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»Mein Vater hielt sich nur so lange zu Corinth auf, als es seine Geschäfte erfoderten, und eilte selbst, mich so bald es nur möglich war, in dieses Athen zu versetzen, welches sich meiner verschönernden Einbildung in einem so herrlichen Lichte darstellte. Ich gestehe dir, Danae, (und hoffe, die fromme Pflicht gegen meine Vaterstadt nicht dadurch zu beleidigen) daß der erste Anblick mit dem was ich erwartete einen starken Absatz machte. Mein Geschmack war zu sehr verwöhnt, um das Mittelmäßige, worin es auch sein möchte, erträglich zu finden; er wollte gleichsam alles in diese feine Linie eingeschlossen sehen, in welcher das Erhabene mit dem Schönen zusammenfließt; und wenn er diese Vollkommenheit an einzelnen Teilen gewahr wurde, so wollte er, daß alle zusammenstimmen, und ein sich selbst durchaus ähnliches, symmetrisches Ganzes ausmachen sollten. Von diesem Grade der Schönheit war Athen, so wie vielleicht eine jede andere Stadt in der Welt, noch weit entfernt; indessen hatte sie doch der gute Geschmack und die Verschwendung des Pericles, mit Hülfe der Phidias, der Alcamenen, und andrer großer Meister, in einen solchen Stand gestellt, daß sie mit den prächtigsten Städten des politesten Teils der Welt um den Vorzug streiten konnte; und ich hielt mit Recht davor, daß die Ergänzung und Vollendung dessen, was ihr von dieser Seite noch abging, der leichteste Teil meiner Entwürfe, und eine natürliche Folge derjenigen Veranstaltungen sein werde, welche sie, meiner Einbildung nach, zum Mittelpunkt der Stärke, und der Reichtümer des ganzen Erdbodens machen sollten.
Sobald wir in Athen angekommen waren, ließ mein Vater seine erste Sorge sein, mich auf eine gesetzmäßige und öffentliche Art für seinen Sohn erkennen, und unter die Atheniensischen Bürger aufnehmen zu lassen. Dieses machte mich eine Zeit lang zu einem Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. Die Athenienser sind, wie dir nicht unbekannt ist, mehr als irgend ein anders Volk in der Welt geneigt, sich plötzlich mit der äußersten Lebhaftigkeit für oder wider etwas einnehmen zu lassen. Ich hatte das Glück, ihnen beim ersten Anblick zu gefallen; die Begierde mich zu sehen, und Bekanntschaft mit mir zu machen, wurde eine Art von epidemischer Leidenschaft unter Jungen und Alten; jene machten in kurzem einen glänzenden Hof um mich, und diese faßten Hoffnungen von mir, welche mich, ohne es an mir selbst gewahr zu werden, mit einem geheimen Stolz erfüllten, und die allzuhochfliegende Meinung, die ich ohnehin geneigt war, von meiner Bestimmung zu fassen, bestätigten. Dieser subtile Stolz, der sich hinter meinen besten Neigungen und tugendhaftesten Gesinnungen verbarg, und dadurch meinem Bewußtsein sich entzog, benahm mir nichts von einer Bescheidenheit, wodurch ich vor den meisten jungen Leuten meiner Gattung mich zu unterscheiden schien; und ich gewann dadurch, nebst der allgemeinen Achtung des geringern Teils des Volkes, den Vorteil, daß die Vornehmsten, die Weisesten und Erfahrensten mich gerne um sich haben mochten, und mir durch ihren Umgang eine Menge besondere Kenntnisse mitteilten, welche mir bei meinem frühzeitigen Auftritt in der Republik sehr wohl zu statten kamen. Die Reinigkeit meiner Sitten, der gute Gebrauch, den ich von meiner Zeit machte, der Eifer, womit ich mich zum künftigen Dienst meines Vaterlandes vorbereitete, die fleißige Besuchung der Gymnasien, und der Preis, den ich in den Übungen von den mehresten meines Alters davon trug: Alles dieses vereinigte sich, das günstige Vorurteil zu unterhalten, welches man einmal für mich gefaßt hatte; und da mir noch die Verdienste meines Vaters, und einer langen Reihe von Voreltern den Weg zur Republik bahnten; so ist es nicht zu verwundern, daß ich in einem Alter, worin die meisten Jünglinge nur mit ihren Vergnügungen beschäftiget sind, den Mut hatte, in den öffentlichen Versammlungen aufzutreten, und das Glück, mit einem Beifall aufgenommen zu werden, welcher mich in Gefahr setzte, eben so schnell, als ich empor gehoben wurde, so wohl durch meine eigene Vermessenheit, als durch den Neid meiner Nebenbuhler wieder gestürzt zu werden.
