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Der Criminalcommissar Wolf sandte andern Tages einen Bericht nach B., dem wir folgende Stellen entnehmen.
»Die Gewißheit, daß die Todtenschau auf dem Schlosse Stilten bei dem plötzlich erfolgten Ableben des Barons sehr oberflächlich stattgefunden, veranlaßte mich, im Beisein des Criminalcommissars Brack, durch den aus K. zu diesem Behufe requirirten Physikus Brüllov die Leiche noch einmal besichtigen zu lassen. Im Grabgewölbe des Familien-Erbbegräbnisses befand sich der metallene Sarg und war darin die Leiche gut erhalten. Nach dem beigefügten Gutachten des Physikus hat die Kugel, welche den Tod augenblicklich herbeigeführt von Unten nach Oben eine schräge Richtung genommen, so daß also, da der Baron in stehender Haltung vom Schuß getroffen worden, der Kolben der Flinte weit ab von den Füßen, die Mündung sich nahe der Brust befunden haben muß. Der Physicus hatte in scharfsinniger und überzeugender Weise dargethan, daß die Armstellung im Moment des Todes eine solche gewesen sein mußte, die jede Möglichkeit einer Selbstentleibung ausschließe. Der Todte hat weder mit einem Instrument die Abzugsstange des Flintenschlosses niederdrücken, noch durch einen an dem Fuße befestigten Bindfaden dieselbe ziehen können. Es ist geradezu unmöglich, die Absicht einer Selbstentleibung durch den geringsten Beweis als wahrscheinlich hinzustellen und würde der Baron dazu auch eher eine Pistole als eine Flinte gewählt haben.
Ebenso unmöglich erscheint aber auch nach Prüfung der Waffe und Stellung des Körpers im Moment der Entladung des Gewehrs die Annahme, daß durch eine ungeschickte Handthierung, durch einen zufälligen Stoß der Schuß losgegangen sei. Das Gewehr ist vortrefflich gearbeitet, besitzt aber keinen Stecher, der Abzugsbügel ist breit und schützt den Abzug hinreichend.
Nach dem bei der Todtenschau aufgesetzten Protokoll hat der Baron einen Lauf der Flinte entladen gehabt, als der zweite Schuß ihn tödtete und wollen die Beschauer die herausgezogene Kugel gesehen haben.
Es erscheint mir auffallend, daß die betreffenden Beamten nicht bedacht, daß der Baron bei dem Herausziehen eines Schusses jedenfalls beide Zündhütchen abgenommen haben sollte, ehe er an das Geschäft des Entladens ging.
Man hat, wie es scheint, die Besichtigung nur der Form wegen erfüllt, und sich an das Gutachten des Jägers Wildhorst gehalten, der auch das Gewehr der Commission vorgelegt, dessen Aussage also gar keinen Werth besitzt, wenn man Ursache fände, ihm zu mißtrauen, denn er hat Muße genug gehabt, die Waffe in den Stand zu setzen, in dem er sie vorzeigen wollte.
Wenn es nun ebenso unwahrscheinlich ist, daß das Gewehr sich durch einen Zufall entladen, als daß ein Selbstmord vorgelegen, so bleibt nur der Mord übrig. Nimmt man an, daß ein Mörder auf den Baron gefeuert, so ist es wiederum schwer zu erklären, wie er dies begonnen haben sollte. Das Kaliber der Kugel hat genau mit der Wunde übereingestimmt und es ist unzweifelhaft constatirt, daß der tödtliche Schuß aus dem Laufe der Doppelbüchse gekommen, auch würde ein Mörder die Pistole gegen die Brust gehalten und nicht von Unten nach Oben geschossen haben. Die Untersuchung stellt unzweifelhaft fest, daß im Moment der Entladung die Büchse sich mit der Mündung etwa zwei Zoll von der Brust und mit dem Kolben etwa zwei ein halb Fuß von der Fußspitze des Barons befunden hat. Es ist also nur möglich, daß der Mörder vor dem Baron auf den Knieen gelegen und am Abzug gerissen oder daß der Baron den Befehl dazu ertheilt, indem er sich selber die Mündung gegen die Brust richtete.
