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II.

Die Paare schwebten durch den Saal, die Festmusik rauschte. Bentheim schlich, in Gedanken versunken, an den Wänden hin, einsam unter Hunderten. Da gewahrte er plötzlich in einem Seitencabinet eine Dame, welche dort am Fenster gestanden und im Begriff war, in den Saal zurückzukehren. Die Blicke der Baronin und Bentheim's begegneten einander. Ihr Antlitz war bleich, jetzt erglühte es. Sie bemerkte seine Verwirrung, bemerkte, daß er weiter gehen wollte, ihr auszuweichen. Da bannte ihn ihr Auge mit einem Blick. Dieses große, schwarze Auge übte einen unwiderstehlichen Zauber. Bentheim trat in das Cabinet, obwohl er sich eben den Schwur geleistet, den Klatschmäulern von B. zu zeigen, daß sie sich geirrt, daß er der Baronin ausweiche, nicht aber sie suche. Die Baronin stand vor ihm in ihrer majestätischen Haltung, aber es war ein Zauber milder Weiblichkeit über sie ausgegossen, der ihn trunken machte im Anschauen.

»Sie tanzen nicht?« fragte sie und wunderbar leuchtete es in den dunklen Augen. »Warum tanzen Sie nicht?«

»Gnädige Frau,« stotterte er, verwirrt von diesen Blicken und bebend, ihr mehr zu verrathen, als er ihr zugestehen wollte, »Sie sagten gestern selbst –«

»Eine Thorheit,« unterbrach sie ihn rasch. »Hat das Wort einer launenhaften Dame so viel Einfluß auf Sie, daß Sie einem Vergnügen ganz entsagen?«

»Gnädige Frau, ein Korb ermuthigt nicht dazu, sich anderswo einen zweiten zu holen.«

»Sie werden keinen zweiten erhalten. Versuchen Sie es, ich bitte Sie darum.«

Bentheim starrte sie betroffen an, die Bitte war seltsam und doch klang das Wort: ich bitte, von diesen Lippen so weich, daß er in's Feuer gegangen wäre, ihren Wunsch zu befriedigen.

»Ich gehorche Ihnen, gnädige Frau, obwohl die Ursache dieses Befehls wohl auch nur eine Laune ist.«

»Das ist sie nicht, Herr Bentheim. Die Leute hier im Ort sind geschwätzig. Man soll nicht sagen, daß Sie mit keiner Dame tanzen mögen, weil ich Ihnen gestern einen Korb gegeben.«

»Ich verstehe, gnädige Frau. Ich habe übrigens dasselbe Interesse daran, solchen Reden vorzubeugen und danke Ihnen für den Wink.«

Sie blickte stolz auf, ihre Wange flammte, aber sie sagte nichts, denn er sah nicht so aus, als ob er sie habe beleidigen wollen.

»Es kann mir nicht angenehm sein,« fuhr er fort, als ihr flammender Blick eine Erklärung forderte, »wenn man mich für glücklicher hält, als ich es bin. Entfernt davon, Ihnen huldigen zu dürfen, wie jeder Andere, sehe ich die einfachste Höflichkeit, mit der ich mich Ihnen zu nähern wage, verletzend zurückgewiesen und doch weiß ich nicht, womit ich diese Härte verdient. Seien Sie überzeugt, gnädige Frau, daß ich es vermeiden werde, Ihnen wieder lästig zu fallen«

Sie blickte ihn fragend, forschend an. »Herr Bentheim,« sagte sie, als er ihren Blick ruhig erwiderte, »wir thun einander vielleicht Unrecht. Man belästigt mich mit Anspielungen und Neckereien, die mich vermuthen ließen, daß Sie eitel und prahlerisch seien. Ich habe Ihnen keine Ermunterung gegeben, sich mir zu nähern. Woher kommt es, daß man Sie einen Bewerber um meine Gunst nennt?«

»Gnädige Frau, Ihre offene Frage gestattet mir, eben so offen zu antworten. Mir wurde eben gesagt, daß die Leute hier sehr klatschhaft seien und mir ein Glück andichteten, dem ich wohl sehr fern stehe. Mir wird aber auch gesagt, daß ich die Schuld daran trage, und ich gestehe ein, daß meine Bewunderung Ihrer Erscheinung sich unwillkürlich verrathen haben kann. Aber zur Eitelkeit und zur Prahlerei haben Sie mir keine Veranlassung gegeben, eher zum Gegentheil. Womit ich Ihre verletzende Härte verdient, weiß ich noch jetzt nicht. Denn eine Beleidigung kann es doch für Sie nicht sein, daß ich Ihrem Zauber nicht widerstehen konnte und Bewunderung verrieth. Um Sie jedoch zufrieden zu stellen, erkläre ich Ihnen, daß mein Stolz sich auch dagegen sträubt, der unschuldige Gegenstand zu sein, mit dem Neckerei Sie beleidigt.«

Er wollte sich entfernen, aber sie hielt ihn mit einem Blicke gebannt. »Herr Bentheim,« sagte sie, »ich lese Offenheit in Ihren Zügen. Man schilderte Sie mir als einen Ehrenmann. Ein Argwohn flößte mir Vorurtheile gegen Sie ein. – Wollen Sie mir einige Fragen ehrlich beantworten?«

