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XXIX.

Wolff beendete die Inspektion, indem er die Schlafgemächer, die Corridorthür und den Ausgang aus dem Schlafgemach der Baronin nach der Veranda in Augenschein nahm. Dann kehrte er zurück, ersuchte den alten Felter, hinauszugehen, er habe in Gegenwart des Verwalters einige Fragen an Elisen zu richten.

Der Alte schritt zu Elise. »Sprich die Wahrheit, mein Kind,« sagte er, »und verberge nichts. Gott läßt die Wahrheit doch an's Licht kommen und die Unschuld triumphiren!«

Elise küßte die Hand des Vaters und ihr Blick sagte ihm, daß sie fühle, welchen Kummer sie ihm bereite. »Gott gebe es,« versetzte sie, »daß die Wahrheit triumphirt, ehe ein Unschuldiger unterdrückt wird. Ich werde dem Gericht Rede stehen, wie ich es schuldig bin.«

Der Alte wankte hinaus.

»Ihr Vorsatz ist lobenswerth,« sagte Wolff, zu Elise gewendet, »wenn Sie ihn mit Ernst ausführen. Beantworten Sie meine Fragen daher offen.«

»Herr Kommissar,« erwiderte sie und ihr Antlitz flammte, »ich versprach meinem Vater, dem Gericht Rede zu stehen. Sie haben mir aber nicht nur angekündigt, sondern auch bewiesen, daß Sie das Interesse der Baronin vertreten. Ihnen gegenüber muß ich daher Vorsicht gebrauchen!«

»Sie irren sich sehr,« entgegnete Wolff. »Ich gab mich, als ich zuerst hierher kam, nicht sogleich als Kriminalbeamter zu erkennen, um Nachforschungen halten zu können, welche die Baronin nicht compromittirten, aber ich forderte von hier aus die Verhaftung der Baronin. Als Beamter nehme ich für Niemand Partei, ich würde dadurch meine Pflicht gröblich verletzen. Was Sie aber betrifft,« fuhr er fort, als Elise eine spöttische Geberde der Ungläubigkeit machte, »so steht es in Ihrer Macht, meine Fragen sofort zu beantworten oder verhaftet zu werden.«

»Das wagen Sie nicht!« rief Elise flammend vor Erregung, »ich habe eine Vorladung als Zeugin erhalten und werde erscheinen.«

»Sie werden, wenn ich es nöthig finde, noch heute verhaftet werden,« entgegnete Wolff kalt, »das Gericht zu K. hat bereits einen Beamten damit beauftragt, den ich nur zu requiriren brauche.«

»Das will ich doch sehen!« rief sie in flammender Leidenschaft. »Versuchen Sie, was Sie verantworten können. Ich denke aber, es giebt noch im Lande Gerechtigkeit, die den Unschuldigen schützt.«

»Eben diese Gerechtigkeit fordert, daß Jeder der Criminalpolizei Rede stehe. Denken Sie an Ihren alten Vater. Schon um seinetwillen, um ihm Kummer und Schande zu ersparen, sollten Sie Ihren Trotz beugen. Was haben Sie davon, wenn Sie mir die Antwort verweigern? Sie zwingen mich, Sie zu verhaften. Was kann es schaden, wenn Sie mir die Wahrheit sagen, die Sie dem Gericht nicht vorenthalten wollen?«

Er sprach diese Worte freundlich ermunternd, als er sah, daß die Erinnerung an ihren Vater den Trotz zu brechen schien.

»Ich werde antworten,« sagte sie, die Thränen des gedemüthigten Stolzes bekämpfend, »was wollen Sie wissen?«

»Hat Ihnen Wildhorst das Billet gezeigt, das er im Kleide der Baronin gefunden?«

»Ja.«

»Hat er Ihnen seine Absicht nicht mitgetheilt, dasselbe dem Baron zu zeigen?«

»Er ließ es mich errathen, daß er dies thun werde.«

»Gut. Das geschah, ehe er nach K. ritt. Sagte er, daß er früher zurückkehren werde?«

»Nein. Wir sprachen nicht wieder darüber. Ich überließ ihm zu thun, was er für gut hielt. Ich billigte seine Absichten nicht, aber ich wußte, daß er dem Baron Treue schuldete.«

»Wann sahen Sie ihn wieder?«

»Bei der Leiche des Barons.«

»Nicht früher? Besinnen Sie sich!«

Elise ward verlegen, sie erröthete heftig. »Erlassen Sie mir die Antwort, Herr Commissar,« stotterte sie.

