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XV.

Elise hatte Wolf verlassen, um Brack nicht zu begegnen, sie hielt es für richtig, zuerst ihrem Vater zu eröffnen, was sie für ihre Pflicht halte, ehe sie den entscheidenden Schritt that, der dann ja leicht die Existenz des alten Mannes mehr als zweifelhaft machen konnte.

Wolf schritt sinnend im Zimmer auf und ab. Seine List war ihm geglückt, Elise hatte ihm ihr Vertrauen geschenkt, aber was hatte er erfahren! Hätte sie geahnt, daß er selbst ein Criminalbeamter sei, sie hätte sich gehütet, so offen zu reden, denn was er gehört, das durfte er nicht als vertrauliche Mittheilung bewahren.

Er war fast ärgerlich über sich selbst, daß er so geschickt manövrirt. Er hatte Bentheim versprochen, die Baronin möglichst zu schonen. Jetzt war dies unmöglich geworden. Elisen's Leidenschaft war nicht mehr zu zügeln. Es war kaum ein Zweifel übrig, daß jetzt die Ehre der Baronin jedem Angriff preisgegeben sei und doch jede Aussicht fehle, die Spur einer Gewißheit, giltige Beweise für oder gegen sie zu finden. Welchen Werth konnte das Zeugniß der Geliebten des Cassettenräubers haben! Es genügte, die Baronin moralisch zu vernichten, aber das Gericht konnte darauf hin kein Urtheil sprechen, besonders da Elise um das Vorhaben des Jägers gewußt, eine Erpressung zu versuchen. Sie war dadurch halb die Mitschuldige der That, denn das Gelingen derselben hätte Wildhorst in Stand gesetzt, sie zu heirathen, man mußte also annehmen, daß sie für das Mißlingen sich rächen wollte.

Wolff verwünschte die Reise und das um so mehr, als er sich dadurch die Hände gebunden, daß er die Unterstützung des K.schen Gerichtes nachgesucht. Vor Brack durfte er sich nicht compromittiren. Er sah es vorher, daß, wenn nicht ein glücklicher Zufall ihm half, seine Reise nur das Resultat haben werde, daß er dem Rufe der Baronin den Todesstoß gegeben, ohne die vollständige Gewißheit zu erlangen, ob sie eine Schuld auf dem Gewissen habe oder nicht. Trotz allen Betheuerungen Elisen's war doch immer anzunehmen, daß der Jäger ihr Alles so geschildert, um in ihren Augen wie ein Märtyrer zu erscheinen.

Als Elise in das Zimmer ihres Vaters zurückkehrte, erhob sich Brack, um sich nun auch zur Ruhe zu begeben. Er sah es Elise an, daß Wolff seinen Zweck erreicht, und war neugierig, von Diesem das Resultat der Unterredung zu hören. Aber auch der alte Felter bemerkte die Erregung seines Kindes und mit ängstlicher Sorge erwartete er den Moment, wo er mit ihr allein sein konnte. Dieser kam, sobald Brack sich entfernt. Elise näherte sich ihrem Vater zögernd, ängstlich, scheu, und warf sich plötzlich, von ihren Gefühlen überwältigt, vor ihm nieder. Ein Strom von Thränen entquoll ihren Augen.

»Vater,« sagte sie schluchzend, »mein Vater, vergieb mir, aber ich kann nicht anders – ich muß die Baronin anklagen, um Wildhorst zu retten.«

Das Antlitz des Alten ward bleich. Mit zitternder Hand streichelte er liebkosend das Haar seiner Tochter. –

»Elise,« sagte er, »komm' zu Dir, fasse Dich. Erkläre mir, was Dich so erregt.«

»Vater, Wildhorst ist als Dieb verhaftet, und er ist kein Dieb. Die Baronin will ihn verderben, weil er sie bedroht hat.«

