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XXVIII.

Im Schlosse Stilten herrschte Grabesstille, selbst in der Castellanswohnung, in den Wirthschaftsräumen; überall wo sonst die Arbeit rüstig geschafft und heitere Stimmen erklungen, war es seltsam still geworden. Die Nachricht, daß die Baronin verhaftet sei, hatte einen schweren Druck auf alle Gemüther gelegt. Es war dies schon aus der naheliegenden Vermuthung erklärlich, daß eine Verurtheilung der Baronin gewiß, eine Freisprechung wegen mangelnder Beweise der Schuld, wahrscheinlich die Existenz aller Gutsangehörigen mehr oder minder in Frage stellen werde. Im ersteren Falle fiel die Herrschaft den Erben Stiltens zu, im anderen war vorauszusehen, daß die Baronin das Gut verkaufen und sich dabei für Keinen interessiren werde, denn es hatte ja auch ihr Niemand zur Seite gestanden. Dann mußte der Castellan räumen, der Verwalter, der Inspector wurden gewechselt, die Pächter mußten Rechnung legen und hatten nicht zu erwarten, daß die neue Herrschaft gleich nachsichtig alte Schulden stunden werde. Erst jetzt ward Jedem klar, wie wohl man sich befunden, wie leichtfertig man gehandelt, gleichgültig gegen die Gerüchte gewesen zu sein, die den Ruf der Baronin untergraben.

Jetzt zeigte es sich, daß Niemand ernstlich an ihre Schuld glaubte, man erinnerte sich ihrer Güte, ihrer Milde und selbst Diejenigen, welche am lautesten darüber gesprochen, daß die Baronin denn doch zu weit in der Vertraulichkeit mit dem Grafen Hartwig gegangen, die in stiller Schadenfreude am Scandal geheimnißvolle Andeutungen gemacht, sie wüßten mehr als sie sagen wollten, erschraken vor dem Gedanken, die schöne Frau sei des Mordes beschuldigt und im Kerker. Jetzt wurden Stimmen zu ihren Gunsten laut und hatte man vorher nur verächtlich von dem Tagediebe Wildhorst gesprochen, so rief man jetzt laut, er sei der Bube, der die Baronin ins Unglück gebracht, der sie verleumdet, der ihr Elend auf dem Gewissen habe.

Der alte Felter machte seiner Tochter keine Vorwürfe mehr, aber Elise sah's ihm an, wie schwer er litt und in ihr tobte ein Kampf, der ihr ganzes Sein und Denken in den innersten Fugen erschütterte. Sie traute der Baronin zu, daß sie die Ehe gebrochen, sie hatte ja durch die fortgesetzten Verleumdungen Wildhorst's sich an diesen Gedanken gewöhnt. Sie hatte die Baronin verachtet, weil selbst der Tod ihres Gatten sie nicht erschüttert, aber daß sie eine Mörderin geworden sein sollte, das konnte sie nicht glauben.

Elise hatte ihre Liebe zu Wildhorst an die Hoffnung geklammert, daß sein wahrer Charakter doch noch ans Licht kommen und seine Feinde beschämen, daß die Baronin endlich etwas thun werde, Allen zu zeigen, daß sie Ursache habe, ihm zu danken, nicht, ihn zu hassen. Gerade das Gefühl, daß er außer ihr Niemand habe, der ihn recht verstehe, ihn entschuldige, ließ ihre Liebe trotzig auf seine Vertheidigung bestehen und stieß jeden Zweifel zurück, der sich in ihre Brust einschleichen wollte.

Die Nachricht, daß die Baronin Wildhorst wegen Diebstahls habe verhaften lassen, hatte sie verwirrt, denn sie wußte, daß er drohen konnte und nicht zu stehlen brauchte, sie sah daher in dem Beginnen der Baronin die Schaamlosigkeit trotzigen Uebermuths auf die Macht, welche der Reiche gegen den Armen, der Vornehme gegen den Geringen übt, und gerechter Haß hatte sie bestimmt, feindselig gegen ihre Wohlthäterin auszusagen. Jetzt aber hieß es, Wildhorst sei der Ankläger der Baronin; auch sie war verhaftet, ihr Rang hatte sie also nicht geschützt!

