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Außer der schönen Bacchidion, welche, wie wir gesehen haben, allen ihren Ehrgeiz darein setzte, das Vergnügen eines Prinzen, den sie liebte, auszumachen – war Philistus, durch die Gnade, worin er bei Dionysen stund, die beträchtlichste Person unter allen denjenigen, mit denen Agathon in seiner neuen Stelle mehr oder weniger in Verhältnis war. Dieser Mann spielt in diesem Stück unsrer Geschichte eine Rolle, welche begierig machen kann, ihn näher kennen zu lernen. Und über dem ist es eine von den geheiligten Pflichten der Geschichte, den verfälschenden Glanz zu zerstreuen, welchen das Glück und die Gunst der Großen sehr oft über nichtswürdige Kreaturen ausbreitet, um der Nachwelt, zum Exempel, zu zeigen, daß dieser Pallas, welchen so viele Dekrete des Römischen Senats, so viele Statuen und öffentliche Ehren-Mäler eben dieser Nachwelt als einen Wohltäter des menschlichen Geschlechts, als einen Halb-Gott ankündigen, nichts bessers noch größers als ein schamloser lasterhafter Sklave war. Wenn Philistus in Vergleichung mit einem Pallas oder Tigellin nur ein Zwerg gegen einen Riesen scheint, so kommt es in der Tat allein von dem unermeßlichen Unterschied zwischen der Römischen Monarchie im Zeitpunkt ihrer äußersten Höhe, und dem kleinen Staat, worin Dionys zu gebieten hatte, her. Eben dieser Teufel, der seinem schlimmen Humor Luft zu machen, eine Herde Schweine ersäufte, würde mit ungleich größerm Vergnügen den ganzen Erdboden unter Wasser gesetzt haben, wenn er Gewalt dazu gehabt hätte: Und Philistus würde Pallas gewesen sein, wenn er das Glück gehabt hätte, in den Vorzimmern eines Claudius aufzuwachsen. Die Proben, welche er in seiner kleinen Sphäre von dem was er in einer größern fähig gewesen wäre, ablegte, lassen uns nicht daran zweifeln. Ein geborner Sklave, und in der Folge einer von den Freigelassenen des alten Dionys, hatte er sich schon damals unter seinen Kameraden durch den schlauesten Kopf und die geschmeidigste Gemüts-Art hervorgetan, ohne daß es ihm jedoch einigen besondern Vorzug bei seinem Herrn verschaffet hätte. Philistus gramte sich billig über diese wiewohl nicht ungewöhnliche Laune des Glücks; aber er wußte sich selbst zu helfen. Glücklichere Vorgänger hatten ihm den Weg gezeigt, sich ohne Mühe und ohne Verdienste zu dieser hohen Stufe emporzuschwingen, nach welcher ihm eine Art von Ambition, die sich in gewissen Seelen mit der verächtlichsten Niederträchtigkeit vollkommen wohl verträgt, ein ungezähmtes Verlangen gab. Wir haben schon bemerkt, daß der jüngere Dionys von seinem Vater ungewöhnlich hart gehalten wurde. Philistus war der einzige, der den Verstand hatte zu sehen, wieviel Vorteil sich aus diesem Umstande ziehen lasse. Er fand Mittel, die Nächte des jungen Prinzen angenehmer zu machen als seine Tage waren. Brauchte es mehr, um als ein Wohltäter von ihm angesehen zu werden, dessen gute Dienste er niemals genug werde belohnen können? Philistus ließ es nicht dabei bewenden; er fiel auf den Einfall, zu gleicher Zeit, und durch einen einzigen kleinen Handgriff, sich dieser Belohnung würdiger und bälder teilhaft zu machen. Eine bösartige Kolik, wozu er das Rezept hatte, beschleunigte das Ende des alten Tyrannen; Philistus war der erste, der seinem jungen Gebieter die freudige Nachricht brachte, und nun sah er sich auf einmal in dem geheimesten Vertrauen eines Königs, und in kurzem am Ruder des Staats. Diese wenigen Anekdoten sind zureichend, uns einen so sichern Begriff von dem moralischen Charakter dieses würdigen Ministers zu geben, daß er nunmehr das ärgste dessen ein Mensch fähig ist, begehen könnte, ohne daß wir uns darüber verwundern würden. Aber was für ein Physiognomist müßte der gewesen sein, der diese Anekdoten