Es lag mir daher vorzüglich die Frage vor, wer sich zur Zeit des Mordes in dem Zimmer des Barons befinden konnte, wer Ursache hatte, entweder den Mord zu vollbringen oder aber dem Baron als Werkzeug des Selbstmordes zu dienen.
Ich habe die vorgenommene Untersuchung auf die Beantwortung dieser Fragen basirt.
Die bewohnten Gemächer haben folgende Lage. Das Eckzimmer des von der Familie bewohnten Flügels diente als Schlafgemach der Baronin. Dasselbe nimmt den ganzen Raum eines thurmähnlichen Anbaues ein und hat Fenster nach drei Seiten. In der östlichen Ecke befindet sich eine Thüre, welche zu einer Wendeltreppe geht, die in die Veranda der Gartenterrasse mündet. Nach Aussage des Castellans und seiner Tochter, der früheren Kammerzofe der Baronin, ist diese Treppe nie benutzt worden, die Thüre zu derselben stets geschlossen gewesen. Der Schlüssel hing an der Wand über dem Kopfende des Bettes der Baronin.
Das Schlafgemach hat zwei Ausgänge. Der erste führt in die Zimmerreihe nach Süden, der zweite in einen Corridor, in den alle Zimmer dieser Reihe münden und den eine Glasthüre schließt, wo der Mittelbau des Schlosses beginnt. Unmittelbar an der Glasthüre befindet sich das Schlafgemach, welches die Kammerzofe inne hatte. Unter ihrem Verschluß stand die Thüre, welche fast ausschließlich von ihr benutzt wurde, da die Baronin gewöhnlich durch die Gemächer ihres Gatten zu den Salons schritt, nur in letzter Zeit war sie häufig durch den Corridor gegangen.
Die Fenster des Corridors liegen nach Norden, nach der Gartenseite.
An das Schlafgemach der Baronin stieß, nach Süden gelegen, zuerst das Schlafgemach des Barons, dann ein Zimmer in welchem die Gatten in den Flitterwochen das Frühstück eingenommen, dann folgte das Gemach in welchem sich die Waffen und das Jagdgeräth des Barons befanden, ebenso dessen Geldschrank und einige Garderobenspinden. Zunächst diesem Zimmer, welches seinen Ausgang nach dem Corridor bereits hinter der Glasthüre hatte, befand sich ein Salon. Dann folgen die Gesellschaftszimmer. Der Graf Hartwig hatte Fremdenzimmer im entgegengesetzten Flügel des Schlosses bewohnt und die Prunkzimmer durchschreiten müssen, wenn er sich in den Salon begab, um mit der Familie zu frühstücken.
Er konnte zum Waffenzimmer nur durch alle diese Gemächer gelangen; wählte er aber den Weg durch die Corridore, so gelangte er an die Glasthür, die ihm nur die Zofe öffnen konnte.
Mit Ausnahme des Stubenmädchens kam Niemand in den kleinen Corridor; die Thüre vom Waffenzimmer nach dem Salon pflegte der Baron zu verriegeln, sobald er sich zur Ruhe begab und da er weder beim An- noch beim Auskleiden der Hilfe bedurfte, so betrat Niemand als die Zofe der Baronin, höchstens das Stubenmädchen die Gemächer des Flügels, so lange die Thüre verriegelt war. Der Diener trat erst dort ein, wenn die Herrschaft sich in den Salon begeben, oder der Baron ihn rief und ihm das Waffenzimmer öffnete. Es konnte daher auch Niemand Gespräche belauschen, die in diesen Gemächern geführt wurden, mit alleiniger Ausnahme der Zofe.
Hinter dem Zimmer der Zofe befand sich die Treppe und an derselben eine kleine Stube, in welcher Wildhorst schlief, seit er den Kammerdienerposten beim Baron versah. Ein Lakai, der den Grafen Hartwig zu bedienen hatte, bewohnte ein kleines Zimmer, nahe den Gemächern des Grafen, die gesammte übrige Dienerschaft hatte ihre Wohnung im Erdgeschoß.
