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Es ist Nacht. In den Zellen des Gefängnisses herrscht Grabesruhe, die unheimliche Stille in den Corridoren wird nur ab und zu durch die schallenden Tritte des Wächters gestört.
Wer blickt ohne Grauen in das Innere eines solchen Gebäudes, dessen steinerne Mauern und eiserne Thüren Menschen, wie wir es sind, bergen, Menschen, die fühlen und denken wie wir, die hoffen und bangen und von denen Jeder wie wir, wenn nicht in dem Gedanken, so doch in dem Gefühl lebt, daß um seine Existenz sich die Welt dreht, daß mit seinem Ableben alles zu Ende ist. Wer kann die Welt sich denken ohne sich selber darin! Alles was geschieht, bringen wir mehr oder minder mit uns in Beziehung, sonst kann es uns weder begeistern, noch rühren, das liebe Ich ist für Jeden mehr oder minder der Mittelpunkt seines Denkens und Fühlens und wer philosophirend sich aus diesem Bannkreise herausversucht, vermag das nur momentan mit dem Verstande, das Gefühl kann nicht folgen. Der Verbrecher, der einen Menschen tödtet oder verstümmelt, der mit grausamer Wollust den Haß kühlt, glaubt, daß er nur Gerechtigkeit übt, sein Recht verfolgt oder der Nothwendigkeit gehorcht. Doch tastet ihn Jemand widerrechtlich oder gewaltsam an, so denkt er, die ewige Gerechtigkeit werde den Frevel rächen. Er fordert den Schutz der Gesetze, die er übertritt, er hofft auf Milde und Erbarmen, obwohl er beides nicht kennt, er fordert Liebe, Dankbarkeit, Nachsicht, Pflege und er kann es sich nicht denken, daß man ihn hassen und grausam verfolgen könnte, wie er Andere gehaßt und verfolgt. Der Verleumder ist empört, wenn man ihn verleumdet, die eigene That findet Entschuldigung, die That Anderer nicht. Wir fühlen Mitleid, wenn wir uns in die Lage des Unglücklichen denken, wir schaudern vor einem Verbrechen, das Andere getroffen, wenn wir uns demselben ausgesetzt denken.
Das liebe Ich wird selbst bei Philosophen stets der Mittelpunkt allen Fühlens bleiben, die geistige Kraft kann viel erreichen, aber nie das Ich ganz der Natur entringen.
Im Gefängniß, da ist der Mensch getrennt von der Welt durch Mauern und eiserne Thüren, da ist er dem Thiere im Käfig gleich, aber schlimmer daran als dieses, denn er nimmt mit hinein seine Erinnerungen, seine Gefühle, sein Gewissen. Die Phantasie malt sich die Lage mit düstern Farben. Der Mensch denkt, ihm könne etwas zustoßen und Niemand hört seinen Ruf. Es kann Feuer im Gefängniß ausbrechen, er kann nicht fliehen. Er fühlt sich ohnmächtig, verlassen, wie von einer tyrannischen Gewalt gefesselt, die erbarmungslos ihn jedem leisen Zufall preisgiebt. Im Gefängniß erwacht daher der finstere Menschenhaß, der bittere Trotz, oder die zerknirschte, geängstigte Seele wendet sich zu dem unsichtbaren Helfer.
Der Mensch ist mit sich allein. Der Verurtheilte, der seine Strafe verb?ßt, zählt die Stunden bis zum Tage der Befreiung, der Gefangene in Untersuchungshaft wird von den Martern der Ungewißheit gequält. Wird die Schuld sich verbergen lassen, wird die Unschuld triumphiren? Wird der Richter strenge oder milde sein? Was geht draußen vor! Sind die Freunde treu oder haben sie den Gefangenen vergessen? Wie schaltet man mit seinem Eigenthum, seiner Habe, wie geht es denen, die der Gefangene liebt? Was sagt man gegen ihn aus, wie steht der Prozeß?
Das sind entsetzliche Zweifel. Er ist wehrlos, ohnmächtig, gebunden. Das liebste Wesen, das er auf Erden hat, kann mit dem Tode ringen, er ist eingesperrt. Man kann ihn verleumden, er hört nicht einmal, was man gegen ihn aussagt. Er muß sich gedulden, muß abwarten, was das Schicksal über ihn verhängt.
