Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Zweites Kapitel

Die Tarentiner.
Charakter eines liebenswürdigen alten Mannes

Archytas, durch dessen nachdrückliche Verwendung Agathon der Hände seiner Feinde zu Syracus entrissen worden, war ein vertrauter Freund seines Vaters Stratonicus gewesen; ihre beiden Familien waren durch die Bande des Gastrechts (welches bekannter maßen den Griechen sehr heilig war) von uralten Zeiten her verbunden; der ausgebreitete Ruhm, welchen sich der Philosoph von Tarent, als der Würdigste unter den Nachfolgern des Pythagoras, als ein tiefer Kenner der Geheimnisse der Natur und der mechanischen Künste, als ein weiser Staatsmann, als ein geschickter und allezeit glücklicher Feldherr, und was allen diesen Vorzügen die Krone aufsetzt, als ein rechtschaffener Mann, in der vollkommensten Bedeutung dieses Worts erworben, hatte den Namen des Archytas unserm Helden schon lange ehrwürdig gemacht; und hiezu kam noch, daß dessen jüngerer Sohn, Critolaus, in den Zeiten des höchsten Wohlstandes Agathons zu Athen zwei Jahre in seinem Hause zugebracht, und mit allen ersinnlichen Freundschafts-Erweisungen überhäuft, eine Zuneigung von derjenigen Art für ihn gefaßt hatte, welche in schönen Seelen (denn damals gab es noch schöne Seelen) sich nur mit dem Leben endet. Diese Freundschaft war zwar durch zufällige Ursachen, und den Aufenthalt Agathons zu Smyrna eine Zeitlang unterbrochen, aber sogleich nach seinem Entschluß, bei dem Dionys zu leben, wieder erneuert, und seither sorgfältig unterhalten worden. Agathon hatte während seiner Staats-Verwaltung sich öfters bei der weisen Erfahrenheit des Archytas Rats erholt; und die verschiedenen Verhältnisse, worin die Tarentiner und Syracusaner, besonders in Absicht der Handelschaft, mit einander stunden, hatten ihm öfters Gelegenheit gegeben, sich um die ersten verdient zu machen. Bei allen diesen Umständen ist leicht zu ermessen, daß er den zärtlichen und dringenden Einladungen seines Freundes Critolaus um so weniger widerstehen konnte, als die Pflichten der Erkenntlichkeit gegen seine Erretter ihm keine Freiheit zu lassen schienen, andere Beweggründe bei der Wahl seines Aufenthalts in Betrachtung zu ziehen.

In der Tat hätte er sich auch keinen zu seinen nunmehrigen Absichten bequemern Ort erwählen können als Tarent. Diese Republik war damals gerade in dem Zustande, worin ein jeder patriotischer Republikaner die seinige zu sehen wünschen soll – zu klein, um ehrgeizige Projekte zu machen, und zu groß, um den Ehrgeiz und die Vergrößrungs-Sucht ihrer Nachbarn fürchten zu müssen; zu schwach, um in andern Unternehmungen, als in den Künsten des Friedens, ihren Vorteil zu finden; stark genug, sich gegen einen jeden nicht allzuübermächtigen Feind (und solche Feinde hat eine kleine Republik selten) in ihrer Verfassung zu erhalten. Archytas hatte sie, in einer Zeit von mehr als dreißig Jahren, in welcher er sieben mal die Stelle des obersten Befehlhabers in der Republik bekleidete, an die weisen Gesetze, die er ihnen gegeben hatte, so gut angewöhnt, daß sie mehr durch die Macht der Sitten als durch das Ansehen der Gesetze regiert zu werden