In das Waffenzimmer des Barons konnte somit die Baronin jederzeit aus ihrem Schlafgemach und aus dem Corridor, die Zofe aus dem Corridor, jeder Andere aber nur dahin gelangen, wenn die Zofe die Glasthüre oder der Baron die Thüre nach dem Salon geöffnet. War diese Thüre geschlossen, so hätte sich Jemand unbemerkt nur einschleichen können, wenn er die Wendeltreppe zum Schlafgemach der Baronin erstieg und die Schlüssel der betreffenden Thüre besaß. Die Baronin konnte also, wenn sie es wollte, Jemand einlassen, es mußte aber Jeder von ihr bemerkt werden, der diesen Weg hin oder zurück nahm, so lange sie im Schlafzimmer weilte.
Die kurz nach dem Ableben des Baron Stilten erfolgte Untersuchung hat im Verein mit den späteren, auf Veranlassung der Verwandten des Barons unter der Hand angestellten Recherchen, folgenden Thatbestand ergeben.
Zwischen dem Baron und seiner Gemahlin herrschte eine ernste Spannung, die keinem der Schloßangehörigen verborgen geblieben, und als deren Ursache man allgemein die Beziehungen der Baronin zum Grafen Hartwig annahm.
Dieser wohnte im Schloß, er war dazu vom Baron eingeladen und ihm gegenüber hatte der Baron wenigstens äußerlich sein Benehmen nicht geändert. An seinem Todestage hat er noch nach aufgehobener Tafel eine Stunde mit ihm bei einer Flasche Wein vertraulich geplaudert. Die Baronin hatte sich wegen Migräne zurückgezogen.
Der Baron ist etwa um sechs Uhr Nachmittags allein, mit der Doppelflinte bewaffnet, in den Park gegangen, hat dann den Weg zum Forsthause eingeschlagen, wo er dem Förster Gröling einige Aufträge gegeben, die sich auf den Holzschlag bezogen. Der Förster hat bekundet, daß er an dem Baron keine auffällige Erregung bemerkt, wohl aber gefunden, daß er zerstreut und anscheinend mit nicht heiteren Gedanken beschäftigt gewesen.
Der Baron sei darauf weiter in die Forst gegangen, habe seine Begleitung, die er angeboten, abgelehnt. Um halb acht Uhr habe er einen Schuß fallen hören, aber nicht darauf geachtet, da der Baron, wenn er keinen Hund mitnahm, öfter im Walde einen Schuß nach irgend einem Ziele abfeuerte, sei es, um seine Kunstfertigkeit zu erproben, oder nur um die Büchse abzuschießen. Geschah dies nicht, so entlud der Baron sein Gewehr, sobald er zurückkehrte, oder er gab Wildhorst den Auftrag dazu; geladene Waffen stellte er niemals in's Gerüst.
Der Baron war an diesem Tage um acht Uhr in's Schloß zurückgekehrt, war die Mitteltreppe hinaufgegangen und hatte nach dem Grafen Hartwig gefragt. Ein Lakai, an den er diese Frage gestellt, berichtete ihm, der Graf sei ausgegangen, vermuthlich nach dem Vorwerk. Dieser Lakai hat zu Protokoll gegeben, daß der Baron sehr bleich geworden, als er auf die Frage: ›Ist der Graf auf seinem Zimmer?‹ mit ›Nein‹ geantwortet, die weitere Erklärung habe ihn beruhigt, doch wäre der Blick des Barons finster und unruhig gewesen. Der Baron habe sich in seine Gemächer begeben, die Flinte an einen Schrank im Waffenzimmer gelehnt und sei in's Schlafzimmer der Baronin geschritten.
Dort verweilte er noch, als gegen 9 Uhr der Abendtisch gedeckt wurde.
Nach Aussage der Zofe hatte die Baronin sich zu Bett begeben. Um neun Uhr erschien Graf Hartwig im Speisesaal und erwartete dort den Baron. Niemand hatte ihn über den Schloßhof gehen sehen und haben spätere Nachforschungen dargethan, daß er weder auf dem Vorwerke noch sonst auf dem Gute gesehen worden, wohl aber behauptet ein Gärtnerbursche, daß er um 8 Uhr etwa, eher etwas später, ein Geräusch gehört, als gehe die Thüre von der Wendeltreppe nach der Veranda. Er habe jedoch sich nicht weiter darum bekümmert, das Knarren der Thüre sei ihm aufgefallen, da sie sonst geschlossen gewesen.
