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IX.

Als Paul Bentheim die Baronin verlassen, ging er beim Gericht vorüber, um nach Wolf zu fragen. Man sagte ihm, derselbe habe sich bereits entfernt, der Portier bemerkte jedoch, er werde wohl zum Herrn Staatsanwalt gegangen sein, da er den Weg rechts eingeschlagen.

Bentheim eilte nach Hause. Er war in fieberhafter Erregung. Nicht nur, daß der Zauber des schönen Weibes ihn umstrickt, daß die Theilnahme für die unglückliche, hülflose Frau sein Herz gerührt, daß er die Ueberzeugung hegte, ihr Herz sei rein – auch als Jurist war seine Leidenschaft erwacht, die Ehre einer Unschuldigen vor einem schmählichen Complot zu retten, die Mittel zu finden, sie vor einer Anklage zu schützen.

Wolf erwartete ihn in seinem Vorzimmer. Er lächelte, als er das glühende, vor Erwartung bebende Antlitz des Staatsanwalts sah. »Ich dachte mir,« sagte er, »daß ich noch zu später Stunde werde kommen dürfen. Ich habe viel entdeckt.«

»Nun? so redet. Sagen Sie mir vor Allem Ihre Meinung: werde ich die äußere Ehre der Baronin schützen können?«

»Gestatten Sie mir, Herr Staatsanwalt, daß ich die Vorgänge berichte.«

»Nein, hören Sie zuerst meinen Entschluß. Ich habe der Baronin, da ich von ihrer völligen Unschuld überzeugt bin, meine Hand angetragen und betrachte mich als ihren Verlobten. Wird die Anklage unvermeidlich, so lege ich mein Amt nieder, werde ihr Vertheidiger. Ich darf daher keinen Bericht hören.«

»Herr Staatsanwalt, so lange Sie keinen Vertreter haben, bin ich verpflichtet Ihnen zu berichten und Verhaltungsbefehle von Ihnen einzuholen. Die Sache ist dringend. Es muß sofort etwas geschehen. Sie können Ihr Amt nicht niederlegen, verzeihen Sie daß ich Ihnen das vorstelle, Sie wissen es selbst besser. Aber ich glaube, daß Sie auch später Ihr Amt in dieser Sache werden behalten können, ohne in einen schweren Conflict zu kommen, denn bis jetzt ist noch keine Anklage gegen die Frau Baronin zu erheben, ich hoffe sogar, dies wird überhaupt nicht nöthig werden.«

»Gott sei gelobt! So sind Sie auch von ihrer Unschuld überzeugt?«

»Dazu gehören für den Criminalisten Beweise der Unschuld, bis jetzt fehlen nur die Beweise der Schuld. Aber, wie ich schon gesagt, hier kann nur ein grobes Verbrechen oder ein Complot gegen die Unschuld vorliegen, und des ersteren halte ich nicht so leicht einer vornehmen Dame fähig, am wenigsten, wenn sie die Verehrung des Herrn Staatsanwalts besitzt.«

»Die besitzt sie. Ich will mich dafür verbürgen, daß sie nicht einmal einer Unwahrheit fähig ist.«

»Herr Staatsanwalt,« entgegnete Wolf, den Ton ändernd, »mein Bericht würde sehr lang sein, wenn ich auf die Details eingehe. Befehlen Sie dies, oder ich soll ein Resumé geben und Ihnen morgen die Akten vorlegen?«

»Das Resumé genügt. – Ich verlasse mich ganz auf Ihre Umsicht und bin überzeugt, daß die Sache in besten Händen ist.«

»Das bis jetzt festgestellte Resultat ist folgendes: Der Jäger Wildhorst besitzt ein Geheimniß der Baronin und will sein Schweigen von ihr erkaufen lassen. Die Baronin ist unschlüssig, sie schwankt. Sie vertröstet den Jäger. Dieser entschließt sich endlich, Gewalt zu brauchen. Er kommt hierher, bedroht die Baronin, sie scheut sich, ihn aus dem Hause werfen zu lassen, die Polizei zu rufen. Sie ruft ihre Zofe, besinnt sich, daß schon die Gegenwart des Jägers sie compromittirt, und läßt ihn entfliehen. Der Jäger raubt die Cassette, wie er behauptet, als Pfand. Er ist im Einverständniß mit der Zofe. Wie der Raub der Cassette geschehen, ist noch nicht erwiesen.«