schienen. Der größeste Teil der Tarentiner bestund aus Fabrikanten und Handelsleuten. Die Wissenschaften und schönen Künste stunden in keiner besondern Hochachtung bei ihnen; aber sie waren auch nicht verachtet. Diese Gleichgültigkeit bewahrte die Tarentiner vor den Fehlern und Ausschweifungen der Athenienser, bei denen jedermann, bis auf die Gerber und Schuster, ein Philosoph und Redner, ein witziger Kopf und ein Kenner sein wollte. Sie waren eine gute Art von Leuten, einfältig von Sitten, emsig, arbeitsam, regelmäßig, Feinde der Pracht und Verschwendung,Der Charakter, der hier den Tarentinern gegeben wird, macht einen starken Absatz mit demjenigen, den sie zu den Zeiten des Königs Pyrrhus hatten, und bis zum Untergang ihrer Freiheit behielten; allein es ist zu bemerken, daß Archytas und Pyrrhus wenigstens 80 Jahre von einander entfernt sind. leutselig und gastfrei gegen die Fremden, Hässer des Gezwungnen, Spitzfündigen und Übertriebenen in allen Sachen, und aus eben diesem Grunde, Liebhaber des Natürlichen und Gründlichen, welche bei allem mehr auf die Materie als auf die Form sahen, und nicht begreifen konnten, daß eine fein gearbeitete Schüssel aus corinthischem Erzt besser sein könne, als eine schlechte aus Silber, oder daß ein Narr liebenswürdig sein könne, weil er artig sei. Sie liebten ihre Freiheit, wie eine Gattin, nicht wie eine Beischläferin, ohne Leidenschaft, und ohne Eifersucht; sie setzten ein billiges Vertrauen in diejenige, denen sie die Vormundschaft über den Staat anvertrauten; aber sie forderten auch, daß man dieses Vertrauen verdiene. Der Geist der Emsigkeit, der dieses achtungswürdige und glückliche Volk beseelte – der unschuldigste und wohltätigste unter allen sublunarischen Geistern, die uns bekannt sind – machte, daß man sich zu Tarent weniger, als in den meisten mittelmäßigen Städten zu geschehen pflegt, um andre bekümmerte; in so fern man sie durch keine gesetzwidrige Tat, oder durch einen beleidigenden Kontrast mit ihren Sitten ärgerte, konnte jeder leben wie er wollte. Alles dieses zusammengenommen, machte, wie uns deucht, eine sehr gute Art von republikanischem Charakter; und Agathon hätte schwerlich einen Freistaat finden können, welcher geschickter gewesen wäre, seinen gegen dieselbe gefaßten Widerwillen zu besänftigen. Ohne Zweifel hatte dieses Volk auch seine Fehler, wie alle andre; aber der weise Archytas, unter welchem der National-Charakter der Tarentiner erst eine gesetzte und feste Gestalt gewonnen hatte, wußte diejenige Art derselben, welche man die Temperaments-Fehler eines Volks nennen kann, so klüglich zu behandeln, daß sie durch die Vermischung mit ihren Tugenden, beinahe aufhörten, Fehler zu sein – eine notwendige und vielleicht die größeste Kunst eines Gesetzgebers, deren genauere Untersuchung und Analyse wir, beiläufig, denenjenigen empfohlen haben wollen, welche zu der schweren, und vermutlich spätern Zeiten aufbehaltnen, aber möglichen Auflösung eines Problems, welches nur von Lilliputtischen Seelen für schimärisch gehalten wird, der Aufgabe, welche Gesetzgebung unter gegebenen Bedingungen, die beste sei? etwas beizutragen sich berufen fühlen.