Julie von Stilten hatte in ihrer Haft den Trost, daß sie ohne Hoffnungen sich hineinbegeben und auf das Schlimmste gefaßt und vorbereitet gewesen. Bertha Hillborn dagegen schäumte in Bitterkeit und Wuth, der Betrug, durch welchen Wolff sie überlistet, erschien ihr unerhört, und während sie ihrer Empörung über diesen Mann die Zügel schießen ließ in Flüchen und Verwünschungen, vergaß sie, daß sie der Baronin gegenüber einen noch viel ärgeren Betrug sich erlaubt. Die beleidigte Eitelkeit sann auf Rache, der gedemüthigte Stolz knirschte gegen die eiserne Gewalt, die ihr die Hände gebunden und sie in einen Käfig gesteckt, sie sah für ihre ganze Lebenszeit das Brandmal der Schande auf ihrer Stirn, und jedes Mittel sich zu rächen, ihren Haß gegen die ganze Welt auszudrücken, wäre ihr willkommen gewesen. Sie warf sich vor, nicht kühner und schamloser gehandelt zu haben, denn hätte sie offen vor der Baronin für Wildhorst Partei genommen, seine Drohungen unterstützt, so würde diese das Geld gezahlt haben. Sie warf sich vor, daß sie in ihrer ersten Aussage die Baronin noch geschont, jetzt deutete man dieselbe vielleicht zu Gunsten derselben aus und hielt ihre neue Aussage für einen Ausfluß des Hasses!
Der Jäger Wildhorst mochte Aehnliches fürchten und denken. Die Unentschlossenheit ist immer das, was den Uebelthäter am ersten gereut und ihn compromittirt. Gerade da, wo er geschwankt das Aergste zu thun, dem gemeinen Verbrechen in die Arme zu fallen, schonungslos Jeden, der ihm im Wege steht, zu vernichten, wo also ein Rest des Guten in ihm noch zur Geltung gekommen, da sucht der Criminalist die geheimen Fäden des Gewebes aufzuspüren, da findet er die Spuren der verbrecherischen That abgezeichnet auf ihrem Wege.
Wildhorst hatte unruhige, beängstigende Träume und als der Tag dämmerte, war er in einer nervösen Erregung, körperlich abgespannt, müde und schlaff. Zu keiner Stunde hätte er mehr seiner ganzen Fassung bedurft, als gerade heute. Wolff trat in die Zelle und schon vor dem forschenden Blicke des Beamten erbebte der Jäger, es war ihm, als müsse ihm heute Unheil begegnen.
Wolff fixirte ihn ohne ein Wort zu sprechen. Er sah es, wie sein Blick den Mann verwirrte, ihn beunruhigte, beängstigte.
»Was soll's?« begann Wildhorst, gegen die unheimliche Macht sich sträubend. »Ich fühle mich krank, ich kann heute kein Verhör bestehen. Ich habe gesagt, was ich weiß. Ich bitte Sie, mir einen Arzt zu schicken. Mir brennt das Hirn – ich vermag keinen Gedanken zu fassen.«
»Ihr habt unruhige Träume gehabt, Wildhorst. Ich glaube es wohl. Wißt Ihr, was heute für ein Tag ist?«
»Ich habe keinen Kalender. Ich weiß nur, daß ich hier schon drei Wochen sitze und noch immer kein Urtheil habe.«
»Eure Haft wird noch länger dauern, wenn Ihr nicht die volle Wahrheit angebt.«
»Ich habe sie angegeben. Ich verstehe nicht zu leugnen, das müssen Sie wissen, denn sonst hätte ich nicht die arme Bertha Hillborn in meine Sache verwickelt. Ich hätte ihr das gern erspart.«
»Ihr seid voller Schonung für Andere. Auch die Baronin habt Ihr immer schonen wollen, obwohl sie Euch verachtet und Eure Schonung verschmäht.«