Die Beredsamkeit ist in Athen, und in allen Freistaaten, wo das Volk Anteil an der öffentlichen Verwaltung hat, der nächste Weg zu Ehrenstellen, und das gewisseste Mittel sich auch ohne dieselben Ansehen und Einfluß zu verschaffen. Ich ließ es mir also sehr angelegen sein, die Geheimnisse einer Kunst zu studieren, von deren Ausübung und dem Grade der Geschicklichkeit, den ich mir darin erwerben würde, die glückliche Ausführung aller meiner Entwürfe abzuhangen schien. Denn wenn ich bedachte, wozu Perikles und Alcibiades die Athenienser zu bereden gewußt hatten: So zweifelte ich keinen Augenblick, daß ich sie mit einer gleichen Geschicklichkeit zu Maßnehmungen würde überreden können, welche, außerdem, daß sie an sich selbst edler waren, zu weit glänzendern Vorteilen führten, ohne so ungewiß und gefährlich zu sein. In dieser Absicht besuchte ich die Schule des Platons, welcher damals zu Athen in seinem größesten Ansehen stund, und indem er die Weisheit des Socrates mit der Beredsamkeit eines Gorgias und Prodicus vereinigte, nach dem Urteil meiner alten Freunde, weit geschickter, als diese Wortkünstler, war, einen Redner zu bilden, der vielmehr durch die Stärke der Wahrheit, als durch die Blendwerke und Kunstgriffe einer hinterlistigen Dialektik sich die Gemüter seiner Zuhörer unterwerfen wollte. Der vertrautere Zutritt, den mir dieser berühmte Weise vergönnte, entdeckte eine Übereinstimmung meiner Denkungsart mit seinen Grundsätzen, welche die Freundschaft, die ich für ihn faßte, in eine fast schwärmerische Leidenschaft verwandelte. Sie würde mir schädlich gewesen sein, wenn man damals schon so von ihm gedacht hätte, wie man dachte, nachdem er, durch die Bekanntmachung seiner metaphysischen Dialogen, bei den Staatsleuten, und selbst bei vielen, welche seine Bewundrer gewesen waren, den Vorwurf, welchen Aristophanes ehemals (wiewohl höchst unbillig) dem weisen Socrates gemacht, sich mit besserm Grund oder mehr Scheinbarkeit zugezogen hatte. Aber damals hatte Plato weder seinen ›Timäus‹ noch seine ›Republik‹ geschrieben. Indessen existierte diese letztere doch bereits in seinem Gehirne; sie gab sehr oft den Stoff zu unsern Gesprächen in den Spaziergängen der Akademie ab; und er bemühete sich desto eifriger, mir seine Begriffe von der besten Art, die menschliche Gesellschaft einzurichten, und zu regieren, eigen zu machen, da er das Vergnügen zu haben hoffte, sie wenigstens in so fern es die Umstände zulassen würden, durch mich realisiert zu sehen. Sein Eifer in diesem Stücke mag so groß gewesen sein, als er will, so war er doch gewiß nicht größer, als meine Begierde, dasjenige auszuüben, was er spekulierte. Allein, da meine Vorstellung von der Wichtigkeit der Pflichten, welche derjenige auf sich nimmt, der sich in die öffentlichen Angelegenheiten mischet, der Lauterkeit und innerlichen Güte meiner Absichten proportioniert war, und ich desto weiter von Ehrsucht, und andern eigennützigen Leidenschaften entfernt zu sein glaubte, je gewisser ich mir bewußt war, daß ich (wenn ich es für erlaubt gehalten hätte, mich in der Wahl einer Lebensart bloß meiner Privatneigung zu überlassen,) eine von dem Städtischen Getümmel entfernte Muße, und den Umgang mit den Musen, die ich alle zugleich liebte, der Ehre, eine ganze Welt zu beherrschen, vorgezogen hätte: So glaubte ich mich nicht genug vorbereiten zu können, eh ich auf einem Theater erschiene, wo der erste Auftritt gemeiniglich das Glück des ganzen Schauspiels entscheidet. Ich widerstund bei