»Wolf, Sie irren sich. Das ist eine kühne Combination. Wie wollen Sie das beweisen? Die Baronin sollte den Jäger gesprochen haben? Unmöglich!«

»Was ich gesagt, ist festgestellt durch verschiedene Aussagen, die trotz mancher Widersprüche den wahren Thatbestand klar durchblicken lassen. Der Gasthofbesitzer, bei dem Wildhorst gewohnt, sagt, daß der Jäger unbefangen erzählt, er gehe zur Baronin, die ihm eine Anstellung verschaffen werde. Um halb sieben Uhr ist der Jäger fortgegangen, um halb acht Uhr zurückgekehrt. Bei der Rückkehr war er erregt, hat erklärt, er reise wahrscheinlich noch in der Nacht ab. Um acht Uhr ist er wieder fortgegangen, um neun Uhr zurückgekehrt, dann nach Hamburg abgereist. Ein Dieb, der Verfolgung fürchtete, hätte vorsichtiger gehandelt. Bei der Verhaftung war der Jäger mehr überrascht, als ängstlich. Die Cassette war unversehrt.

Die Hausthüre der Baronin hat offen gestanden, der Portier ist nachlässig. Wildhorst ist unbemerkt in's Haus gekommen, es konnte dies wenigstens geschehen.

Um halb sieben Uhr ist das Stubenmädchen von der Zofe plötzlich fortgeschickt worden. Dasselbe ist um acht Uhr zurückgekehrt, als die Baronin eben fortgefahren. Das Mädchen ist dann in der Schlafstube gewesen, hat das Bett gemacht und nichts Ungewöhnliches bemerkt. Die Zofe dagegen hat im ganzen Hause erzählt, der Dieb müsse bei der Baronin gewesen sein. Die Neugierde hat sie seltsamer Weise nicht verleitet, das Schlafgemach der Baronin nach Abfahrt derselben zu betreten. Wohl aber hat sie das Mädchen, sobald es seine Arbeit beendet, zu Bett geschickt.

Nach allen Aussagen ist kein Schmutz an dem Sims des eingedrückten Fensters bemerkt worden. Derselbe ist also entweder, da der Erdboden draußen feucht gewesen, von einem Genossen des Diebes abgewischt worden, oder der Dieb ist nicht von Außen eingestiegen.

