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XIX.

Julie hatte ihre Erzählung beendet. In athemloser Spannung hatte Paul gelauscht, in ihm war das Interesse doppelt gefesselt, der Liebende hörte die Schicksale der Geliebten, der Jurist die Rechtfertigung der Angeklagten. Mehrmals, während sie sprach, hatte sein Antlitz sich verdüstert. Ihm gefiel so Manches nicht, was sie gethan, was sie als ihre Ansicht kundgab, am wenigsten wohl ihre Rechtfertigung darüber, daß sie nicht auf das Erbe verzichtet. Aber er schaute dann in ihre Augen und war versöhnt. Es war ja nicht der Stolz, der Haß, die Begierde, was sie hin und wieder mißleitet, sondern die Hilflosigkeit eines in der Welt einsam dastehenden, in seinem schönsten Hoffen und Vertrauen getäuschten Herzens. Hilfe suchend hatte sie zu den Waffen gegriffen, die sich ihr geboten, ohne die Gefährlichkeit derselben zu ermessen. Und jetzt ihr Geständniß, daß sie ihrer Schuld bewußt, dieselbe gebüßt! Wahrlich, wenn Stolz und eitles Selbstgefühl eine harte Schule durchmachen müssen, hier waren sie durch Marterkammern gegangen, um von Schlacken gereinigt zu werden, und es verrieth einen sehr edlen Sinn, daß nicht in diesen Prüfungen die Würde verloren gegangen. Was konnte besser für den Adel ihres Herzens, für den Stolz ihrer Tugend sprechen, als daß ihr Gefühl sich gesträubt, von einem Elenden das Beweismittel, mit dem ihre Feinde sie verderben konnten, zu erkaufen!

Er sah das Wogen ihrer Brust, er hörte es der Stimme an, daß die innersten Saiten des Herzens erbebten, daß ihre Seele sich vor ihm entfaltet.

»Das Recht wird siegen,« sagte er, »und Du wirst triumphiren. Nur Eins verspreche mir, sei stark im Hoffen und vertraue, verliere nicht den Muth, was auch kommen mag, zu erdulden. Je hämischer die Bosheit Deiner Feinde, um so größer wird Dein Triumph sein, je drohender die Wolken sich zusammen ballen, um so reiner, klarer ist die Luft nach dem Gewitter.«

Julie drückte die Hand des Geliebten; so glücklich und hoffnungsvoll hatte sie sich nie gefühlt, als jetzt im Unglück. Heiter strahlte ihr Auge, als wären alle Sorgen schon zerstreut, alle Gefahren überwunden.

Paul besuchte die Baronin, so oft er Muße fand, aber schon am nächstfolgenden Tage ließ er lange auf sich warten. Der Bericht Wolffs war eingetroffen. Mit bebender Erwartung hatte Bentheim den Brief geöffnet und seine ganze Geisteskraft, seine ganze Seelenstärke waren nothwendig gewesen, der erdrückenden Gewalt dieser Beweismomente das Gefühl entgegen zu setzen, daß Julie dennoch unschuldig sei.

Blaß wie eine Leiche, das Auge geröthet, zitternd in fieberhafter Erregung, erschien er, den Brief in der Hand, beim Präsidenten. »Ich werde aufgefordert,« sagte er mit bebender Stimme, während Altrock ihn bestürzt und voller Theilnahme anstarrte, »die Baronin von Stilten verhaften zu lassen, und angesichts dieser Schrift, welche schwer belastend ist, muß ich der Pflicht gehorchen. Die Anklage lautet auf Gattenmord oder Mitschuld am Morde.«

Der Präsident ergriff das Schreiben und las den Bericht. Für ihn war kein Zweifel mehr an der Schuld der Angeklagten, er wußte, daß Wolff Entlastungsmomente gefunden hätte, wenn solche vorhanden gewesen wären, daß derselbe diesen Bericht gewiß mit schwerem Herzen und nur dem Gebote der eisernen Pflicht folgend, geschrieben.