»Grade an dieser Antwort liegt mir viel. Kann die Wahrheit der Unschuld schaden? Ist Wildhorst unschuldig, so kann ihn nur die Wahrheit retten.«

»Ich glaube es, aber ich habe ihm gelobt, nichts von dem zu sprechen, was an diesem Tage zwischen uns vorgefallen.«

»Ein solches Gelöbniß gilt nicht vor Gericht.«

»Kein Gericht der Erde kann mich zwingen, einen Verrath am Vertrauen zu üben und ein gegebenes Wort zu brechen, und ich schwöre es, kein Gericht der Erde soll mich dazu zwingen. Er ahnte es schon damals, daß der Haß der Baronin ihn verfolgen werde, er wollte den Richtern erklären, daß sie die Schuldige am Selbstmord ihres Gatten, auf meine Bitten unterließ er das, ich sagte ihm, es sei unedel, solche Rache zu nehmen, ich könne keinen Mann lieben, der meine Wohlthäterin verfolge, ohne daß eine Pflicht ihn dazu zwinge.«

»So weigern Sie sich nähere Auskunft zu geben? Auch wenn ich Ihnen sage, daß Ihr Schweigen Wildhorst ärger compromittirt als die Offenheit dies vermöchte?«

»Ich werde mein Wort halten, bis er mich davon entbindet. Fragen Sie ihn selbst, er wird die Wahrheit gestehen.«

»Dann haben Sie auch wohl keine Freiheit, sich darüber auszusprechen, was aus dem Billet geworden, das Wildhorst entwendet. Das ist der rechte Ausdruck, denn er hat es mit Ihrer Hilfe aus dem Kleide der Baronin heimlich genommen.«

»Er hat es in die Hände des Barons gelegt. Im Auftrage des Barons hat er gehandelt.«

»Ward das Billet bei der Leiche des Barons gefunden?«

»Nein,« versetzte Elise.

»Hindert Sie Ihr gegebenes Wort, mir zu sagen, wo dasselbe geblieben?«

»Ich glaube nicht. Wildhorst war sehr beruhigt, als man dasselbe nicht fand. Wäre dies geschehen, so nützten alle seine Bemühungen, die Ehre der Baronin zu retten, nichts.«

»Aber wo sollte es denn geblieben sein?!«

»Herr Commissar, der Geldschrank war offen. Der Baron hatte die Gewohnheit, wichtige Papiere gleich zu verschließen. Er dachte an Scheidung und brauchte dazu ein Document. Es gab nur eine Person, die Interesse daran hatte, daß dieses Billet verschwand.«

»War Wildhorst auch der Ansicht, daß die Baronin das Billet gesucht und vernichtet?«

»Er sagte dies mit Bestimmtheit zu mir, als die Leiche visitirt worden und man das Billet nicht gefunden. Ich hätte die Baronin nie so hart beurtheilt, wenn ihr diese Ruhe und Geistesgegenwart in dem schrecklichen Moment gefehlt. Aber sie ließ den Geldschrank offen, um nachzusuchen, als wir uns entfernt.«

»Da hat sie doch wohl erst an der Leiche gesucht. Fanden Sie Blut an ihren Kleidern?«

»Ja.«

»Und wo?«

»Am unteren Kleide, am Schuh.«

»Also nicht an den Aermeln?«

»Nein.«

»Fanden Sie blutiges Wasser im Waschbecken der Baronin?«

»Das weiß ich nicht mehr genau.«

»Hat die Baronin mit Ihnen nicht über den Vorfall, über das Benehmen Wildhorst's gesprochen?«

»Nein, Sie war sehr gütig gegen mich, obwohl ich ihr kaum den Widerwillen verbergen konnte, den ich gegen sie fühlte. Ich vermied es, irgend eine Frage zu thun, und sie noch mehr. Wildhorst war bei ihr und sagte mir, daß er ein langes Gespräch mit ihr gehabt, daß sie ihm keinen Groll mehr nachtrage, sondern gesagt, sie schulde ihm Dank.

Er sollte ihr vertrauen. Wenn sie ihn jetzt besonders belohne, würde das Verdacht erwecken, er solle sich daher gedulden. Wildhorst baute auf ihr Wort; wenn er endlich ungeduldig geworden, als Noth und Elend ihn bedrängten, so muß ihm das jeder billig Denkende verzeihen.«

»Sie sind ein braves, wackeres Mädchen,« sagte Wolff, ihr die Hand reichend, »aber dieser Mensch hat Ihr Herz schmählich betrogen. Werden Sie jetzt daran glauben, wenn ich Ihnen sage, daß er Sie auch hierin getäuscht, daß er das Billet des Grafen Hartwig besaß, daß er die Baronin mit dieser Waffe bedroht?«

Elise erbleichte; einen Moment stand sie da, wie von Schrecken gelähmt, aber schon im nächsten Moment lächelte sie und schöpfte Athem. »Wenn er das Billet besessen,« erwiderte sie, »so verstehe ich jetzt, was er meinte, als er mir sagte: er halte ein Pfand in Händen, die Baronin an ihre Schuld zu erinnern. Dann hat sie ihm das Billet geben müssen, als Bürgschaft für ihre Verheißungen, und obwohl er mir das verschwiegen, muß ich ihn doch ob dieser Vorsicht loben. Die Erfahrung zeigt, daß er sie nöthig hatte.«