»Ich verspreche es Ihnen.«

»Sie sind ein Freund des Grafen Hartwig?«

»Ein Graf Hartwig ist mir bekannt.«

»Sie haben denselben in letzter Zeit gesehen, gesprochen?«

»Vor einem Jahre in der Residenz.«

»Er hat Ihnen meinen Namen genannt?«

»Niemals, gnädige Frau.«

»Sie sagen die Unwahrheit, Sie erröthen!«

»Ich sage die Wahrheit. Er hat mir nie Ihren Namen genannt, aber er deutete mir an, daß ihn ein Schlag des Schicksals hart getroffen. Vor wenig Minuten hörte ich die Umrisse Ihrer Geschichte erzählen und da wurde mir Vieles klar, was Hartwig mir verschwiegen.«

Die schöne Frau hatte den Blick fest auf Bentheim geheftet, als wolle sie tief in seiner Seele lesen. Sie ward roth und bleich, ihr Busen wogte stürmisch. »Herr Bentheim,« sagte sie plötzlich und die Stimme klang thränenweich, »ich habe Ihnen Unrecht gethan. Ich glaubte, Sie seien Hartwig ähnlich, Jener hätte mich Ihnen so geschildert, wie er mich vielleicht beurtheilt. Ich zog in diese Gegend, um fern von dem Schauplatz für mich trüber, schmerzlicher Ereignisse zu sein und wie ich Ihren Namen hörte, ward ich an Jemand erinnert, den ich vergessen will. Sie haben mir eine Aufmerksamkeit gewidmet, die mich um so mehr verletzte, als ich erwartete, Sie würden sich mir als Freund Hartwigs vorstellen. Ich verstand es nicht, weshalb Sie es vermieden, von Jemand zu sprechen, der doch Ihren Namen stets im Munde führte, weshalb Sie sich stellten, als ob Sie meinen Namen zum ersten Male gehört und als ob es für Sie keinen Anknüpfungspunkt gäbe.«

»Gnädige Frau, das erklärt mir Ihre Härte. Ich kann nur wiederholen, daß ich Ihnen die Wahrheit gesagt.«

»Und ich glaube Ihnen, ich will Ihnen glauben. Ich will lieber mich der Gefahr einer Täuschung aussetzen, als dem nagenden Zahne des Argwohns freien Willen lassen. Setzen Sie sich zu mir, erzählen Sie mir, wie Sie Hartwig gefunden haben.«

Die Baronin machte Miene, sich auf dem Sopha niederzulassen und wies ihm einen Sessel; aber er kam diesem Beginnen zuvor. »Gnädigste Frau,« sagte er, den Blick bedeutsam auf sie heftend, »man wird mich wiederum glücklicher schätzen, als ich es bin.«

Sie erröthete leicht und halb lächelnd, halb unmuthig schmollend zuckte sie die Achseln. »Pah,« sagte sie, »was kümmern mich diese Spießbürger – und doch, Sie haben Recht. Ich werde mich freuen, wenn Sie mich in meiner Wohnung besuchen.«

Sie bot ihm ihre Hand, er führte dieselbe an seine Lippen und absichtlich, weil er sah, daß man vom Saale aus ihn und die Baronin beobachtete, benahm er sich dabei so förmlich, als habe die ihm gewährte Gunst die allergewöhnlichste Bedeutung. Und dennoch durchströmte ihn das wallende Blut glühend heiß bei der Berührung dieser schönen zarten Hand. Wie ganz anders als sonst war jetzt dieses Weib! Gerade das, was er bisher an ihr vermißt, die sanfte Milde holder Weiblichkeit, das bezauberte ihn jetzt. Sie hätte aller Schöne bar sein können und er wäre nicht minder erregt gewesen. Es hatte der Ton ihrer Stimme an die Saiten des Herzens geschlagen und in ihm vibrirte jeder Nerv edlen Gefühls. Und dieses Weib, so schön und gefeiert, war unglücklich und hatte zu ihm gesagt, es wolle ihm vertrauen! Lag darin nicht schon mehr, als sein Herz begehren durfte von der ersten Begegnung?

Sie selber hatte den Punkt berührt, der einen dunklen Schatten auf sie geworfen, frei und offen hatte sie gefragt, ob Hartwig sie verleumdet, ja, sie hatte gewissermaßen angedeutet, daß sie in der Voraussetzung, Bentheim glaube ein Recht zu haben, ihr die Achtung zu versagen, ihn herausfordernd und verletzend behandelt habe.

Bentheim hätte jetzt darauf geschworen, daß diese Frau sich wohl durch zu große Arglosigkeit eine Blöße gegeben haben könne, daß aber nie der leiseste Makel auf ihr geruht. Sein Blick sagte ihr, was er fühlte, als sie, ein wenig verstimmt darüber, daß er das Gespräch mit ihr abbrach, sich entfernen wollte und er las in ihren Augen, daß sie ihn verstehe, ihn errathe.

