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Der Commissär der Criminal-Polizei war unterdessen thätig gewesen. Die Sache gewann für ihn ein erhöhtes Interesse dadurch, daß es die Geliebte des Staatsanwaltes war, gegen welche die Untersuchung geführt wurde. Ursprünglich hatte Wolf es nur als einen peinlichen Zwischenfall betrachtet, daß die Dame, die er eines schweren Verbrechens anklagen wollte, sich in dem Kreise bewegte, in denen der Staatsanwalt und der Präsident des Stadtgerichts verkehrten. Er war darauf gefaßt gewesen, daß man ihm Hindernisse in den Weg legte. Er hatte sich vorher gesagt, daß in dieser Sache Niemand seinen Eifer belohnen werde, aber gerade darum wollte er sich das Resultat nicht entgehen lassen. Forderte man von ihm, daß er ohne Rücksicht auf Privatverhältnisse seine harte Pflicht übte, so mochte er den vornehmen Herren nicht gönnen, daß eine Verbrecherin der gerechten Strafe entging, weil ihre Verhaftung Eclat gemacht hätte.
Seit Wolf mit Bentheim gesprochen, dachte er anders. Er fühlte Hochachtung und Theilnahme für den jungen Mann, der seine Pflicht heilig hielt. Er hatte es ihm angesehen, wie schwer ihn der Schlag getroffen und er fragte sich, ob er unter ähnlichen Verhältnissen die gleiche Selbstbeherrschung bewahrt hätte!
Zu derselben Zeit, in welcher Bentheim bei der Baronin verweilte, nahm Wolf die Domestiken in's Verhör, ohne daß diese jedoch ahnten, wer es war, der ihnen neugierige Fragen stellte. In unscheinbarer Kleidung mischte er sich unter die Neugierigen, welche das Haus umstanden, hörte, was gesprochen wurde und suchte dann zuerst den Kutscher, später den Diener, zuletzt den Portier auszuhorchen. Als ihm dieses gelungen, wandte er sich an die Köchin und das Stubenmädchen, und erst als er hier nichts mehr erfahren konnte, machte er sich auf den Weg, die wichtigste Zeugin, die Kammerzofe, welche plötzlich die Entlassung gefordert, zu vernehmen.
Die Resultate, die er bis dahin erreicht, waren gering, aber er hatte gleichzeitig die Gelegenheit benutzt, die Oertlichkeit zu recognosciren und sich mit den Gewohnheiten im Hause bekannt zu machen.
Das Haus bestand nur aus zwei Stockwerken, dem Erdgeschoß, welches die Baronin bewohnte und dem ersten Stock, in welchem Diener- und Fremdenzimmer lagen. Die Küche befand sich im Keller, abgesondert von der Portierswohnung. Das Haus war von einem eisernen niedrigen Gitter umgeben, welches den kleinen Vorgarten, den Hof mit den Stallgebäuden und Hintergarten umschloß. Die andere Eingangspforte konnte vom Portier durch einen Drahtzug geöffnet werden.
Die Resultate der weiteren Forschung waren nun folgende. Die Gitterthüre stand bis zum späten Abend meist geöffnet, der Portier versah seinen Dienst träge, es war vorgekommen, daß Bettler, ohne von ihm bemerkt worden zu sein, ins Haus gedrungen. Das Fenster, welches vom Diebe eingedrückt worden, lag an der Seite des Hauses und ging nach dem Fahrwege, der zur Remise führte. Die Läden waren nur angelehnt gewesen. Man hatte weder an ihnen noch am Fenster Spuren der Anwendung eines scharfen Instrumentes bemerkt, eben so wenig, seltsamer Weise, Schmutzflecken oder Erde auf dem Fenstersims, obwohl der Erdboden weich und feucht gewesen; der einsteigende Dieb hatte also diese Spuren entfernt, obwohl das eingedrückte Fensterglas den Weg bekundete, den er genommen.
Von einem der Baronin um 7 Uhr gemeldeten Besuche wollte Keiner etwas wissen. Die Kammerzofe hatte der Baronin bei der Toilette zum Ball geholfen. Der Diener wollte bemerkt haben, daß die Baronin ungewöhnlich erregt gewesen, als sie sich zum Wagen begeben. Er war nicht mit dem Wagen nach Hause zurückgekehrt, sondern in eine Schänke gegangen, hatte sich um 11 Uhr nach dem Orte des Festes begeben, da die Baronin um diese Zeit den Wagen bestellt. Er konnte also nichts Näheres angeben.