etlichen Gelegenheiten, welche mich aufzufodern schienen, so wohl dem Zudringen meiner Freunde, als meiner eigenen Neigung, ob es gleich, seit dem Alcibiades mit so gutem Erfolg den Anfang gemacht hatte, nicht an jungen Leuten fehlte, welche, ohne sich durch andre Talente, als die Geschicklichkeit ein Gastmahl anzuordnen, sich zierlich zu kleiden, zu tanzen, und die Cithar zu spielen, bekannt gemacht zu haben, vermessen genug waren, nach einer durchgeschwärmten Nacht aus den Armen einer Buhlerin in die Versammlung des Volks zu hüpfen, und von Salben triefend mit einer tändelhaften Geschwätzigkeit von den Gebrechen des Staats, und den Fehlern der öffentlichen Verwaltung zu plaudern.
Endlich ereignete sich ein Fall, wo das Interesse eines Freundes, den ich vorzüglich liebte, alle meine Bedenklichkeiten überwog. Eine mächtige Kabale hatte seinen Untergang geschworen; er war unschuldig; aber die Anscheinungen waren gegen ihn; die Gemüter waren wider ihn eingenommen; und die Furcht, sich den Unwillen seiner Feinde zu zuziehen, hielt die wenigen, welche besser von ihm dachten, zurück, sich seiner öffentlich anzunehmen. In diesen Umständen stellte ich mich als sein Verteidiger dar. Da ich von seiner Unschuld überzeugt war, so würkten alle diese Betrachtungen, wodurch sich seine übrigen Freunde abschrecken ließen, bei mir gerade das Widerspiel. Ganz Athen wurde aufmerksam, da es bekannt wurde, daß Agathon, des Stratonicus Sohn, auftreten würde, die Sache des schon zum voraus verurteilten Lysias zu führen. Die Zuneigung, welche das Volk zu mir trug, veränderte auf einmal die Meinung, die man von dieser Sache gefaßt hatte; die Athenienser fanden eine Schönheit, von der sie ganz bezaubert waren, in der Großmut und Herzhaftigkeit, womit ich (wie sie sagten) mich für einen Freund erklärte, den alle Welt verlassen und der Wut und Übermacht seiner Feinde preis gegeben hatte. Man tat nun die eifrigsten Gelübde, daß ich den Sieg davon tragen möchte, und der Enthusiasmus, womit einer den andern ansteckte, wurde so groß, daß die Gegenpartei sich genötigt sah, den Tag der Entscheidung so weit hinauszusetzen, als sie für nötig hielten, um die erhitzten Gemüter sich wieder abkühlen zu lassen. Sie sparten inzwischen keine Kunstgriffe, wodurch sie sich des Ausgangs zu versichern glaubten; allein der Erfolg vereitelte alle ihre Maßnehmungen. Die Zujauchzungen, womit ich von einem großen Teil des Volkes empfangen wurde, munterten mich auf; ich sprach mit einem gesetztern Mut, als man sonst von einem jungen Menschen erwarten konnte, der zum ersten mal vor einer so zahlreichen Versammlung redete; und vor einer Versammlung, wo der geringste Handwerksmann sich für einen Kenner und rechtmäßigen Richter der Beredsamkeit hielt. Die Wahrheit tat auch hier die Würkung, die sie alle mal tut, wenn sie in ihrem eigenen Lichte und mit derjenigen Lebhaftigkeit, welche die eigene Überzeugung des Redners gibt, vorgetragen wird; sie überwältigte alle Gemüter. Lysias wurde losgesprochen, und Agathon, der nunmehr der Held der Athenienser war, im Triumph nach Hause begleitet. Von dieser Zeit erschien ich öfters in den öffentlichen Versammlungen; die Leidenschaft, welche das Volk für mich gefaßt hatte, und der Beifall, der mir, wenn ich redete, entgegen flog, machten mir Mut, nun auch an den allgemeinen Angelegenheiten Teil zu nehmen; und da das Glück beschlossen zu haben schien, mich nicht eher zu verlassen, bis es mich auf den Gipfel der Republikanischen Größe erhoben haben würde; so machte ich auch in dieser neuen Lauf-Bahn so schnelle Schritte, daß in kurzem die Gunst, worin ich bei dem Volk stund, das Ansehen der Mächtigsten zu Athen im Gleichgewicht erhielt; und daß meine heimlichen Feinde selbst, um dem Volk angenehm zu sein, genötigt waren, öffentlich die Zahl meiner Bewunderer zu vermehren. Der Tod