»Elise, Du weißt nicht, was Du redest, Du vertheidigst einen Menschen, den alle Welt verurtheilt, und redest schlecht von Deiner Wohlthäterin. Eine unglückliche Leidenschaft verblendet Dich. Bekämpfe Dein erregtes Gefühl und habe Vertrauen zu mir. Dir fehlt die Mutter, die liebend Dich hütet. Du hast vor mir ein großes Leid verborgen. War ich Dir je ein so strenger Vater, daß Du dich scheuen mußt, mir Deine Sorgen anzuvertrauen? Habe ich Dich jemals getadelt, weil Du gegen meine Wünsche, nur auf Dein Gefühl trotzend, eine Neigung gepflegt, die Dich elend macht? Ich habe mich begnügt, Dir freundlich, ermahnend zuzusprechen. Ich hoffte, Dein Vertrauen zu gewinnen.«

»Vergieb, mein Vater. Aber Du hast den verachtet, den ich liebte, und ich hoffte, er werde Dir beweisen können, daß Du dich in ihm geirrt.«

»Ich habe Wildhorst nicht verachtet, sondern ihn bemitleidet, ich habe vorausgesehen, daß es so kommen werde. Er trotzte auf sein Glück, als der Baron lebte, er trotzte auf eitle Hoffnungen, als sein Gönner gestorben. Er hat nie daran gedacht, sich durch Arbeit und Tüchtigkeit frei zu machen vom Zufall, er hatte Ehrgeiz ohne Fleiß und Thatkraft. Dies führt zu Enttäuschungen, zum Untergang.«

»Er wäre ein anderer gewesen, Vater, wenn das Schicksal ihn auf den Platz gestellt, der seinen Fähigkeiten, seinem Ehrgeiz entsprach. Doch es ist zu spät, jetzt darüber zu streiten. Es ist ein Unglück. Dieselbe Frau verfolgt ihn, die es ihm allein dankt, wenn die Anklage noch nicht offen gegen sie erhoben worden.«

»Still, Elise, Du schmähest eine Frau, der Du Alles verdankst, Deine Erziehung, Deine Bildung, das Asyl, das Dein alter Vater gefunden.«

»Ich weiß, was ich ihr danke. Wenn sie nicht wüßte, daß ich als Zeugin gegen sie auftreten kann, hättest Du nicht die Castellan-Stelle erhalten. Aber der Kaufpreis ist zu gering, wenn es sich darum handelt, eine größere Schuld auf sein Gewissen zu laden. Wenn ich länger schweige, geht ein Menschenleben zu Grunde, und es ist ihre Schuld, wenn ich in die Lage gekommen, zwischen Dankbarkeit und Pflicht wählen zu müssen.«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Mein Kind,« sagte er, »was Du als Pflicht erkennst, mußt Du erfüllen, und ehe Du eine Schuld auf Dich ladest, wollte ich den Bettelstab in die Hand nehmen. Fürchte Gott und scheue Niemand. Lastet ein Geheimniß auf Deiner Seele, so prüfe Dich, ob Du nicht wohl daran thust, Deinem Vater dasselbe anzuvertrauen.«

»Mein Vater, ich habe es Dir verborgen und allein die Last getragen, weil ich glaubte, daß mir das Geheimniß nicht allein angehört, daß ich kein Recht habe, von Dingen zu sprechen, die ich durch das Vertrauen meiner Herrin erfahren. Jetzt aber, wo frühere Pflichten mich zwingen, durch mein Zeugniß ein Verbrechen zu verhüten, das an einem Unschuldigen begangen werden soll, glaube ich, daß ich Dir enthüllen darf, was ich Fremden offenbaren muß.«