»Es bleibt nichts Anderes übrig,« sagte er. »Armer Freund. Die Verhaftung muß erfolgen.«

»Bedauern Sie mich nicht, Herr Präsident – ich würde die Verhaftung beantragen, wenn Wolff es nicht thäte. Gegen solche Anklagen muß der Beweis der Unschuld vor Gericht geführt werden, da ist die strengste Untersuchung die höchste Wohlthat.«

»Der Beweis der Unschuld?! Bentheim, Sie täuschen sich selbst. Spielen Sie nicht frevelnd mit Ihrem Herzen. Das subtilste Ehrgefühl kann Sie nicht zwingen, noch irgend eine Verpflichtung gegen eine Frau anzuerkennen, die Ihr edles Vertrauen schnöde betrogen. Sie sind frei –«

»Herr Präsident, wäre ich noch nicht der Verlobte Juliens von Stilten, ich würde jetzt um die Ehre ihrer Hand bitten. Schauen Sie mich nicht so an, als fürchteten Sie, daß mein Verstand irre geworden, ich urtheile ruhig, obwohl mir das Herz bebt. Ich frage Sie, ob ein Mann; von sonst klarem Blick, der die verstocktesten Verbrecher gesehen, den bis dahin der Sirenenblick der Verführerinnen nie geblendet, ob dieser, der mit Argwohn und Zweifel in der Brust einem Weibe genaht, sich täuschen sollte, wenn er ihres Herzens Beichte hört und alle Zweifel zerstreut, den Argwohn erstickt sieht! Ich glaube an die Unschuld der Baronin und, je schwerer die Belastungsmomente sind, um so freudiger will ich für sie kämpfen. Je unglücklicher sie ist, um so stolzer macht es mich, der Einzige zu sein, der ihr vertraut. Ich frage mich nur, ob ich als Anwalt des Staates mein Amt in dieser Sache vertreten kann, wo ich durch meine Verlobung öffentlich Partei für die Angeklagte genommen.«

»Bentheim, Sie haben Ihre Pflicht zu erfüllen, bis; ein Anderer Sie ersetzt, und dazu ist es Zeit, wenn die Sache vors Schwurgericht kommt. Noch ist die Voruntersuchung nicht beendet. Aber Sie müssen nicht nur als Mensch, sondern auch als Jurist von der Unschuld der Baronin überzeugt sein, wenn Sie noch jetzt zu ihren Gunsten sprechen. Ich kann nicht glauben, daß das Gefühl bei Ihnen den Verstand einschläfert, beides kann nur zusammenwirkend Ihr Urtheil erzeugt haben, sonst habe ich Sie falsch beurtheilt und mich sehr in Ihnen geirrt.«

»Sie haben Recht, Herr Präsident. Ich bin als Mensch von der Unschuld der Baronin überzeugt und mein Urtheil als Jurist widerspricht diesem Gefühle nicht. Noch habe ich den Bericht nicht hinreichend genau studiert um alle Belastungsmomente zu vergleichen und zu prüfen, aber der Totaleindruck ist auf mich der, daß hier ein Complot von Schuldigen gegen die Unschuld vorliegt, deren Unvorsichtigkeit ausgebeutet wird. Ich denke, daß die Baronin, wenn sie eine Frau wäre, die eines Verbrechens, wie das ihr zur Last gelegte, fähig, nicht zu stolz gewesen wäre, mit ihren Anklägern oder Mitschuldigen zu verhandeln und sie zu befriedigen. Ich ersehe aus der Vorsicht, mit der die Intrigue zur Erpressung gegen sie geschmiedet ist, aus dem Umstande, daß diese Erpressung erst jetzt versucht worden, einen Beweis dafür, daß die Drohenden sich selbst gefürchtet und mir scheint es, als hätten Jene, wenn die Baronin wirklich schuldig wäre, nicht so lange gezögert und die Anerbietungen der Stiltens angenommen, die schon lange versucht, die Baronin zu verderben. Stände Alles wirklich so, wie Wolff es angiebt, so verstehe ich die Reise Wildhorst's nach Hamburg mir nicht zu erklären, sie beweist, daß er sich für den Fall sichern wollte, daß die Baronin wider Erwarten die gerichtliche Untersuchung der Angelegenheit nicht scheue.«

»Was Sie sagen, ist der Beachtung werth und gewiß von Gewicht, aber Wolff kennt diese Bedenken, er weiß, wie Sie die Baronin achten und dennoch fordert er die Verhaftung.«

»Er erfüllt damit nur seine Pflicht. Nach diesem Bericht muß ich seiner Forderung beipflichten. Es ist wichtig, eine mögliche Flucht der Baronin zu verhindern, das schreibt das Gesetz vor, da kommt die moralische Ueberzeugung, sie werde die Flucht verschmähen, nicht zur Geltung.«