Wildhorst war der Ankläger und die Anklage lautete auf Mord. Elise hatte Wildhorst deshalb geschätzt, weil er schonend gegen die Baronin verfahren, sich geduldet, ihretwegen Alles ertragen und nicht die Treue brechen mochte gegen den Todten, weil er seine Geheimnisse bewahrt. Ein solcher Charakter konnte nicht unedel sein, der war keines Verrathes fähig, darum glaubte sie auch nicht daran, daß er sich mit einer Anderen verlobt. Klagte er aber jetzt die Baronin an auf Mord, so hatte er ein Geheimniß vor ihr verborgen, oder er übte niedrige Rache. War die Baronin eine Mörderin, so war er ein Schurke, daß er sie nicht angeklagt. Das hätte die Treue gegen seinen Herrn gefordert. Dann hatte er geschwiegen, um Geld zu erpressen.

»Aber nein,« rief es in ihr, »das Gerücht lügt. Es ist ausgesprengt, ihn vollends in der Achtung aller Menschen zu verderben, mein Herz ihm zu entfremden.«

Elisens Gefühl sträubte sich krampfhaft dagegen, etwas zu glauben, was sie unsäglich elend machen mußte, was ihr die letzte Entschuldigung dafür nahm, daß sie dem Vater durch ihre Hartnäckigkeit Kummer bereitet, daß sie ihre Wohlthäterin angeklagt. Der Gedanke, daß sie sich in diesem Manne getäuscht, daß Alles an ihm Lüge gewesen, daß er sie betrogen und belogen, war zu entsetzlich, als daß sie sich nicht an die letzte Hoffnung geklammert hätte, ehe sie sich der Verzweiflung hingab.

Und sie hatte Ursache, die Hoffnung nicht ganz aufzugeben. Hatte der Kriminalbeamte sie zu täuschen gesucht, war er unter falschem Namen in ihres Vaters Haus gekommen, hatte er die Unwahrheit gesagt, um von ihr ein Geständniß zu erschleichen, so konnte das Gerücht, Wildhorst sei der Ankläger der Baronin, auch übertreiben, konnte absichtlich hier verbreitet sein. Sie sagte sich, sie dürfe nicht an Wildhorst zweifeln, ehe sie sich mit eigenen Augen und Ohren davon überzeugt, daß er sie betrogen. Hätte sie nicht dasselbe von ihm gefordert, wenn man sie bei ihm verleumdet?

Als Wolff auf dem Gute eintraf und sie ihn aus dem Wagen steigen sah, glaubte sie ihre Ahnung bestätigt. Das gegen Wildhorst ausgesprengte Gerücht hatte wirken sollen und jetzt kam er, sie abermals zu verhören. Es lag Unmuth und Verdrossenheit in dem Blick, mit dem sie ihn empfing, er sah es ihr an, daß sie zum Trotz entschlossen sei, und die freundliche Miene, mit der er sie begrüßt, veränderte sich sogleich, sein Auge fixirte sie, die Beweggründe dieses zur Schau getragenen Trotzes, dieser Herausforderung zu errathen.

