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III.

Es war gewiß eine seltsame Lage, in der Bentheim sich befand. In dem Augenblick, wo er zum Bewußtsein seiner Liebe gekommen, war in ihm ein Zweifel an dem Werth seiner Geliebten aufgeschossen und ein Wort von ihr hatte ihn dennoch in ihre Bande geschlossen. Hatte er recht gesehen, so war ihr Herz der Liebe werth. Es lag nahe, anzunehmen, daß nur ein reines Herz den peinlichen Punkt so geradezu berühren konnte. Reinheit und Schuldlosigkeit gehen arglos zu Werke und nur die raffinirteste Verderbtheit kann den ähnlichen Weg mit schamloser Frechheit einschlagen. – Bentheim blieb nur die Wahl, das Eine oder das Andere anzunehmen, und sein ganzes Gefühl empörte sich nun gegen den Gedanken, das Letztere für möglich zu halten. Er sagte sich, die Baronin hätte den Namen des Grafen nicht aussprechen können, wenn auf ihr ein Vorwurf bei dieser Erinnerung laste. Er beschloß, schon anderen Tages, sobald er vom Gericht komme, zu ihr zu gehen. Der erste Besuch bei ihr war schon ein entscheidender Schritt, er fühlte, daß, wie die Sachen lagen, dabei eine Erklärung erfolgen werde, und in fieberhafter Aufregung durchbrachte er die Nacht. Die Worte des Präsidenten Altrock tönten ihm immer wieder in's Ohr. Die mahnende Warnung stand an der blüthenbekränzten Wiege der Hoffnung und ihr kalter Hauch ließ die Blüthen hinsterben.

Ehe er sich zum Gericht begab, ward ihm der Criminalbeamte Wolf gemeldet und dieser nannte ihm den Namen der Baronin Stilten. Die Baronin hatte, so berichtete Wolf, bei ihrer Rückkehr vom Balle ihr Zimmer erbrochen gefunden. Die Kammerzofe hatte fest geschlafen und erst, als sie bei der Rückkehr der Baronin geweckt worden, den Einbruch bemerkt. Ein Dieb war durch das Fenster gestiegen, dessen Scheiben man eingedrückt gefunden, und hatte die Cassette der Baronin mit baarem Gelde und werthvollen Schmucksachen gestohlen. Der Dieb mußte in der Wohnung orientirt gewesen sein, denn er hatte die Cassette gleich gefunden, obwohl sie unter einem Fenstertritte gut verborgen gewesen. Der Diener der Baronin hatte noch in der Nacht die Polizei gerufen, die Baronin hatte erklärt, daß ihr besonders viel an der Wiedererlangung eines Halsbandes von Perlen gelegen sei und daß sie dafür eine Belohnung von fünfhundert Thalern ausgesetzt habe. Der Beamte erklärte Bentheim, er hoffe, auf der Spur des Diebes zu sein, und wenn er sich nicht irre, würden denselben die Gensd'armen schon in diesem Augenblick auf der Hamburger Bahn an der mecklenburgischen Grenze verhaften.

Bentheim ersuchte den Beamten, ihm die bestimmte Nachricht über den Erfolg auf's Gericht zu schicken, da er sich nach der Sitzung zur Baronin begebe, dieser aber gleichzeitig das Resultat, wenn es günstig sei, zu melden und seinen Besuch anzukünden.

Im ersten Augenblick war es für Bentheim ein angenehmes Gefühl, einen guten Vorwand für seinen Besuch bei der Baronin zu haben, aber bald beschlich ihn eine Ahnung, als ob das Schicksal ihm einen Wink zur Vorsicht gebe. Es war ein seltsames, eigenes Zusammentreffen, daß er ihr in amtlicher Weise den ersten Dienst leisten sollte und ihre Worte: »darf ein Staats-Anwalt tanzen?« klangen ihm in den Ohren.

Es war eben nur eine Ahnung, ein dumpfes, dunkles Vorgefühl, das ihn peinlich beschäftigte, obwohl er darüber hätte lachen mögen, denn vernunftgemäß konnte ihm dieser Zufall doch nur willkommen sein, besonders wenn er eine gute Nachricht zu bringen hatte.

Man überreichte ihm während der Sitzung einen Meldezettel. »Dieb ergriffen, gestohlenes Gut bei ihm gefunden,« so lautete der Inhalt. »Der Dieb ist der Jäger Robert Wildhorst, früher im Dienst des Baron von Stilten.«

Ein Frösteln überlief Bentheim bei dieser Nachricht. Ein Diener des Todten hatte die Wittwe beraubt. Er war ergriffen, sie war die Anklägerin, was konnte der Dieb enthüllen, sich für sein Mißgeschick zu rächen, was konnte er aus Bosheit erfinden?