Agathon entdeckte beim ersten Blick an die Italischen Ufer, seinen Freund Critolaus, der mit einem Gefolge der edelsten Jünglinge von Tarent ihm entgegengeflogen war, um ihn in einer Art von freundschaftlichem Triumph in eine Stadt einzuführen, welche sich's zur Ehre rechnete, von einem Manne wie Agathon, vor andern zu seinem Aufenthalt erwählt zu werden. Die angenehme Luft dieser von einem günstigen Himmel umflossenen Ufer, der Anblick eines der schönsten Länder unter der Sonne, und der noch süßere Anblick eines Freundes, von dem er bis zur Schwärmerei geliebt wurde, machten unsern Helden in einem einzigen Augenblick alles Ungemach vergessen, das er in Sicilien und in seinem ganzen Leben ausgestanden hatte. Ein frohes ahnendes Erwarten der Glückseligkeit, die in diesem zum erstenmal betretenen Lande auf ihn wartete, verbreitete eine Art von angenehmer Empfindung durch sein ganzes Wesen, welche sich nicht beschreiben läßt. Die unbestimmte Wollust, welche alle seine Sinnen zugleich einzunehmen schien, war nicht dieses seltsame zauberische Gefühl, womit ihn die Schönheiten der Natur und die Empfindung ihrer reinsten Triebe, in seiner Jugend durchdrungen hatte – dieses Gefühl, diese Blüte der Empfindlichkeit, diese zärtliche Sympathie mit allem was lebt oder zu leben scheint; dieser Geist der Freude, der uns aus allen Gegenständen entgegenatmet; dieser magische Firnis der sie überzieht, und uns über einem Anblick, von dem wir zehn Jahre später kaum noch flüchtig gerührt werden, in stillem Entzücken zerfließen macht – dieses beneidenswürdige Vorrecht der ersten Jugend verliert sich mit dem Anwachs unsrer Jahre unvermerkt, und kann nicht wieder gefunden werden; aber es war etwas, das ihm ähnlich war; seine Seele schien dadurch wie von allen verdüsternden Flecken seines unmittelbar vorhergehenden Zustandes ausgewaschen, und zu den zärtlichen Eindrücken vorbereitet zu werden, welche sie in dieser neuen Periode seines Lebens bekommen sollte.

Eine seiner glückseligsten Stunden, (wie er in der Folge öfters zu versichern pflegte) war diejenige, worin er die persönliche Bekanntschaft des Archytas machte. Dieser ehrwürdige Greis hatte der Natur und der Mäßigung, welche von seiner Jugend an ein unterscheidender Zug seines Charakters gewesen war, den Vorteil einer Lebhaftigkeit aller Kräfte zu danken, welche in seinem Alter etwas seltnes ist, aber bei den alten Griechen lange nicht so selten war, als bei den meisten Europäischen Völkern unsrer Zeit, bei denen es zur Gewohnheit zu werden angefangen hat, die erste Hälfte des Lebens so unbesonnen zu verschwenden, daß man in der andern die geheimsten Kräfte der Arznei-Kunst zu Hülfe rufen muß, um einen schmachtenden Mittelstand von Sein und Nichtsein, von einem Tag zum andern erbettelter Weise fortschleppen zu können. So erkaltet als die Einbildungs-Kraft unsers Helden war, so konnte er doch nicht anders als etwas idealisches in dem Gemische von Majestät und Anmut, welches über die ganze Person dieses liebenswürdigen Alten ausgebreitet war, zu empfinden – und es desto stärker zu empfinden, je stärker der Absatz war, den dieser Anblick mit allem demjenigen machte, woran sich seine Augen seit geraumer Zeit hatten gewöhnen müssen – Und warum konnte er nicht anders? Die Ursache ist ganz simpel; weil dieses idealische nicht in seinem Gehirne, sondern in dem Gegenstande selbst war. Stellet euch einen großen stattlichen Mann vor, dessen Ansehen beim ersten Blick ankündiget, daß er dazu gemacht ist, andre zu regieren, und dem ihr ungeachtet seiner silbernen Haare noch ganz wohl ansehen könnet, daß er vor fünfzig Jahren ein schöner Mann gewesen ist – Ihr erinnert euch ohne Zweifel dergleichen gesehen zu haben; aber das ist es noch nicht – Stellet euch vor, daß dieser Mann in dem ganzen Laufe seines Lebens ein tugendhafter Mann gewesen ist; daß eine lange Reihe von Jahren seine Tugend zu Weisheit gereift hat; daß die unbewölkte Heiterkeit seiner Seele, die