»Ei,« sagte er, »ich hoffte von Ihnen als Freund begrüßt zu werden, da ich im Interesse Ihrer Wohlthäterin nochmals komme, ich hoffte, daß Sie unterdessen eingesehen, welch ein Elender Ihr Herz betrogen, aber ich scheine nicht willkommen zu sein. Um so besser. Ich kann also« – und bei diesen Worten nahm er einen ernsten, drohenden Ton an – ›die Rücksicht weglassen, die mir die Baronin Stilten anempfohlen. Sie täuscht sich sehr, wenn sie glaubt, daß man hier Theilnahme für sie hegt.«

»Theilnahme können nur die beanspruchen, Herr Commissar, die ihrer bedürftig sind. Ich würde die Frau Baronin damit beleidigen.«

»Wüßten Sie noch nicht, daß die unglückliche Dame verhaftet ist?«

»Es soll in der Zeitung gestanden haben, die Leute erzählen davon.«

Elise sagte das in gleichgiltigem Tone, ihr ganzes Benehmen war Wolff höchst auffällig und erweckte den Verdacht, daß sie entschlossen sei, selbst auf Kosten der Wahrheit zu Gunsten Wildhorsts zu zeugen.

»Wo ist Ihr Vater?« fragte der Commissar kurz.

»Er arbeitet im Garten. Soll ich ihn rufen?«

»Ich werde ihn mir selber suchen. Halten Sie unterdessen die Schlüssel zu den früheren Schlafgemächern Ihrer Herrschaft bereit. Wer hat den Schlüssel zu dem eisernen Schrank?«

»Mein Vater verwahrt ihn, aber er ist in ein vom Verwalter versiegeltes Papier geschlagen.«

»Sind Geldwerthe im Schrank?«

»So viel ich weiß, befinden sich dort die Rechnungsbücher und die Einkünfte der Herrschaft, die alle Vierteljahre an die Baronin geschickt werden. Mein Vater ist jedesmal zugegen, wenn der Schrank geöffnet wird.«

»Er steht noch an der alten Stelle?«

»Ja, Herr Commissar.«

»Gut. So rufen Sie auch den Verwalter.«

Elise zeigte Wolff aus dem Fenster die Hecke, an der ihr Vater einige Ranken beschnitt und dieser begab sich dahin. »Felter,« begann er, als der Alte sein Käppchen lüftete, ihn zu begrüßen, »ich muß Ihre Tochter noch einmal verhören und den Geldschrank so wie die Zimmer besichtigen. Hat Ihre Tochter seit meiner letzten Anwesenheit Briefe erhalten oder haben Sie bemerkt, daß ein besonderer Einfluß auf sie geübt worden?«

»Sie hat keine Briefe erhalten. Es schrieb Niemand an sie, als Wildhorst und der ist ja im Gefängniß. Aber das Reden der Leute, daß Wildhorst es sei, der die Baronin des Mordes angeklagt, schmerzt und erbittert sie sehr. Ihr Glaube an ihn steht fest, wie auf Felsen.«

»Ah! also die Leute reden so. Sie nehmen Partei gegen Wildhorst?«

»Es zweifelt Keiner daran, daß der Elende sich nur an der Baronin rächen will. Wer sollte auch glauben, daß eine Dame, wie die Baronin, ein Verbrechen begangen haben könne?«

»Man hat das Gerücht verbreitet, daß der Jäger die Anklage erhoben?«

»Jedermann vermuthet es. Er prahlte ja stets damit, daß er Geheimnisse besitze, daß die Baronin ihn versorgen müsse.«

»Gut. Folgt mir. Wir wollen hinauf gehen. Wißt Ihr vielleicht, ob der Baron am Tage seines Todes Geld eingenommen?«

»Ich war damals noch nicht Castellan. Aber ich glaube nicht, daß er Geld eingenommen. Er ließ sich immer am Sonnabend die Rechnungen machen und es war Donnerstag als er starb. Es müßte denn sein, daß Wildhorst Geld aus K. gebracht – aber der kam ja erst, als der Baron schon todt war.«

»Seid Ihr dessen gewiß?«

Der Alte schaute zu Boden. »Herr,« sagte er, es ist mir manchmal ein arger Gedanke gekommen. Aber es wäre sündhaft, ihn auszusprechen, denn es ist ja nur ein Argwohn.«

»Hat Ihnen Ihre Tochter nicht gesagt, daß Wildhorst an der Veranda gelauscht, daß er also heimlich zurückgekehrt war?«