meines Vaters, der um diese Zeit erfolgte, beraubte mich eines Freundes und Führers, dessen Klugheit mir in dem gefahrvollen Ozean des politischen Lebens unentbehrlich war. Ich wurde dadurch in den Besitz der großen Reichtümer gesetzt, mit denen er nur dadurch dem Neid entgangen war, weil er sie mit großer Bescheidenheit gebrauchte. Ich war nicht so vorsichtig. Der Gebrauch, den ich davon machte, war zwar an sich selbst edel und löblich; ich verschwendete sie, um Gutes zu tun; ich unterstützte alle Arten von Bürgern, welche ohne ihre Schuld in Unglück geraten waren; mein Haus war der Sammel-Platz der Gelehrten, der Künstler und der Fremden; mein Vermögen stund jedem zu Diensten, der es benötigt war: aber eben dieses war es, was in der Folge meinen Fall beförderte. Man würde mir eher zu gut gehalten haben, wenn ich es mit Gastmählern, mit Buhlerinnen und mit einer immerwährenden Abwechslung prächtiger und ausschweifender Lustbarkeiten durchgebracht hätte. Indes stund es eine geraume Zeit an, bis die Eifersucht, welche ich durch eine solche Lebens-Art in den Gemütern der Angesehensten unter den Edeln zu Athen erregte, es wagen durfte, in sichtbare Würkungen auszubrechen. Das Volk, welches mich vorhin geliebet hatte, fing nun an, mich zu vergöttern. Der Ausdruck, den ich hier gebrauche, ist nicht zu stark; denn da ein gewisser Dichter, der sich meines Tisches zu bedienen pflegte, sich einst einfallen ließ, in einem großen und elenden Gedicht mir den Apollo zum Vater zu geben, so fand diese mir selbst lächerliche Schmeichelei bei dem Pöbel (dem ohnehin das Wunderbare allemal besser als das Natürliche einleuchtet) so großen Beifall, daß sich nach und nach eine Art von Sage unter dem Volk befestigte, welche meiner Mutter die Ehre beilegte, den Gott zu Delphi für ihre Reizungen empfindlich gemacht zu haben. So ausschweifend dieser Wahn war, so wahrscheinlich schien er meinen Gönnern aus der untersten Klasse; dadurch allein glaubten sie die mehr als menschliche Vollkommenheiten, die sie mir zuschrieben, erklären, und die ungereimten Hoffnungen, welche sie sich von mir machten, rechtfertigen zu können. Denn das Vorurteil des großen Haufens ging weit genug, daß viele öffentlich sagten, Athen könne durch mich allein zur Gebieterin des ganzen Erdbodens gemacht werden, und man könne nicht genug eilen, mir eine einzelne und unumschränkte Gewalt zu übertragen, von welcher sie sich nichts geringers als die Wiederkehr der göldenen Zeit, die gänzliche Aufhebung des verhaßten Unterscheids zwischen Armen und Reichen, und einen seligen Müßiggang mitten unter allen Wollüsten und Ergötzlichkeiten des Lebens versprachen. Bei diesen Gesinnungen, womit in größerm oder kleinerm Grade der Schwärmerei das ganze Volk zu Athen für mich eingenommen war, brauchte es nur eine Gelegenheit, um sie dahin zu bringen, die Gesetze selbst zu Gunsten ihres Lieblings zu überspringen. Diese zeigte sich, da Euböa und einige andre Insuln sich des ziemlich harten Joches, welches ihnen die Athenienser aufgelegt hatten, zu entledigen, einen Aufstand erregten, worin sie von den Spartanern heimlich unterstützt wurden. Man konnte (diejenige Theorie, welche man zu Hause erwerben kann, ausgenommen) des Kriegs-Wesens nicht unerfahrner sein, als ich es war. Ich hatte das Alter noch nicht erreicht, welches die Gesetze zu Bekleidung eines öffentlichen Amts erfoderten; wir hatten keinen Mangel an geschickten und geübten Kriegs-Leuten; ich selbst wandte alles Ansehen, das ich hatte, an, um einen davon, den ich, seines moralischen Charakters wegen, vorzüglich hoch schätzte, zum Feld-Herrn gegen die Empörten erwählen zu machen; aber das alles half nichts gegen die warme Einbildungs-Kraft des lebhaftesten und leichtsinnigsten Volks in der Welt. Agathon, welchem man alle Talente zutraute, und von welchem man sich berechtigt