Die Zofe behauptete im Verhör, die Baronin habe seit Monaten auf sie den Eindruck gemacht, als ob ein Schuldbewußtsein sie quäle. Sie bestreitet, in Beziehungen zu Angehörigen des Gutes Stilten gestanden zu haben, wollte sogar das Gut nicht kennen, obwohl sie in K., eine Meile davon, bei einer Frau von R. gedient. In K. hat sich der Jäger Wildhorst vielfach aufgehalten. Er gesteht, daß er die Zofe mit Anträgen verfolgt, daß sie seine Ansprüche bei der Baronin geltend gemacht, daß sie ihm im Vorzimmer der Baronin begegnet sei. Das Gerücht, daß der Baronin eine Anklage drohe, verbreitete sich, sobald die Nachricht da war, daß der Dieb ergriffen sei. Es scheint also klar, daß Wildhorst und die Zofe Bertha im Complot gehandelt. Die Zofe hat Alles gethan, durch ihre Aussage die Herrin zu verdächtigen. Die Zofe hat sich in ihren Aussagen mehrfach widersprochen, und zwar in der unverkennbaren Absicht, darzuthun, daß sie keine Kenntniß von dem Besuche des Jägers bei der Baronin gehabt. Wildhorst erklärt, sie habe ihn gebeten, der Baronin nicht zu sagen, daß er sie getroffen. Nehme ich nun an, wie sich Alles gestaltet hätte, wenn der Dieb entkommen wäre, so kommt Licht in das Vorangegangene und einzelne Thatsachen stellen sich klar heraus. Gesetzt, Wildhorst hätte Hamburg oder die englische Küste oder gar Newyork erreicht, ohne verfolgt zu werden, so würde er der Baronin, vom sicheren Orte aus, das Lösegeld für die Cassette gestellt haben, vielleicht hätte er sich auch anders besonnen, das ist gleichgültig. Es steht fest, daß er die Absicht gehabt, zu unterhandeln und ihr gegenüber den Raub nicht zu leugnen, sonst hätte er die Cassette geplündert und dann in den Fluß geworfen, anstatt sich mit ihr auf der Reise zu beschweren. Die Baronin hätte voraussichtlich den geforderten Preis bezahlt, wenn er dem Werthe entsprochen, den die Cassette für sie gehabt. Der Umstand, daß sie der Polizei gegenüber bei Enthüllung des Verbrechens keine Verdachtsmomente, die sehr nahe gelegen, angegeben, daß sie mich ersucht, die Verfolgung respektive Festnahme und Herschaffung des Diebes zu inhibiren, beweist, daß sie den Jäger Wildhorst, selbst nicht auf die Gefahr, die Cassette für immer zu verlieren, verfolgen mochte. Sie hätte also, wie der Jäger vorher berechnet, das eingedrückte Fenster als Vorwand benutzt, den Verdacht auf einen gewöhnlichen Dieb zu lenken. Sie hat ferner dem Jäger kein Verbrechen zugetraut, sonst wäre im ersten Moment der Entdeckung des Diebstahls auf diesen der Verdacht gefallen und sie hätte keinen Lärm gemacht. Der Gedanke kam ihr erst später, und dadurch scheint mir die Aussage des Jägers erklärlich, daß er sie bedroht, daß sie ihn mit Versprechungen vertröstet. Sie hat eine andere Art der Rache von ihm gefürchtet, nicht diese.

Die Zofe erklärte erst, daß sie das Haus verlassen wolle, als die Ergreifung Wildhorst's bekannt wurde, als die Baronin von der Absicht, abzureisen, sprach. Sie hat schon am Morgen bei der Dienerschaft das Gerücht verbreitet, es wäre ein Fremder heimlich bei der Baronin gewesen. Sie hat also Vorbereitungen getroffen, den Thatbestand festzustellen, falls die Baronin eine Verfolgung eintreten ließ, sie wollte dieselbe einschüchtern. Der Verkehr des Staatsanwalts im Hause mochte sie beunruhigen. Sie interessirt sich für Wildhorst, kannte seine Pläne, das geht aus Allem hervor. Sie wagte für ihn falsche Aussagen vor Gericht, indem sie that, als ob sie ihn nicht kenne. Ich zweifle kaum, daß das Gerücht, der Baronin drohe eine Anklage, von ihr ausgegangen ist. Sie hat einen moralischen Druck im Interesse Wildhorst's ausüben wollen. Wildhorst selbst ist in seiner Aussage stets bemüht gewesen, die Theilnahme der Zofe in Abrede zu stellen, die Baronin soweit zu schonen, daß er es noch von ihr abhängig machte, ob er sie weiter compromittirt oder nicht. Es liegt darnach vorläufig nur der Versuch einer gewaltsamen Erpressung vor, es hängt von der Aussage der Baronin ab, ob sie die Pfandnahme der Cassette als mehr oder minder berechtigt anerkennt. Gegen die Baronin ist keine Anklage zu erheben, von ihr hängt es ab, ob sie das Geheimniß, das der Jäger kennt, bewahrt wissen will auf Kosten ihres Rufes.«

