Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Zweites Kapitel

Hippias stattet einer Dame einen Besuch ab

Die Damen zu Smyrna hatten damals eine Gewohnheit, welche ihrer Schönheit mehr Ehre machte als ihrer Sittsamkeit. Sie pflegten sich in den warmen Monaten gemeiniglich alle Nachmittage eines kühlenden Bades zu bedienen, und, um keine lange Weile zu haben, nahmen sie um diese Zeit die Besuche derjenigen Mannspersonen an, die das Recht eines freien Zutritts in ihren Häusern hatten. Diese Gewohnheit war in Smyrna eben so unschuldig als es der Gebrauch bei unsern westlichen Nachbarinnen ist, Mannspersonen bei der Toilette um sich zu haben; auch kam diese Freiheit nur den Freunden zu statten, und, den besondern Fall ausgenommen, wenn die hartnäckige Blödigkeit eines noch unerfahrnen Neulings einiger Aufmunterung nötig hatte, waren die Liebhaber gänzlich davon ausgeschlossen. Unter einer großen Anzahl von Schönen, bei denen der weise Hippias dieses Vorrecht genoß, war auch eine, die unter dem Namen Danae den ersten Rang in derjenigen Klasse von Frauenzimmern einnahm, die man bei den Griechen Freundinnen, oder noch eigentlicher Gesellschafterinnen zu nennen pflegte. Diese Gattung von Damen war damals unter ihrem Geschlecht, was die Sophisten unter dem männlichen; sie stunden in keiner geringern Achtung, und konnten sich rühmen, daß die vollkommensten Modelle aller Vorzüge ihres Geschlechts, wenn man die strenge Tugend ausnimmt, die Aspasien, die Leontium und die Phrynen sich kein Bedenken machten von ihrem Orden zu sein. Was die Danae betrifft, so machten die Mannspersonen zu Smyrna kein Geheimnis daraus, daß sie, ihrem Urteil nach, an Schönheit und Artigkeit alle andre Frauenzimmer, galante und spröde, tugendhafte und andächtige, übertreffe. Es ist wahr, die Geschichte meldet nicht, daß die Damen sich sehr beeifert hätten, das Urteil der Mannspersonen durch ihren öffentlichen Beitritt zu bestätigen; allein soviel ist gewiß, daß keine unter ihnen war, die sich selbst nicht gestanden hätte, daß, eine einzige Person ausgenommen, die sie niemals öffentlich nennen wollten, die schöne Danae alle übrigen eben so weit übertreffe, als sie von dieser einzigen Ungenannten übertroffen werde. In der Tat war ihr Ruhm von dieser Seite so festgesetzt, daß man das Gerücht nicht unwahrscheinlich fand, welches versicherte, daß sie in ihrer ersten Jugend den berühmtesten Malern zum Modell gedient habe; und daß sie bei einer solchen Gelegenheit den Namen erhalten, unter welchem sie in Jonien berühmt war. Itzo hatte sie zwar das dreißigste Jahr schon zurückgelegt, allein ihre Schönheit hatte dadurch mehr gewonnen als verloren; und der blendende Jugendglanz, der mit dem Mai des Lebens zu verschwinden pflegt, wurde durch tausend andre Reizungen ersetzt, welche ihr, nach dem Urteil der Kenner, eine gewisse Anziehungskraft gaben, die man, ohne sich eines schwülstigen Ausdrucks schuldig zu machen, in gewissen Umständen für unwiderstehlich halten konnte. Dem ungeachtet scheute sich, unter der Ägide der Gleichgültigkeit, worin ihn damals ordentlicher Weise auch die schönsten Figuren zulassen pflegten, der weise Hippias nicht, seine Tugend öfters dieser Gefahr auszusetzen. Er war der schönen Danae unter dem Titel eines Freundes vorzüglich angenehm, und die geheime Geschichte sagt so gar, daß sie ihn ehmals nicht unwürdig gefunden, ihm eine Zeitlang eine noch interessantere Stelle, bei ihrer Person anzuvertrauen; eine Stelle die nur von den liebenswürdigsten seines Geschlechts bekleidet zu werden pflegte. Diese Dame war es, deren Beihülfe Hippias sich zu Ausführung seines Anschlags wider den Agathon bedienen wollte, dessen schwärmerische Tugend, seinen