»Sie irren sich. Er hat selbst gestanden, daß der Baron den Brief in der Wuth zerknittert und von sich geworfen, daß er das Billet dann im Garten gesucht und gefunden.«

»Das ist nicht möglich! Er war so unruhig, er bat mich noch am späten Abend, bei der Leiche nachzusehen, ob das Billet in der Tasche stecke. Ich verweigerte das, obwohl er sagte, es handle sich um die Ehre der Baronin. ›Mag sie die selber schützen!‹ antwortete ich, ›die Leiche wird nicht angetastet, das wäre Raub.‹«

»Ich glaube jetzt, daß er Sie nicht getäuscht, daß er nur vor Gericht nicht gestehen mochte, daß er an den Schrank gegangen und aus dem Geldspinde das Billet entwendet. Wenn ihm die Baronin das Billet gegeben, wozu dann die Lüge, daß er es im Garten gefunden? Sie sehen, er hat Sie getäuscht, also ist das Wort gelöst, das Sie ihm gegeben.«

Elise schüttelte den Kopf. Sie schien in ihrem Glauben erschüttert aber noch nicht besiegt. »Nein!« rief sie, alle ihre Entschlossenheit zusammen raffend, »wer mich täuschen will, das sind Sie! Sie haben mir auch gesagt, er sei einer Anderen verlobt. Ich werde ihm mein Wort und meine Treue halten, bis ich sehe, daß seine Feinde Recht haben, und davor bewahre mich Gott, dann wäre mir besser, ich wäre nie geboren!«

»Armes Kind, es muß doch etwas Gutes an ihm sein, daß er Ihr Herz sich gewinnen konnte. Aber beachten Sie wohl, daß ein Fehltritt aus Leichtsinn den Menschen zu der Treppe bringen kann, die in den Abgrund führt und daß dies unfehlbar geschieht, wenn der Mensch nicht in sich die Kraft besitzt, den ersten Fehltritt sofort wieder gut zu machen, sich nicht zu schämen, ihn einzugestehen. Das war mit Wildhorst nicht der Fall. Sie geben selbst zu, daß er mehr und mehr sich hat fortreißen lassen von Leidenschaften, die Sie bedauerten. Seien Sie also vorsichtig darin, ihm allzusehr zu vertrauen und ihm neue Opfer zu bringen, indem Sie noch jetzt ihn vertheidigen wollen. Es ist schon nicht leicht der Welt zu trotzen und der Tugend zur Seite zu stehen, die verleumdet worden ist, wie aber wollen Sie sich vor der Liebe und Sorge Ihres Vaters rechtfertigen, wenn Sie aus Liebe zu einem leichtfertigen Menschen dem Gericht die Auskunft verweigern? Es handelt sich um eine schwere Anklage gegen die Baronin von Stilten und gegen Wildhorst, Ihr Schweigen verdächtigt beide und vielleicht den Einen unschuldig, ohne daß Sie damit dem Anderen nützen. Ihr Schweigen zwingt mich aber, Sie verhaften zu lassen. Sie werden selbst einsehen, daß dasselbe den Argwohn einer Mitschuld erwecken muß, da Sie mit dem Jäger vertraut gewesen und daß es eine sehr bequeme Ausflucht für Jeden, der kein Zeugniß geben will, wäre, zu sagen, er habe Schweigen gelobt, daß ich also, wenn ich Ihnen auch glaube, doch als Beamter gezwungen bin, Gewalt zu brauchen. Vertrauen Sie mir also die Wahrheit an – wo sahen Sie zuerst Wildhorst wieder, als er von K. zurückgekehrt war?«

Elise war durch den wohlwollenden Ton irre geworden und in ihrem Entschlusse erschüttert, vielleicht sagte sie sich auch selber, daß in so ernstem Falle, wo es sich für die Angeklagten um ihr Schicksal handelte, ihr Schweigen ein Verbrechen sei, aber es mußte noch etwas Anderes, als die Scheu, ihr Wort zu brechen, ihr das Geständniß erschweren, denn das Blut schoß ihr in die Wangen und sie senkte den Blick zu Boden. »O mein Gott,« murmelte sie, »welche Martern legt man mir auf, womit habe ich das verdient! Ist es denn nicht genug,« rief sie, »wenn ich vor Gott einen Eid darauf ablegen will, daß Wildhorst unschuldig ist an dem Tode des Barons, daß er nichts darüber wissen kann, als was die Baronin ihm gesagt oder ich ihm mitgetheilt? Ist's nicht genug, wenn ich bei dem Segen meiner todten Mutter beschwören will, daß Alles, was ich angeben könnte, wenn ich das gegebene Wort breche, weit entfernt davon ist, in der Angelegenheit der Baronin Aufklärung bringen zu können, daß es nicht in Beziehung stehen kann zu der Untersuchungssache?«