»Das meinen Sie? Ich kenne die Baronin besser. Ich will meinen Kopf darauf verwetten, daß jetzt Manches sie bitter gereut. Aber sie ist zu stolz, das zu sagen.«
»Wildhorst, wenn etwas die Baronin gereuen muß, so ist es das, daß sie Euch für einen Menschen gehalten, der hält, was er verspricht. Doch davon nachher. Heute ist der Tag, an welchem der Baron Stilten früher seinen Geburtstag feierte. Der Mann hat Euch aus einer beschränkten Lage gezogen. Er hat den Jägerburschen, der nichts lernen wollte, in seinen persönlichen Dienst genommen, hat Euch sein ganzes Vertrauen geschenkt. Wie habt Ihr ihm gedankt? Ihr habt die Gattin bei ihm angeschwärzt, habt den Frieden seiner Ehe gestört.«
»Das ist nicht wahr«, versetzte Wildhorst, dem alles Blut von den Wangen gewichen und seine Stimme klang gepreßt, rauh. »Ich habe ihm gedient, wie er bedient sein wollte. Er hätte mich fortgejagt, wenn ich seinen Willen nicht gethan. Er bevorzugte mich, weil er mich brauchbar fand. Ich habe den Frieden seiner Ehe nicht gestört, das that der Graf, sein Freund.«
»Ihr habt Schlimmeres gethan als das. Ihr verstellt Euch umsonst, ich lese es von Eurer Stirn, aus Euren Blicken, Ihr habt Euren Wohlthäter ermordet – sein Blut klebt an Euren Händen – –«
Wildhorst hatte starr, wie vom Schrecken gebannt, den Criminalbeamten angeschaut, ein Schauer durchrieselte ihn, bleiche Angst stierte aus den hohlliegenden Augen, er zitterte an allen Gliedern und bei den letzten Worten des Beamten zog er die Hände krampfhaft an sich, als wolle er sie verstecken.
»Bekennt!« rief Wolff sich hoch aufrichtend und mit ernstem drohendem Blick ihn zermalmend, »ein jedes Verbrechen kommt an den Tag, es rächt sich jede Schuld, auf die Kniee, Mörder, daß Gott Dir vergebe, was Du gethan!«
Ein furchtbarer Kampf tobte in der Brust des Jägers, seine bleichen Züge gestanden die Schuld, aber die Lippe preßte sich zusammen, als fürchte sie, ein Gedanke könne laut werden und verrathen, was im Herzen tobte.
»Bekenne«, rief Wolff, »bekenne die Wahrheit. Der Baron ist ermordet! Denke an ihn, der Dir Wohlthaten gespendet, er liegt im blutigen Grabe, seine Gattin ist verhaftet – –«
Wolff unterbrach sich, in den Zügen des Jägers ging eine plötzliche Veränderung vor, es war, als ob die Angst Athem schöpfe und die gequälte Seele einen Hoffnungsstrahl aufblitzen sähe.
»Die Baronin verhaftet!« murmelte Wildhorst, ihn anstarrend und wieder warf der Trotz die Lippen auf und das Auge erhielt Leben und eine düstere Flamme loderte darin, wie Schadenfreude aufblitzt und boshafter Triumph.
»Ich fordere das Geständniß der Wahrheit«, sagte Wolff, unmuthig über sich selbst, als er sah, daß der Jäger dem ersten Eindruck seiner Worte nicht erlegen, »sinnt Ihr etwa auf neue Ränke? Ich sehe es Euch an, Ihr sträubt Euch zu gestehen, was offen am Tage liegt.«
Der Jäger hatte sich völlig gefaßt und wenn er auch noch zitterte und die Spuren der ungeheuren Erregung nicht ganz verbergen konnte, so war doch der Ausdruck des Schreckens und der grauenvollen Angst geschwunden – er lächelte höhnisch.