Gedanken nach, eine Beschimpfung seiner Grundsätze war, die er viel weniger leiden konnte, als die allerscharfsinnigste Widerlegung in forma. Er begab sich also zu der gewöhnlichen Stunde zu ihr, und war kaum in den Saal getreten, wo sie sich befand, und in den Bedürfnissen des Bades, von zween jungen Knaben, welche eher ein paar Liebesgötter zu sein schienen, bedient wurde; als sie schon in seinem Gesicht etwas bemerkte, das mit seiner gewöhnlichen Heiterkeit einen Absatz machte. »Was hast du, Hippias«, sagte sie zu ihm, »daß du eine so tiefsinnige Miene mitbringst?« »Ich weiß nicht«, antwortete er, »warum ich tiefsinnig aussehen sollte, wenn ich eine Dame im Bade besuche; aber das weiß ich, daß ich dich noch nie so schön gesehen habe, als diesen Augenblick.« »Gut«, sagte sie, »das beweist, daß ich recht geraten habe. Ich bin gewiß, daß ich heute nicht besser aussehe als das letztemal, da du mich sahest; aber deine Phantasie ist höher gestimmt als gewöhnlich, und du schreibst den Einfluß, den sie auf deine Augen hat, großmütig auf die Rechnung des Gegenstands, den du vor dir hast; ich wollte wetten, daß die häßlichste meiner Kammermädchen, dir in diesem Augenblick eine Grazie scheinen würde.« »Ich habe«, versetzte Hippias, »keine Ansprüche an eine lebhaftere Einbildungskraft zu machen als Zeuxes und Aglaophon, welche sich nichts vollkommners zu erfinden getrauten als Danae. Welche schöne Gelegenheit zu einer neuen Verwandlung, wenn ich Jupiter wäre!« – »Und was für eine Gestalt wolltest du annehmen, um zu gleicher Zeit meine Sprödigkeit und deine liebe Gemahlin zu hintergehen? Denn ich glaube kaum, daß unter allen geflügelten, vierfüßigen und kriechenden Tieren eines ist, das nicht schon einem Unsterblichen hätte dienen müssen, irgend ein ehrliches Mädchen zu beschleichen.« »Ich würde mich nicht lange besinnen«, sagte Hippias; »was für eine Gestalt könnte ich annehmen, die dir angenehmer und mir zu meiner Absicht bequemer wäre, als dieses Sperlings, der deine Liebhaber so oft zu einer gerechten Eifersucht reizt; der, durch die zärtlichsten Namen aufgemuntert, mit solcher Freiheit um deinen Nacken flattert, oder mit mutwilligem Schnabel den schönsten Busen neckt, und die Liebkosungen allezeit doppelt wieder empfängt, die er dir gemacht hat.« »Es ist dir leichter wie es scheint«, versetzte Danae, »einen Sperling an deine Stelle, als dich an die Stelle eines Sperlings zu setzen; bald könntest du mir die Schmeicheleien meines kleinen Lieblings verdächtig machen. Aber genug von den Wundern, die du meiner Schönheit zutrauest; wir wollen von was anderm reden. Weißest du, daß ich meinem Liebhaber den Abschied gegeben habe?« »Dem schönen Hiacinthus?« »Ihm selbst, und was noch mehr ist, mit dem festen Entschluß, seine Stelle nimmer zu ersetzen.« »Das ist eine tragische Entschließung, schöne Danae.« »Nicht so sehr als du denkest. Ich versichre dich, Hippias, meine Geduld reicht nicht mehr zu, alle Torheiten dieser abgeschmackten Gecken auszustehen, welche die Sprache der Empfindung reden wollen und nichts fühlen; deren Herz nicht so viel als mit einer Nadelritze verwundet ist, ob sie gleich von Martern und von Flammen reden; die unfähig sind etwas anders zu lieben als sich, und denen meine Augen nur zum Spiegel dienen sollen, um darin den Wert ihrer kleinen unverschämten Figur zu bewundern. Kaum glauben sie ein Recht an unsre Gütigkeit zu haben, so bilden sie sich ein, daß sie uns viel Ehre erweisen, wenn sie unsere Liebkosungen mit einer zerstreuten Miene dulden. Ein jeder Blick, den sie auf mich werfen, sagt mir, daß ich ihnen nur zum Spielzeug diene; und die Hälfte meiner Reizungen geht an ihnen verloren, weil sie keine Seele haben, um die Schönheiten einer Seele zu empfinden.