Das Stubenmädchen erklärte, die Kammerzofe habe sie um etwa halb sieben Uhr gerufen und sie mit einem Auftrage der Baronin fortgesandt, Sie habe, da die Baronin später zum Balle fahren wollte, noch einen Besuch gemacht, sei erst nach acht Uhr zurückgekehrt, als die Baronin bereits fortgefahren. Die Zofe habe ihr gesagt, sie könne früh zu Bette gehen und sie habe dies gethan, als sie ihre Arbeit in den Zimmern verrichtet. Die Köchin habe das Abendbrod auf ihre Stube gebracht, sie seien dort von neun Uhr ab gewesen und erst der Lärm, der bei Entdeckung des Einbruchs nach Rückkehr der Baronin erfolgt, habe sie aus dem Schlaf geweckt. Die Kammerzofe habe wie gewöhnlich die Baronin im Vorzimmer derselben erwartet, wo sie stets bis zur Rückkehr derselben in einem Sessel schlafe, ihre Herrin alsdann zu entkleiden. Dieses Vorzimmer war durch drei Stuben vom Schlafgemach der Baronin getrennt, in letzterem hatte der Einbruch stattgefunden. Der Portier erklärte schließlich, daß er nichts Ungewöhnliches bemerkt habe. Seit Jahren habe in der Stadt kein Einbruch stattgefunden, noch sei im Hause etwas gestohlen worden.
Die ganzen Auslassungen der Dienerschaft, vorzüglich des Portiers, ließen durchschauen, daß, ihrer Ansicht nach, ein Geheimniß obwalte. Die Kammerzofe habe geäußert, sie wolle sich nicht den Mund verbrennen, aber zum Fenster sei Niemand ein-, wohl aber Jemand ausgestiegen. Die Baronin habe bei der Toilette einer Sache bedurft, die sich in ihrem Schlafzimmer befunden, und habe diese selber geholt, anstatt sie zu schicken, was sonst noch nie vorgekommen, auch sei die Baronin merkwürdig zerstreut und unruhig gewesen.
Es gelang Wolf nicht, zu erforschen, woher die Gerüchte davon, daß die Baronin selber von einer Anklage bedroht werde, stammten. Die Zofe hatte darauf hin erklärt, sie verlasse den Dienst, sie möge nicht als Zeugin vor Gericht erscheinen. Es war für Wolf nicht minder befremdend als für Bentheim gewesen, ein Geheimniß verbreitet zu sehen, das sie Niemand mitgetheilt. Das Erscheinen Wolf's am Vormittag bei der Baronin hatte unmöglich Anlaß geben können, es war ja durch den Einbruch erklärt, daß Beamte das Haus betraten. Selbst angenommen, daß die Zofe sein Gespräch mit der Baronin belauscht, konnte daraus ein Verdacht, wie bei der Dienerschaft verbreitet worden, nicht hergeleitet werden.
Mußte Wolf hiernach annehmen, daß der Dieb die Baronin gesprochen, daß die Zofe dieses Gespräch gehört, so war zu erklären, weshalb sie erst am Abend, plötzlich, ihre Entlassung gefordert, als die Baronin von ihrer Abreise gesprochen.
Das einzige Zeugniß, welches günstig für die Baronin sprach, war das des Kutschers; derselbe versicherte, daß er nach 8 Uhr, als er mit dem Wagen zurückgekehrt, das Schlafstubenfenster der Baronin geschlossen und unversehrt gefunden, daß er vor dem Stalle sich aufgehalten habe und also bis etwa halb 9 Uhr es bemerkt haben müßte, wenn Jemand zum Fenster hinausgesprungen wäre.
War der Dieb von der Baronin in ihrem Schlafzimmer verborgen worden, rechnete Wolf, dann hätte er diese Zeit benutzen müssen, die Cassette zu stehlen, und es war nicht anzunehmen, daß er gewagt habe, später zurückzukehren, um die Scheibe einzudrücken, nachdem er einmal in Besitz der Cassette gelangt war.