»Das wird sie nicht!« rief Bentheim. »Das darf sie nicht!«

»Herr Staatsanwalt, nehmen wir an, die Baronin sei völlig rein von jeder Schuld, aber ein böser Zufall habe den Jäger eine Entdeckung machen lassen, mit der er sie compromittiren kann, ohne daß sie Mittel hat, ihn Lügen zu strafen, so ist es erklärlich, daß sie lieber Opfer bringt, als sich einem Skandal aussetzt. Ihr Zögern, den Jäger zu befriedigen, spricht für ihre Schuldlosigkeit, aber vor Gericht würden die Anstrengungen, die sie gemacht hat, den Besuch zu verheimlichen, mich zur Freilassung des Gefangenen zu bewegen, schwer gegen sie in's Gewicht fallen. Die ganze Verhandlung würde dem großen Publikum Stoff genug geben, die gehässigen Verleumdungen, welche die Feinde der Baronin ausgestreut, bestätigt zu sehen. Die öffentliche Stimme würde Untersuchung fordern. Die Verwandten Stilten's werden dieselbe geradezu beantragen. Es scheint mir daher im Interesse der Baronin zu liegen, das Gewicht der Voruntersuchung darauf zu legen, daß die Thatsache festgestellt wird, welche der Jäger zu seiner Erpressung benutzen will.«

»Und wie wollen Sie das beginnen?«

»Ich hätte einen Plan, wenn der Herr Staatsanwalt mir freie Hand lassen und mir die nöthige Vollmacht ertheilen!«

»Ich willige ein, aber ich mache Ihnen vorher bemerklich, daß die Baronin im Punkte der Ehre sehr empfindlich ist und lieber Hand an sich legen würde, als daß sie sich öffentlich blosgestellt sieht.«

»Das Letztere werde ich zu vermeiden wissen. Meine Taktik wird die sein, alle Betheiligten glauben zu machen, daß ich in ihrem Interesse handle, daß derjenige, der mich dupiren will, mich dupirt hat. So habe ich Bertha Hillborn, die Kammerzofe, ruhig abreisen lassen. Sie fühlt sich ganz sicher und ich bin überzeugt, sie wird sich compromittiren. Wenn ich morgen die Baronin vernehme, wird sie in mir nur den Mann sehen, der bemüht ist, ein gegen sie gerichtetes Complott zu Schanden zu machen, und sie wird sich darin nicht täuschen, wenn dies Complott ein verbrecherisches war. Ich werde den Verwandten des Baron Stilten als der Beamte gelten, welcher die Gerüchte über die Todesart des Barons aufzuklären erschienen, ich beabsichtige im Interesse der Untersuchung dieser Angelegenheit nach dem Schlosse des Verstorbenen zu reisen. Ich erbitte von Ihnen nur, dafür Sorge zu tragen, daß die Baronin nicht das Land verläßt, daß der Jäger Wildhorst unbedingt in strenger Haft bleibt. Ich verspreche dagegen, Alles daran zu setzen, die Wahrheit festzustellen und, wenn die Pflicht es nicht verbietet, der Baronin jede Unannehmlichkeit zu ersparen. Es giebt für mich nur eine Möglichkeit, welche dann freilich ihre Verhaftung nothwendig machen würde – die, daß das Geheimniß den Tod des Barons Stilten betrifft und daß dort eine Schuld bemäntelt worden.«

»In diesem Falle gebe ich Ihnen die Baronin preis,« sagte Bentheim, »ich werde nie einen Verbrecher schützen. Aber das ist unmöglich. Sie werden sie sehen, mit ihr sprechen und dann meiner Ueberzeugung sein. Ich bin vollkommen ruhig in dieser Beziehung und glücklich, daß ein so tüchtiger Beamter, wie Sie, die Leitung dieser Untersuchung führt.«

Es war spät nach Mitternacht, als Wolf sich entfernte. Bentheim hätte ihn gern noch länger festgehalten; es war erklärlich, daß er für diesen Criminalfall ein fieberhaftes Interesse hatte.