Bentheim vermochte nicht sogleich in den Saal zurückzukehren. Er fühlte, daß er sich erst sammeln müsse, neugierig fragenden Blicken ruhig begegnen zu können, aber dieser Gedanke verwirrte ihn noch mehr, denn er fühlte, wie er sich damit selber gestehe, daß er liebe.

Es währte nicht lange, so kamen einige seiner Bekannten, ihm mit heiteren, neckischen Fragen das Geheimniß zu entlocken. Von dem Wunsche beseelt, der Baronin zu beweisen, daß er nicht so eitel sei, in der angebotenen Freundschaft mehr zu erkennen, als ihm geboten worden und noch im Banne der Erregung, wählte er die Worte schroffer, als er es wohl selber wollte.

»Die Baronin,« sagte er, als ein College vom Gericht ihn fragte, ob er Gratulationen annehme, »die Baronin von Stilten würde mir nicht ein kurzes Gespräch unter vier Augen gestattet haben, wenn sie ahnte, daß man demselben diese Bedeutung geben könnte, und wenn ich jemals einer Dame meine Huldigung darbringe, werde ich nicht einen Ball dazu wählen.«

Mehr noch der Ton, als die Worte selber straften so entschieden die Vermuthung eines zärtlichen Verhältnisses Lügen, daß man sich betroffen anschaute und bald leise fragte, warum Bentheim in so ernster, entschiedener Weise einem Gerücht widerspreche, das doch nur schmeichelhaft für ihn sein konnte. Eine halbe Stunde später, als die Baronin den Ball verlassen und Bentheim sich in die Spielzimmer begeben, um den Präsidenten aufzusuchen, erzählte man sich im Saale, der Staats-Anwalt Herr Bentheim habe in sehr eigenthümlicher und schroffer Weise erklärt, daß er auf die Ehre verzichte, als Bewerber um die Hand der reichen Baronin zu gelten.

Bentheim ahnte nicht, daß er neue, für die Baronin peinliche Gerüchte heraufbeschworen, als er den väterlichen Freund aufsuchte, ihm zu schildern, welche Wendung die Sache genommen und wie er jetzt ganz anders über die Baronin denke.

Der alte Herr schüttelte den Kopf und seine Miene war eher trübe als freudig. »Lieber Bentheim,« sagte er, »der Zauber wirkt und ich sehe, daß er Sie jetzt völlig beherrscht. Sie haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn ich Bedenken trage, Ihrer Sinnesänderung beizustimmen; nach dem, was Sie mir mitgetheilt, bin ich der Ansicht, daß Ihnen kaltes Blut und ruhige Ueberlegung mehr nöthig gewesen wären als je. Ihr Gefühl hat Sie hingerissen, Sie haben in diese Augen gesehen, die unwiderstehlich fesseln.«

»Herr Präsident!«

»Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, ich sah das vorher. Ich wußte es, daß diese Frau sich für Sie interessirt. Als ich Ihre Mittheilung hörte, stand in mir die Ueberzeugung fest, daß Sie ihr ein Unrecht abzubitten hätten oder aber recht gethan, sich gegen sie zu panzern. Die Entscheidung, was von diesen Beiden geschah, durfte nur von Außen kommen, durfte erst gefällt werden, wenn von anderer, unbetheiligter Seite die Bedenken gehoben waren, die Sie hegten. Jetzt hat man Ihr Gefühl überrumpelt, Ihre Leidenschaft erregt, die Vernunft wird im Stillen fortgrübeln, den Zweifel nähren und die Delikatesse wird Sie abhalten, die Schritte zu thun, welche durchaus nothwendig sind, Zweifel zu heben, welche im Keime erstickt werden müssen, ehe dieselben wie Unkraut mit der Liebe zugleich aufschießen.

Ich werde statt Ihrer handeln, wenn Sie dies erlauben.

Ich habe ein Recht dazu, als Ihr Vertrauter in dieser Sache, als Ihr Freund. Es versteht sich von selbst, daß ich die äußerste Discretion beobachten werde.

»Herr Präsident, ich erkenne Ihre Güte dankbar an, aber, verzeihen Sie, es widerstrebt meinem Gefühl, zu mißtrauen, wo Vertrauen geboten wird.«

»Und wenn Ihr Vertrauen getäuscht wird?«

»Dann werde ich Mann genug sein, die Folgen zu tragen und zu handeln wie es mir geziemt.«

»Ihr Entschluß ist edel, wenn Sie die innere Kraft haben, auf welche Sie bauen. Aber ich warne Sie nochmals. Unglück in der Liebe zerstört die edelsten Saiten des Herzens und ein Schatten lagert sich über das ganze spätere Dasein.«

»Ich bin in dieser Lage schon jetzt. Wenn ich Ihre Hülfe erbitten könnte, würde ich nicht lieben, da wären nur meine Sinne trunken. Ich glaube, mein Schicksal hat sich entschieden – Diese oder Keine!«

»So helfe Gott, daß Sie recht gewählt und daß Ihr Vertrauen nie getäuscht werde,« versetzte der Präsident und ein warmer, herzlicher Händedruck bekundete das rege Interesse, das er an dem jungen Manne nahm.



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