»Was offen am Tage liegt«, sagte er, »brauche ich nicht zu gestehen. Ich denke, der Baron hat sich selber getödtet. Wissen Sie es besser, so ist das Ihre Sache. Ich war nicht im Schlosse, als der Tod erfolgte.«
»Beweiset, daß Ihr wo anders waret!« rief Wolff erbittert und ungeduldig. Ihr könnt es nicht beweisen und Niemand wird's Euch glauben.«
Der Jäger zuckte die Achsel. »Ich habe mein Pferd geholt, ich habe es schon einmal gesagt. Wenn die Baronin verhaftet ist, so muß man ihr eine Schuld vorwerfen. Ich weiß nichts davon. Wüßte ich etwas gegen sie, ich hätte es gesagt, denn durch ihre Schuld bin ich hier.«
»Entsinnt Euch! Ihr habt doch zu Bertha Hillborn anders gesprochen, da sagtet Ihr, Euer Geheimniß könne die Baronin auf's Schaffot bringen.«
Dem Jäger stieg das Blut in's Antlitz, er rollte wild die Augen. »Das Weib schwatzt viel,« brummte er vor sich hin. »Habe ich einmal im Aerger auf die Baronin etwas gesagt, was nicht wahr ist, so habe ich nur den Leuten im Hannover'schen nachgeschwatzt. Da traut man der Baronin Alles zu.«
»Ihr wißt also nichts? – Gut! – Die Wahrheit wird auch ohne Euer Geständniß an den Tag kommen und dann nichts Eure Strafe mildern. Ich mache Euch nun darauf aufmerksam, daß Ihr in allen Euren Aussagen Widersprüche und Unwahrheiten kundgegeben. Zuerst wolltet Ihr Bertha Hillborn nicht kennen. Ihr behauptet, von Außen das Fenster eingedrückt zu haben. Eure ganze Schilderung bewies das Bestreben, Bertha nicht zu compromittiren und der Baronin die Möglichkeit freizulassen, dem Gericht die Angelegenheit zu verbergen. Ihr müßt aber wissen, daß das Gericht Wahrheit fordert und Argwohn schöpft, wo es Winkelzüge erblickt. In Eurer Aussage, die Vorgänge auf Schloß Stilten betreffend, mehren sich diese Widersprüche und Ungenauigkeiten. Bald soll Euch die Verehrung, bald der Haß geleitet haben, stets aber wußtet Ihr trotz der Leidenschaft das eigene Interesse im Auge zu behalten. Auf Schloß Stilten habt Ihr die Zofe der Baronin für Euch zu gewinnen verstanden und später habt Ihr dasselbe Manöver wiederholt mit Bertha Hillborn.
Schweigt!« fuhr Wolff fort, als der Jäger ihn unterbrechen wollte, »ich streite mich nicht mit Euch, sondern ich verhöre und halte mich an das, was Ihr aussagt. Es ist seltsam, daß die Motive Eurer Handlungsweise auf Stilten sich in dem Moment verändert haben sollten, wo Ihr den ersten Erfolg Eurer Intriguen erzieltet. Euer Haß gegen die Baronin soll Euch verleitet haben, den Angeber beim Baron zu spielen und als Ihr Euer Ziel erreichtet, da wollt Ihr das ganze Werk verdorben haben in plötzlicher Regung der Reue. Eure Motive sind übrigens gleichgültig. Die Thatsache steht fest, daß Ihr des Baron's Gunst durch Verdächtigung der Baronin erschlichen und dann durch unerlaubte Handlungen Unklarheit über die Todesart des Barons herzustellen wußtet, um durch Euer Geheimniß die Baronin beherrschen zu können und von ihr durch Drohungen Geld zu erpressen. Ihr gebt vor, das Billet des Grafen Hartwig nicht mehr zu besitzen, und doch habt Ihr dasselbe vor Eurer Verhaftung noch als Waffe gegen die Baronin gebraucht. Eure Aussage über Euren Verbleib während der Zeit, wo die Krisis im Schlosse stattfand, klingt nicht wahrscheinlich. Wer eine Krisis vorbereitet, wie Ihr das gethan, entfernt sich nicht in dem Moment, wo die Entscheidung eintritt. Ihr sagt, Ihr hättet Euer Pferd geholt. Vor Wem wolltet Ihr die Komödie spielen, als kämet Ihr erst jetzt von K. zurück? Etwa vor dem Baron, der Euer Zeugniß brauchen konnte, oder vor der Baronin, die Ihr warnen gewollt, oder vor dem Grafen, den Ihr beobachten solltet, dessen Entfernung, ehe der Baron kam, zu verhindern, Eure erste Aufgabe war? Oder etwa vor der Dienerschaft, die Euch als Spion kannte?