« »Dein Unwille ist gerecht«, versetzte der Sophist; »es ist verdrießlich, daß man diesen Mannsleuten nicht begreiflich machen kann, daß die Seele das liebenswürdigste an einem schönen Frauenzimmer ist. Aber beruhige dich; nicht alle Männer denken so unedel, und ich kenne einen, der dir gefallen würde, wenn du, zur Abwechslung, einmal Lust hättest, es mit einem geistigen Liebhaber zu versuchen.« »Und wer kann das sein, wenn man fragen darf?« »Es ist ein Jüngling, gegen den deine Hyacinthe nur Meerkatzengesichter sind, schöner als Adonis.« – »Fi, Hippias, das ist als wie wenn du sagtest, süßer als Honigseim. Du begreifst nicht, wie sehr mir vor diesen schönen Herren ekelt.« »O! das hat nichts zu bedeuten; ich stehe dir für diesen. Er hat keinen von den Fehlern der schönen Narcissen, die dir so ärgerlich sind. Kaum scheint er es zu wissen, daß er einen Leib hat. Das ist ein Mensch wie man nicht viele sieht, schön wie Apollo, aber geistig wie ein Zephyr; ein Mensch, der lauter Seele ist, der dich, wie du hier bist, für eine bloße Seele ansehen würde, und der alles auf eine geistige Art tut, was wir andere körperlich tun. Du verstehst mich ja, schöne Danae?« »Nicht allzuwohl; aber deine Beschreibung gefällt mir nichts desto minder. Du sprichst doch im Ernst?« »In ganzem Ernst: Wenn du Lust hast die metaphysische Liebe zu kosten, so habe ich deinen Mann gefunden. Er ist platonischer als Plato selbst – denn ich denke, du könntest uns geheime Nachrichten von diesem berühmten Weisen geben.« »Ich erinnere mich«, antwortete Danae lächelnd, »daß er einmal mit einer meiner Freundinnen eine kleine Zerstreuung gehabt hat, die du ihm nicht übel nehmen mußt. Wo ist ein Geist, dem ein hübsches Mädchen von achtzehn Jahren nicht einen Körper geben könnte?« »Du kennest meinen Mann noch nicht«, erwiderte Hippias; »die Göttin von Paphos, ja du selbst würdest es bei ihm so weit nicht bringen. Du kannst ihn Tag und Nacht um dich haben. Du kannst ihn auf alle Proben stellen, du kannst ihn – bei dir schlafen lassen, Danae, ohne daß er dir Gelegenheit geben wird, nur die mindeste kleine Ausrufung anzubringen; kurz, bei ihm kann deine Tugend ganz ruhig einschlummern, ohne jemals in Gefahr zu kommen, aufgeweckt zu werden.« »Ach! nun verstehe ich dich; es verlohnte sich der Mühe nicht, den Scherz so weit zu treiben. Ich verlange keinen Liebhaber der sich nur darum an meine Seele hält, weil ihm das übrige zu nichts nütze ist.« »Auch ist derjenige, den ich dir anpreise, weit entfernt in diese Klasse zu gehören; mache dir darüber keinen Kummer. Was du für die Folge einer physischen Notwendigkeit hältst, ist bei ihm die Würkung der Tugend, und der erhabnen Philosophie, von der er Profession macht.« »Du machst mich sehr neugierig ihn zu sehen; aber weißt du, Hippias, daß meine Eitelkeit nicht zu frieden wäre, auf eine so kaltsinnige Art geliebt zu sein. Es ist wahr, ich bin dieser mechanischen Liebhaber von Herzen überdrüssig; aber ich würde mit einem andern eben so übel zu frieden sein, der gegen dasjenige ganz unempfindlich wäre, wofür jene allein empfindlich sind. Ein Frauenzimmer findet allezeit ein Vergnügen darin, Begierden einzuflößen, auch wann sie nicht im Sinn hat, sie zu vergnügen. Die Spröden selbst sind von dieser Schwachheit nicht ausgenommen. Wozu haben wir nötig, daß uns ein Liebhaber sagt, daß wir reizend sind? Wir wollen es aus den Würkungen sehen, die wir auf ihn machen. Je weiser er ist, desto schmeichelnder ist es für unsre Eitelkeit, wenn wir ihn aus seiner Fassung setzen können. Nein, du begreifst nicht, wie sehr das Vergnügen, das uns der Anblick aller der Torheiten macht, wozu wir diese Herren der Schöpfung bringen können, alle andre übertrifft, die sie uns zu machen fähig sind. Ein Philosoph, der zu meinen Füßen wie eine Turteldaube girret, der mir zu Gefallen seine Haare und seinen Bart kräuseln läßt, der so wohl riecht wie ein arabischer Salbenhändler, der mir den Hof zu machen, mit meinem Schoßhund schwatzt und Oden auf meinen Sperling macht – ah! Hippias, man muß ein Frauenzimmer sein, um zu begreifen, was das für ein Vergnügen ist!