Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Zweites Kapitel

Eine kleine metaphysische Abschweifung

Es gibt so verschiedne Gattungen von Liebe, daß es, wie uns ein Kenner derselben versichert hat, nicht unmöglich wäre, drei oder vier Personen zu gleicher Zeit zu lieben, ohne daß sich eine derselben über Untreue zu beklagen hätte. Agathon hatte in einem Alter von siebzehn Jahren für die Priesterin zu Delphi etwas zu empfinden angefangen, das derjenigen Art von Liebe glich, die, nach dem Ausdruck des Fieldings, ein wohlzubereiteter Rostbeef einem Menschen einflößt, der guten Appetit hat. Diese Liebe hatte, ehe er selbst noch wußte, was daraus werden könnte, der Zärtlichkeit weichen müssen, welche ihm Psyche einflößte. Die Zuneigung, die er zu diesem liebenswürdigen Geschöpfe trug, war eine Liebe der Sympathie, eine Harmonie der Herzen, eine geheime Verwandtschaft der Seelen, die sich denen, so sie nicht aus Erfahrung kennen, unmöglich beschreiben läßt; eine Liebe an der das Herz und der Geist mehr Anteil nimmt als die Sinnen, und die vielleicht die einzige Art von Verbindung ist, welche, (wofern sie allgemein sein könnte) den Sterblichen einigen Begriff von den Verbindungen und Vergnügen himmlischer Geister zu geben fähig wäre. Wir sehen voraus, daß unsre meisten Leser bei dieser Stelle die Nase rümpfen, und zweifeln werden, ob wir uns selbst verstehen; allein wir lassen uns dieses gar nicht anfechten. Sancho, wenn er (wie es ihm zuweilen begegnete) eine Menge schöner Sachen vorgebracht hatte, wovon weder sein Herr noch irgend ein andrer, oder auch er selbst etwas verstehen konnte, pflegte sich damit zu trösten, daß er sagte: »Gott versteht mich«; und der Geschichtschreiber des Agathons kann es ganz wohl leiden, daß diese und ähnliche Stellen seines Werkes von allen andern Lesern für Galimathias gehalten werden, da er versichert ist, daß *** ihn versteht – Agathon könnte also von dieser gedoppelten Art von Liebe, wovon eine die Antipode der andern ist, aus Erfahrung sprechen; allein diejenige, worin jene beiden sich in einander mischen, die Liebe, welche die Sinnen, den Geist und das Herz zugleich bezaubert, die heftigste, die reizendste und gefährlichste aller Leidenschaften, war ihm mit allen ihren Symptomen und Würkungen noch unbekannt; und es ist also kein Wunder, daß sie sich schon seines ganzen Wesens bemeistert hatte, eh es ihm nur eingefallen war, ihr zu widerstehen. Es ist wahr, dasjenige was in seinem Gemüte vorging, nachdem er in zween oder drei Tagen die schöne Danae weder gesehen, noch etwas von ihr gehört hatte, hätte den Zustand seines Herzens einem unbefangnen Zuschauer verdächtig gemacht; aber er selbst war weit entfernt das geringste Mißtrauen in die Unschuld seiner Gesinnungen zu setzen. Was ist natürlicher, als das Verlangen, das vollkommenste und liebenswürdigste unter allen Wesen, nachdem man es einmal gesehen hat, immer zu sehen? Solche Schlüsse macht die Leidenschaft. Aber was sagte denn die Vernunft dazu? die Vernunft? O, die sagte gar nichts. Übrigens müssen wir doch, es mag nun zur Entschuldigung unsers Helden dienen oder nicht, den Umstand nicht aus der Acht lassen, daß er von der schönen Danae nichts anders wußte, als was er gesehen hatte. Der Charakter, den ihr die Welt beilegte, war ihm gänzlich unbekannt; er hatte noch keinen Anlaß, und, die Wahrheit zu sagen, auch kein Verlangen gehabt, sich darnach zu erkundigen.


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