»Wenn der Staats-Anwalt diese moralische Ueberzeugung hat –«

»So könnte das jeder anderen Person nützen,« unterbrach Paul den Präsidenten rasch, »nur derjenigen nicht, die ihm persönlich nahe steht. Ich habe aber noch besondere Ursache, hier eher zu strenge als nachlässig die Pflicht zu üben. Man hat der Baronin den Vorwurf gemacht, sie habe zu rechter Zeit, sehr geschickt, die Person des Staatsanwalts zu fesseln gewußt; man soll sehen, daß sie daraus keinen Nutzen zieht. Aber eine Bitte, Herr Präsident, richte ich an den Mann, der mir seine Freundschaft in gütiger Weise angeboten. So lange ich mein Amt übe, darf ich jetzt der Angeklagten nur in dienstlicher Eigenschaft nahen. Wenn Sie die Güte hätten, sie darüber zu unterrichten, ihr zu erklären, daß ich meine persönliche Ueberzeugung nicht geändert, wenn Sie die Gewogenheit hätten, ihr im Gefängniß diesen Trost zu geben –«

»Genug,« unterbrach Altrock Bentheim, als dessen Stimme immer unsicherer wurde, »die Baronin Stilten ist ist für mich vorläufig nur die Verlobte meines Freundes, ich werde sofort zu ihr gehen und sie auf das Kommende vorbereiten.«

»Das wollten Sie thun! Herr Präsident – –«

»Keinen Dank. Es ist das Mindeste, was ich thun muß, Ihnen zu bestätigen, daß meine Freundschaft keine Phrase ist.«

Der Präsident betrat kurze Zeit später das Haus der Baronin mit Gefühlen, die ihm den Gang nicht leicht gemacht. Ist es schon an und für sich für einen wohlwollenden, menschlich fühlenden Character höchst peinlich, Jemand, den man im Salon gefeiert gesehen, plötzlich von dieser Höhe gefallen und beschimpfendem Verdacht preisgegeben zu sehen, ist dies doppelt peinlich, wenn die Betreffende eine junge schöne Dame ist, die vor Kurzem Alles bezauberte und für die ein solcher Argwohn doppelt brandmarkend, so wurde hier das Gefühl um so schmerzlicher, als er trösten sollte, wo er keine Hoffnung hatte, daß der Trost sich erfüllen werde, so wurde es um so peinlicher, als er an die Schuld glaubte und ihr Heuchelei und Lüge vorwerfen mußte. Er sollte die Braut des Freundes trösten und schonen, und am liebsten hätte er seinen ganzen Groll gegen sie ausgeschüttet und ihr vorgehalten, daß sie einen hoffnungsvollen jungen Mann aus seiner Carrière dränge, ohne Aussicht, durch diese Intrigue nur den geringsten Vortheil für den Ausfall ihres Prozesses zu haben!

In dieser Stimmung betrat er das Boudoir, nachdem er ihr gemeldet worden, und ungeduldig trommelte er mit den Fingern am Fenster, als sie zögerte zu erscheinen.

Da öffnete sich die Thüre und die hohe Gestalt der Baronin zeigte sich ihm in einer Haltung, wie er dieselbe nicht stolzer im Salon gesehen, wo hundert Augen Kniebeugungen der Huldigung in ihren Blicken ihr entgegen getragen. Ernst und kalt schaute sie ihn an, als erwarte sie aus seiner Anrede zu entnehmen, wie sie ihm begegnen solle. Von allen ihren Verehrern und Bekannten war noch Niemand zu ihr gekommen, der Präsident war der Erste. Julie erkannte die Rücksicht an, die in dem Ausbleiben aller Besuche für sie lag. Die Mitglieder der vornehmen Gesellschaft zu B. schienen sich dahin verabredet zu haben, eine abwartende Haltung zu beobachten. Was hätten sie auch Besseres thun können! Die Gerüchte zu ignoriren war unmöglich, man hätte also Entrüstung heucheln müssen, und die Baronin wäre mit theilnehmenden Redensarten belästigt worden. Die Neugier hätte sie gequält, und alle Diejenigen, die den Umgang fortgesetzt, wären compromittirt worden, wenn sich schließlich doch eine Schuld herausgestellt hätte. Die Baronin hatte keine Verlobungsanzeigen umhergeschickt und dadurch zu erkennen gegeben, daß sie keine Gratulationsbesuche erwarte, zum Ueberfluß hatte sie Befehl gegeben, Niemand ihr anzumelden, der sie zu besuchen käme, mit Ausnahme der Herren vom Gericht.