Nach Angabe des Gastwirths war Wildhorst von halb sieben bis halb acht Uhr außerhalb des Gasthofes gewesen und dann erregt zurückgekehrt. Dies stimmte mit der Toilettenzeit der Baronin so ziemlich. Hatte er sie gesprochen, oder war er abgewiesen worden, so war dies gegen sieben Uhr geschehen, vielleicht, als die Baronin ihre Toilette begonnen. Da er schon um halb acht Uhr wieder im Gasthofe gewesen, war die Annahme falsch, daß die Baronin ihn im Schlafzimmer verborgen. Die Flucht aus demselben hätte vom Kutscher bemerkt werden müssen.
Um halb neun hatte, nach Angabe des Gastwirths, Wildhorst seinen zweiten Ausgang gemacht und gegen halb neun Uhr hatte der Kutscher sich zur Ruhe begeben, es war also ziemlich zweifellos, daß der Diebstahl um diese Zeit stattgefunden und ziemlich rasch ausgeführt worden. Es war anzunehmen, daß Wildhorst die Gewohnheit der Baronin, ihre Cassette unter dem Trittbrett des Schlafstubenfensters zu verbergen, kannte. Das Vorhandensein eines solchen mußte ihm auffallen und hatte sich auch die Baronin dasselbe nur zu dem gedachten Zwecke machen lassen.
Für Wolf war die Sachlage jetzt so ziemlich klar. Wildhorst hatte eine Erpressung versucht und war abgewiesen worden. Darauf hatte er den Einbruch gewagt – vielleicht im Einverständniß mit der Zofe. Er war sicher, daß die Baronin ihn nicht verfolgen werde; durch das eingedrückte Fenster gab er ihr den Vorwand, den Einbruch zu erklären. Er wähnte, daß Niemand eine Ahnung von seiner Anwesenheit im Orte habe, und daß er schlimmsten Falls entkommen werde.
Die Baronin hatte im ersten Schrecken, im ersten Zorn den Diebstahl anzeigen lassen, aber schon bei Erscheinen der Polizei so viel Ueberlegung gewonnen, um keinen bestimmten Verdacht zu äußern. Hierin lag für Wolf ein schwerer Belastungsmoment, die Baronin mußte ernste Ursachen haben, Wildhorst zu fürchten, wenn sie, im Zorn über den Diebstahl, der Polizei nicht die Spur des Diebes angedeutet. Ihr Bestechungsversuch bestätigte diese Annahme.
Dem Criminalisten blieb jetzt nur übrig, zu erforschen, ob ein Bewußtsein der Schuld die Baronin so zahm gemacht, oder die Scheu vor einem Skandal, mit dem der Dieb sie bedroht, das Erstere war leider das Wahrscheinliche. Sie hatte eine große Erbschaft durch den Tod ihres Gatten gemacht, war nach Italien gereist, hatte sich nicht um die üble Nachrede bekümmert und bleicher Schrecken hatte sie ergriffen, als der Jäger ihres Gatten in dem Diebe der Cassette erkannt worden!
Wolf machte sich auf den Weg, die entlassene Zofe zu suchen. Dieselbe hatte geäußert, sie begebe sich zu ihren Verwandten in der Stadt.
Der Criminalbeamte hielt es für das Richtige, hier in amtlicher Eigenschaft aufzutreten. Es galt hier nicht, etwas zu erlauschen, sondern eine verantwortliche Erklärung zu erhalten, auf welche er weitere Maßregeln stützen sollte. Das ganze Benehmen der Zofe deutete darauf, daß sie eine thätige Rolle in dem Drama gespielt, daß sie eine Hauptzeugin sei, aber es war auch derart, daß Wolf die Möglichkeit vorhersehen mußte, hier eine absichtlich falsche oder mit Schlauheit verfälschte Aussage zu erhalten. Die Zofe hatte, während die übrigen Personen der Dienerschaft nur geklatscht und berathen, gehandelt, sie hatte rasch und entschlossen einen Schritt gethan, zu dem sie nur ganz bestimmte Ursachen bewogen haben konnten und den sie vertreten mußte. In der Handlungsweise der Zofe lag eine Anklage der Baronin oder ein Beweis der Mitschuld am Diebstahl.