hielt, Wunder zu erwarten, – war allein tauglich, die Ehre des Atheniensischen Namens zu behaupten, und die hochfliegenden Träume der politischen Müßiggänger zu Athen, welche bei diesem Anlaß in die Wette eiferten, wer die lächerlichsten Projekte machen könne, in die Würklichkeit zu setzen. Diese Art von Leuten war so geschäftig, daß es ihnen gelang, den größesten Teil ihrer Mitbürger mit ihrer Torheit anzustecken. Jede Nachricht, daß sich wieder eine andere Insul aufzulehnen anfange, verursachte eine allgemeine Freude; man würde es gerne gesehen haben, wenn das ganze Griechenland an dieser Sache Anteil genommen hätte; auch fehlte es nicht an Zeitungen, welche das Feuer größer machten, als es war, und endlich so gar den König von Persien in den Aufstand von Euböa verwickelten, um dem Agathon einen desto größern Schau-Platz zu geben, die Athenienser durch Heldentaten zu belustigen und durch Eroberungen zu bereichern. Ich wurde also (so sehr ich mich entgegensträubte) mit unumschränkter Gewalt über die Armee, über die Flotten, und über die Schatz-Kammer, zum Feld-Herrn gegen die abtrünnigen Insuln ernannt; und da ich nun einmal genötigt war, dem Eigensinn meiner Mitbürger nachzugeben, so entschloß ich mich, es mit einer guten Art zu tun, und die Sache von derjenigen Seite anzusehen, welche mir eine erwünschte Gelegenheit zu geben schien, den Anfang zur Ausführung meiner eigenen Entwürfe zu machen. Da ich wußte, daß die Insulaner gerechte Klagen gegen Athen zu führen hatten, und eine Regierung nicht lieben konnten, von der sie unterdrückt, ausgesogen, und mit Füßen getreten wurden; so gründete ich meinen ganzen Plan ihrer Beruhigung und Wiederbringung auf den Weg der Güte, auf Abstellung der Mißbräuche, wodurch sie erbittert worden waren, auf eine billige Mäßigung der Abgaben, welche man gegen ihre Freiheiten und über ihr Vermögen, von ihnen erpreßt hatte; und auf ihre Wiedereinsetzung in alle Rechte und Vorteile, deren sie sich als Griechen und als Bunds-Genossen, vermöge vieler besondern Verträge, zu erfreuen haben sollten. Allein ehe ich von Athen abreisen konnte, war es um so nötiger, die Gemüter vorzubereiten und auf einen Ton zu stimmen, der mit meinen Grund-Sätzen und Absichten übereinkäme, da ich sahe, wie lebhaft die ausschweifenden Projekte, womit die Eitelkeit des Alcibiades sie ehemals bezaubert hatte, bei dieser Gelegenheit wieder aufgewacht waren. Ich versammelte also das Volk, und wandte alle Kräfte der Rede-Kunst, welche bei keinem Volk der Welt so viel vermag, als bei den Atheniensern, dazu an, sie von der Gründlichkeit meiner Entwürfe zu überzeugen, von welchen ich sie so viel sehen ließ, als zu Erreichung meiner Absicht nötig war. Nachdem ich ihnen die Größe und den Flor, wozu die Republik, vermöge ihrer natürlichen Vorteile und innerlichen Stärke, gelangen könne, mit den reizendesten Farben abgemalt hatte; bemühte ich mich zu beweisen, daß weitläufige Eroberungen, außer der Gefahr, womit sie durch die Unbeständigkeit des Kriegs-Glücks verbunden seien, den Staat endlich notwendiger Weise unter der Last ihrer eigenen Größe erdrücken müßten; daß es einen weit sicherern und kürzern Weg gebe, Athen zur Königin des Erdbodens zu machen, indem etwas unleugbares sei, daß allezeit diejenige Nation den Übrigen Gesetze vorschreiben werde, welche zu gleicher Zeit die klügste und die reichste sei; daß der Reichtum allezeit Macht gebe, so wie die Klugheit den rechten Gebrauch der Macht lehre; daß Athen in beidem allen andern Völkern überlegen sein werde, wenn sie auf der einen Seite fortfahre, die Pfleg-Mutter der Wissenschaften und aller nützlichen und schönen Künste zu sein; auf der andern aber alle ihre Gedanken darauf richte, sich in der Herrschaft über das Meer fest zu setzen; nicht in der Absicht Eroberungen zu machen, sondern sich in eine solche Achtung