Der Baron hat sich durch die Zofe Elise beim Grafen entschuldigen lassen, wenn er nicht beim Nachtessen erscheine, worauf dieser sich sofort auf sein Zimmer begeben hat, ohne die aufgetragenen Speisen anzurühren. Elise meldete dies der Baronin, deren Aussehen bleich und verstört gewesen. ›Der Baron,‹ sagt sie ferner aus, ›habe ihr gewinkt, sich zu entfernen, und sei in den Salon geschritten, sie habe noch eine zweite Thür gehen hören und angenommen, er begebe sich zum Grafen, da dieser anscheinend sein Ausbleiben beim Nachtmahl übel genommen.‹
Die Zofe ist darauf den Corridor hinabgegangen, zum Schlafzimmer der Baronin, diese nach ihren Befehlen zu fragen. Die Baronin habe im Nachtgewande am offenen Fenster gesessen und, ohne sich nach ihr umzusehen, sie für den Abend entlassen.
Elise hat sich darauf, den Corridor hinab, zu ihrem Zimmer begeben und die Glasthüre geschlossen. Etwa ein halbe Stunde später als sie schon beim Entkleiden begriffen, hörte sie jenseit des Corridors einen Schuß fallen. Sie eilte in das Waffenzimmer. Die Lampe des Barons brannte; da sie jedoch auf dem Waffenschranke stand, war nur dieser Theil des Zimmers, den die offene Thür des Geldschrankes halb verdeckte, erleuchtet. Der Baron lag in seinem Blute auf der Erde, neben ihm die abgeschossene Flinte. Er hat kein Wort gesprochen, nur ein kurzes Gestöhn will Elise noch vernommen haben. Der Schuß war fast in allen bewohnten Gemächern des Schlosses gehört worden. Die Baronin kam aus ihrer Schlafstube und sank beim Anblick des Todten mit einem grellen Aufschrei in Ohnmacht. Die herbei geeilte Dienerschaft vermochte erst einzutreten, als Elise die Thüre zum Salon entriegelt, und erinnert sie sich aus diesem Grunde mit voller Genauigkeit eines Umstandes, der den Verdacht, es könne Jemand von Außen eingedrungen sein und nach der That sich nach Außen entfernt haben, zu Schanden macht. Der Riegel hier und das Drückerschloß der Glasthüre hätten das verhindern müssen; der Mörder hätte auch nicht durch die etwa offen gelassene Glasthüre entschlüpfen können, ohne daß ihm Elise begegnet wäre, die beim Krachen des Schusses aufsprang und ihr Zimmer verließ.
War also ein Mörder in das Waffenzimmer eingeschlichen, so kam er aus dem Schlafzimmer der Baronin. War ein Mörder nach der That entflohen, so konnte er nur auf diesem Wege sich unbemerkt von der Dienerschaft gerettet haben.
Die Baronin hat ausgesagt, daß die Thüre von der Wendeltreppe in ihrer Schlafstube seit Monaten nicht geöffnet worden, daß sie von Innen verschlossen und verriegelt gewesen.
Der Graf Hartwig mußte aus dem Schlafe geweckt werden, er hatte den Schuß ebensowenig gehört, als der Lakai, der in der Nähe seiner Gemächer schlief. Er traf die nöthigen Anstalten, das Gericht von dem Vorfall in Kenntniß zu setzen. Er verbarg die tiefe Erschütterung nicht, welche der Tod des Freundes in ihm veranlaßt. Sobald die Todtenschau stattgefunden, verließ er das Schloß, die Baronin hat ihn nach dem Tode ihres Gatten nur einmal und da nur auf sehr kurze Zeit empfangen.