Als er jetzt allein war, zogen die Bilder der letzten Ereignisse bunt und wirr vor seiner Seele vorüber. Da stiegen doch wieder Zweifel auf und kämpften mit der festen, frohen Ueberzeugung des Herzens. Julie hatte seine Annäherung verletzend zurückgewiesen bis zu dem Moment, wo sie seiner bedurfte. Da war sie ihm plötzlich entgegen gekommen. Sie hatte Erkundigungen über ihn eingezogen. Gestern auf dem Balle hatte sie ihn in ein vertrauliches Gespräch gezogen, ihm die Hand gereicht, als habe sie das Geschwätz der Leute bestätigen wollen. Die Verlobte des Staats-Anwalts ist ziemlich sicher vor Verdächtigungen. Und doch wieder, wie hatte sie heute zu ihm gesprochen! Nur die Flucht könne sie retten! Ein solches Geständniß macht kein Schuldiger, der die Schuld leugnet, kein Bedrängter, der Vertrauen fordert!

Was hatte ihn für diese Frau eingenommen? Ihr Zauber hatte seine Sinne zuerst gefesselt, ihn geblendet. Ihre beleidigende Kälte hatte ihn neugierig, hartnäckig gemacht, aber in seiner Brust hatte Etwas gegen das erwachende Gefühl der Liebe gekämpft und dies Etwas war ihm plötzlich handgreiflich klar geworden, als er gehört, daß sie die Gemahlin des Freundes vom Grafen Hartwig gewesen. Da hatte ein finsterer Argwohn seine Seele durchzuckt, da hatte er plötzlich zu verstehen geglaubt, was zuweilen unheimlich in ihren schönen Augen gefunkelt, was ihn gemahnt, Herr seiner Gefühle zu bleiben.

Und jetzt, wo der Criminalbeamte dem Argwohn Halt verliehen, wo das Gespenst der Criminalanklage auftauchte, da rief sein Herz, daß es sich für sie verbürgen wolle, da war er plötzlich bereit, Carrière und Ansehen zu opfern, um an ihrer Seite zu stehen!

War es die Macht der Unschuld, die unwiderstehlich ihn in Fesseln geschlagen und ihn aufgerufen, für sie die Lanze zu ergreifen, oder die Macht der Sirene, die ihn mit einem Lächeln der Liebe gewonnen? War er berauscht, geblendet, oder folgte er dem innersten Gefühl, dem Zuge des Herzens? Liebte er sie wahrhaft, dann mußte er an ihre Unschuld glauben, auch wenn der Verhaftsbefehl nothwendig geworden. Es war ein folgenschwerer Schritt, daß er ihr heute Hand und Namen geboten, heute, wo die Anklage ihr drohte. Die Leidenschaft hatte ihn hingerissen, jetzt mußte er die Folgen tragen. –

Als dieser Gedanke schwer durch seine Seele zog, sprang er auf, als wolle er alle Bedenken abschütteln. Du mußt vertrauen, rief es in ihm, oder du müßtest dich verachten. Du bist kein Kind, sondern ein Mann, und wo du deine Ehre als Bürgschaft in die Waagschaale geworfen, da wäre es unwürdig, im nächsten Moment zu zagen. Frohen Muthes sollst du vertrauen oder bekennen, daß du ein Narr des Gefühls gewesen.

Er schritt zum Secretair, die Verlobungsanzeige für die Zeitungen zu schreiben. Er war entschlossen, dieselben abzusenden, noch ehe der Criminalbeamte die Baronin besuchte. Die Loyalität, die Ehre geboten ihm das. Willigte er in ein Manöver, welches ebenso gut von der Baronin eine Perfidie, wie vom Publikum eine Bevorzugung genannt werden konnte, sobald es seinen Zweck nicht erreichte, so mußte er sich gegen den Argwohn sichern, daß er entweder an der Baronin gezweifelt oder parteiisch für sie gehandelt und das konnte er nicht besser thun, als mit der Erklärung, daß ihre Ehre die seine sei. Jeder Schritt, den er jetzt unternahm oder den er duldete, war vor mißverständlicher Erklärung geschützt, da er vorher sich gewissermaßen für die Ehre der Baronin verbürgt. Er fühlte wohl, daß er nur als ihr Verlobter es wagen dürfe, Wolf seinen Weg gehen zu lassen und doch als Freund im Hause zu verkehren, daß nur auf diese Weise eine für jeden Argwohn fühlbare und verständliche Grenze zwischen Privatbeziehungen und Pflichten des Staats-Anwaltes gezogen würde.