»Wir haben darüber nicht ausführlich gesprochen. Ich wollte mein Kind nicht quälen. Elise ist sehr gedrückt, weil sie nichts zur Entschuldigung ihres Geliebten hat, als den Glauben an seine Rechtschaffenheit.«

»Es ist Ihnen also nicht fremd, daß der Jäger Abends im Garten gewesen?«

»Herr Commissar, ich habe darüber wenig zu sagen. Als ich hörte, daß dem Unglück ein böses Zerwürfniß zwischen den Ehegatten vorangegangen, war ich überzeugt, daß der Wildhorst seine Hand dabei im Spiele gehabt, aber wer dachte daran, daß etwas Anderes geschehen sein könne, als ein Unglück! Ich kann's mir noch heute nicht denken, daß der Baron anders als durch ein Ungeschick das Leben verloren. Die Gerichtsbeamten haben es ja auch bestätigt.«

Der Verwalter erwartete Wolff bereits in der Schloßthür. Elise hatte ihn rasch geholt.

Die Männer begaben sich die Treppe hinauf, Elise folgte auf besonderes Verlangen des Commissars.

Wolff überzeugte sich sehr bald, daß das Schloß des Geldschrankes nur umständlich geöffnet werden konnte. Man mußte die Rosetten genau stellen und dann mit zwei Schlüsseln öffnen. Der Geldschrank hatte zwei große Thüren, es öffnete sich zuerst die nach dem Waffenschrank zu gelegene, wollte man die andere öffnen, so mußte dies besonders geschehen, es war dies jedoch nicht nöthig um den Tresor aufzuschließen. Die linke Thür konnte also geschlossen gewesen sein, als die rechte geöffnet worden, und diese letztere hatte den am Waffenschrank stehenden Baron völlig Jemand verbergen können, der vom Schlafgemach herkam.

Wolff besichtigte das Innere des Schrankes, überzeugte sich aber, daß das Eisen erst kürzlich vom Rostanflug gereinigt worden und der Verwalter sagte, dies sei öfter geschehen. Es war also nicht mehr zu constatiren, ob etwa eine blutbefleckte Hand darin etwas angetastet. Nach Aussage des Verwalters war der Schrank offen gewesen, als er die Leiche gefunden. Elise bestätigte dies und fügte hinzu, die Baronin habe am andern Morgen den Schrank selber geschlossen. Sie habe nicht bemerkt, daß etwas darin gefehlt, und beim Rechnungsabschluß hätten die Bücher die vorgefundene Baarschaft als richtig angegeben.

»Wo waren die Schlüssel zum Geldschrank, als die Baronin ihn schloß?« fragte Wolff.

»Sie steckten im Schlosse des Schrankes. Niemand dachte früher daran ihn zu schließen.«

»War der Geldschrank noch offen, als Wildhorst die gereinigte Flinte wieder in den Waffenschrank stellte?«

»Ja. Er erinnerte mich daran, daß die Baronin ihn schließen, das Geld nachzählen müsse.«

»War er allein im Zimmer, ehe der Schrank geschlossen wurde?«

»Nur wenige Minuten, bis ich die Baronin holte. Behauptet sie jetzt vielleicht, daß ihr Geld gefehlt?«

Elise sprach dies mit bitterem Hohn in erregtem Tone.

»Schweigen Sie!« versetzte Wolff ernst und drohend, wie er noch nicht zu ihr gesprochen. »Wenn ich Sie verhöre, wird es Zeit sein, zu sprechen.«

Elise wechselte die Farbe, der alte Felter starrte Wolff bestürzt an, auch ihn, hatte der Ton des Kommissars erschreckt.

Elise drehte dem Kommissar den Rücken und schritt an's Fenster. Der Stolz siegte über die Unruhe. Sie kreuzte die Arme über die vor Erregung wogende Brust und schien sich mit Trotz zu wappnen, ihrem Gegner in's Auge zu sehen.



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