»Liebes Kind, abgesehen davon, daß solche Betheuerungen nie das wirkliche Zeugniß ersetzen können und Sie auch nicht im Stande sind, zu beurtheilen, was für die Aufklärung des Sachverhalts wesentlich ist oder nicht, ist Ihre Bürgschaft für das Gericht werthlos, da Sie für diesen Wildhorst überaus eingenommen sind und sich sträuben, von ihm etwas Schlechtes zu glauben. Das spricht für Ihr Herz, nur gute Menschen haben dies fromme Vertrauen auf die Tugend Anderer, aber nicht für Ihr Urtheil. Sie sträuben sich auch dagegen, die Thatsache zu glauben, daß Wildhorst einer Anderen so gut wie Ihnen sich verlobt, daß er falsche Aussagen vor Gericht abgelegt, und wie er Sie in einer Sache getäuscht, kann er das auch in jeder anderen gethan haben.«

Elise zuckte zusammen, als er die alte Beschuldigung wiederholte, diesmal aber loderte nicht der Zorn in ihr auf, ein tief schmerzliches Lächeln zuckte um ihren Mund. »Herr Commissar«, versetzte sie, »Sie brauchen mich nicht zu verhaften und mit Gewalt nach B. zu schaffen, ich muß dorthin. Ich kann nicht glauben, daß Sie ein frevelhaftes Spiel mit einem Herzen treiben, das mehr gelitten, als ich beschreiben kann. Sie müssen also getäuscht worden sein, oder ich bin eine Elende, die blind und taub in ihr Verderben gegangen. Ich muß Wildhorst sehen, muß von ihm hören, ob es wahr ist, daß er mich getäuscht, daß er mit mir ein schnödes Spiel getrieben. Ehe ich das nicht von ihm selber gehört, eher werde ich es nicht glauben. Ist er aber bei Ihnen verleumdet, so werden Sie Gerechtigkeit üben und auch mit ihm Mitleid haben, ja, um ihn von jedem Verdacht zu reinigen, dasselbe thun, was Sie für die Baronin gethan.«

»Gewiß werde ich das,« versetzte Wolff bewegt und mit trübem Lächeln, denn er zitterte für das arme Mädchen, dessen Vertrauen so arg getäuscht worden, »ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich dafür sorgen werde, daß Niemand dem Jäger die Achtung versagen soll, die ihm gebührt, wenn er edel an der Baronin gehandelt und durch deren Verfolgung unschuldig gelitten, aber bereiten Sie sich auch darauf vor, eine schwere, bittere Enttäuschung zu erfahren.«

Mit banger Ungeduld hatte der alte Felter den Ausgang des Verhörs erwartet – er war befriedigt und guter Hoffnung voll, als Elise sich an seine Brust warf und ihn bat, mit ihr nach B. zu reisen, sie wollte selber prüfen, ob Wildhorst ihrer Liebe unwürdig geworden und nie wieder seinen Namen nennen, wenn der Commissar nicht selber eingestehen müsse, daß er dem Jäger Unrecht gethan.

Man sah es Elisen an, daß sie immer unsicherer wurde in ihrer Hoffnung, Wildhorst gerechtfertigt zu sehen, daß sie Schaam darüber zu empfinden schien, daß sie ihre Wohlthäterin so hart angeklagt und sie wandte den Blick ab, als Wolff ihr sagte, die Baronin habe sich sehr günstig über ihren, Elisens Character, geäußert, und erklärt, daß auch sie Wildhorst keines Verbrechens fähig halte.

Von dem Augenblicke an, wo Elise sich daran gewöhnt, die Untreue und Falschheit Wildhorst's für möglich zu halten, wo Vertrauen zu Wolff sich in ihr Herz geschlichen, da verriethen ihre feuchten Augen, das Wogen ihrer Brust, die gepreßte, bebende Stimme, wie der furchtbare Kampf in ihr dem Erlöschen nahe, um der Verzweiflung Platz zu machen. Dann aber ruhten die Augen Wolff's mit seltsamen Ausdruck auf ihr, als ob Genugthuung und Theilnahme mit einander im Streit, als wünsche er, diese Thränen trocknen zu können und als seien ihm dieselben noch köstlicher, als Perlen.

Wolff geleitete Felter und seine Tochter in einen kleinen Gasthof zu B. und versprach ihnen, noch im Laufe des Nachmittags Nachrichten zu bringen, ob Wildhorst der Besuch seiner Braut gestattet sei.

Bei dem Worte »Braut« erröthete Elise unter dem forschenden Blicke des Beamten und fast traf ihn ein Blick des Vorwurfs. Er hatte bisher so schonend sie behandelt und so zarte Sorgfalt unterwegs ihr bewiesen, daß sie den Mann lieb gewonnen wie einen Freund – das Wort Braut mußte unter den obwaltenden Verhältnissen wie Spott aus seinem Munde klingen.