Der Präsident des Stadtgerichts war ihr gemeldet. Kam er als Beamter oder als Besucher? Im letzteren Falle lag in seinem Besuche die Erklärung, daß ihre Unschuld so gut wie erwiesen sei.

Julie war schwarz gekleidet und ihr herrlicher Teint contrastirte prächtig mit der dunklen, glänzenden Seide. Das eng anschließende Gewand ließ die Wellenlinien der edlen Formen in keuscher Weise hervortreten, sie trug keinen anderen Schmuck, als den ihrer natürlichen Schöne, der duftigen Haarflechten, der Sammetweiche der Haut, der majestätischen Haltung.

Der Präsident verneigte sich unwillkürlich tiefer, ehrerbietiger, als er es gewollt. War dieser Stolz auch nur der eines trotzigen Charakters, er zwang ihm doch die Huldigung ab, ehe er noch zur Ueberlegung kam. Juliens Blick war auf ihn geheftet, als sei sie allein berechtigt zu fragen.

»Gnädige Frau,« begann er, »ich komme in einer delicaten, für mich sehr peinlichen Sache. Ich bin der Freund Ihres Verlobten und von ihm mit einer schwierigen Aufgabe betraut.«

Juliens Antlitz färbte sich purpurn, ihr Auge blitzte.

»Herr Präsident,« erwiderte sie, »was ist es, das mein Verlobter mir nicht selber sagen mag? Nehmen Sie keine Rücksicht, machen Sie keine Umstände, ich habe schon erkennen gelernt, daß die härtesten Schläge minder schmerzen, wenn sie rasch erfolgen.«

»Gnädige Frau, der Staats-Anwalt ist gezwungen, einer Pflicht nachzukommen, die ihn doppelt hart trifft, da er von Ihrer Unschuld überzeugt ist und dennoch die vom Gesetz vorgeschriebenen Schritte nicht unterlassen darf.«

»Ich errathe. Und warum sagt mir das Paul Bentheim nicht selber?«

»Er darf es nicht. Er muß strengen Unterschied machen zwischen dem was er wünscht, und was er soll. In dem Augenblick, wo er als Anwalt des Staates Ihnen gegenüber tritt, darf er Ihnen nicht als Verlobter zur Seite stehen. Seine Stellung verbietet ihm, Ihnen die Gefühle auszudrücken, die er als Privatmann für Sie hegt.«

»Ist diese Erkenntniß ihm so plötzlich gekommen, daß er keine Zeit hatte, mich darauf vorzubereiten?«

»Sie ist ihm vor wenig Stunden in dem Moment klar geworden, wo das Amt ihn aufrief, nur seiner Pflicht zu gehorchen. Er hat deshalb mich, seinen besten Freund, gebeten, Ihnen zu sagen, daß er auf Ihre Seelenstärke baue, daß er fest vertraue, Sie würden ihn nicht mißverstehen und mit dem Muthe, den Sie ihm zu erkennen gegeben, das tragen, was er nicht von Ihnen abwenden kann.«

Das Antlitz Juliens klärte sich auf und nur ein schmerzliches Zucken ihrer Lippen verrieth, wie furchtbar sie in diesem inneren Kampfe litt.

»Herr Präsident,« erwiderte sie, »sagen Sie Ihrem Freunde, daß ich unwürdig seines Vertrauens wäre, wenn ich an ihm zweifelte. Und wenn er das Schuldig gegen mich aussprechen müßte, würde ich mich mit dem Gedanken trösten, daß sein Herz anders redet. Das ist mein Hoffen, mein Glaube. Er wird mir die Kraft geben, zu tragen, was das Schicksal über mich verhängt. Ich bin auf Alles gefaßt. Was steht mir bevor?«

»Die Verhaftung, gnädige Frau. Sie wird mit aller Rücksicht und Schonung stattfinden. Sie ist eine nothwendige Form, die das Gesetz erheischt. Es zweifelt Niemand daran, daß Sie nicht an Flucht denken, aber – –«

»Ersparen Sie mir die Schonung, Herr Präsident,« rief Julie, bebend vor Erregung, »das ist das Einzige, was ich nicht ertragen kann. Lassen Sie mich als Gefangene durch die Straße führen, dann wird mein Elend zu Gott schreien und Gerechtigkeit fordern. Ich will keine Schonung. Ich will nicht dankbar dafür sein, daß man meine Schande bemäntelt, denn ich habe sie nicht verdient.«

