Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Fünftes Kapitel

Ein starker Schritt zu einer Katastrophe

Danae liebte zu zärtlich, als daß ihr der stille Kummer, der eine wiewohl anmutige Düsternheit über das schöne Gesicht unsers Helden ausbreitete, hätte unbemerkt bleiben können; aber aus eben diesem Grunde war sie zu schüchtern, ihn voreilig um die Ursache einer so unerwarteten Veränderung zu befragen. Es war leicht zu sehen, daß sein Herz leiden müsse; aber mit aller Scharfsichtigkeit, welche den Augen der Liebe eigen ist, konnte sie doch nicht mit sich selbst einig werden, was die Ursache davon sein könne. Ihr erster Gedanke war, daß ihm vielleicht ein zu weit getriebner Scherz des boshaften Hippias anstößig gewesen sein möchte. Allein was auch Hippias gesagt haben konnte, schien ihr nicht genugsam, eine so tiefe Wunde zu machen, als sie in seinem Herzen zu sehen glaubte. Das Interesse ihres eignen brachte sie bald auf einen andern Gedanken, dessen sie vermutlich nicht fähig gewesen wäre, wenn ihre Liebe nicht die Eitelkeit überwogen hätte, welche bei den meisten Schönen die wahre Quelle dessen ist, was sie uns für Liebe geben wollen. »Wie, wenn seine Liebe zu erkalten anfinge«; sagte sie zu sich selbst – »erkalten? Himmel! wenn das möglich ist, so werde ich bald gar nicht mehr geliebt sein.« – Dieser Gedanke war zu entsetzlich für ein so völlig eingenommenes Herz, als daß sie ihn sogleich hätte verbannen können – wie bescheiden macht die wahre Liebe! – Sie, welche gewohnt gewesen war, in allen Augen die Würkungen ihres alles besiegenden Reizes zu sehen; sie, welche unter den Vollkommensten ihres Geschlechts nicht Eine kannte, von der sie jemals in dem süßen Bewußtsein ihrer Vorzüglichkeit nur einen Augenblick gestört worden wäre – mit einem Wort – Danae – fing an mit Zittern sich selbst zu fragen: ob sie auch liebenswürdig genug sei, das Herz eines so außerordentlichen Mannes in ihren Fesseln zu behalten? Und wenn gleich die Eigenliebe sie von Seiten ihres persönlichen Wertes hierüber beruhigte; so war sie doch nicht ohne Sorgen, daß in ihrem Betragen etwas gewesen sein möchte, wodurch das Sonderbare in seiner Denkungsart, oder die edle Zärtlichkeit seiner Empfindungen hätte beleidiget werden können. Hatte sie ihm nicht zuviel Beweise von ihrer Liebe gegeben? Hätte sie ihm seinen Sieg nicht schwerer machen sollen? War es sicher, ihn die ganze Stärke ihrer Leidenschaft sehen zu lassen, und sich wegen der Erhaltung seines Herzens allein auf die gänzliche Dahingebung des Ihrigen zu verlassen? – Diese Fragen waren weder spitzfindig noch so leicht zu beantworten, als manches gute Ding sich einbildet, dem man eine ewige Liebe geschworen hat, und dessen geringster Kummer nun ist, ob man ihr werde Wort halten können. Die schöne Danae kannte die Wichtigkeit derselben in ihrem ganzen Umfange; und alles was sie sich selbst darüber sagen konnte, stellte sie doch nicht so zufrieden, daß sie nicht für nötig befunden hätte, einen gelegnen Augenblick zu belauschen, um sich über alle ihre Zweifel ins Klare zu setzen; im übrigen sehr überzeugt, daß es ihr nicht an Mitteln fehlen werde, dem entdeckten Übel zu helfen, es möchte nun auch bestehen, worin es immer wollte. Agathon ermangelte nicht, ihr noch an dem nämlichen Tag Gelegenheit dazu zu geben.

Schwermut und Traurigkeit machen die Seele nach und nach schlaff, und eröffnen sie allen weichen und zärtlichen Regungen. Dieser Satz ist so wahr, daß tausend Liebesverbindungen in der Welt keinen andern Ursprung haben. Ein Liebhaber verliert einen Gegenstand, den er anbetet; er ergießt seine Klagen in den Busen einer Freundin, für deren Reizungen er bisher vollkommen gleichgültig gewesen war – Sie bedauert ihn; er findet sich dadurch erleichtert, daß er sich frei und ungehindert beklagen kann; und die Schöne ist erfreut, daß sie Gelegenheit hat, ihr gutes Herz zu zeigen: Ihr Mitleiden rührt ihn, und erregt seine Aufmerksamkeit: Sobald eine Frauensperson zu interessieren anfängt, sobald entdeckt man Reizungen an ihr: Die Regungen, worin beide sich befinden, sind der Liebe günstig; sie verschönern die Freundin, und blenden die Augen des Freundes: Überdem sucht der Schmerz natürlicher Weise eine Zerstreuung, und ist geneigt sich an alles zu hängen, was ihm Trost und Linderung verspricht: Eine dunkle Ahnung neuer Vergnügungen; der Anblick eines Gegenstands, der solche geben kann; die günstige Gemütsstellung, worin man denselben sieht, auf der Einen – die Eitelkeit, diese große Treibfeder des weiblichen Herzens; das Vergnügen, so zu sagen, einen Sieg über eine Nebenbuhlerin davon zu tragen, indem man liebenswürdig genug ist, ihren Verlust zu ersetzen; die Begierde, selbst ihr Andenken auszulöschen; vielleicht, auch die Gutherzigkeit der menschlichen Natur, und das Vergnügen glücklich zu machen, auf der andern Seite – wie viel Umstände, welche sich vereinigen, unvermerkt den Freund in einen Liebhaber, und die Vertraute in die Hauptperson eines neuen Romans zu verwandeln.