Ruhe seines Herzens, die allgemeine Güte wovon es beseelt ist, das stille Bewußtsein eines unschuldigen und mit guten Taten erfüllten Lebens, sich in seinen Augen und in seiner ganzen Gesichts-Bildung mit einer Wahrheit, mit einem Ausdruck von stiller Größe und Würdigkeit abmalt, dessen Macht man fühlen muß, man wolle oder nicht – das ist, was ihr vielleicht noch nicht gesehen habt – das ist das idealische, das ich meinte; und das war es was Agathon sah – Ihr erinnert euch doch der guten alten Frau Shirley? – welche ich, für meinen Teil, so reizend und selbst idealisch auch immer die Henrietten Byrons, und ihre Rivalinnen sind, dennoch in gewissen Stunden einem ganzen Serail von Henrietten, Clementinen und Emilien, (die Charlotten, Olivien und alle andern Göttinnen von dieser Art, zusamt der schönen Magellone, mit eingerechnet,) vorziehen wollte – Gut; ein Gemälde von dieser nämlichen alten Frau, von der Hand eines van Dyk, (wenn es noch einen van Dyk gäbe) würde ein Cabinetstück machen, um welches ich alle Liebes-Göttinnen und Grazien der Vanloos und Bouchers, so wenig ich sonst ein Feind von ihnen wäre, mit Freuden geben würde. Archytas, von der Hand eines Apelles (wenn zu seiner Zeit ein Apelles gewesen wäre) würde das Gegenbild davon sein. Agathon hatte nichts nötig, als ihn anzusehen, um überzeugt zu sein, daß er endlich gefunden habe, was er so oft gewünscht, aber noch nie gefunden zu haben geglaubt hatte, ohne daß er in der Folge auf eine oder die andere Art seines Irrtums überführt worden wäre – einen wahrhaftig weisen Mann, einen Mann, der nichts zu sein scheinen wollte, als was er würklich war, und an welchem das scharfsichtigste Auge nichts entdecken konnte, das man anders hätte wünschen mögen. Die Natur schien sich vorgesetzt zu haben, durch ihn zu beweisen, daß die Weisheit nicht weniger ein Geschenke von ihr sei, als der Genie; und daß, wofern es gleich der Kunst nicht unmöglich ist, ein schlimmes Naturell zu verbessern, und aus einem Silen, so der Himmel will, einen Socrates zu machen, (ein Triumph, den die Kunst gleichwohl sehr selten davon trägt,) es dennoch der Natur allein zukomme, diese glückliche Temperatur der Elemente, woraus der Mensch zusammengesetzt ist, hervorzubringen, welche, unter einem Zusammenfluß eben so glücklicher Umstände, endlich zu dieser vollkommnen Harmonie aller Kräfte und Bewegungen des Menschen, worin Weisheit und Tugend in Einem Punkt zusammenfließen, erhöht werden kann. Archytas hatte niemalen weder eine glühende Einbildungs-Kraft, noch heftige Leidenschaften gehabt; eine gewisse Stärke, welche den Mechanismus seines Kopfs und seines Herzens charakterisierte, hatte von seiner Jugend an die Würkung der Gegenstände auf seine Seele gemäßiget; die Eindrücke, die er von ihnen bekam, waren deutlich und nett genug, um seinen Verstand mit wahren Bildern zu erfüllen, und die Verwirrung zu verhindern, welche in dem Gehirne derjenigen zu herrschen pflegt, deren allzuschlaffe Fibern nur schwache und matte Eindrücke von den Gegenständen empfangen; aber sie waren nicht so lebhaft und von keiner so starken Erschütterung begleitet, wie bei denjenigen, welche, durch zärtlichere Werkzeuge und reizbarere Sinnen zu den enthusiastischen Künsten der Musen bestimmet, den zweideutigen Vorzug einer zauberischen Einbildungs-Kraft und eines unendlich empfindlichen Herzens durch die Tyrannie der Leidenschaften, der sie, mehr oder weniger, unterworfen sind, teuer genug bezahlen müssen. Archytas hatte es dem Mangel dieses eben so schimmernden, als wenig beneidenswerten Vorzugs zu danken, daß er wenig Mühe hatte, Ruhe und Ordnung in seiner innerlichen Verfassung zu erhalten; daß er anstatt von seinen Ideen und Empfindungen beherrscht zu werden, allezeit Meister von ihnen blieb, und die Verirrungen des Geistes und des Herzens nur aus der Erfahrung andrer kannte, von denen das schwärmerische Volk der Helden, Dichter und Virtuosen aller Arten aus seiner eigenen