»Nein, Elise,« versetzte der Alte, den Kopf sorgenvoll schüttelnd. »Dem Gericht bist Du Offenheit schuldig und als Zeugin mußt Du der Wahrheit die Ehre geben, grade darum eben darf ich Dein Geheimniß nicht wissen, denn auch ich bin Zeuge. Gehört Dein Geheimniß der Baronin, so kann das Gericht von Dir fordern, daß Du dasselbe enthüllst, Niemand anders; dort wirst Du einen Eid leisten müssen, daß Du nichts verschwiegen und nach bestem Wissen die Wahrheit bekannt, hier wäre es Vertrauensbruch, wenn Du ohne Zwang Geheimnisse verrathen wolltest. Aber Deine Eröffnungen würden auch mein Zeugniß beirren. Ich weiß nur Gutes von der unglücklichen Frau und werde an ihr nicht irre werden, bis ich Beweise vom Gegentheil sehe. Rede die Wahrheit, wie Du sie vor Gott und Deinem Gewissen verantworten kannst, ich werde das Gleiche thun und was dann auch folgen mag, wir werden es mit gutem Gewissen gemeinsam tragen. Nur auf Eins möchte ich Dich aufmerksam machen. Als Du Wildhorst kennen lerntest, warst Du ein Kind. Es schmeichelte Dir, daß der Günstling des Barons Dich bevorzugte. Er war damals ein hübscher, hoffnungsvoller, froher Mensch. Der Eindruck, den er damals auf Dich gemacht, ist Dir geblieben. Du sahst nur seine Vorzüge, nicht seine Fehler. Du bemerktest nicht, was ihm schon damals Jeder zum Vorwurf machte, daß er in eitler Selbstüberhebung von Hoffnungen lebte, anstatt sich durch Fleiß und Ausdauer der Gunst seines Wohlthäters werth zu machen. Du bemerktest es nicht, daß er sich in das Vertrauen seines Herrn zu schleichen wußte, um sich in Gunst zu erhalten und daß der Baron Stilten erst zu spät erkannte, wie unvorsichtig er gehandelt, daß er ihm Vieles nachsehen mußte, weil er Wildhorst zu viel vertraut. So oft Wildhorst sich damit brüstete, daß der Baron ihm eine gute Stellung geben werde, die ihn für die Zukunft sorgenlos machen solle, ahnte mir ein schlimmes Ende, ich besorgte, der Baron werde ihn durchschauen und seine Handlungsweise als berechnete Schurkerei auslegen, wenn sie auch vielleicht sich nur aus dem Erfolg entwickelt. Ich habe stets den Argwohn gegen Wildhorst gehegt, daß er nach einem überlegten Plane gehandelt und nur treue Ergebenheit geheuchelt, um seinen Herrn einmal zwingen zu können, sein Schweigen zu erkaufen. Das ganze Benehmen Wildhorsts seit dem Tode des Barons ist mir jedoch unklar gewesen bis heute. Ich sah einerseits die Bestätigung meines Verdachts darin, daß er sich kein Brot suchte und mit Sicherheit darauf rechnete, die Baronin werde ihm eine Existenz geben. Andererseits gefiel es mir von ihm, daß er der Versuchung widerstand, sich von den Feinden der Baronin erkaufen zu lassen. Es schien mir, als ob die Baronin wirklich seine Wünsche erfüllen werde und ihm nur eine Prüfungszeit auferlegt habe, sich davon zu überzeugen, daß sie ihre Gunst nicht an einen Unwürdigen verschwende. Wenn er aber jetzt die Baronin bedroht hat, wenn er fordert, wo er nur bitten darf, so ist er ein verächtlicher Schurke. Dann sind die Tugenden der Treue und Hingebung erheuchelt. Dann hat er das Vertrauen gemißbraucht, sich Geheimnisse zu erschleichen und will sein Schweigen sich bezahlen lassen. Einen solchen Menschen kannst Du nicht achten, nicht lieben.«

»Vater, Du vergissest, daß er kein Brot, keine Anstellung hier gefunden. Lange genug hat er geduldet und gewartet, lange genug hat er sich vertrösten lassen.«