bei den Auswärtigen zu setzen, daß jedermann ihre Freundschaft suche, und niemand es wagen dürfe, ihren Unwillen zu reizen; daß für einen am Meer gelegenen Frei-Staat ein gutes Vernehmen mit allen übrigen Völkern, und eine so weit als nur möglich ausgebreitete Handlung, der natürliche und unfehlbare Weg sei, nach und nach zu einer Größe zu gelangen, deren Ziel nicht abzusehen sei; daß aber hiezu die Erhaltung seiner eigenen Freiheit, und zu dieser die Freiheit aller übrigen, sonderheitlich der benachbarten, oder wenigstens ihre Erhaltung bei ihrer alten und natürlichen Form und Verfassung, nötig sei; daß Bündnisse mit seinen Nachbarn, und eine solche Freundschaft, wobei der andere eben so wohl seinen Vorteil finde, als wir den unsrigen, einem solchen Staat weit mehr Macht, Ansehen und Einfluß auf die allgemeine Verfassung des politischen Systems der Welt geben müßten, als die Unterwerfung derselben, weil ein Freund allezeit mehr wert sei, als ein Sklave; daß die Gerechtigkeit der einzige Grund der Macht und Dauer eines Staats, so wie das einzige Band der Gesellschaft zwischen einzelnen Menschen und ganzen Nationen, sei; daß diese Gerechtigkeit fodre, eine jede politische Gesellschaft (sie möge groß oder klein sein) als unsers gleichen anzusehen, und ihr eben die Rechte zu zugestehen, welche wir für uns selbst foderten; daß ein nach diesen Grund-Sätzen eingerichtetes Betragen das gewisseste Mittel sei, sich ein allgemeines Zutrauen zu erwerben, und anstatt einer gewaltsamen, und mit allen Gefahren der Tyrannie verknüpften Oberherrschaft eine freiwillig eingestandene Autorität zu behaupten, welche in der Tat von allen Vorteilen der erstern begleitet sei, ohne die verhaßte Gestalt und schlimmen Folgen derselben zu haben. Nachdem ich alle diese Wahrheiten in ihrer besondern Anwendung auf Griechenland und Athen, in das stärkste Licht gesetzt, und bei dieser Gelegenheit die Torheit der Projekte des Alcibiades und andrer ehrsüchtiger Schwindelköpfe ausführlich erwiesen hatte: Bemühte ich mich darzutun, daß der Aufstand der Inseln, welche bisher unter dem Schutz der Athenienser gestanden, in neuerlichen Zeiten aber durch Schuld einiger böser Ratgeber der Republik, als unterworfene Sklaven behandelt worden seien, die glücklichste Gelegenheit anbiete, auf der einen Seite das ganze Griechenland von der gerechten und edelmütigen Denkungsart der Athenienser zu überzeugen, auf der andern durch eine ansehnliche Vermehrung der Seemacht, wovon die Unkosten durch die größere Sicherheit und Erweiterung der Handelschaft reichlich ersetzt würden, sich in ein solches Ansehen zu setzen, daß niemand jenes gelinde und großmütige Verfahren, mit dem mindesten Schein, einem Mangel an Vermögen sich Genugtuung zu verschaffen, werde beimessen können. Ich unterstützte diese Vorschläge mit allen den Gründen, welche auf die lebhafte Einbildungskraft meiner Zuhörer den stärksten Eindruck machen konnten, und hatte das Vergnügen, daß meine Rede mit einem Beifall, der meine Erwartung weit übertraf, aufgenommen wurde. Außerdem, daß die Athenienser, ihrer Gemütsart nach, sich von Wahrheit und gesunden Grundsätzen eben so leicht einnehmen ließen, als von den Blendwerken einer falschen Staatskunst, wenn ihnen jene nur in einem eben so reizenden Licht, und mit eben so lebhaften Farben vorgetragen wurden, als sie verwöhnt worden waren, von einem jeden, der zu den öffentlichen Angelegenheiten redete, zu fodern; so waren sie gleichgültig, durch was für Mittel Athen zu derjenigen Größe gelangen möge, welche das Ziel aller ihrer Wünsche war; und ein großer Teil der Bürger, denen der Friede mehr Vorteile brachte, als der Krieg, ließen sichs vielmehr wohlgefallen, daß dieses Ziel ihrer Eitelkeit auf eine mit ihrem Privatnutzen übereinstimmigere Art erhalten werde. Meine heimlichen Feinde, welche nicht zweifelten, daß