sprechen kann. Und daher kam es auch, daß die Pythagoräische Philosophie, in deren Grundsätzen er erzogen worden war – eben diese Philosophie, welche in dem Gehirne so vieler andrer zu einem seltsamen Gemische von Wahrheit und Träumerei wurde, – sich durch Nachdenken und Erfahrung in dem seinigen zu einem System von eben so simpeln, als fruchtbaren und praktischen Begriffen ausbildete; zu einem System, welches der Wahrheit näher zu kommen scheint, als irgend ein anders; welches die menschliche Natur veredelt, ohne sie aufzublähen, und ihr Aussichten in bessere Welten eröffnet, ohne sie fremd und unbrauchbar in der gegenwärtigen zu machen; welches durch das Erhabenste und Beste, was unsre Seele von Gott, von dem Welt-System, und von ihrer eigenen Natur und Bestimmung zu denken fähig ist, ihre Leidenschaften reiniget und mäßiget, ihre Gesinnungen verschönert, und (was kein so kleiner Vorteil ist, als neunhundert und neun und neunzig Menschen unter tausenden sich einbilden,) sie von der tyrannischen Herrschaft dieser pöbelhaften Begriffe befreiet, welche die Seele verunstalten, sie klein, niederträchtig, furchtsam, falsch und sklavenmäßig machen; jede edle Neigung, jeden großen Gedanken abschrecken und ersticken, und doch darum nicht weniger von politischen und religiosen Dämagogen unter dem größten Teile des menschlichen Geschlechts, aus Absichten, woraus diese Herren billig ein Geheimnis machen, eifrigst unterhalten werden.

Die zuverlässigste Probe über die Güte der Philosophie des weisen Archytas ist, wie uns deucht, der moralische Charakter, den ihm das einstimmige Zeugnis der Alten beilegt. Diese Probe, es ist wahr, geht bei einem System von metaphysischen Spekulationen nicht an; aber die Philosophie des Archytas war ganz praktisch. Das Exempel so vieler großen Geister, welche in der Bestrebung, über die Grenzen des menschlichen Verstandes hinauszugehen, verunglückt waren, hätte ihn in diesem Stücke vielleicht nicht weiser gemacht, wenn er mehr Eitelkeit und weniger kaltes Blut gehabt hätte; aber so wie er war, überließ er diese Art von Spekulationen seinem Freunde Plato, und schränkte seine Nachforschungen über die bloß intellektualischen Gegenstände lediglich auf diese einfältigen Wahrheiten ein, welche das allgemeine Gefühl erreichen kann, welche die Vernunft bekräftiget, und deren wohltätiger Einfluß auf den Wohlstand unsers Privat-Systems so wohl als auf das allgemeine Beste allein schon genugsam ist, ihren Wert zu beweisen. Es läßt sich also ganz sicher von dem Leben eines solchen Mannes auf die Güte seiner Denkens-Art schließen. Archytas verband alle häuslichen und bürgerlichen Tugenden, mit dieser schönsten und göttlichsten unter allen, welche sich auf keine andre Beziehung gründet, als das allgemeine Band, womit die Natur alle Wesen verknüpft. Er hatte das seltene Glück, daß die untadeliche Unschuld seines öffentlichen und Privat-Lebens, die Bescheidenheit, wodurch er den Glanz so vieler Verdienste zu mildern wußte, und die Mäßigung, womit er sich seines Ansehens bediente, endlich so gar den Neid entwaffnete, und ihm die Herzen seiner Mitbürger so gänzlich gewanne, daß er (ungeachtet er sich seines hohen Alters wegen von den Geschäften zurückgezogen hatte) bis an sein Ende als die Seele des Staats und der Vater des Vaterlands angesehen wurde, und in dieser Qualität eine Autorität beibehielt, welcher nur die äußerlichen Zeichen der königlichen Würde fehlten. Niemals hat ein Despot unumschränkter über die Leiber seiner Sklaven geherrschet, als dieser ehrwürdige Greis über die Herzen eines freien Volkes; niemals ist der beste Vater von seinen Kindern zärtlicher geliebt worden. Glückliches Volk! welches von einem Archytas geregiert wurde, und den ganzen Wert dieses Glücks so wohl zu schätzen wußte! – Und glücklicher Agathon, der in einem solchen Mann einen Beschützer, einen Freund, und einen zweiten Vater fand.


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