Und dann,« fuhr Wolff fort, den Jäger scharf fixirend, der sich in düsteres Schweigen verhüllt, »als Ihr die Leiche Eures Herrn saht, als die schreckliche Folge Eurer Intrigue dies gräßliche Bild vor Eure Seele stellte, da dachtet Ihr nicht an die eigene Schuld, sondern nur an die Ehre der Baronin, da merktet Ihr sogleich, daß der Argwohn von einem Selbstmorde des Barons sprechen werde? Nach Eurer Ueberzeugung hätte doch, wenn Ihr wahre Motive angegeben, zuerst die Frage untersucht werden müssen, ob nicht ein Duell stattgefunden, ob der Baron nicht durch die Hand des Grafen gefallen! Ihr nahmt das Gewehr aus der Hand des Todten, obwohl Ihr wißt, daß in solchen Fällen das Gericht zuvor den Thatbestand aufnehmen muß, als Jäger ist Euch das gelehrt worden, Ihr dürft, wenn Ihr einen Todten im Walde findet, keine Spur zerstören, welche den Vorgang erklärt. Aber Ihr nehmt die Waffe, reinigt sie, legt eine angebohrte Kugel auf den Waffenschrank und bringt Euch dadurch in den Verdacht der Mitschuld an einem Verbrechen. Weshalb? Um die Ehre einer Frau zu schonen, die Ihr vom nächsten Tage ab bedroht. Ihr gesteht die Wahrheit nicht, als Gerüchte die Ehre dieser Dame angreifen, Ihr benutzt dieselben, um Geld von ihr zu erpressen. Das ist das Resumé Eurer eigenen Angaben. Ihr werdet selbst erkennen, daß der Richter, wenn er eine Schuld sucht, Euch zum mindestens der Mitschuld zeihen muß. Ist der Mord nicht mit Absicht, sondern durch das Versehen eines Dritten geschehen, so stempelt Eure Aussage ihn zum absichtlichen Mörder, denn wer zu beschönigen sucht, verräth, daß eine Schuld vorhanden. Ich rathe Euch daher nochmals, die volle Wahrheit zu bekennen.«
Das Auge des Jägers starrte vor sich hin. »Ich kann nichts bekennen, was ich nicht weiß,« antwortete er in finsterem Trotz. »Ich habe die Wahrheit gesagt und wenn mich eine Schuld trifft, so ist's die, daß ich die Baronin vor bösen Nachreden bewahren wollte. Ich büße jetzt dafür, ich hatte auf Dankbarkeit gerechnet. Ich bleibe dabei, der Baron hat sich selbst erschossen. Wenn der Graf Hartwig im Zimmer gewesen, so hätte er diesen getödtet oder doch – 105 mit ihm gerungen. Sonst konnte Niemand anders in den Zimmern sein. Ich hörte den Baron heftig mit seiner Gemahlin reden. Sie allein kann wissen, was geschehen ist.«
»Ihr klagt also die Baronin des Mordes an? Der Baron ist ermordet und Ihr sagt, Niemand könne im Zimmer gewesen sein, als sie!«
»Ich klage Niemand an. Gott behüte mich davor. Ich kann nicht wissen, was in den verschlossenen Zimmern vorgegangen.«
»Die Zimmer waren nicht verschlossen, Ihr sagt selbst, daß der Zugang von der Veranda zum Schlafgemach der Baronin geöffnet gewesen, daß der Graf durch denselben habe von der Veranda aus entschlüpfen können.«
»Er war offen, als ich lauschte, aber später, als ich zurückkehrte und der Graf verschwunden war, war er verschlossen.«
»Ihr habt ihn also zu öffnen versucht?«
»Das habe ich nicht gesagt. Man sieht es einer Thüre, die ein Drückerschloß besitzt, an, ob sie geschlossen ist oder nicht.«
»Und Ihr wißt genau, daß sie verschlossen gewesen?«
»Ja, denn ich horchte an der Thür, als ich oben die lauten Stimmen hörte.«
»Dann ist es also unmöglich, daß Jemand von Außen auf diesem Wege eingedrungen?«