diese Expedition auf eine oder andere Art Gelegenheit zu meinem Fall geben würde, waren weit entfernt, meinen Maßnehmungen öffentlich zu widerstehen; aber (wie ich in der Folge erfuhr) unter der Hand desto geschäftiger, ihren Erfolg zu hemmen, Schwierigkeiten aus Schwierigkeiten hervor zu spinnen, und die mißvergnügten Insulaner selbst durch geheime Aufstiftungen übermütig, und zu billigen Bedingungen abgeneigt zu machen. Die Verachtung, womit man anfangs diesen Aufstand zu Athen angesehen hatte; das ansteckende Beispiel, und die Ränke andrer Griechischen Städte, welche die Obermacht der Athenienser mit eifersüchtigen Augen ansahen, hatten zu wege gebracht, daß indessen auch die Attischen Kolonien, und der größeste Teil der Bundesgenossen kühn genug worden waren, sich einer Unabhänglichkeit anzumaßen, deren schädliche Folgen sie sich selbst unter dem reizenden Namen der Freiheit verbargen; es war die höchste Zeit, einer allgemeinen Empörung und Zusammenverschwörung gegen Athen zuvorzukommen; und meine Landsleute, welche bei Annäherung einer Gefahr, die ihnen in der Ferne nur Stoff zu witzigen Einfällen und Gassenliedern gegeben hatte, sehr schnell von der leichtsinnigsten Gleichgültigkeit zu einer eben so übermäßigen Kleinmütigkeit übergingen, vergrößerten sich selbst das Übel so sehr, daß ich genötiget wurde unter Segel zu gehen, ehe die Zurüstungen noch zur Hälfte fertig waren. Ich hatte die Vorsichtigkeit gebraucht, meinen Freund, über welchen mir die Gunst des Volks einen so unbilligen Vorzug gegeben hatte, als meinen Unterbefehlshaber mitzunehmen; die Bescheidenheit, womit ich mich des Ansehens, welches mir meine Kommission über ihn gab, bediente, kam einer Eifersucht zuvor, die den Erfolg unsrer Unternehmung hätte vereiteln können; wir handelten aufrichtig, und ohne Nebenabsichten, nach einem gemeinschaftlich abgeredeten Plan, und das Glück begünstigte uns so sehr, daß in einer einzigen Expedition alle Inseln, Kolonien und Schutzverwandte der Athenienser nicht nur beruhiget, und wieder in die alte Schranken gesetzt, sondern durch die Abstellung alles dessen, wodurch sie unbilliger Weise beschweret worden waren, und durch die Bestätigung ihrer Freiheiten, die ich ihnen bewilligte, mehr als jemals geneigt gemacht wurden, die Freundschaft der Athenienser allen andern Verbindungen, die ihnen angetragen worden waren, vorzuziehen. In allem diesem folgte ich, ohne besondere Verhaltungsbefehle einzuholen, meiner eignen Denkungsart mit desto größrer Zuversicht, da ich den ehemaligen Mißvergnügten nichts zugestanden hatte, was sie nicht so wohl nach dem Naturrecht als in Kraft älterer Verträge zu fodern vollkommen berechtiget waren, hingegen durch diese Nachgiebigkeit neue und sehr beträchtliche Vorteile für die Athenienser erkaufte; Vorteile, welche dem ganzen gemeinen Wesen zuflossen, da hingegen aller Nutzen der Unterdrückung, worunter sie geseufzet hatten, lediglich in die Kassen einiger Privatleute und ehmaligen Günstlinge des Volks geleitet worden war.
Ich kehrete also mit dem Vergnügen, Gutes getan zu haben, mit dem Beifall und der lebhaftesten Zuneigung der sämtlichen Kolonien und Bundesgenossen, und mit der vollen Zuversicht, daß ich die Belohnung, die ich verdient zu haben glaubte, in der Zufriedenheit meiner Mitbürger einernten würde, an der Spitze einer dreimal stärkern Flotte, als womit ich ausgelaufen war, nach Athen zurück. Ich schmeichelte mir, daß ich mir durch eine so schleunige Beilegung einer Unruhe, welche so weitaussehend und gefährlich geschienen, einiges Verdienst um mein Vaterland erworben hätte. Ich hatte aus unsern Feinden, Freunde, und aus unsichern Untertanen, zuverlässige Bundesgenossen gemacht, deren Treu desto weniger zweifelhaft sein mußte, da ich ihre Sicherheit und ihren Wohlstand durch unzertrennliche Bande mit dem Interesse