in seinen Augen hätte lesen können? Es ist wahr, Agathon dachte anfangs nicht allzuvorteilhaft von ihm; aber wie hätte er, ohne besondere Nachrichten zu haben, oder selbst ein Philistus zu sein, sich vorstellen sollen, daß Philistus das sein könnte, was er war? Wenige kannten die inwendige Seite dieses Mannes; und diese wenige waren zu gute Hofmänner, um ihren bisherigen Gönner eher zu verraten, als sein Sturz gewiß war, und sie wissen konnten, was sie dadurch gewinnen würden; und Aristipp, für den sein wahrer Charakter gleichfalls kein Geheimnis war, hatte sich vorgesetzt, einen bloßen Zuschauer abzugeben. Agathon konnte also desto leichter hintergangen werden, da Philistus alle seine Verstellungs-Kunst anstrengte, sich bei ihm in Achtung zu setzen. Zu seinem großen Mißvergnügen konnte er mit aller Kenntnis, die er (nach einem gewöhnlichen, wiewohl sehr betrüglichen Vorurteil der Hofleute) von den Menschen zu haben glaubte, die schwache Seite unsers Helden nicht ausfündig machen. Es blieb ihm also kein andrer Weg übrig, als durch eine große Arbeitsamkeit und Pünktlichkeit in den Geschäften sich bei dem neuen Günstling in das Ansehen eines brauchbaren Mannes, und durch Tugenden, die er eben so leicht als man eine Maskerade-Kleidung anzieht, affektieren konnte, so bald er ihrer vonnöten hatte, sich endlich so gar in das Ansehen eines ehrlichen Mannes zu setzen. Da zu diesen Eigenschaften, welche Agathon in ihm zu finden glaubte, noch die Achtung, welche Dionys für ihn trug, und die Betrachtung hinzukam, daß es für den Staat weniger sicher sei, einen ehrgeizigen Minister abzudanken, als ihn mit scheinbarer Beibehaltung seines Ansehens in engere Schranken zu setzen: So geschah es, daß sich diejenige in ihrer Meinung betrogen fanden, welche den Fall des Philistus für eine unfehlbare Folge der Erhebung Agathons gehalten hatten. Das Ansehen desselben schien sich eher zu vermehren, indem er zum Vorsteher aller der verschiednen Tribunalien ernennt wurde, unter welche Agathon, mit der erforderlichen Einschränkung und Subordination, diejenige Gewalt verteilte, welche vormals von den Vertrauten des Prinzen willkürlich ausgeübt worden war: In der Tat aber wurde er dadurch beinahe in die Unmöglichkeit gesetzt, böses zu tun, wofern ihn etwan eine Versuchung dazu ankommen sollte; da er bei allen seinen Handlungen von so vielen Augen beobachtet, und verbunden war, von allem Rechenschaft zu geben, und nichts ohne die Einstimmung des Prinzen, oder, welches eine Zeitlang einerlei war, seines Repräsentanten, zu unternehmen.
Wir könnten ohne Zweifel viel schönes von der Staats-Verwaltung Agathons sagen, wenn wir uns in eine ausführliche Erzählung aller der nützlichen Ordnungen und Einrichtungen ausbreiten wollten, welche er in Absicht der Staats-Ökonomie, der Einziehung und Verwaltung der öffentlichen Einkünfte, der Polizei, der Landwirtschaft, des Handlungs-Wesens, und (welches in seinen Augen eines der wesentlichsten Stücke war) der öffentlichen Sitten und der Bildung der Jugend, teils würklich zu machen anfing, teils gemacht haben würde, wenn ihm die Zeit dazu gelassen worden wäre. Allein alles dieses gehört nicht zu dem Plan des gegenwärtigen Werkes; und es wäre in der Tat nicht abzusehen, wozu ein solcher Détail in unsern Tagen nutzen sollte, worin die Kunst zu regieren einen Schwung genommen zu haben scheint, der die Maßregeln und das Beispiel unsers Helden eben so unnütz macht, als die Projekte des guten Abts von Saint Pierre, patriotischen Gedächtnisses. Die Art, wie sich Agathon ehmals seines Ansehens und Vermögens zu Athen bedient hat, kann unsern Lesern einen hinlänglichen Begriff davon geben, wie er sich einer beinahe unumschränkten Macht und eines königlichen Vermögens bedient haben werde.