« – »Ich bedaure dich«; erwiderte der schalkhafte Sophist, »daß du diesem Vergnügen bei dem Liebhaber, von dem ich rede, entsagen mußt. Er hat seine Proben schon gemacht. Er ist zärtlich wie ein junger Seufzer, aber, wie gesagt, er ist es nur für die Seele der Schönen; alles übrige macht keinen größern Eindruck auf ihn, als ein Gemälde, oder eine Bildsäule.« »Das wollen wir sehen«, versetzte Danae; »ich verlange schlechterdings, daß du ihn diesen Abend zu mir bringest; du wirst nur eine kleine Gesellschaft finden, die uns nicht hindern soll. Aber wer ist denn dieser Ungenannte, von dem wir schon so lange schwatzen?« »Es ist ein Sklave, den ich vor etlichen Wochen von einem Cilicier gekauft habe, aber ein Sklave, wie man sonst nirgends sieht. Er ist zu Delphi im Tempel des Apollo erzogen worden, und, so viel ich vermute, wird er sein Dasein der antiplatonischen Liebe dieses Gottes zu irgend einer artigen Schäferin zu danken haben, die sich zu weit in seinen Lorbeerhain gewagt haben mag. Er ist hernach eine geraume Zeit zu Athen gewesen, und die schönen Reden des Plato haben die romanhafte Erziehung vollendet, die er in den geheiligten Hainen zu Delphi erhalten. Er geriet durch einen Zufall in die Hände Cilicischer Seeräuber, und aus diesen in die meinige. Er nannte sich Pythokles; aber weil ich diese Art von Namen nicht leiden kann, so hieß ich ihn Callias, und er verdient so zu heißen, denn er ist der schönste Mensch, den ich jemals gesehen habe. Seine übrigen Gaben bestätigen die gute Meinung, die sein Anblick von ihm erweckt. Er hat Verstand, Geschmack, und Wissenschaft; er ist ein Liebhaber und ein Günstling der Musen; aber mit allen diesen Vorzügen ist er doch nichts weiter als ein wunderlicher Kopf, ein Schwärmer und ein unbrauchbarer Mensch. Er nennt seinen Eigensinn Tugend, weil er sich einbildet, die Tugend müsse die Antipode der Natur sein; er hält die Ausschweifungen seiner Phantasie für Vernunft, weil er sie in einen gewissen Zusammenhang gebracht hat; und sich selbst für weise, weil er auf eine methodische Art raset. Er gefiel mir beim ersten Anblick, ich faßte den Entschluß, etwas aus diesem jungen Menschen zu machen; aber alle meine Mühe war umsonst; und wenn es möglich ist, daß er durch jemand zu recht gebracht werden kann, so muß es durch ein Frauenzimmer geschehen; denn ich glaube bemerkt zu haben, daß man nur durch sein Herz in seinen Kopf kommen kann. Die Unternehmung wäre deiner würdig, schöne Danae, und wenn sie dir nicht gelingt, so ist er unverbesserlich, und verdient nichts, als daß man ihn seiner Torheit und seinem Schicksal überlasse.«

»Du hast meinen ganzen Ehrgeiz rege gemacht, Hippias«, versetzte die schöne Danae; »bringe ihn diesen Abend mit; ich will ihn sehen, und wenn er aus eben denselben Elementen zusammengesetzt ist, wie andre Erden-Söhne, so wollen wir eine Probe machen, ob Danae ihrer Lehrmeisterin würdig ist.«

Hippias war sehr erfreut, den Zweck seines Besuchs so glücklich erreicht zu haben, und versprach beim Abschied, zur bestimmten Zeit diesen wunderbaren Jüngling aufzuführen, an welchem die schöne Danae so begierig war, die Macht ihrer Reizungen zu versuchen.


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