Auf Grund dieser früher gesammelten Notizen konnte«, so lautete es im Bericht weiter, »trotz aller Verdachtsmomente, keine Anklage gegen irgend wen erhoben werden. Man mußte die Gerüchte, welche von einem Morde sprachen und zum Mindesten einen Selbstmord voraussetzten, unbeachtet lassen, denn, wenn auch das Verhältniß der Schloßbewohner zu einander ein eigenthümliches gewesen, so lag doch kein belastendes Moment gegen Einen derselben vor, das genügt hätte, das Einschreiten der Criminalpolizei zu rechtfertigen.
Bei Durchsicht der Acten war mir aufgefallen daß man versäumt, besonders festzustellen, zu welcher Zeit der Jäger Wildhorst im Sterbezimmer gesehen worden, es geht nur aus den Acten hervor, daß er zuletzt erschienen, da er erst nach dem Tode des Barons von K., wohin er mit einem Auftrage des Barons geritten, am späten Abend zurückgekehrt sei. Es ist erwiesen, daß der Jäger einen Auftrag in K. aber schon um 6 Uhr Nachmittags vollzogen hatte, seine Angabe, daß er nachher einen Spazierritt gemacht, ist deßhalb nicht anzufechten, weil er, so oft ihn der Baron nach K. geschickt, stets die Gelegenheit benutzt hatte sich einen freien Tag zu machen und der Baron es ihn nachgesehen, wenn er auch erst spät in der Nacht heimgekehrt war.
Die Commission, welche die Todtenschau abgehalten, ist von keinem Argwohn zu ernsterer Prüfung der Thatsachen veranlaßt worden und hat das Attest – ›Tod durch unglücklichen Zufall beim Entladen eines Jagdgewehres‹ ausgestellt. Den Nachforschungen, welche man später unter der Hand unternahm, war es nicht gestattet, die Räumlichkeiten im Innern des Schlosses genauer Prüfung zu unterwerfen und habe ich mich auch erst berechtigt gefühlt, solche anzustellen, als der Physicus Brüllov mit aller Bestimmtheit die amtliche Erklärung abgegeben, daß der Tod des Barons durch eine dritte Hand erfolgt sein müsse.
Nach Angabe des Castellans und seiner Tochter, sind die Möbel nicht verrückt worden. Der Waffenschrank und das Gestell für Gewehre befinden sich in der Ecke des Zimmers zunächst der Salonthüre. Zur Linken vom Waffenschrank steht das eiserne Geldspind des Barons, dann folgt das Fenster mit Damastvorhängen.
Wenn der Baron durch die Thüre aus dem Salon in das Gemach getreten und die Lampe, welche er selbst trug, auf das untere Brett des Waffenschrankes stellte, so konnte ihm Jemand verborgen bleiben, der hinter dem Damastvorhange des Fensters stand, und das um so mehr, als die Thüre des Geldschrankes geöffnet gewesen. War die Thüre zu seinem Schlafzimmer offen, so hatte sich auch von dort Jemand hereinschleichen und unbemerkt bis zur Thüre des Geldschrankes gelangen können. Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß Jemand in diebischer Absicht sich eingeschlichen. Ein Fremder hätte den Weg selbst mit Nachschlüsseln nicht gefunden, ein Diener des Hauses hätte eine ändere Zeit und andere Gelegenheit wahrgenommen; überdem hätte der Baron mit dem Dieb gerungen oder Hülfe gerufen, wo nicht die Waffe gegen ihn erhoben. Die Schußlinie, welche der Physicus festgestellt hat, deutet im Gegentheil darauf, daß der Baron ruhig dagestanden, als ihn die tödtende Kugel getroffen und dürfte feststehen, daß der Mörder sich ihm zu Füßen geworfen, während er die Büchse in der Hand hielt und, – sei es nun auf seinen Befehl oder in mörderischer Absicht, – den Abzug der Büchse herabgezogen.
