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»Die Veränderung, welche mit mir vorging, da ich aus den Hainen von Delphi auf den Schauplatz der geschäftigen Welt, in das Getümmel einer volkreichen Stadt, in die unruhige Bewegungen einer zwischen der Demokratie und Aristokratie hin und her treibenden Republik, und in das moralische Chaos der bürgerlichen Gesellschaft, worin Leidenschaften mit Leidenschaften, Absichten mit Absichten, in einem allgemeinen und ewigen Streit gegen einander rennen, und unter dem unharmonischen Zusammenstoß unförmlicher Mißgestalten, nichts beständiges, noch gewisses ist, nichts das ist, was es scheint, noch die Gestalt behält die es hat. – Diese Veränderung war so groß, daß ich ihre Wirkung, auf mein Gemüt durch nichts anders zu bezeichnen weiß, als durch die Vergleichung mit der Betäubung, worin nach meinem Freunde, Plato, unsre Seele eine Zeit lang, von sich selbst entfremdet, liegen bleibt, nachdem sie aus dem Ozean des reinen ursprünglichen Lichts, der die überhimmlischen Räume erfüllet, plötzlich in den Schlamm des groben irdischen Stoffes heruntergestürzt worden ist. Die Menge der neuen Gegenstände, welche von allen Seiten auf mich eindrang, verschlang die Erinnerung derjenigen, welche mich so viele Jahre umgeben hatten; und zuletzt hatte ich fast Mühe, mich selbst zu überreden, daß ich eben derjenige sei, der im Tempel zu Delphi den Fremden die Merkwürdigkeiten desselben gewiesen und erklärt hatte. So gar das Andenken meiner geliebten Psyche wurde eine Zeit lang von diesem Nebel, der meine Seele umzog, verdunkelt; allein dieses dauerte nur so lange, bis ich des neuen Elements, worin ich itzt lebte, gewohnt worden war; denn da vermißte ich ihre Gegenwart desto lebhafter wieder, je größer das Leere war, welches die Beschäftigungen und selbst die Ergötzungen meiner neuen Lebensart in meinem Herzen ließen. Die Schauspiele, die Gastmähler, die Tänze, die Musikübungen, konnten mir jene seligen Nächte nicht ersetzen, die ich in den Entzückungen einer zauberischen Schwärmerei, an ihrer Seite zugebracht hatte. Aber, so groß auch meine Sehnsucht nach diesen verlornen Freuden war, so beunruhigte mich doch die Vorstellung des unglücklichen Zustands noch weit mehr, worein die rachbegierige Eifersucht der Pythia sie vermutlich versetzt hatte. Den Ort ihres Aufenthalts ausfündig zu machen, schien beinahe eine Unmöglichkeit; denn entweder hatte die Priesterin sie (fern genug von Delphi, um uns alle Hoffnung des Wiedersehens zu benehmen,) verkaufen, oder gar an irgend einer entlegnen barbarischen Küste aussetzen und dem Zufall Preis geben lassen. Allein da der Liebe nichts unmöglich ist, so gab ich auch die Hoffnung nicht auf, meine Psyche wieder zu bekommen. Ich belud alle meine Freunde, alle Fremden, die nach Athen kamen, alle Kaufleute, Reisende und Seefahrer mit dem Auftrag, sich allenthalben, wohin sie kämen, nach ihr zu erkundigen; und damit sie weniger verfehlt werden könnte, ließ ich eine unzählige Menge Kopeien ihres Bildnisses machen, das ich selbst, oder vielmehr der Gott der Liebe mit meiner Hand, in der vollkommensten Ähnlichkeit, nach dem gegenwärtigen Original, gezeichnet hatte, da wir noch in Delphi waren; und diese Kopeien teilte ich unter alle diejenigen aus, welche ich durch Verheißung großer Belohnungen, anzureizen suchte, sich für ihre Entdeckung Mühe zu geben. Ich gestehe dir so gar, daß das Verlangen meine Psyche wieder zu finden, (anfänglich wenigstens) der hauptsächlichste Beweg-Grund war, warum ich mich in der Republik hervorzutun suchte. Denn, nachdem mir alle andre Mittel fehlgeschlagen hatten, schien mir kein andres übrig zu bleiben, als meinen Namen so bekannt zu machen, daß er ihr zu Ohren kommen müßte; sie möchte auch sein, wo sie wollte. Dieser Weg war in der Tat etwas weitläufig; und ich hätte zwanzig Jahre in einem fort größere Taten tun können, als Hercules und Theseus, ohne daß die Hyrcanier, die Massageten, die Hibernier, oder die Lästrigonen, in deren Hände sie inzwischen hätte geraten können, mehr von mir gewußt hätten, als die Einwohner des Mondes. Zu gutem Glück fand der Schutz-Geist unsrer Liebe einen kürzern Weg, uns zusammenzubringen; aber in der Tat nur, um uns Gelegenheit zu geben, auf ewig von einander Abscheid zu nehmen.« –