Die Mahnung des Präsidenten war doch nicht so leicht zu nehmen. Woher kam es, daß Paul Bentheim in diesem Augenblick fast wünschte, der Dieb wäre nicht ergriffen worden, daß er fürchtete, ein Bösewicht könne der Baronin durch Bosheit schaden! Er mußte sich gestehen, daß nur das Vorhandensein von Zweifeln die Ursache seiner Unruhe war, aber diese Zweifel ließen sich nicht hinweg leugnen, sie waren da, sie wucherten bereits.

Mit hochklopfendem Herzen betrat Bentheim die Schwelle des Boudoirs, in dem Julie Stilten ihn erwartete. Sie war ungewöhnlich bleich und schien innerlich sehr erregt. Aber freilich, wie hätte es auch anders sein können!

Bentheim versuchte einen leichten Ton anzuschlagen, er wünschte ihr Glück, daß der Dieb ergriffen sei, da bemerkte er mit Erschrecken, daß sie zitterte. Sie bot ihm einen Sessel, während sie sich selber niederließ; es war, als ob ihr die Kraft fehle, länger zu stehen. In ihren Augen bemerkte Bentheim seltsame Unruhe, die Scheu, ihn anzublicken.

»Ich bin kaum dessen froh,« sagte sie, »daß der Dieb ergriffen ist. So lieb mir auch der Schmuck, ein Erbstück meiner Mutter war, verliert er doch den Werth, wenn ich denke, daß das Unglück eines Menschen daran haftet.«

»Gnädige Frau, es haftet nichts daran. Die Gerechtigkeit ereilt den Verbrecher und straft ihn, ob er nun dies oder das entwendet, Diesen oder Jenen bestohlen. Sie könnten nicht einmal die Bestrafung hindern, wenn Sie es auch wollten.«

Die Baronin blickte auf, Schrecken malte sich in ihrem Antlitz. »Wie?« fragte sie, »ich kann das nicht hindern? Ich bin die Bestohlene. Was kann das Gericht thun, wenn ich keinen Strafantrag stelle?«

»Gnädige Frau, der Staats-Anwalt stellt den Antrag; nicht Sie. Sie sind nur Zeugin, ihr Eigenthum und den Thatbestand des Einbruchs zu constatiren.«

»Und wenn ich die Bestrafung nicht will? Wenn ich dagegen protestire!«

»Gnädige Frau, das würde nur die Richter befremden, aber nichts zur Sache thun. Man würde sich fragen, wozu diese Nachsicht, woher dies Interesse für einen Dieb!«

Die Baronin erröthete unter den forschenden Blicken Bentheims. »Das Interesse liegt sehr nahe,« erwiederte sie mit bebender Stimme. »Abgesehen davon, daß es mir sehr peinlich wäre, vor Gericht zu erscheinen, hat dieser Mann meinem verstorbenen Gatten treu gedient, er ist vielleicht durch die Entlassung brotlos geworden.«

»Gnädige Frau, er ist ein Verbrecher, der gestohlen, anstatt sich an Ihre Milde zu wenden, wenn er bedürftig war. Ihr Mitleid verdient er nicht, wenigstens nicht eher, als bis die Sache untersucht worden und sich entweder mildernde Umstände herausstellen oder die Reue sich bethätigt.«

Die Baronin mochte größere Nachgiebigkeit erwartet haben, denn die Enttäuschung vermehrte ihre Ungeduld und ihre schlechte Laune. Es war, als ob sie ein Aufwallen des Zornes nur zurückhalte, als sie jetzt den funkelnden Blick ihres Auges auf Bentheim heftete.

»Mein Herr,« erwiderte sie, »es war ein anderer Gegenstand, der zum Anknüpfungspunkt unserer Bekanntschaft miteinander dienen sollte und diese unglückliche Diebstahlsgeschichte scheint, abgesehen von ihren sonstigen Unannehmlichkeiten, uns einander zu entfremden, ehe wir uns noch kennen gelernt. Mir wenigstens ist es unmöglich, Vertrauen zu einem Manne zu haben, der in Folge der Gewohnheiten seines Berufs das natürliche Gefühl durch vielleicht richtige, aber kalte und pedantische Theorieen der Wärme und Frische beraubt. Der Mann, der beim Verkehr mit Menschen das Gesetzbuch in der Hand trägt und bei seinem Urtheil nur den Gegenstand zu Rathe zieht, damit das Herz nicht mit dreinsprechen könne, der mag sehr achtungswerth sein, aber Niemand wird ihn zum vertrauten Freunde suchen. Brechen wir daher das Thema lieber ab.«

