Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Eilftes Kapitel

Eine bemerkenswürdige Würkung der Liebe, oder von der Seelenmischung

Ein alter Schriftsteller, den gewiß niemand beschuldigen wird, daß er die Liebe zu metaphysisch behandelt habe, und den wir nur zu nennen brauchen, um allen Verdacht dessen, was materielle Seelen für Platonische Grillen erklären, von ihm zu entfernen; mit einem Worte, Petronius, bedient sich irgendwo eines Ausdrucks, welcher ganz deutlich zu erkennen gibt, daß er eine verliebte Vermischung der Seelen nicht nur für möglich, sondern für einen solchen Umstand gehalten habe, der die Geheimnisse der Liebesgöttin natürlicher Weise zu begleiten pflege. Jam alligata mutuo ambitu corpora animarum quoque mixturam fecerant, sagt dieser Oberaufseher der Ergötzlichkeiten des Kaisers Nero; um vermutlich eben dasselbe zu bezeichnen, was er an einem andern Ort ungleich schöner also ausdrückt:

Et transfudimus hinc & hinc labellis
Errantes animas –

Ob er selbst die ganze Stärke dieses Ausdrucks eingesehen, oder ihm so viel Bedeutung beigelegt habe, als wir; ist eine Frage, die uns (nach Gewohnheit der meisten Ausleger) sehr wenig bekümmert. Genug, daß wir diese Stellen einer Hypothese günstig finden, ohne welche sich, unsrer Meinung nach, verschiedene Phänomena der Liebe nicht wohl erklären lassen, und vermöge welcher wir annehmen, daß bei wahren Liebenden, in gewissen Umständen, nicht (wie einer unsrer tugendhaftesten Dichter meint) ein Tausch, sondern eine würkliche Mischung der Seelen vorgehe. Wie dieses möglich sei zu untersuchen, überlassen wir billig den weisen und tiefsinnigen Leuten, welche sich, in stolzer Muße und seliger Abgeschiedenheit von dem Getümmel dieser sublunarischen Welt, mit der nützlichen Spekulation beschäftigen, die Art und Weise ausfindig zu machen, wie dasjenige was würklich ist, ohne Nachteil ihrer Meinungen und Lehrgebäude, möglich sein könne. Für uns ist genug, daß eine durch unzähliche Beispiele bestätigte Erfahrung außer allen Zweifel setzt, daß diejenige Gattung von Liebe, welche Shaftesbury mit bestem Recht zu einer Art des Enthusiasmus macht, und gegen welche Lucrez aus eben diesem Grunde sich mit so vielem Eifer erklärt, solche Würkungen hervorbringe, welche nicht besser als durch jenen Petronischen Ausdruck abgemalt werden können.