Nur einen Umstand können wir nicht vorbeigehen, weil er einen merklichen Einfluß in die folgende Begebenheiten unsers Helden hatte. Dionys befand sich, als Agathon an seinen Hof kam, in einen Krieg mit den Carthaginensern verwickelt, welche durch verschiedene kleine Republiken des südlichen und westlichen Teils von Sicilien unterstützt, unter dem Schein sie gegen die Übermacht von Syracus zu schützen, sich der innerlichen Zwietracht der Sicilianer, als einer guten Gelegenheit bedienen wollten, diese für ihre Handlungs-Absichten unendlich vorteilhaft gelegene Insel in ihre Gewalt zu bringen. Einige von diesen kleinen Republiken wurden von so genannten Tyrannen beherrscht; und diese hatten sich bereits in die Arme der Carthaginenser geworfen; die andren hatten sich bisher noch in einer Art von Freiheit erhalten, und schwankten, zwischen der Furcht von Dionysen überwältiget zu werden, und dem Mißtrauen in die Absichten ihrer anmaßlichen Beschützer, in einem Gleichgewicht, welches alle Augenblicke auf die Seite der letztern überzuziehen drohte. Timocrates dem Dionys die oberste Befehlhabers-Stelle in diesem Kriege anvertraute, hatte sich bereits durch einige Vorteile über die Feinde den oft wohlfeilen Ruhm eines guten Generals erworben; aber mehr darauf bedacht, bei dieser Gelegenheit Lorbeern und Reichtümer zu sammeln, als das wahre Interesse seines Prinzen zu besorgen, hatte er das Feuer der innerlichen Unruhen Siciliens mehr ausgebreitet als gedämpft, und durch seine Aufführung sich bei denenjenigen, welche noch keine Partei genommen hatten, so verhaßt gemacht, daß sie im Begriff waren sich für Carthago zu erklären. Agathon glaubte, daß seine Beredsamkeit dem Dionys in diesen Umständen größere Dienste tun könne, als die ganze, wiewohl nicht verächtliche Land- und Seemacht, welche Timocrates unter seinen Befehlen hatte. Er hielt es für besser Sicilien zu beruhigen, als zu erobern; besser es zu einer Art von freiwilliger Übergabe an Syracus zu bewegen, als es den Gefahren und verderblichen Folgen eines Kriegs ausgesetzt zu lassen, der, wenn er auch am glücklichsten für den Dionys ausfiele, ihm doch nichts mehr als den zweideutigen Vorteil verschaffen würde, seine Untertanen um eine Anzahl gezwungner und mißvergnügter Leute vermehrt zu haben, auf deren guten Willen er keinen Augenblick hätte zählen können. Dionys konnte den Gründen, womit Agathon sein Vorhaben, und die Hoffnung des gewünschten Ausgangs unterstützte, seinen Beifall nicht versagen. Überhaupt galt es ihm gleich, durch was für Mittel er zu ruhigem Besitz der höchsten Gewalt in Sicilien gelangen könnte, wenn er nur dazu gelangte; und ob er gleich klein genug war, sich auf die zwar wenig entscheidende aber desto prahlerischer vergrößerte Siege seines Feldherrn eben so viel einzubilden, als ob er sie selbst erhalten hätte; so war er doch auch feigherzig genug, sich zu dem unrühmlichsten Frieden geneigt zu fühlen, so bald er mit einiger Aufmerksamkeit an die Unbeständigkeit des Kriegs-Glückes dachte. Die edlern Beweggründe unsers Helden fanden also leicht Eingang bei ihm, oder richtiger zu reden, Agathon schrieb die gefällige Disposition, die er bei ihm fand, dem Eindruck seiner eignen Vorstellungen zu, ohne wahrzunehmen, daß sie ihren eigentlichen Grund in der niederträchtigen Gemütsart des Prinzen hatte. Er begab sich also ingeheim (denn es war ihm daran gelegen, daß Timocrates von seinem Vorhaben keinen Wink bekäme) in diejenige Städte, welche im Begriff stunden, die Partei von Carthago zu verstärken. Es gelang ihm, die widrigen Vorurteile zu zernichten, womit er alle Gemüter gegen die gefürchtete Tyrannie Dionysens eingenommen fand; er überzeugte sie so vollkommen davon, daß das Beste eines jeden besondern Teils von dem Besten des ganzen Sicilien unzertrennlich sei; machte ihnen ein so schönes Gemälde von dem glücklichen Zustande dieser Insel, wenn alle Teile derselben durch die Bande des Vertrauens und der Freundschaft, sich in Syracus als in dem gemeinschaftlichen Mittelpunkt vereinigen würden – daß er mehr erhielt als er gehofft hatte, und so gar mehr als er verlangte. Er wollte nur Bundsgenossen, und es fehlte wenig, so würden sie in einem Anstoß von überfließender Zuneigung zu ihm, sich ohne Bedingung zu Untertanen eines Prinzen ergeben haben, von dessen Minister sie so sehr bezaubert waren.
Die Veränderung, welche hiedurch in den öffentlichen Angelegenheiten gemacht wurde, brachte den Krieg so schnell zu Ende, daß Timocrates keine Gelegenheit bekam, durch ein entscheidendes Treffen (es möchte allenfalls gewonnen oder verloren sein) Ehre einzulegen. Man kann sich vorstellen, ob Agathon sich dadurch die Freundschaft dieses Mannes, den sein großes Vermögen und die Verschwägerung mit dem Prinzen zu einer wichtigen Person machte, erworben; und mit welchen Augen Timocrates den allgemeinen Beifall, die frohlockenden Segnungen der Nation, welche unsern Helden nach Syracus zurückbegleiteten, die Merkmale der Hochachtung, womit er von dem Prinzen empfangen wurde, und das außerordentliche Ansehen, worin er sich durch diese friedsame Eroberung befestigte, angeschielt haben werde. Genötigt, seinen Unwillen und Haß gegen einen so siegreichen Nebenbuhler in sich selbst zu verschließen, laurte er nur desto ungeduldiger auf Gelegenheiten, in geheim an seinem Untergang zu arbeiten; und wie hätte es ihm an einem Hofe, und an dem Hofe eines solchen Fürsten, an Gelegenheiten fehlen können?