»Gnädige Frau, Sie sind gereizt, weil Sie mich mißverstanden haben. Ich sagte Ihnen nichts, was meinen Ansichten, meinem Gefühl, meiner Denkungsweise eigenthümlich ist, sondern ich legte nur die Sachlage klar, wie sie ist und Niemand sie ändern kann. Von dem Augenblicke an, wo dem Staatsanwalt ein Verbrechen angezeigt wird, wo die Criminalpolizei einschreitet, ist der Angeklagte dem Gericht verfallen und selbst das Oberhaupt des Staates kann die begonnene Untersuchung nicht niederschlagen. Der Versuch hierzu von Seiten eines Dritten, ganz besonders von Seiten des Beschädigten würde nur Mißtrauen gegen ihn erwecken und die Frage anregen, was die Quelle einer solchen Handlungsweise ist. Wenn Sie mich mit Ihrem Vertrauen beehren und von mir einen Rath fordern, so werden Sie bald die Ueberzeugung erhalten, daß ich nichts sehnlicher erstrebe, als Ihnen meine Dienste widmen, meine Ergebenheit beweisen zu können. Sie sagten mir gestern Abend, daß Sie mir glauben, mir vertrauen wollen. Erproben Sie es, ob ich dieses Vertrauen werth!«

Das dunkle Auge Juliens war auf Bentheim geheftet, als er so sprach und der Zauber dieses schönen Auges umfing seine Seele; er sprach in weichem, bittendem Tone, jeden Zweifel drängte das unwiderstehliche, ihn übermannende Gefühl zurück: diese Frau bedürfe eines rathenden, helfenden Freundes und sie sei dessen werth.

Julie seufzte tief auf. Ihr Auge verschleierte sich, als wolle eine Thräne darin perlen und ihre Schöne war in diesem Augenblick von bezaubernder Milde.

»Ja, murmelte sie, »den Blick zu Boden senkend, Sie haben Recht; was geschehen, ist geschehen und daran kann Niemand etwas ändern. Als ich Rathes bedurfte, fehlte mir ein Freund und nun ist es zu spät. Ich habe schon hiermit mehr gesagt, als es klug sein dürfte, denn Sie sind ja der Staatsanwalt, der dem Gesetze sein Recht verschafft, aber ich hoffe, Sie werden Vertrauen nicht mißbrauchen.«

»Gewiß nicht!« versetzte Bentheim, aber Schrecken malte sich in seinem Antlitz, denn diese Worte verriethen fast das Geständniß einer Schuld, zum mindesten Unruhe des geängstigten Gewissens. »Gnädige Frau,« sagte er mit Wärme, »in peinlichen Situationen hat der Mensch oft keinen schlimmeren Feind, als den eignen Rathgeber in seinem Inneren, der ihn verleitet, klug handeln zu wollen. Jeder Schleier, mit dem man etwas verhüllen will, erscheint dem argwöhnischen Dritten als trügerische Maske und eine falsche Scheu, am rechten Orte offenes Vertrauen zu zeigen, wenn es auch schwer fällt, bereitet den Zweifeln Dritter einen Weg, das stolze, unglückliche Herz noch empfindlicher zu treffen. Ich will mich Ihnen nicht als Rathgeber aufdrängen, ich bin vielleicht der schlechteste Vertraute, den Sie wählen können, wenn Sie Ursache haben, Geheimnisse zu verbergen und nur halbe Aufschlüsse zu geben, aber grade aus meiner Erfahrung kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß man es stets bereut, wenn man es versäumt hat, zu rechter Zeit eine Sache offen zu enthüllen, die sich doch nicht für immer verschleiern läßt. Ihr Wunsch, dem Diebe Ihrer Cassette die Verfolgung zu ersparen, ist mir ebenso erklärlich, als ich überzeugt bin, daß Sie bei ruhiger Ueberlegung ihn ebenfalls hegen würden. Sie scheuen einen Eclat, aber es frägt sich, ob er zu vermeiden ist, ob er nicht peinlicher wird, wenn Sie dagegen ankämpfen. Ich will Ihnen keinen Rath aufdrängen, aber ich werde stets bereit sein, ihn nach bestem Wissen zu geben, sobald Sie ihn fordern. Was ich unter andern Umständen nicht gewagt haben würde, Ihnen zu gestehen, ehe ich gewisse Hoffnung hegen durfte, nicht ganz abgewiesen zu werden, darf ich jetzt aussprechen. Ich wäre glücklich, ein Recht zu haben, für Sie in die Schranken zu treten, ein Recht, das mir Ihr Herz gegeben.«

Purpurgluth bedeckte das Antlitz Julien's und ein Blick antwortete ihm, der sein Herz jubeln ließ, aber im nächst Moment wechselte der Ausdruck ihrer Züge, es war, als in dieser Regung mit ihren Gluthen das weichere Gefühl vergehe.