Auf dem Polizeibureau hatte Wolf erfahren, daß die Kammerzofe der Baronin Bertha Hillborn heiße, aus ** im Thüringischen gebürtig sei und seit drei Monaten im Dienst der Baronin stehe. Sie zählte neunzehn Jahre und besaß gute Atteste aus früheren Diensten.
Die Verwandten, welche Bertha Hillborn im Orte hatte, bestanden aus der Familie eines Schmieds, dessen Frau mit Bertha aus demselben Orte war, und hatte wohl dieser Umstand mehr, als die entfernte Verwandtschaft einen Anknüpfungspunkt zu näherem Umgange gegeben. Bertha Hillborn besuchte die Familie häufig.
Als Wolf die Wohnung des Schmieds erreichte, war die Werkstatt bereits geschlossen und er gelangte durch die offene Hausthür zur Wohnung, ohne Jemand zu begegnen. Die Wohnung des Schmieds lag im Hofe parterre und konnte Wolf, trotz der vorgezogenen Gardinen bemerken, daß in dem erleuchteten Wohnzimmer drei Personen sich befanden. Er hörte einen lebhaften Wortwechsel, ohne jedoch die einzelnen Worte verstehen zu können; der Schmied schien im Streit mit seiner Frau und deren Freundin, er schlug einmal sogar heftig mit der Faust auf den Tisch.
Wolf näherte sich der Thüre um zu versuchen, ob er dort etwas erlauschen könne, aber er hörte nur die Worte des Schmieds: »Ich dulde es nicht. Ich mag keine Scherereien mit der Polizei haben. Damit Basta.«
Das Gespräch ward wieder leiser geführt und Wolf zögerte jetzt nicht mehr, an die Thüre zu pochen.
Der erste Ueberblick ließ Wolf, als er eingetreten, so ziemlich errathen, um was es sich gehandelt. Ein Reisekoffer stand neben der hölzernen Truhe, in welcher sich die Effecten Bertha's befanden und für welche in ihrem neuen Asyl noch kein besserer Platz gefunden worden. Die Truhe war offen; der Koffer geschlossen, man hatte also den letztern packen wollen.
Wolf fixirte Bertha scharf, als er dem Schmied seinen Namen nannte. Das junge Mädchen hatte ein auffallend schönes Gesicht, vollständig geschaffen, im ersten Moment zu blenden, und erst bei näherer Betrachtung fand der kritisirende Geschmack, daß der Contrast der Farben zu derb, die Züge ein wenig zu grob seien, um jene Anmuth zu haben, welche der schönen Form den Zauber verleiht. Bertha war einfach und züchtig gekleidet, aber das schöne Ebenmaß ihrer Formen war geschickt hervorgehoben, eine gewandte Schneiderin hatte dies Kleid gemacht und, trotz des Mangels jeder auffallenden Garnitur oder putzenden Zierrathe, hätte die vollendetste Koketterie die schöne Linie der Büste nicht besser hervorheben und zur Geltung bringen können. Die Haltung und die Manieren Bertha's verriethen, daß sie in vornehmer Umgebung gelebt, der Ausdruck ihrer Züge ließ Temperament, Entschlossenheit, aber auch Schlauheit erkennen, das Blut schoß ihr in die Wangen, als sie den Charakter des plötzlichen Besuches errathen konnte, aber ihr Auge wich dem fixirenden Blicke Wolfs nicht aus, es blitzte ein trotziger Entschluß darin, sie war, das fühlte der Criminalist, zum Kampfe bereit.