»Ja,« flüsterte er, »ich sage absichtlich Braut. Als solche hat Ihr Vertrauen Sie hergeführt, und wie ein rechtschaffener Freund werde ich Sie so nennen, bis Sie die Beweise anerkennen, daß er das Band zwischen Ihnen zerrissen, oder ich eingestehen muß, daß ich mich getäuscht. Machen Sie sich auf Alles gefaßt – nehmen Sie Ihren ganzen Muth zusammen, es wäre Ihrer unwürdig, eine Schwäche zu zeigen, wenn elender Verrath Sie betrogen.«

Wolff eilte zu Bentheim, um ihm in Eile mitzutheilen, welche wichtige Entdeckung er gemacht; beide begaben sich zu Krämer und dieser gestattete gern, daß Wolff thue, was er für gut finde, Elise zu einem Geständniß zu bewegen.

Elise schien ruhig, gesammelt, als Wolff zurückkehrte, und nur die Blässe ihrer Züge verrieth, was ihr diese äußere Ruhe gekostet. Wolff erzählte ihr, wie er eben erfahren, daß ein Baron Stilten sich als Zeuge für die Baronin gemeldet und daß dieser ausgesagt, Wildhorst habe ihm seine Dienste angetragen und von dem Billet gesprochen, das den Ruf der Baronin vernichten könne.

»Muth,« flüsterte er, als Elise die Kniee schwankten, »Sie müssen jetzt zeigen, daß Ihr Herz das Laster verabscheut. Standhaft und muthig haben Sie für den Mann, dem Ihr Herz vertraute, Vieles ertragen und dem Spott der Leute Trotz geboten, seien Sie jetzt ebenso standhaft und muthig, wo es gilt zu zeigen, daß Sie einen Elenden verachten müssen, der Sie durch Heuchelei betrogen.«

Wolff führte Elise in das Gefängniß. Wie eine welke Blume hing sie an seinem Arm. Er öffnete ein Verhörzimmer. »Ruhen Sie hier einen Moment,« sagte er. »Ich werde die Thüre offen lassen, so daß Sie Alles hören können, was im Nebenzimmer gesprochen wird. Prüfen Sie dann selber, was zu thun Ihnen die Pflicht gebietet, ich bin überzeugt, Ihr eigenes Gefühl wird Sie am besten leiten.«

Er schritt hinaus; im Nebengemach bereitete der Untersuchungsrichter Alles zur Aufnahme der Protokolle vor und zuerst wurde, auf das Anrathen Wolff's, Bertha Hillborn citirt.

Man legte ihr die Frage vor, ob Wildhorst ihr nie gesagt, daß er früher verlobt gewesen. Sie antwortete in ihrer trotzigen, bitteren Weise mit der Frage, ob etwa der Commissar Wolff ein besonderes Interesse habe, dies zu wissen? Sie könne nur wiederholen, daß sie die betrügerische List des Commissars wohl durchschaut und sich damit amüsirt habe, ihn zu täuschen. Er übe nur Rache an Wildhorst, er agitire allein im Interesse der Baronin.

Man legte ihr die Frage vor, ob sie sich denn nicht gesagt, daß Wildhorst, wenn er im Recht sei, Geld von der Baronin zu fordern, nicht nöthig gehabt habe, nach Hamburg zu reisen, um von dort über's Meer zu gehen. Sie erwiderte, es sei die Auswanderung zwischen ihnen schon verabredet gewesen, ehe Wildhorst daran gedacht, sich durch ein Pfand zu sichern.

»Der Baronin«, sagte sie, »trauten wir jede Rache zu. Hat sie es doch verstanden, ihren Gatten zu beseitigen, als er ihr unbequem wurde. Wir mußten darauf gefaßt sein, daß sie das Geld zahlte, das Wildhorst forderte, um ihn zu beschwichtigen, aber im Stillen dann Jemand bezahlte, der ihn und mich aus der Welt schaffte oder uns ein Verbrechen andichtete. Wir wollten in Ruhe vor ihr leben und ein Asyl suchen, wohin der Haß einer reichen Frau, die den Staats-Anwalt zu ködern wußte, uns nicht erreichen konnte.«

»Warum blieben Sie denn in B. zurück, als Wildhorst abreiste?«

»Ich habe das schon gesagt. Ich rede die Wahrheit und da verwirrt man sich nicht mit Ausreden, wie die Baronin dies gethan.«

»Wann wollten Sie Wildhorst folgen?«

»Sobald die Baronin Ihre Cassette ausgelöst hatte. Sie wäre dann nie wieder von uns belästigt worden.«

»Sie sind Ihrer Sache sehr sicher, aber Wildhorst hat Sie dennoch getäuscht. Er nahm Sie nicht mit nach Hamburg, weil er nicht daran dachte mit Ihnen nach America zu gehen. Er hat Sie betrogen. Er hat eine Braut im Hannöver'schen, der er treu geblieben. Sie hat er nur zu seinen Intriguen benutzt.«

»Das ist erlogen. Sie wollen mich verleiten, Wildhorst zu hassen und gegen ihn zu zeugen. Er hatte die Castellantochter längst satt, die ihm immer nur Moral gepredigt und von ihm forderte, er solle die Person schonen, die ihren Gatten unter die Erde gebracht.«

Man schloß das Protokoll und Bertha ward abgeführt.