Die Möglichkeit liegt vor, daß der Baron den Tod gewünscht, ohne durch einen Selbstmord sich zu brandmarken, daß er Jemand willig gefunden, ihm diesen Dienst zu thun, – aber wahrscheinlicher ist, daß ein Schuldbeladener oder eine Schuldbeladene ihn um Gnade angefleht und als er sie verweigert, nach der Büchse gegriffen, sie ihm zu entreißen, wobei der Schuß sich gelöst, sei es, daß der Abzug des Gewehres zufällig oder absichtlich gedrückt worden. Die eigenthümlichen Verhältnisse, welche in der Ehe des Barons geherrscht, fordern heraus, diese Möglichkeit zu untersuchen, vor Allem aber ist es von Gewicht, wohl zu beachten, daß der Jäger Wildhorst die Waffe in Händen gehabt, ehe die Gerichtsbeamten erschienen und daß er behauptet, ein Geheimniß zu besitzen, dessen Bewahrung die Baronin mit Gold erkaufen muß.
Von seiner Aussage wird es abhängen, ob anzunehmen ist, daß der Baron überhaupt seine Doppelflinte entladen oder ob er sie ergriffen, um zu feuern. Ein herausgezogener Schuß soll auf dem Waffenschrank gelegen haben und der Förster hat gehört, daß der Baron einen Schuß im Walde abgefeuert. Es ist also hier ein offener Widerspruch vorhanden, vielleicht darauf beruhend, daß von den Zeugen dieser Punkt nicht besprochen worden ist, wie das sichtlich mit allen anderen geschehen. Der Förster, den ich noch vernehmen werde, scheint Wildhorst nicht zu trauen.
Hatte der Baron die Gewohnheit, seine nicht abgeschossenen Waffen bei der Rückkehr zu entladen, so war nur ein Schuß aus der Doppelflinte zu ziehen und dieser lag auf dem Waffenschrank. Die betreffende Patrone liegt mit dem vom Kugelzieher angebohrten Geschoß auf dem Gericht zu K. Der Umstand, daß Wildhorst hier der einzige Zeuge und daß er gerade über diesen Punkt eine unrichtige Angabe gemacht, läßt hoffen, daß man hier den Anhalt zu weiteren Festsetzungen finden wird, daß also entweder das Gewehr, mit dem der Baron getödtet ist, ein anderes, von gleichem Caliber mit der Doppelflinte gewesen, oder daß Wildhorst im Eifer, seine Aussage wahrscheinlich zu gestalten, von der Wahrheit abgewichen ist.
Der Schwerpunkt der bisher festgestellten Entdeckungen liegt jedoch in der Aussage der Castellanstochter, Elise Felter. In dem jungen Mädchen kämpfen miteinander die Gefühle der Dankbarkeit gegen die Baronin und die Neigung zu dem Jäger Wildhorst. Sie ist von lebhaftem Temperament, gut erzogen, scheint wahrheitsliebend und macht den Eindruck, als ob ihr ganzes Wesen sich dagegen empöre, den Unschuldigen für den Schuldigen leiden zu sehen. Aus diesen und anderen Gründen halte ich sie für die wichtigste Zeugin. Sie verdankt der Baronin ihre Erziehung und wenn dieselbe ihr ihre Huld entzieht, verliert ihr alter Vater eine sorgenfreie Existenz. Sie hätte also Ursache, die Baronin zu schonen. Die Liebe zu Wildhorst, der ihr die Ehe versprochen, könnte zwar ihre Aussage beeinflussen, aber es scheint mir wahrscheinlich, daß nur der Glaube an des Jägers Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit diese Neigung genährt, daß sie ihm ihre Gefühle nicht bewahrt hätte, wenn sie nicht in seinem liederlichen Leben die Folgen ungerechter Verfolgung und erbitterter, verzweifelter Stimmung gesehen. Sie erklärt, daß der Jäger anfänglich für die Baronin geschwärmt und ihr eine Ergebenheit gezeigt, welche für seine Stellung nicht ganz passend war und die Baronin veranlaßte, ihm die Schranken seiner Stellung zu zeigen. Dies verletzte ihn, mehr aber noch die Entdeckung, daß die Baronin dem hochgeborenen Freunde ihres Gatten heimliche Gunstbezeigungen erwies, die dem Jäger verriethen, daß nur der Stolz der Geburt, nicht die Moral ihn zurückgewiesen. Er rächte sich dadurch, daß er dem Baron die Augen öffnete, und wurde nun der Vertraute desselben. Es scheint, daß Baron Stilten dem Freunde eine Schwäche verzieh und seinen Groll auf die Baronin, als die Schuldige, geworfen, daß er vielleicht nur der Gelegenheit harrte, sie zu entlarven und sich dann von einer Frau zu trennen, um derentwillen er mit allen seinen Verwandten zerfallen war. Der Umstand, daß er für sie kurz vor seinem Tode einen kostbaren Schmuck bestellt, um sie zu ihrem Geburtstage damit zu überraschen, kann nicht ins Gewicht fallen gegen die Gewißheit, daß er in letzter Zeit auf sehr gespanntem Fuße mit ihr gelebt; schon der Ehevertrag, wie überhaupt sein ganzer Charakter zeugen dafür, daß er auf Geld wenig Werth legte und auch die von ihm geschiedene Gattin nicht hätte darben lassen.