»Ich komme,« sagte Wolf, sich zum Schmied wendend, »anzufragen, ob die Kammerzofe der Baronin Stilten, Bertha Hillborn, von Ihnen aufgenommen ist; ich wünsche dieselbe zu sprechen.«
»Dort ist sie,« versetzte der Schmied, der den Beamten ebenso ruhig anschaute, wie seine Frau ängstlich geworden. »Sie kommen gerade zur Zeit. Bertha will nach Hause reisen und mir nicht glauben, daß das so nicht geht. Sie hat ihren Dienst plötzlich aufgegeben, hat kein Attest, ist noch nicht einmal abgemeldet bei der Polizei.«
»Ich glaube,« nahm Bertha das Wort, indem sie einige Schritte vortrat und dem Beamten mit ruhigem Blicke begegnete, »daß mich Niemand zwingen kann, Papiere nachzusuchen, an deren Besitz mir nichts liegt. Ich habe der Baronin den Dienst gekündigt und sie gebeten, mich auf der Stelle zu entlassen. Sie hat eingewilligt und dies dadurch bestätigt, daß sie mir meine älteren Papiere und meinen Lohn gegeben. Ein Attest von ihr mag ich nicht und bedarf dessen auch nicht, da ich mich nicht wieder vermiethen werde. Die Abmeldung bei der Polizei muß die Frau Baronin besorgen. Ich mag meiner Freundin hier nicht lästig fallen und wollte daher mit dem Nachtzuge abreisen; es ziemt sich nicht. für mich, in ein Gasthaus zu gehen.«
»Das ist Alles ganz gut, erwiderte Wolf, der sie scharf beobachtet hatte, »aber Sie vergessen, daß ein Einbruch stattgefunden hat und daß Ihre Aussage zu Protokoll genommen werden muß.«
»Ich habe dem Polizeibeamten bereits erklärt, daß ich nichts gesehen und gehört. Verlangt etwa die Frau Baronin die Durchsuchung meiner Sachen, so steht dort meine Truhe, ich werde auch dies mit Geduld ertragen.«
»Die Baronin hat weder eine solche Forderung gestellt, noch bin ich überhaupt in ihrem Auftrage hier. Ich muß Ihre Aussage zu Protokoll nehmen und ersuche Sie daher, entweder noch jetzt mit mir aufs Gericht zu kommen oder Ihre Abreise zu verschieben.«
»Wenn Sie mir einen gerichtlichen Befehl zeigen, der die Freiheit meiner Entschließungen beschränkt,« entgegnete Bertha, »so werde ich mich fügen.«
Wolf lächelte. »Ich hoffe,« sagte er, »meine mündliche Aufforderung wird genügen, wenn ich mich Ihnen als Criminalbeamter legitimire. Entscheiden Sie sich also, ob Sie mir jetzt nur einige Fragen beantworten und Ihre Reise aufschieben oder ob Sie mir gleich aufs Gericht folgen wollen, dort verantwortlich vernommen zu werden.«
»Ich ziehe das Letztere vor,« antwortete Bertha rasch entschlossen. »Ich verlasse mich dann aber darauf, daß meiner Abreise nichts im Wege steht?«
»Ich glaube dies verheißen zu können.«
Bertha holte Hut und Mantel. Ihr resolutes, zuversichtliches Wesen machte auf den erfahrenen Criminalisten wohl nicht den Eindruck, den es bei ihren Verwandten hervorrief, die ihr bewundernde und ermunternde Blicke zuwarfen, denn sie sprach ja mit dem Herrn Commissar, als wäre sie selbst eine Baronin und wolle ihn warnen, seine Befugnisse zu überschreiten. Wolf änderte den Ton plötzlich, als erstaune er, daß er mit keiner Zofe, sondern mit einer Dame rede.
»Mein Fräulein,« sagte er, »Sie gestatten mir wohl, daß ich Ihnen den Arm biete. Ich muß meine Amtspflicht erfüllen, aber ich fühle dabei, wie lästig Ihnen dieser Gang sein muß und wer uns auf der Straße begegnet, soll nicht im Zweifel darüber sein, daß Sie mich freiwillig begleiten. Glauben Sie mir, ich mache keinen Unterschied zwischen einer Baronin und einer Dienerin; die Ehre der Einen ist soviel werth als die der Anderen. Was ich fordere, verlangt das Gesetz.«
Bertha spendete ihm einen dankenden Blick, die Genugthuung, die für sie in diesen Worten lag, schien sie sehr zu befriedigen und sie setzte die Höflichkeit des Beamten auf Rechnung ihrer persönlichen Erscheinung, denn in dem Blicke, den sie ihm spendete, lag ein Gruß der Huld.
Wolf lächelte vor sich hin, er hatte gewonnenes Spiel, da ihre Eitelkeit dem Angriff erlegen, er brauchte ihr nur Galanterien zu sagen, um ihr Vertrauen zu gewinnen oder wenigstens sie gesprächig zu machen.