Gleich darauf erschien Wildhorst vor den Schranken.

»Wildhorst,« fragte Wolff, »haben Sie sich noch immer nicht besonnen, wo das Billet geblieben sein kann, mit dem Sie die Baronin bedroht?«

»Ja,« versetzte der Jäger finster. »Es ist mir klar geworden, daß ich unklug gewesen bin, zu gestehen, daß ich es vernichtet. Ich hätte sagen sollen, es sei mir gestohlen. Es giebt Freunde der Baronin, die sich darüber freuen, daß es nicht zum Vorschein gekommen.«

»Die Baronin leugnet die Echtheit des Billetes nicht, aber sie und der Graf Hartwig geben an, daß darin von Euch nicht schmeichelhaft die Rede ist. Als Ihr dem Baron das Billet zeigtet, dachtet Ihr da nicht daran, daß er sich schämen könne, Euch zu seinem Vertrauten gemacht zu haben?«

»Daß er dies gethan, war seine Schuld. Ich wollte, er hätte es nie gethan, dann wäre ich nicht hier.«

»Wie kommt es, daß Ihr zu Protokoll gegeben, Ihr hättet das Billet, das Euch der Baron ins Gesicht geworfen, später im Garten gesucht, wieder aufgelesen, während Ihr doch zu Elise Felter geäußert, sie solle das Billet von der Leiche nehmen, damit es keiner dort finde?«

»Hat sie das erzählt?« rief Wildhorst aufathmend.

»Sie hat natürlich auch ein Verhör bestehen müssen und ihre Aussage zu Protokoll gegeben.«

»Was hat sie gesagt? Sie weiß von nichts. Ich habe ihr viel vorgeschwatzt.«

»Auch daß Ihr sie liebtet. Ihr habt Ihr die Ehe versprochen und Euch doch mit einer Andern verlobt.«

»Gehört das zu meinem Prozeß?«

»Das zu beurtheilen ist die Sache des Richters. Antwortet. Es muß doch für diesen Widerspruch eine Erklärung geben. Wo habt Ihr das Billet zum zweiten Male herbekommen?«

»Ich habe die Wahrheit gesagt, ich habe es im Garten aufgenommen.«

»Und weshalb täuschtet Ihr Elise Felter? Wildhorst, solche Widersprüche machen Euch verdächtig.«

»Die Sache hat ihren besonderen Grund. Elise zankte mit mir, daß ich die Baronin bei ihrem Gatten verklagte, sie meinte, das führe zu schlechtem Ende für mich. Sie hatte Recht. Ich sah das ein, als der Baron mir das Billet ins Gesicht warf, als er gegen die Baronin tobte und nicht gegen den Grafen. Als nun das Unglück geschehen, schämte ich mich, ihr einzugestehen, was ich gethan. Ich hatte ihr gesagt, ich wolle nur den Baron warnen, andernfalls hätte sie es nicht geduldet, daß ich das Billet nahm. Ich sagte ihr, der Baron habe es mir entrissen und wollte sie damit versöhnen, daß ich sie jetzt bat, die Ehre der Baronin zu retten und das Billet bei der Leiche zu suchen.«

»Ihr wußtet, daß sie vergeblich suchen werde. Ihr hattet es ja in in der Tasche! Wildhorst, was Ihr sagt, ist wenig wahrscheinlich.«

»Und es ist doch so. Ich wußte, sie werde nicht nachsuchen, schlimmsten Falls konnte ich sagen, der Baron werde es verloren haben. Es lag mir nur daran, ihr zu zeigen, daß ich die Baronin nicht mehr hasse, und ihre Ehre schonen wolle.«

»Euch scheint sehr viel an der Meinung dieser Zofe gelegen zu haben, die Ihr hernach doch verlassen.«

»Ich habe sie gern gehabt. Ich konnte ihr nicht widerstehen, wenn sie mich um etwas bat, und wenn mich eine Thorheit gereute, so war's, weil ich mich vor ihr schämte. Ich habe sie auch nicht verlassen wollen. Hätte die Baronin mir ihr Wort gehalten, so wäre ich nicht in Versuchung gekommen. Aber auf der Herrschaft Stilten verlachten mich die Leute, der alte Felter wies mir die Thüre, weil ich kein Amt und Brod habe. Die Bertha Hillborn hat mich beschwatzt, es mit der Drohung zu versuchen. Sie versteht es, Einem etwas recht plausibel zu machen. Sie ging mir um den Bart, bis sie Alles erfahren, was auf Stilten geschehen, und nun wollte sie mir helfen und mit mir theilen.«

»Ihr seid jetzt offener als beim ersten Verhör, da wolltet Ihr die Bertha nicht als Eure Helfershelferin nennen.«

»Hat sie nicht den Mund gehalten, so werde ich nicht der Narr sein und Alles auf mich nehmen.«

»Ihr wurdet auf dem Wege nach Hamburg ergriffen. Ihr wolltet nach England und weiter. Wenn Ihr nun die Absicht hattet, die Baronin zu bedrohen, wozu gingt Ihr da so weit fort und verabredetet mit der Bertha, daß sie Euch nachfolgen solle? Löste die Baronin die Cassette aus, so brauchtet Ihr ja nicht auszuwandern.«

Die Bertha wünschte es und rieth dazu.