Die schöne, reiche, gefeierte Baronin Julie von Stilten, welche gestern noch dem vornehmsten und höchstgestellten Cavalier eine Ehre erwiesen hätte, wenn sie ihm ihre Huld gespendet, war durch Mißgeschick, Verleumdung oder Schuld heute in zweifelhafter Lage und konnte morgen aus derselben entweder triumphirend hervorgehen oder gebrandmarkt sein, und heute also mußten sich ihre Freunde bewähren, heute mußte es sich zeigen, wer aufrichtig ergeben. Wie erbärmlich aber hätte der Mann dastehen müssen, der ihr gestern gehuldigt und der beim ersten Schatten, der ihrem Leben drohte, feige zurückwich und seine bisherigen Betheuerungen Lügen strafte! Wie verächtlich mußte selbst derjenige erscheinen, der heute sie angebetet und, wenn eine Schuld auf ihr lastete, morgen nicht einmal so viel Mitleid mit ihr hatte, der Unglücklichen als Freund zur Seite zu stehen!

Bentheim war es, als erfülle er ein Gebot der Ehre, mit dem kommenden Morgen seine Verlobung anzuzeigen und somit selbst ohne bestimmte Erlaubniß den entscheidenden Act zu begehen. Er hatte ihr Herz und Hand geboten, jetzt mußte er ihr beweisen, daß er ihrer Liebe würdig. Vertraut doch das Weib mit ihrem Jawort ihre ganze Existenz dem Manne an, der ihre Gunst erworben, und schmiegt sich unter seine Herrschaft, nimmt seinen Namen, seinen Stand, seine Sorgen an. Dasselbe that Bentheim heute für sie, und wie auffallend die plötzliche Mittheilung in den Blättern auch war, ehe ein Verlobungsfest gefeiert worden, ehe überhaupt Jemand eine Ahnung von der erfolgten Verständigung der Seelen erhalten, um so besser erfüllte sie den Zweck. Die ganze Stadt mußte in dieser Handlung die Absicht Bentheim's erkennen, Julie vor jedem nachtheiligen Gerücht zu schützen, mit dem Schilde seiner Ehre sie zu decken. Der Stadtgerichts-Präsident, die Justiz- und Polizei-Beamten, welche vielleicht schon aus den letzten Vorgängen ein Vorurtheil gefaßt, mußten annehmen, daß Bentheim durch besondere Recherchen sich Gewißheit von der Unschuld der Baronin an den ihr durch Gerüchte zur Last gelegten Beschuldigungen verschafft, und es mußte ein Umschwung der öffentlichen Meinung sofort erfolgen.

Bentheim fühlte die ganze Bedeutung des Schrittes, den er gethan, als er die Annonce in die Druckerei des Morgenblattes mit der Bitte sandte, dieselbe noch in die nächste Nummer zu bringen, aber ein Gefühl stolzer Befriedigung hob dabei seine Brust. Diese Genugthuung warst du dir selber schuldig, sagte er zu sich, denn du hast derjenigen deine Liebe geschworen, an der du gezweifelt. Es ist keine Schande für einen Mann, wenn sein ehrliches Vertrauen betrogen wird, aber er ist keiner Achtung werth, wenn sein Vertrauen bei der ersten Prüfung erbebt. Der Würfel ist gefallen – du wirst der glücklichste Sterbliche werden oder ein Opfer betrogenen Vertrauens sein. Mag aber kommen, was da wolle, dir bleibt das Bewußtsein, daß du dem Gebot der Ehre gefolgt!



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