Agathon und Danae, die uns zu dieser Anmerkung Anlaß gegeben haben, hatten kaum vierzehn Tage, welche freilich nach dem Kalender der Liebe nur vierzehn Augenblicke waren, in diesem glückseligen Zustande, worin wir sie im vorigen Kapitel verlassen haben, zugebracht: als diese Seelenmischung sich in einem solchen Grade bei ihnen äußerte, daß sie nur von einer einzigen gemeinschaftlichen Seele belebt und begeistert zu werden schienen. Würklich war die Veränderung und der Absatz ihrer gegenwärtigen Art zu sein, mit ihrer vorigen so groß, daß weder Alcibiades seine Danae, noch die Priesterin zu Delphi den spröden und unkörperlichen Agathon wieder erkannt haben würden. Daß dieser aus einem spekulativen Platoniker ein praktischer Aristipp geworden; daß er eine Philosophie, welche die reinste Glückseligkeit in Beschauung unsichtbarer Schönheiten setzt, gegen eine Philosophie, welche sie in angenehmen Empfindungen, und die angenehmen Empfindungen in ihren nächsten Quellen, in der Natur, in unsern Sinnen und in unsern Herzen sucht, vertauschte; daß er von den Göttern und Halbgöttern, mit denen er vorher umgegangen war, nur die Grazien und Liebesgötter beibehielt; daß dieser Agathon, der ehmals von seinen Minuten, von seinen Augenblicken der Weisheit Rechenschaft geben konnte, itzt fähig war (wir schämen uns es zu sagen) ganze Stunden, ganze Tage in zärtlicher Trunkenheit wegzutändeln – Alles dieses, so stark der Abfall auch ist, wird dennoch den meisten begreiflich scheinen. Aber daß Danae, welche die Schönsten und Edelsten von Asien, welche Fürsten und Satrapen zu ihren Füßen gesehen hatte, welche gewohnt war, in den schimmerndsten Versammlungen am meisten zu glänzen, einen Hof von allem, was durch Vorzüge der Geburt, des Geistes, des Reichtums und der Talente würdig war, nach ihrem Beifall zu streben, um sich her zu sehen: Daß diese Danae itzt verächtliche Blicke in die große Welt zurückwarf, und nichts angenehmers fand als die ländliche Einfalt, nichts schöners als in Hainen herumzuirren, Blumenkränze für ihren Schäfer zu winden, an einer murmelnden Quelle in seinem Arm einzuschlummern, von der Welt vergessen zu sein, und die Welt zu vergessen – daß sie, für welche die Liebe der Empfindung sonst ein unerschöpflicher Gegenstand von witzigen Spöttereien gewesen war, itzt von den zärtlichen Klagen der Nachtigall in stillheitern Nächten bis zu Tränen gerührt werden – oder wenn sie ihren Geliebten unter einer schattichten Laube schlafend fand, ganze Stunden, unbeweglich, in zärtliches Staunen und in den Genuß ihrer Empfindungen versenkt, neben ihm sitzen konnte, ohne daran zu denken, ihn durch einen eigennützigen Kuß aufzuwecken, – daß diese Schülerin des Hippias, welche gewohnt gewesen war, nichts lächerlichers zu finden, als die Hoffnung der Unsterblichkeit, und diese süßen Träume von bessern Welten, in welche sich empfindliche Seelen so gerne zu wiegen pflegen – daß sie itzt, beim dämmernden Schein des Monds, an Agathons Seite auf Blumen hingegossen, schon entkörpert zu sein, schon in den seligen Tälern des Elysiums zu schweben glaubte – mitten aus den berauschenden Freuden der Liebe sich zu Gedanken von Gräbern und Urnen verlieren, dann ihren Geliebten zärtlicher an ihre Brust drückend den gestirnten Himmel anschauen, und ganze Stunden von der Wonne der Unsterblichen, von unvergänglichen Schönheiten und himmlischen Welten phantasieren konnte, und, von den Wünschen ihrer grenzenlosen Liebe getäuscht, in der Hoffnung einer immerwährenden Dauer itzt so wenig Ausschweifendes fand, daß ihr kein Gedanke natürlicher, keine Hoffnung gewisser schien; dieses waren in der Tat Wunderwerke der Liebe, und Wunderwerke, welche nur die Liebe eines Agathons, nur jene Vermischung der Seelen, durch welche ihrer beider Denkungsart, Ideen, Geschmack und Neigungen in einander zerflossen, zuwege bringen konnte. Welches von beiden bei dieser Vermischung gewonnen oder verloren habe, wollen wir unsern Lesern zu entscheiden überlassen, von denen der zärtlichere Teil vielleicht der schönen Danae den Vorteil zuerkennen wird: Aber dieses, deucht uns, wird niemand so roh oder so stoisch sein zu leugnen, daß sie glücklich waren – felices errore suo – glücklich in dieser süßen Betörung, welcher, um dasjenige zu sein, was die Weisen schon so lange gesucht und nie gefunden haben, nichts abgeht, als daß sie (wie der griechische Autor hier abermal mit Bedauern ausruft) nicht immer währen kann.


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