»Ihr seid doch ein sehr nachgiebiger Mensch«, versetzte Wolff lächelnd, aber ihn scharf fixirend, »ich dachte, Ihr hättet nach America gehen wollen, weil Ihr Euch gefürchtet, daß Elise Felter, wenn sie Eure Untreue erfuhr, Geständnisse machte, die Euch auf die Anklagebank gebracht hätten.«

Wildhorst wechselte die Farbe, er konnte den Schrecken nicht verbergen, der ihn plötzlich überfiel.

»Was sollte sie gegen mich sagen können!« murmelte er, kaum der Sprache mächtig.

»Sie hätte angeben können, wo Ihr gewesen, als der Baron den Geldschrank geöffnet.«

Das Auge Wildhorst's blickte starr, es war, als ob es sich mit Blut fülle, bei der Erinnerung an eine gräßliche Scene. »Das ist nicht wahr«, rief er endlich, sich sammelnd, mit rauher gepreßter Stimme, »sie hat nichts gesagt, sie kann nichts sagen, das wäre ihre eigene Schande.«

»Ihr gesteht also ein, daß sie etwas sagen könnte!« rief Wolff triumphirend, »Ihr habt das Gericht belogen, wie Ihr das arme Mädchen betrogen, das um Euretwillen Schmach erlitten.«

»Die Pest über sie«, knirschte Wildhorst. »Was sie über mich gesagt, ist erlogen, das sagt sie aus Rache, weil ich die Bertha hübscher gefunden und weil mich ihr zimperlich Wesen gelangweilt.«

»Sie hat ihr Wort ehrlich gehalten«, ertönte plötzlich eine von Schmerz und Zorn bebende Stimme und Elise erschien auf der Schwelle. »Sie hat an Deine Schwüre, an Deine Liebe und an Dein Herz geglaubt bis zu dieser Stunde, aber jetzt werde ich Alles bekennen, denn ich will kein Geheimniß zwischen Dir und mir und Du sollst Niemand mehr betrügen!«

Wildhorst ward bleich wie eine Leiche, aschgrau ward das Antlitz, die Augen traten aus den Höhlen, Schrecken und Angst verzerrten seine Züge.

»Halt!« gebot der Untersuchungsrichter. »Führt die Zeugin hinaus, sie soll nicht in Gegenwart des Angeklagten reden. Bringt Wildhorst in seinen Kerker zurück, ich werde ihn rufen lassen, wenn ich ihn weiter verhören will.«

»Elise!« rief Wildhorst, als Wolff sich beeilte, sie hinauszuführen und die Thür hinter ihr zu schließen, »Elise, Du darfst nichts verrathen, Du hast geschworen!«

Man brachte ihn mit Gewalt aus dem Verhörzimmer und erst als er entfernt worden, wurde Elise vorgeführt.

Das junge Mädchen konnte sich kaum halten, so zitterte sie vor Erregung. Ihr Antlitz flammte, Thränen perlten im Auge, aber dasselbe sprühte in finsterer Gluth. Sie griff mit der Hand nach der Barriere, um sich zu stützen.

»Ich will Alles bekennen,« sagte sie, die Worte hervorstoßend, als sei es ein Theil von ihrem Leben was sie hingebe, als wolle das Herz sich in dieser Beichte verbluten: »Als ich die Baronin aus dem Waffenzimmer herausgetragen und zu ihrem Bette geführt, eilte ich auf mein Zimmer, eine Essenz zu holen, die ich dort mit andern Toilettenartikeln der Baronin verwahrte, die nicht täglich im Gebrauch waren. Ich stieß mit den Füßen an einen Körper. Ich wollte aufschreien, aber Wildhorst – er hatte sich hinter meinem Bett zusammengekauert, sprang auf und hielt mir den Mund zu. ›Keinen Laut!‹ flüsterte er mit einer Stimme, in einer Erregung, die mich mit Schrecken erfüllten. Ein gräßlicher Argwohn stieg in mir auf, aber er wußte mich zu beruhigen, ehe ich demselben Worte gegeben. ›Was ist drinnen geschehen!‹ frage er, ›wer hat geschossen?‹

Ich starrte ihn an. ›Du weißt es nicht?‹ fragte ich ihn, zitternd vor Angst und noch fröstelnd unter dem Schauer des entsetzlichen Argwohns, der mich ergriffen. ›Wie kommst Du hierher?‹

Er sagte mir, er käme aus dem Garten, er habe unten gelauscht an der Veranda und den Baron entsetzlich toben gehört. Er sei hinaufgekommen, da wäre ein Schuß gefallen und tödtlicher Schrecken habe ihn ergriffen. Er habe sich in meinem Gemach verborgen, ihn mache der Gedanke rasend, daß der Baron sein Weib erschossen haben könne, daß er die Schuld an ihrem Tode trage.