»Das halte ich für unmöglich. Die Baronin hätte es ja auch hören müssen.«
»Ein Mörder schleicht leise wie ein Dieb. Sie bringen mich da auf eine Idee – – wenn der Baron einen Feind gehabt hätte – –«
Wildhorst schüttelte den Kopf. »Es ist unmöglich,« sagte er. »Die Thüre unten war verschlossen und oben riegelte die Baronin stets ab.«
»Ist das gewiß?«
»Elise Felter wird es bestätigen. Sie sagte mir, als ich einen ähnlichen Argwohn aussprach, das sei unmöglich, da die Baronin die obere Thüre stets verschloßen und verriegelt halte.«
»In ihrer Erregung hatte sie das vielleicht diesmal vergessen. Die untere Thüre kann durch einen Nachschlüssel geöffnet worden sein.«
»Herr Kommissar, das klingt wahrscheinlich, ist aber nicht möglich. Die Baronin müßte denn doch das Geräusch gehört haben. Die Thüren knarrten, ebenso die Wendeltreppe. Der Gang wurde selten benutzt.«
»Dann bleibt nichts übrig, als die Annahme, daß die Baronin selbst die Mörderin. Doch halt. Vielleicht ist bei der Wendeltreppe ein Raum, in dem Jemand sich vorher versteckt haben konnte.«
»Die Wendeltreppe führt zwischen Mauerwänden hinauf, sie ist eng, da kann sich Niemand verbergen.«
»Konntet Ihr einzelne Worte verstehen, die der Baron zu seiner Gemahlin sprach? Stieß er Drohungen aus?«
»Ich konnte nichts genau verstehen. Das hätte geschehen müssen, wären die Thüren nicht fest verschlossen gewesen.«
Wolf wandte sich zu dem Schreiber, der mit ihm in die Zelle getreten war, das Protokoll zu führen. »Haben Sie die letzten Antworten genau notirt?« fragte er.
»Ich bin fertig.«
»So bin ich es auch. Wildhorst, ich thue keine weiteren Fragen, sie sind nicht mehr nöthig. Ihre Aussage war recht gut überlegt, aber doch nicht vorsichtig genug. Das Fenster des Schlafgemaches stand offen, Ihr hättet also hören können, daß der Baron gerufen, auch die obere Thür sei offen. Ihr wißt so genau Bescheid mit dem Zustande und dem Aussehen der Wendeltreppe, als ob Ihr den Weg gemacht. Die untere Thür war gleichfalls nicht verschlossen. Ihr seid sehr discret, daß Euch nicht einmal die Neugier bewogen, die Treppe hinanzusteigen!«
Das Antlitz des Jägers ward aschfahl bei diesen Worten, aber er überwand den Schrecken. Mit höhnischem, bitterem Lachen rief er, während die Wuth über den spöttischen Ton des Beamten aus seinen Augen flammte: »Wenn Sie Alles besser wissen, warum fragen Sie denn? Hat Ihnen die Baronin vielleicht erzählt, sie habe mich in ihrem Schlafgemach verborgen? Ich sehe wohl, wohin sie zielt, aber das Gericht wird sich nicht durch ihre glatten Worte und hübschen Augen bestechen lassen, wie der Herr Staats-Anwalt und Sie. Wenn die Thüren offen waren und das Fenster, so hat die Baronin das gethan, um den Verdacht des Mordes auf einen Anderen zu lenken, auf mich, den sie verderben möchte. Das sieht wohl ein Jeder, der sehen will.«
»Ah – so gebt Ihr jetzt auch zu, daß ein Mord stattgefunden?«
»Sie sagen es ja und Sie wissen doch Alles. Wenn die Thüren von ihr geöffnet worden sind, so hat sie das wohl nicht ohne Absicht gethan. Die Wendeltreppe kenne ich, das ist wahr, aber ich habe sie mir erst angesehen, als die Gerichtsbeamten da waren.«
Wolff schloß das Verhör. Hier war nichts weiter zu erreichen.