»Nein,« sagte sie hastig, als ob sie noch jetzt kämpfe und sich zwinge, dem Entschlusse treu zu sein, der plötzlich in ihr aufgeflammt, »nein! – Zürnen Sie mir nicht,« fuhr sie mit bewegter Stimme fort, »ich weiß zu würdigen, was Sie mir bieten, und bei Gott, es hat mir wohlgethan, Freundschaft zu finden, wie Sie mir dieselbe entgegentragen, aber gerade deshalb darf ich sie nicht annehmen. Man nimmt kein Almosen von dem, den man achtet, in dessen Achtung man stehen möchte. Ich trage, was mir beschieden, ich bin zu stolz zur Klage, lieber mag das Aergste geschehen, als daß ich mich entwürdige, einen Vertheidiger zu suchen, ehe ich noch weiß, was mich bedroht. Ich wollte Fragen an Sie richten, von deren Verantwortung es abhing, ob ich hier mich niederlasse oder nicht. Das Schicksal ist mir zuvorgekommen und hat mir einen Wink gegeben, der nicht mißzuverstehen ist. So erspare ich es mir denn, peinliche Erinnerungen aufzufrischen, und Ihnen genüge, wenn ich Ihnen sage, daß ich keinen Andern zu meinem Vertrauten wählen würde, als Sie, wenn ich eines solchen bedürfte. Nur eine Frage beantworten Sie mir. Wo lebt der Graf Hartwig jetzt?«

»Genau kann ich darüber keine Auskunft geben. Als ich ihn zuletzt sah, war er völlig verändert, er machte den Eindruck eines Mannes, der sich vor seinem eigenen Selbst in die Wildniß flüchten müsse. Er wollte sich im Posen'schen ankaufen.«

Im Auge Julien's flammte es düster, als feiere tiefe Bitterkeit und wilder Haß einen Triumph. – »Ich danke Ihnen,« sagte sie, ihm ihre Hand reichend. »Suchen Sie nicht, mich wieder zu sehen, nehmen wir Abschied von einander. Es wird mir stets eine wohlthuende Erinnerung bleiben, Sie kennen gelernt zu haben.«

Er küßte die kleine weiche Hand und wollte sie festhalten und suchte nach Worten, Julie in ihrem Entschluß zu erschüttern. Es war ihm, als wolle die Sonne von seinem Leben scheiden, nachdem sie einen heißen Strahl in den Garten seines Lebens geworfen und dort tausend Keime lebendig gerufen.

Und er las es in ihren Blicken, daß sie stolz und glücklich war, diese Gefühle in ihm erweckt zu haben, daß sie sich mit blutendem Herzen losriß, daß sie die Thränen gewaltsam zurückdrängte, die stürmisch hervorbrechen wollten. Ihr Busen wogte ihm entgegen, es war ihm, als ob er nur festzuhalten brauche, was ihn zu umschlingen dürstete und wider Willen sich sträubte – aber sie riß sich los und entfloh, schamerglühend, zitternd, zu erliegen.

Bentheim verließ das Haus; und hatte er eben noch verlangend geglüht, so war doch der Eindruck dieser Flucht peinlich. – Was konnte sie zwingen, ihrem Herzen, das so laut gesprochen, zu widerstreben?

War es nur Scham der stolzen Seele, da erröthend zu triumphiren, wo sie als Siegerin hätte einziehen mögen? Wollte sie ihm nicht gönnen, sich ihre Liebe dadurch zu verdienen, daß er mit ihr trug, was sie bedrückte, und für sie kämpfte?

Oder bebte ihr Gewissen vor einem Glücke zurück, dem sie nicht trauen konnte?

Fast schien es so. Seltsam genug klangen ihre Worte ihm in der Erinnerung nach, und je mehr er nachsann, was sie verschleiert haben könnte mit ihrer Klage, um so düsterer umfing ihn eine trübe Vorahnung, daß er noch nicht das Schlimmste erfahren.



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