»Er konnte Arbeit finden, wenn er wollte. Der Förster Gröling wollte ihn beschäftigen, aber er war zu hochmüthig, wieder von unten anfangen zu müssen, da er nichts Gründliches gelernt hat. Es war bequemer zu trotzen und die Baronin zu belästigen. Sie wird ihre Gründe gehabt haben, ihm nicht zu trauen. Sie ist nicht geizig, das wissen wir am besten.«

»Und ich kenne ihre Gründe, weshalb sie Wildhorst haßt,« rief Elise erregt, »er war dem Baron ergeben und nicht ihr, er konnte es nicht mit ansehen, wenn sie ihren Gatten betrog –«

»Still,« unterbrach sie der Alte zornig, »der Elende trägt vielleicht allein die Schuld durch seine hämischen Verdächtigungen, er spielte den Spion und schon deshalb ist er verächtlich.«

»Vater, das ist er nicht, Deine Verehrung für die Baronin macht Dich ungerecht, ich weiß es besser. Er war ihr nur zu sehr ergeben und wenn er dahin kam, dem Baron die Augen über sie zu öffnen, so hat sie ihn selbst dazu herausgefordert durch höhnische Verachtung.«

»Elise,« fuhr der Alte auf und starrte sie an, »bis zu welcher Verblendung treibt Dich die Leidenschaft! Willst Du andeuten, daß er frech genug gewesen, die Augen zu ihr zu erheben? Ich traue es dem Elenden schon zu, denn wie eine glatte Schlange suchte er überall sich einzuschmeicheln. Mache mich nicht glauben, daß es Bosheit war, die ihn zum Angeber und Verleumder der Baronin gemacht, ich würde Dich lieber im Grabe als in den Armen eines solchen Elenden sehen.«

»Das ist zu viel, Vater!« rief sie und ein düsteres Feuer loderte in ihren Augen. »Ist er schon deshalb verächtlich, weil er gewagt, was der Graf Hartwig wagen durfte? Freilich, er ist nicht hochgeboren und war kein verlebter Lüstling, er hatte nur ein warmes, feuriges Herz. Ja, ich will es Dir bekennen, ich habe oft geweint, wenn ich sah, wie sein Auge bewundernd der schönen Frau folgte und wie ich vergessen war, seit sie das Schloß betreten. Er hat es mir gestanden. Sie war ihm eine Fee, eine Göttin, die er anbetete, für die er sein Leben gelassen hätte. War das ein Verbrechen? Niemand durfte ihm deshalb grollen als ich, da erschien der lüsterne Graf und entheiligte das Bild, das Wildhorst anbetete. Sie, die er für einen Engel der Reinheit gehalten, warf sich weg an den Freund ihres Gatten und da erfaßten ihn Wuth und Ekel und er kam zu mir und ich sagte ihm, er solle den Baron warnen und die Baronin vor Elend und Schande schützen, das sei die beste Rache für den höhnischen Stolz, mit dem die Baronin ihn jetzt behandle. Und wenn ich ihn stets geliebt, von meiner Kindheit an, so wußte ich jetzt, daß er meiner Liebe werth, denn er schonte sie. Er hätte dem Baron Beweise ihrer Schuld liefern können, aber er war zu edel dazu, er liebte seinen Herrn viel zu sehr und er begnügte sich, Winke fallen zu lassen und den Grafen zu hindern, die Baronin ganz zu verderben. Und Du forderst, er solle jetzt noch Rücksicht nehmen auf die Frau, die ihn haßt, weil er sie verhindert, den Gatten zu betrügen, nachdem er brotlos geworden, weil er seinem Herrn treu gewesen und selbst nach dessen Tode die Ehre desselben nicht beschimpft sehen mochte? Die Leute zweifeln nicht ohne Grund daran, daß ein Zufall den Baron getödtet und ohne Ursache ist die Baronin nicht ins Ausland gereist. Horche nur hin und Du wirst erfahren, daß man Wildhorst für den Mitschuldigen an einem Verbrechen hält und daß ihm Niemand deshalb eine Stelle giebt. Das hat er ertragen in der Hoffnung, die Baronin werde für ihn sorgen. Und was hat sie gethan? Als er sich endlich, der Geduld müde, zu ihr begab, ihr zu sagen, daß er Ruf und Brot geopfert, da hat sie ihn festnehmen lassen als Dieb. Sie hat sich mit einem Staats-Anwalt verlobt, um den unbequemen Dränger los zu werden, aber sie bereut es schon jetzt. Doch das ist zu spät. Ich habe mich erboten, für ihn zu zeugen. Du wirst nicht wollen, daß Unrecht geschehe durch mein Schweigen. Wäre er mir auch niemals theuer gewesen, ich würde dennoch die Pflicht haben, für ihn aufzutreten.«

