Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Eilftes Kapitel

Agathon kömmt zu Smyrna an, und wird verkauft

Das Wetter war unsern Seefahrern so günstig, daß Agathon gute Muße hatte, seinen Betrachtungen so lange nachzuhängen, als er wollte; zumal da seine Reise von keinem der Umstände begleitet war, womit eine poetische Seefahrt ausgeschmückt zu sein pflegt. Denn man sahe da weder Tritonen, die aus krummen Ammons-Hörnern bliesen, noch Nereiden, die auf Delphinen, mit Blumen-Kränzen gezäumet, über den Wellen daherritten; noch Syrenen, die mit halbem Leib aus dem Wasser hervorragend, die Augen durch ihre Schönheit, und das Ohr durch die Süßigkeit ihrer Stimme bezaubert hätten. Die Winde selbst waren etliche Tage lang so zahm, als ob sie es mit einander abgeredet hätten, uns keine Gelegenheit zu irgend einer schönen Beschreibung eines Sturms oder eines Schiffbruchs zu geben; kurz, die Reise ging so glücklich von statten, daß die Barke am Abend des dritten Tages in den Hafen von Smyrna einlief; wo die Räuber, nunmehr unter dem Schutz des großen Königs gesichert, sich nicht säumten, ihre Gefangenen ans Land zu setzen, in der Hoffnung, auf dem Sklaven-Markte keinen geringen Vorteil aus ihnen zu ziehen. Ihre erste Sorge war, sie in eines der öffentlichen Bäder zu führen, wo man nichts vergaß, was dazu dienen konnte, sie den folgenden Tag verkäuflicher zu machen. Agathon war noch zu sehr von allem demjenigen, was mit ihm vorgegangen war, eingenommen, als daß er auf das gegenwärtige aufmerksam sein konnte. Er wurde gebadet, abgerieben, mit Salben und wohlriechenden Wassern begossen, mit einem Sklaven-Kleid von vielfarbichter Seide angetan, mit allem was seine Gestalt erheben konnte, ausgeschmückt, und von allen, die ihn sahen, bewundert; ohne daß ihn etwas aus der vollkommnen Unempfindlichkeit erwecken konnte, welche in gewissen Umständen eine Folge der übermäßigen Empfindlichkeit ist. In dasjenige vertieft, was in seiner Seele vorging, schien er, weder zu sehen, noch zu hören; weil er nichts sah, oder hörte, was er wünschte; und nichts als der Anblick, der sich ihm auf dem Sklaven-Markte darstellte, war vermögend, ihn aus dieser wachenden Träumerei aufzurütteln. Diese Szene hatte zwar das Abscheuliche nicht, das ein Sklaven-Markt zu Barbados so gar für einen Europäer haben könnte, dem die Vorurteile der gesitteten Völker noch einige Überbleibsel des angebornen menschlichen Gefühls gelassen hätten; allein sie hatte doch genug, um eine Seele zu empören, die sich gewöhnt hatte, in den Menschen mehr die Schönheit ihrer Natur, als die Erniedrigung ihres Zustands; mehr das, was sie nach gewissen Voraussetzungen sein könnten, als was sie würklich waren, zu sehen. Eine Menge von traurigen Vorstellungen stieg in gedrängter Verwirrung bei diesem Anblick in ihm auf; und in eben dem Augenblick, da sein Herz von Mitleiden und Wehmut zerfloß, brannte es von einem zürnenden Abscheu vor den Menschen, dessen nur diejenigen fähig sind, welche die Menschheit lieben. Er vergaß über diesen Empfindungen seines eignen Unglücks, als ein Mann von edelm Ansehen, welcher schon bei Jahren zu sein schien, im Vorübergehn seiner gewahr ward, stehen blieb, und ihn mit besondrer Aufmerksamkeit betrachtete. »Wem gehört dieser junge Leibeigene?« fragte endlich der Mann einen von den Ciliciern, der neben ihm stand. »Dem, der ihn von mir kaufen wird«, versetzte dieser. »Was versteht er für eine Kunst?« fuhr jener fort. »Das wird er dir selbst am besten sagen können«, erwiderte der Cilicier. Der Mann wandte sich also an den Agathon selbst, und fragte ihn, ob er nicht ein Grieche sei? ob er sich nicht in Athen aufgehalten? und ob er in den Künsten der Musen unterrichtet worden? Agathon bejahete diese Fragen: »Kannst du den Homer lesen?« »Ich kann lesen; und ich meine, daß ich den Homer empfinden könne.« »Kennst du die Schriften der Philosophen?« »Nein, denn ich verstehe sie nicht.« »Du gefällst mir, junger Mensch! Wie hoch haltet ihr ihn, mein Freund?« »Er sollte, wie die andern, durch den Herold ausgerufen werden«, antwortete der Cilicier, »aber für zwei Talente ist er euer.« »Begleite mich mit ihm in mein Haus«, erwiderte der Alte, »du sollst zwei Talente haben, und der Sklave ist mein.« »Dein Geld muß dir sehr beschwerlich sein«, sagte Agathon; »woher weißt du, daß ich dir für zwei Talente nützlich sein werde?« »Wenn du es nicht wärest«, versetzte der Käufer, »so bin ich unbesorgt, unter den Damen von Smyrna zwanzig für eine zu finden, die mir auf deine bloße Miene hin wieder zwei Talente für dich geben.« Und mit diesen Worten befahl er dem Agathon, ihm in sein Haus zu folgen.


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