In einer Gemütsverfassung von dieser Art befand sich Agathon, als Danae, welche vernommen hatte, daß er den ganzen Abend in der einsamsten Gegend des Gartens zugebracht, sich nicht mehr zurückhalten konnte ihn aufzusuchen. Sie fand ihn mit halbem Leib auf einer grünen Bank liegen, das Haupt unterstützt, und so zerstreut, daß sie eine Weile vor ihm stand, ehe er sie gewahr wurde. »Du bist traurig, Callias«, sagte sie endlich mit einer gerührten Stimme, indem sie Augen voll mitleidender Liebe auf ihn heftete. »Kann ich traurig sein, wenn ich dich sehe?« erwiderte Agathon, mit einem Seufzer, welcher seine Frage zu beantworten schien. Auch gab ihm Danae keine Antwort auf ein so verbindliches Kompliment, sondern fuhr fort, ihn stillschweigend, aber mit einem Gesicht voll Seele, und Augen die voller Wasser standen, anzusehen. Er richtete sich auf, und sahe sie eine Weile an, als ob er bis in den Grund ihrer Seele schauen wollte. Ihre Herzen schienen durch ihre Blicke in einander zu zerfließen. »Liebest du mich, Danae?« fragte endlich Agathon mit einer von Zärtlichkeit und Wehmut halberstickten Stimme, indem er einen Arm um sie schlang, und fortfuhr sie mit wäßrichten Augen anzusehen. Sie schwieg eine Zeit lang. »Ob ich dich liebe? –« War alles was sie sagen konnte; aber der Ausdruck, der Ton, womit sie es sagte, hätte durch alle Beredsamkeit des Demosthenes nicht ersetzt werden können. »Ach Danae!« (erwidert Agathon) »ich frage nicht, weil ich zweifle – Kann ich eine Versichrung, von welcher das ganze Glück meines Lebens abhängt, zu oft von diesen geliebten Lippen empfangen? Wenn du mich nicht liebtest – wenn du aufhören könntest mich zu lieben –« »Was für Gedanken, mein liebster Callias?« unterbrach sie ihn: »Wie elend wär ich, wenn du sie in deinem Herzen fändest – wenn dieses dir sagte, daß eine Liebe wie die unsrige aufhören könne?« – Ein übelverhehlter Seufzer war alles was er antworten konnte. »Du bist traurig, Callias«, fuhr sie fort; »ein geheimer Kummer bricht aus allen deinen Zügen hervor – Du begreifst nicht, nein, du begreifst nicht, was ich leide, dich traurig zu sehen, ohne die Ursache davon zu wissen. Wenn mein Vermögen, wenn meine Liebe, wenn mein Leben selbst hinlänglich ist, sie von dir zu entfernen, mein Geliebter, o! so verzögre keinen Augenblick, dein Innerstes mir aufzuschließen –« Der Ausdruck, die Blicke, der Ton der Stimme, womit sie dieses sagte, rührte den gefühlvollen Agathon bis zu sprachloser Entzückung. Er wand seine Arme um sie, druckte sein Gesicht auf ihre klopfende Brust, und konnte lange nur durch die Tränen reden, womit er sie benetzte.

Nichts ist ansteckenders als der Affekt einer in Empfindung zerfließenden Seele. Danae, ohne die Ursach aller dieser Bewegungen zu wissen, wurde so sehr von dem Zustand gerührt, worin sie ihren Liebhaber sah, daß sie eben so sprachlos als er selbst, sympathetische Tränen mit den Seinigen vermischte. Diese Szene, welche für den gleichgültigen Leser nicht so interessant sein kann, als sie es für unsre Verliebten war, dauerte eine ziemliche Weile. Endlich faßte sich Agathon, und sagte in einer von diesen zärtlichen Ergießungen der Seele, an welchen die Überlegung keinen Anteil hat, und worin man keine andre Absicht hat als ein volles Herz zu erleichtern: »Ich liebe dich zu sehr, unvergleichliche Danae, und fühle zu sehr, daß ich dich nicht genug lieben kann, um dir länger zu verhehlen, wer dieser Callias ist, den du, ohne ihn zu kennen, deines Herzens würdig geachtet hast. Ich will dir das Geheimnis meines Namens und die ganze Geschichte meines Lebens, so weit ich in selbiges zurückzusehen vermag, entdecken; und wenn du alles wissen wirst – ich weiß es, daß ich einer so großen Seele, wie die deinige, alles entdecken darf – Denn wirst du vielleicht natürlich finden, daß der flüchtigste Zweifel, ob es möglich sein könne deine Liebe zu verlieren, hinlänglich ist, mich elend zu machen.« Danae stutzte, wie man sich vorstellen kann, bei einer so unerwarteten Vorrede; sie sah unsern Helden so aufmerksam an, als ob sie ihn noch nie gesehen hätte, und verwunderte sich itzt über sich selbst, daß ihr nicht längst in die Augen gefallen war, daß weit mehr unter ihrem Liebhaber verborgen sei, als die Nachrichten des Hippias, und die Umstände, worin sich ihre Bekanntschaft angefangen, vermuten ließen. Sie dankte ihm auf die zärtlichste Art für die Probe eines vollkommnen Zutrauens, welche er ihr geben wolle, und nach einigen vorbereitenden Liebkosungen, womit sie ihre Dankbarkeit bestätigte, fing Agathon die folgende Erzählung an:


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