Der Alte küßte ihr die Stirn. »Folge der inneren Stimme,« sagte er. »Sie kann Dich nicht irre leiten. Aber viel hätte ich darum gegeben, wenn Du Wildhorst nie gesehen. Möge der Himmel geben, daß Du Dich nie über ihn enttäuschest.«

Der Alte begab sich zur Ruhe und Elise schaute ihm mit bangem Herzen nach. Widerspruch und Strenge, ein hartes Wort oder auch nur dringende Vorstellungen ihres Vaters hätten es ihr leicht gemacht, auf ihrem Entschlusse zu bestehen und gerade deshalb für Wildhorst das Wort um so lauter zu führen, weil man ihm keine Vertheidigung gönnte. Diese Milde ihres Vaters jedoch, die nur sorgende Liebe zeigte, aber ihren Entschluß billigte, das zu thun, was sie trotz seiner Vorstellungen für Recht erkenne – die machte sie irre an sich selber. Vorstellungen erwecken Opposition, härten den Trotz; wenn aber Jemand, der Strenge zeigen konnte, uns in milder Nachsicht erklärt, er achte die innere Stimme, so entsteht in uns unwillkürlich die Frage, ob wir uns nicht selber täuschen und wir werden irre an Entschlüssen, die keine Gewalt der Erde ohne unsern Willen erschüttert hätte.

In dieser Stimmung befand sich Elise, als der Vater sie verlassen. War es bisher ihr Stolz gewesen, dem entfernten Geliebten die Treue zu beweisen und aller Welt gegenüber seine Partei zu nehmen, hatte sie jeden Zweifel, den man in ihr zu erwecken suchte, stolz abgewiesen, so ward sie jetzt schwankend, als man ihr zugestanden, ihrem Herzen zu folgen.

Vor ihrer Seele stand das Bild des Vaters, wie er in trüber Sorge sie zärtlich angeschaut und die silberweißen Locken mahnten sie an sein Alter, die gebückte Haltung an seine Gebrechlichkeit. Und er sollte vielleicht den Wanderstab in die Hand nehmen und das Asyl verlassen müssen, weil sie der Baronin das Vertrauen brach, Wildhorst zu retten!

War sie denn ihrer Sache so sicher, hatte sie niemals an ihm gezweifelt? Das Wort des Vaters, daß er sie getäuscht haben könne, daß sie bedenken möge, wie es ihm leicht geworden, ihr unerfahrenes Herz zu umstricken, trat jetzt vor ihrer Seele und als sie hinabschaute in die Tiefen ihrer Brust, da fühlte sie doch ein Zweifeln und Bangen.

Ja, dieser Mann hatte wenig Mühe gehabt, ein Herz zu erobern, das ihm entgegengeflogen und, wenn sie prüfend die Erinnerungen bei ihrer Seele vorüberziehen ließ, so hatte manches Bild nur die Eitelkeit mit blendenden Farben versehen, sie hatte es übertüncht, sich selber zu schmeicheln.