Ich schöpfte Athem. Er wußte nicht, was geschehen, mein Argwohn hatte ihm Unrecht gethan. Ich sagte ihm, der Baron habe sich selbst erschossen. Er wollte es nicht glauben, er sagte, ich wolle ihn täuschen. Als ich ihm versicherte, es sei, wie ich sage, wollte er in das Zimmer, er fragte mich, ob der Baron noch athme. ›Er ist todt‹, sagte ich, ›aber bleibe hier, bis Du Dich beruhigt. Die Leute könnten Arges denken.‹

Ich ging hinaus und zog hinter mir den Schlüssel aus der Thüre, so daß er hinausgehen aber Niemand eintreten konnte. Nach einiger Zeit kam er in das Waffenzimmer. Ich sah ihn, wie er zur Leiche trat und im Herzen bat ich ihm den Argwohn ab, den ich gehegt. Er war ruhig, er zitterte nicht, er konnte den Todten berühren. In der Nacht, als Alles still geworden, pochte er an mein Zimmer. Ich erwartete ihn, ich hätte nicht ruhen können ehe ich ihn gesprochen. Er sagte mir, daß ihm dieser Tag in furchtbarer Erinnerung bleiben werde, daß er aber fast den Zufall preise, der den Baron abgehalten, einen Mord zu begehen.

›Seit heute weiß ich es,‹ sagte er, ›daß der Baron große Schuld trägt an der Untreue seiner Gattin. Er hat mich beauftragt, sie zu beobachten und ich ward durch meinen Haß getäuscht. Der Graf ist der Schuldige, er allein. Ich sagte das heute dem Baron, ich wollte es ihm beweisen, da gerieth er in Zorn. Es scheint, als habe er nur die Scheidung gewollt und wüthe darüber, daß die Baronin der Verführung nicht erlegen.‹

Wildhorst sprach bald, als glaube er an einen Selbstmord, dann wieder, als glaube er, der Baron habe die Büchse geholt, die Gattin zu erschießen. Er weinte darüber, daß er sich zum Spion hergegeben. Ich tröstete ihn. Ich sagte ihm, die Baronin verdiene ihr Schicksal, denn sie habe dem Grafen mehr gestattet als sie in Ehren gedurft, und als er von mir forderte, das Billet von der Leiche zu holen, verweigerte ich das. Ich sagte ihm, es sei die Pflicht des treuen Dieners gegen den Todten, die Ehre seines Namens zu schützen, aber ein Verbrechen dürfe man deßhalb nicht begehen. Er habe genug gethan, wenn er die Büchse fortgenommen und gereinigt, schon das könne ihn in Gefahr bringen, er solle nur alles Uebrige Gott überlassen.

Wildhorst umarmte mich, er schwur mir, daß er fortan meinem Rathe allein hören, seine Leidenschaften beherrschen werde. Ich mußte ihm geloben, davon zu schweigen, daß er sich bei mir verborgen. Es dürfe Niemand ahnen, daß er dem Baron mit Argwohn gefolgt sei, er müsse sonst, um diesen Argwohn zu erklären, die Baronin compromittiren.«

»Sie thaten sehr Unrecht, ein solches Versprechen zu geben,« sagte der Untersuchungsrichter strenge. »Ahnten Sie nicht, daß Ihr Schweigen hierüber schwere Folgen haben könne für Andere?«

Elisens Wangen färbten sich purpurn, aber mit einer Selbstbeherrschung, welche die ganze Energie ihres Characters bewies, besiegte sie die Schaam.

»Wildhorst,« sagte sie mit leiser Stimme, »wußte mir die Zunge zu binden. Zum ersten Male umarmte er mich in stiller Stunde der Nacht, er glühte und seine heißen Küsse berauschten mich. Er schwur mir ewige Liebe und daß nichts uns trennen solle. Ehe ich wußte, wie es gekommen, wie ich's geduldet, war ich die Seine geworden, meine Ehre war in seiner Hand. Aber ich vertraute ihm, ich hätte mir das Leben genommen, wenn ein Zweifel an ihm in meiner Brust gewesen wäre. Jetzt bin ich eine ehrlose Dirne. Man hat es mir prophezeit, ich verdiene zu tragen, was ich verschuldet. Ich will nichts beschönigen – nur um eine, eine Gnade bitte ich, lassen Sie meinen alten Vater nie erfahren, daß ich solche Schande über ihn gebracht!«

Elisens Kraft war erschöpft, Wolff mußte hinzuspringen, sie zu halten, sonst wäre sie zusammengebrochen. Dem Criminal-Commissar standen die Thränen in den Augen. Er war fast noch bleicher als das Weib, das er in den Armen hielt. –



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