühlen sich lächerlich macht?«

»Auch dann. Ich fordere Antwort.«

Wolff sprach die letzten Worte in ernstem, drohendem Tone.

»So antworte ich Ihnen, daß mir der Briefträger wohl einen Brief gebracht, daß derselbe aber nicht von Wildhorst war.«

»Sie werden die Güte haben,« wandte sich Wolff jetzt zum alten Hillborn, »einen Wagen anspannen zu lassen. Ihre Tochter ist verhaftet und wird mir zur Station folgen.«

Der alte Hillborn hatte Hoffnung geschöpft, daß der Beamte sich doch geirrt, die Antworten seiner Tochter schienen ja denselben zu beschämen. Um so unerwarteter traf ihn dieses Wort. Bertha schien wie vom Blitz getroffen, wie betäubt. Aber im nächsten Moment flammten der Stolz, die Empörung auf.

»Mit welchem Rechte wagen Sie das?« rief sie, dicht an ihn herantretend, als wolle sie die Hand gegen ihn erheben. »Mein Vater wird nicht gehorchen. Mit Gewalt sollen Sie mich fortziehen, wenn Sie es wagen. Das ganze Dorf soll Zeuge der Gewaltthat sein. Aller Welt werde ich zurufen: Dieser Mann verhaftet mich, weil ich gewagt, eine Mörderin, eine Elende zu entlarven. Als Buhle hat er sich hier eingeschlichen, und er verhaftet mich, weil ich ihm die Maske abgerissen. Es würde mich entehren, mit Ihnen allein zu fahren, ich gebe mich Ihnen nicht preis.«

»Bertha Hillborn,« versetzte Wolff mit größter Ruhe, »es steht ganz in Ihrem Belieben, mir gutwillig zu folgen oder abzuwarten, bis ich die Gensd'armen von der Station gerufen. Aus Schonung für Sie, für Ihre Eltern, wollte ich Ihnen diese Schande ersparen.«

»Gensd'armen!« rief sie knirschend und ihre Hände griffen nach dem Antlitz des Beamten, aber derselbe ergriff sie mit eiserner Gewalt. »Ich habe Handschellen bei mir,« sagte er, »geben Sie sich, oder ich brauche Gewalt. Ich stehe hier im Namen des Gesetzes. Doch vielleicht wird es Ihren Muth dämpfen, wenn ich Ihnen sage, weshalb ich Sie verhaften muß. Ihre Aussage vor Gericht war falsch und Sie wurden von der Polizei beobachtet, seit Sie B. verließen. Der Brief, den Sie ableugnen, ist Ihnen durch Vermittelung der Polizei zugestellt worden. Das Tuch, welches Sie zu einer Anklage gegen die Baronin benutzen wollen, habe ich nicht in Ihrem Zimmer, sondern in B. im Schlafgemach der Baronin gefunden. Sie sehen, daß Ihre eigenen Aussagen Sie anklagen. Sie sind meine Gefangene. Geben Sie es auf, der Wahrheit Trotz zu bieten, ein offenes Geständniß kann jetzt allein Ihre Strafe mildern. Und was zu Ihren Gunsten geschehen kann, will ich thun und Ihnen beweisen, daß ich, wenn auch nicht Ihr Liebhaber, doch Ihr Freund sein will.«

Bertha hatte dagestanden wie zermalmt unter der Wucht der Anklage, jetzt aber lachte sie bitter auf und wilder Hohn verzerrte ihre Züge. »Ich bedanke mich,« versetzte sie, »ich verachte Ihr Mitleid, wie Ihre sogenannte Freundschaft. Mit Tücke und Hinterlist haben Sie mich betrogen. Nun wohl, ich bin die Genossin Wildhorst's, ich gestehe ein, daß ich Sie zu täuschen versucht. Ich werde meine Strafe erdulden, aber nun soll auch die Baronin auf's Schaffot. Sie ist die Mörderin ihres Gatten, ich klage sie an. Bringen Sie mich vor Gericht, ich fordere es jetzt. Ich habe sie schonen wollen, aber Sie haben mich daran verhindert. Mag jetzt Alles zusammenbrechen. Ich werde die Wahrheit reden, Sie haben mich dazu gezwungen. – –«



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