Elise Felter sagt aus, daß der Baron an seinem Todestage sehr erregt gewesen, daß er in den Wald gegangen und bei seiner Rückkehr gereizt gewesen, als er gehört, daß Graf Hartwig nicht auf seinem Zimmer, daß er sich in leidenschaftlicher Erregung zu seiner Gemahlin begeben und ein längeres Gespräch mit ihr gehabt. Sie deutet an, daß der Jäger von ihm nur anscheinend nach K. geschickt worden sei, daß Wildhorst den geheimen Auftrag gehabt habe, früher zurückzukehren und heimlich zu beobachten, was während der Abwesenheit des Barons auf dem Schlosse geschehe.
Hat der Baron Wildhorst gesprochen ehe er das Schloß wieder betrat, oder trieb ihn die Ungeduld früher zurück – darüber ist die Zofe nicht unterrichtet, sie erklärt, Wildhorst habe in diesem Punkt unverbrüchliches Schweigen beobachtet.
Ich bedaure hiernach folgendes Resumé aufstellen zu müssen:
Der Baron ging mit dem Gedanken um, sich von seiner Gattin scheiden zu lassen. Diese verlor dadurch eine glänzende Existenz und die ihr im Ehecontract verbrieften Rechte auf das Erbe. Sie hat ihre Pflichten dem Gatten gegenüber verletzt, sie ahnte die ihr bevorstehende Gefahr. Der Baron ist nach amtlichem Gutachten des Physikus durch einen Dritten getödtet worden. Der Schuß ist von Unten nach Oben in seine Brust gedrungen, muthmaßlich von Jemand abgefeuert, der vor ihm gekniet, zu seinen Füßen gelegen, gegen den er sich nicht zur Wehre gesetzt. Nur durch das Schlafzimmer der Baronin oder aus demselben konnte der Mörder in das Waffenzimmer gelangen. Graf Hartwig ist tiefsinnig geworden und hat sich von der Baronin getrennt. Diese ist ins Ausland gegangen, hat dem Jäger, dessen Erklärung einen Tod durch ungeschickte Handhabung des Gewehrs feststellte, eine Pension gegeben und ihn mit Verheißungen gewonnen. Es scheint, daß sie sich zuerst seiner Discretion habe versichern wollen und daß sie gefürchtet, durch zu große Freigebigkeit gegen ihn, Verdacht zu erregen. Bei ihrer Rückkehr vom Auslande hat er sie bedroht. Sie gesteht selbst ein, daß sie nicht gewagt, ihn verhaften zu lassen, als er eine gewaltsame Erpressung versucht.
Meiner Ueberzeugung nach ist die Verhaftung der Baronin von Stilten geboten und die Anklage des Gattenmordes gegen sie zu erheben.
Sobald ich meine Untersuchungen hier beendet, werde ich, wenn nicht andere Befehle kommen, mich zum Grafen Hartwig begeben, diesen zu verhören und auch das Protocoll der Aussagen von Bertha Hillborn vervollständigen. Meiner Ueberzeugung nach, können die ferneren Entdeckungen nur dazu dienen, Licht in der Angelegenheit zu verbreiten, nicht aber die traurige Wahrheit erschüttern, daß hier das Verbrechen des Gattenmordes vorliegt.«