»Gnädige Frau, ich bitte, fassen Sie sich. Es sind schon viele Unschuldige verhaftet worden! Es liegt keine Schande darin, es ist ja nur eine Form.«

»Sie werden mir nicht von der Seele wegleugnen, was Sie selbst nicht glauben. Die Verhaftung ist das Brandmal, das der Argwohn, der Zweifel unauslöschlich dem Opfer aufdrücken. Ein Gerücht läßt sich ersticken, widerrufen, die Verhaftung ist nicht ungeschehen zu machen.«

»Die Freisprechung hebt sie auf und läßt den Unschuldigen als Märtyrer erscheinen.«

»Herr Präsident, Sie bemühen sich vergeblich, ein Gefühl zu bestreiten, das sich nicht wegleugnen läßt. Und wozu auch! Ich habe Ihnen gesagt, daß ich auf Alles gefaßt bin, Alles mit Ergebung tragen werde. Nur fordern Sie nicht, daß ich mich selber täusche über das, was ich tragen soll. Als Paul Bentheim mir seine Hand antrug, schwankte ich, ob ich diesen ehrenvollen Antrag annehmen dürfe. Er überredete mich dazu und ich gab nach in der Hoffnung, der Voraussetzung, daß die Anklage gegen mich zusammenfallen werde. Das ist nicht geschehen und ich beklage es, daß ich Bentheim gegenüber nicht fest bei meinem ersten Entschlusse geblieben bin. Seine großherzige Liebe, seine edle Absicht sind um eine Hoffnung betrogen und ich will nicht, daß man Rücksichten auf mich nimmt, weil ich die Verlobte des Staats-Anwaltes gewesen. Das würde die Last vermehren, die mich drückt. Eine Frau, auf deren Nacken der Scherge des Gesetzes die Hand gelegt, ist entweiht, entehrt. Gestatten Sie mir die Aufhebung meiner Verlobung zuerst zu veröffentlichen und dann verfahren Sie mit mir, wie mit jeder Angeklagten, kränken Sie mich nicht mit dem Hohn der Rücksicht, der Schonung.«

»Gnädige Frau, was Sie in Ihren Privatangelegenheiten zu thun beschließen, steht Ihnen frei, aber haben Sie ein Recht, ein Band zu lösen, welches Bentheim mit Opfern geschlossen? Stempeln Sie dadurch nicht sein unbegrenztes Vertrauen vor der Welt zu einer Thorheit? Gönnen Sie ihm, den Beweis zu führen, daß er trotz allen Verdachtes sich mit seiner Ehre für Ihre Unschuld verbürgt!«

»Darf ich ihm das gönnen? Hieße das nicht von ihm neue Opfer fordern, seinen Edelmuth ausbeuten? Darf ich nicht eben so stolz sein wie er? Und sprechen Sie wirklich als sein Freund, wenn Sie mir diesen Rath geben?«

Altrock vermochte nicht länger seiner Bewegung Herr zu bleiben. »Als Bote Ihres Verlobten,« sagte er, »mußte ich seinen Auftrag vollziehen, als Freund Bentheim's kam ich mit dem Wunsche, Sie möchten selbst erkennen, daß Sie ohne Nutzen für sich selber, ihm eine glänzende Zukunft vernichten – jetzt aber sage ich nein! Sind Sie schuldlos, wie ich fest glaube, so müssen Sie annehmen, was vertrauensvolle Liebe bietet; man dankt für Vertrauen, indem man es annimmt. Ich dulde nicht, daß Sie die Verlobung aufheben, ich stehe hier im Namen Ihres Verlobten und ich sage, er that wohl, als er allein auf die Stimme seines Herzens hörte.«

Der Ausdruck, mit dem Julie ihn jetzt anschaute, war unbeschreiblich. Ist das Auge der Spiegel der Seele, so ward hier der Spiegel lebendig. Der Frühlingsstrahl der Hoffnung zuckte glänzend, erwärmend, erleuchtend durch dunkle Wolken; das Vorgefühl, es könne doch noch Alles zum Guten sich wenden, mußte Juliens Seele erfüllen, als sie sah, wie auch in diesem Zweifler der Argwohn und das Vorurtheil schwanden vor ihrem Anblick.



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