Hier fuhr Agathon fort, der schönen Danae die Begebenheiten zu erzählen, die ihm auf seiner Wanderschaft bis auf die Stunde, da er mit ihr bekannt wurde, zugestoßen, und wovon wir dem geneigten Leser bereits im ersten und zweiten Buche dieser Geschichte Rechenschaft gegeben haben; und nachdem er sich auf Unkosten des weisen Hippias ein wenig lustig gemacht, entdeckte er seiner schönen Freundin (welche seine ganze Erzählung nirgends weniger langweilig fand, als an dieser Stelle,) alles, was von dem ersten Augenblick an, da er sie gesehen, in seinem Herzen vorgegangen war. Er überredete sie mit eben der Aufrichtigkeit, womit er es zu empfinden glaubte, daß sie allein dazu gemacht gewesen sei, seine Begriffe von idealischen Vollkommenheiten und einem überirdischen Grade von Glückseligkeit zu realisieren; daß er, seit dem er sie liebe, und von ihr geliebet sei, ohne seiner ehemaligen Denkungs-Art ungetreu zu werden, von dem, was darin übertrieben und schimärisch gewesen, bloß dadurch zurückgekommen sei, weil er bei ihr alles dasjenige gefunden, wovon er sich vorher, nur in der höchsten Begeisterung einer Einbildungs-Kraft einige unvollkommene Schatten-Begriffe habe machen können; und weil es natürlich sei, daß die Einbildungs-Kraft, als der Sitz der Schwärmerei, zu würken aufhöre, so bald der Seele nichts zu tun übrig, als anzuschauen und zu genießen. Mit einem Wort: Agathon hatte vielleicht in seinem Leben nie so sehr geschwärmt, als itzt, da er sich in dem höchsten Grade der verliebten Betörung einbildete, daß er alles das, was er der leichtgläubigen Danae vorsagte, eben so gewiß und unmittelbar sehe und fühle, als er ihre schönen, von dem ganzen Geist der Liebe und von aller seiner berauschenden Wollust trunknen Augen auf ihn geheftet sah, oder das Klopfen ihres Herzens unter seinen verirrenden Lippen fühlte. Er endigte damit, daß er ihr aus seiner ganzen Erzählung begreiflich gemacht zu haben glaube, warum es, nachdem er schon so oft bald von den Menschen, bald vom Glücke, bald von seinen eigenen Einbildungen betrogen worden, entsetzlich für ihn sein würde, wenn er jemals sich in der Hoffnung betrogen fände, so vollkommen und beständig von ihr geliebt zu werden, als es zu seiner Glückseligkeit nötig sei. Er gestund ihr mit einer Offenherzigkeit, welche vielleicht nur eine Danae ertragen konnte, daß eine lebhafte Erinnerung an die Zeiten seiner ersten Liebe, zugleich mit der Vorstellung aller der seltsamen Zufälle, Veränderungen und Katastrophen, die er in einem Alter von fünf und zwanzig Jahren bereits erfahren habe, ihn auf eine Reihe melancholischer Gedanken gebracht, worin er Mühe gehabt habe, seine gegenwärtige Glückseligkeit für etwas würkliches, und nicht für ein abermaliges Blendwerk seiner Phantasie, zu halten. »Eben das Übermaß derselben«, sagte er, »eben dies ist es, was mich besorgen machte, jemals aus einem so schönen Traum aufzuwachen. – Kannst du mich verdenken, liebenswürdige Danae, o du, die durch die Reizungen deines Geistes, auch ohne diese Liebe-atmende Gestalt, ohne diese Schönheit, deren Anschauen himmlische Wesen dir gegenüber anzufesseln vermögend wäre, durch die bloße Schönheit deiner Seele, und den magischen Reiz eines Geistes, der alle Vorzüge, alle Gaben, alle Grazien in sich vereinigt, meinen Geist aus dem Himmel selbst zu dir herunterziehen würdest. – Könntest du mich verdenken, daß ich, vor dem Gedanken, deine Liebe jemals verlieren zu können, wie vor der Vernichtung meines ganzen Wesens, erzittre? – Laß mich, laß mich die Gewißheit, daß es nie geschehen werde, daß es unmöglich sei, immer in deinen Augen lesen, immer von deinen Lippen hören, und in deinen Armen fühlen; und wenn diese vergötternde Bezauberung jemals aufhören soll, so nimm, im letzten Augenblick, alle deine Macht zusammen, und laß mich vor Entzückung und Liebe zu deinen Füßen sterben.« –
Von der Antwort, womit Danae diese Ergießungen einer glühenden Zärtlichkeit erwiderte, läßt sich das Wenigste mit Worten ausdrücken; und dieses kann sich, nach allem, was wir bereits von ihren Gesinnungen für unsern Helden gesagt haben, der kaltsinnigste von unsern Lesern so gut vorstellen, als wir es ihm sagen könnten – oder sich's auch nicht vorstellen, wenn es ihm beliebt. Daß sie ihm übrigens sehr höflich für die Erzählung seiner Geschichte gedankt, und eine ungemeine Freude darüber empfunden habe, in diesem Sklaven, der die Alcibiaden und den liebenswürdigen Cyrus selbst aus ihrem Herzen ausgelöscht hatte, den ruhmvollen Agathon, den Mann, den das Gerüchte zum Wunder seiner Zeit gemacht hatte, zu finden; und daß sie ihm hierüber viel schönes gesagt haben werde – verstehet sich von selbst. Dieses und alles, was eine jede andere, die keine Danae gewesen wäre, in den vorliegenden Umständen auch gesagt hätte, wollen wir, nebst allen den feinen Anmerkungen und Scherzen, wodurch sie in gewissen Stellen seine Erzählung unterbrochen hatte, überhüpfen, um zu andern Dingen, die in ihrem Gemüte vorgingen, zu kommen, welche der größeste Teil unserer Leserinnen (wir besorgen es, oder hoffen es vielmehr,) nicht aus sich selbst erraten hätte, und welche wichtig genug sind, ein eigenes Kapitel zu verdienen.