Was hatte er gethan, ihr seine Liebe zu beweisen, wie hatte er gezeigt, daß er ihrer Liebe werth, ihrer Treue würdig? Der Jugendgespiele hatte die Baronin angebetet und erst als diese ihn mit verächtlichem Hohne angesehn und in seine Schranken gewiesen, war er zu ihr zurückgekehrt. Ihr Herz hatte damals triumphirt, weil es glücklich war und hatte seine Partei ergriffen, weil es ihn liebte und weil der Haß, den er jetzt gegen die Baronin hegte, ihrer Eifersucht wohlgethan. Was sie von den Geheimnissen der Ehe erfahren, wußte sie von Wildhorst und was sie selbst zu sehen gemeint, hatte sie durch ein vom Vorurtheil gefärbtes Glas geschaut und zwar mit dem Wunsche, die Baronin verachten zu können.

Hatte ihr Vater nicht Recht, wenn er es zum mindesten unedel fand, daß Wildhorst erschlichene Geheimnisse benutzte, um Geld zu erpressen? Machte er sich dadurch nicht der Baronin verächtlich, anstatt sich an ihr zu rächen?

Schon früher hatte man ihr gesagt, Wildhorst bewerbe sich in K. um ein schönes Mädchen, der Jäger hatte ihr die Versicherung gegeben, es handle sich um eine Intrigue in seiner Angelegenheit mit der Baronin, er schmeichle Bertha Hillborn, um von ihr zu erfahren, was die Gegner der Baronin im Hause der Frau von R. beschlossen. Heute war ihr gesagt worden, Wildhorst habe um die Hand Bertha's geworben und ihr Vater hatte den Argwohn ausgesprochen, daß Wildhorst überall sich einzuschmeicheln suche, wo es ihm Vortheil bringe.

Ein entsetzlicher Gedanke blitzte in ihr auf. Wenn er auch ihr nur Liebe geheuchelt, um sie als sein Werkzeug zu benutzen, wenn er die Absicht gehabt, mit dem Gelde der Baronin nach Amerika zu gehen und sie zu vergessen! –

Der Gedanke führte sie an einen Abgrund, zu gräßlich, als daß sie nicht mit Todesangst sich an die Hoffnung geklammert hätte, solch' ein Verrath sei unmöglich. Nein sie durfte den Glauben an Wildhorst nicht aufgeben, denn ohne diesen war ihrem Dasein der Halt genommen. Um Wildhorst's willen hatte sie Bewerber abgewiesen, den bösen Leumund ertragen, wollte sie jetzt ihrer Wohlthäterin gegenübertreten. Was war sie, wenn er, um den sich alle Fasern ihres Herzens geklammert, sie verließ? Dann war ihr Leben um seine Jugend und um seine Hoffnung betrogen, ihr Herz zerrissen, ihr Dasein welk. Nein, mit ihm mußte sie stehen und fallen!

Sie fühlte ihr Blut kochen, ihr Hirn brennen bei dem Gedanken, er habe sie verrathen und betrogen. Sie fühlte, daß, wenn dieser entsetzliche Gedanke wahr, ihre Seele dann nur einen Durst kennen werde – ihn zu verderben, der ihr Leben vergiftet, ihn zu tödten, der ihr das Herz zerrissen.

Der kalte Schweiß perlte von ihrer Stirne, die Pulse flogen fieberhaft, ihr Auge brannte. Das war eine wilde, schreckliche Phantasie, – hing sie ihr nach, so drohte ihr der Wahnsinn.

Das Auge hatte keine Thräne, in trockener Hitze brannte es in seiner Höhle, sie preßte die Hände an den Kopf. Noch nie hatte sie ihr eigenes Bild so klar geschaut wie heute und sie erbebte vor der Leidenschaft in ihrer Brust, vor dieser kochenden Glut in ihrem Herzen.

Sie fand keine Ruhe auf ihrem Lager. Bilder auf Bilder jagte die erregte Phantasie vor die erschreckte Seele und Elise fühlte, daß sie eher ein Verbrechen begehen könne, als den Gedanken ertragen wolle, verlassen von dem zu sein, der diese Gluthen in ihrem Herzen erweckt.



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