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Die schöne Danae war keine von denen, welche das, was sie tun, nur zur Hälfte tun. Nachdem sie einmal beschlossen hatte, ihren Freund glücklich zu machen, so vollführte sie es auf eine Art, welche alles was er bisher Vergnügen und Wonne genannt hatte, in Schatten und Wolkenbilder verwandelte. Man erinnert sich vermutlich noch, daß eine Art von Vorwitz oder vielmehr ein launischer Einfall, die Macht ihrer Reizungen an unserm Helden zu probieren, anfangs die einzige Triebfeder der Anschläge war, welche sie auf sein Herz gemacht hatte. Die persönliche Bekanntschaft belebte dieses Vorhaben durch den Geschmack, den sie an ihm fand; und der tägliche Umgang, die Vorzüge Agathons, und, was in den meisten Fällen die Niederlage der weiblichen Tugend wo nicht allein verursacht, doch sehr befördert, die ansteckende Kraft, das Sympathetische der verliebten Begeisterung, welcher der göttliche Plato mit Recht die wundertätigsten Kräfte zuschreibt; alles dieses zusammen genommen, verwandelte zuletzt diesen Geschmack in Liebe, aber in die wahreste, zärtlichste und heftigste, welche jemals gewesen ist. Unserm Helden allein war die Ehre aufbehalten (wenn es eine war) ihr eine Art von Liebe einzuflößen, worin sie, ungeachtet alles dessen, was uns von ihrer Geschichte schon entdeckt worden ist, noch so sehr ein Neuling war, als es eine Vestalin in jeder Art von Liebe sein soll. Kurz, er, und er allein, war darzu gemacht, den Widerwillen zu überwinden, den ihr die gemeinen Liebhaber, die schönen Hyacinthe, diese tändelnden Gecken, an denen (um uns ihres eigenen Ausdrucks zu bedienen) die Hälfte ihrer Reizungen verloren ging; gegen alles was die Miene der Liebe trug, einzuflößen angefangen hatten.
Die meisten von derjenigen Klasse der Naturkündiger, welche mit dem Herrn von Büffon davorhalten, daß das Physikalische der Liebe das beste davon sei, werden ohne Bedenken eingestehen, daß der Besitz, oder (um unsern Ausdruck genauer nach ihren Ideen zu bestimmen) der Genuß einer so schönen Frau als Danae war, an sich selbst betrachtet die vollkommenste Art von Vergnügungen in sich schließe, deren unsre Sinnen fähig sind; eine Wahrheit, welche, ungeachtet einer Art von stillschweigender Übereinkunft, daß man sie nicht laut gestehen wolle, von allen Völkern und zu allen Zeiten so allgemein anerkannt worden ist, daß Carneades, Sextus, Cornelius Agrippa, und Bayle selbst sich nicht getrauet haben, sie in Zweifel zu ziehen. Ob wir nun gleich nicht Mut genug besitzen, gegen einen so ehrwürdigen Beweis als das einhellige Gefühl des ganzen menschlichen Geschlechts abgibt, öffentlich zu behaupten, daß diejenigen Vergnügungen der Liebe, welche der Seele eigen sind, den Vorzug vor jenen haben: So werden doch nicht wenige mit uns einstimmig sein, daß ein Liebhaber, der selbst eine Seele hat, im Besitz der schönsten Statue von Fleisch und Blut, die man nur immer finden kann, selbst jene von den neuern Epicuräern so hoch gepriesene Wollust nur in einem sehr unvollkommnen Grade erfahren würde; und daß diese allein von der Empfindung des Herzens jenen wunderbaren Reiz erhalte, welcher immer für unaussprechlich gehalten worden ist, bis Rousseau, der Stoiker, sich herabgelassen, sie in dem fünf und vierzigsten der Briefe der neuen Heloise, in einer Vollkommenheit zu schildern, welche sehr deutlich beweist, was für eine begeisternde Kraft die bloße halberloschene Erinnerung an die Erfahrungen seiner glücklichen Jugend über die Seele des Helvetischen Epictets ausgeübt haben müsse. Ohne Zweifel sind es Liebhaber von dieser Art, Saint Preux und Agathons, welchen es zukömmt, über die berührte Streitfrage einen entscheidenden Ausspruch zu tun; sie, welche durch die Feinheit und Lebhaftigkeit ihres Gefühls eben so geschickt gemacht werden, von den physikalischen, als durch die Zärtlichkeit ihres Herzens, oder durch ihren innerlichen Sinn für das sittliche Schöne, von den moralischen Vergnügungen der Liebe zu urteilen. Und wie wahr, wie natürlich werden nicht diese jene Stelle finden, die den Verehrern der animalischen Liebe unverständlicher ist als eine Hetruscische Aufschrift den Gelehrten, – »O, entziehe mir immer diese berauschenden Entzückungen, für die ich tausend Leben gäbe! – Gib mir nur das alles wieder was nicht sie, aber tausendmal süßer ist als sie« –
Die schöne Danae war so sinnreich, so unerschöpflich in der Kunst (wenn man anders dasjenige so nennen kann, was Natur und Liebe allein, und keine ohne die andre geben kann) ihre Gunstbezeugungen zu vervielfältigen, den innerlichen Wert derselben durch die Annehmlichkeiten der Verzierung zu erhöhen, ihnen immer die frische Blüte der Neuheit zu erhalten, und alles Eintönige, alles was die Bezauberung hätte auflösen, und dem Überdruß den Zugang öffnen können, klüglich zu entfernen; daß sie oder eine andre ihres gleichen den Herrn von Büffon selbst dahin gebracht hätte, seine Gedanken von der Liebe zu ändern, welches vielleicht alle Marquisinnen von Paris zusammengenommen nicht von ihm erhalten würden. Diese glückseligen Liebenden brauchten, um ihrer Empfindung nach, den Göttern an Wonne gleich zu sein, nichts als ihre Liebe: Sie verschmähten itzt alle diese Lustbarkeiten, an denen sie vorher so viel Geschmack gefunden hatten; ihre Liebe machte alle ihre Beschäftigungen und alle ihre Ergötzungen aus: Sie empfanden nichts anders, sie dachten an nichts anders, sie unterhielten sich mit nichts anderm; und doch schienen sie sich immer zum erstenmal zu sehen, zum erstenmal zu umarmen, zum erstenmal einander zu sagen, daß sie sich liebten; und wenn sie von einer Morgenröte zur andern nichts anders getan hatten, so beklagten sie sich doch über die Kargheit der Zeit, welche zu einem Leben, das sie zum Besten ihrer Liebe unsterblich gewünscht hätten, ihnen Augenblicke für Tage anrechne. »Welch ein Zustand, wenn er dauern könnte!« – ruft hier der griechische Autor aus.