von Athen verknüpft hatte; ich hatte, des gemeinen Schatzes zu schonen, mein eignes Vermögen zugesetzt, und durch mehr als hundert ausgerüstete Galeeren, die ich von dem guten Willen der wieder beruhigten Insulaner erhalten, unsrer Seemacht eine ansehnliche Verstärkung gegeben; ich hatte das Ansehen der Athenienser befestiget, ihre Neider abgeschreckt, und ihrer Handlung einen Ruhestand verschafft, dessen Fortdauer nunmehr, wenigstens auf lange Zeiten, von ihrem eigenen Betragen abhing. Das Vergnügen, welches sich über mein Gemüt ausbreitete, wenn ich alle diese Vorteile meiner Verrichtung überdachte, war so lebhaft, daß ich über alle andere Belohnungen, außer dem Beifall und Zutrauen meiner Mitbürger, weit hinaus sah: Aber die Athenienser waren, in dem ersten Anstoß ihrer Erkenntlichkeit, keine Leute, welche Maß halten konnten. Ich wurde im Triumph eingeholt, und mit allen Arten der Ehrenbezeugungen in die Wette überhäuft; die Bildhauer mußten sich Tag und Nacht an meinen Statuen müde arbeiten; alle Tempel, alle öffentlichen Plätze und Hallen wurden mit Denkmälern meines Ruhms ausgeziert; und diejenige, welche in der Folge mit der größesten Heftigkeit an meinem Verderben arbeiteten, waren itzt die eifrigsten, übermäßige und zuvor nie erhörte Belohnungen vorzuschlagen, welche das Volk in dem Feuer seiner schwärmerischen Zuneigung gutherziger Weise bewilligte, ohne daran zu denken, daß mir diese Ausschweifungen seiner Hochachtung in kurzem von ihm selbst zu eben so vielen Verbrechen gemacht werden würden.
Da ich sahe, daß alle meine Bescheidenheit nicht zureichend war, dem überfließenden Strom der popularen Dankbarkeit Einhalt zu tun; so glaubte ich am besten zu tun, wenn ich mich eine Zeitlang von Athen entfernte, und bis die Atheniensische Lebhaftigkeit durch irgend eine neue Komödie, einen fremden Gaukler, oder eine frisch angekommene Tänzerin einen andern Schwung bekommen haben würde, auf meinem Landgut zu Corinth in Gesellschaft der Musen und Grazien einer Muße zu genießen, welche ich durch die Arbeiten eines ganzen Jahres verdient zu haben glaubte. Ich dachte wenig daran, daß ich in einer Stadt, deren Liebling ich zu sein schien, Feinde habe, die indessen, daß ich mich mit aller Sorglosigkeit der Unschuld den Vergnügungen des Landlebens, und der geselligen Freiheit überließ, einen eben so boshaften als wohlausgesonnenen Plan zu meinem Untergang anzulegen beschäftiget seien.
Alles, womit ich mir bei der schärfsten Prüfung meines öffentlichen und Privatlebens in Athen, bewußt bin, mein Unglück, wo nicht verdient, doch befödert zu haben, ist Unvorsichtigkeit, oder der Mangel an einer gewissen Republikanischen Klugheit, welche nur die Erfahrung geben kann. Ich lebte nach meinem Geschmack, und nach meinem Herzen, weil ich gewiß wußte, daß beide gut waren, ohne daran zu denken, daß man mir andre Absichten bei meinen Handlungen andichten könne, als ich wirklich hatte. Ich lebte mit einer gewissen Pracht, weil ich das Schöne liebte, und Vermögen hatte; ich tat jedermann gutes, weil ich meinem Herzen dadurch ein Vergnügen verschaffte, welches ich allen andern Freuden vorzog; ich beschäftigte mich mit dem gemeinen Besten der Republik, weil ich dazu geboren war, weil ich eine Tüchtigkeit dazu in mir fühlte, und weil ich durch die Zuneigung meiner Mitbürger in den Stand gesetzt zu werden hoffte, meinem Vaterland und der Welt nützlich zu sein. Ich hatte keine andere Absichten, und würde mir eher haben träumen lassen, daß man mich beschuldigen werde, nach der Krone des Königs von Persien, als nach der Unterdrückung meines Vaterlands zu streben. Da ich mir bewußt war niemands Haß verdient zu haben, so hielt ich einen jeden für meinen Freund, der sich dafür ausgab, um so mehr, als kaum jemand in Athen war, dem ich nicht Dienste geleistet hatte. Aus eben diesem Grunde dachte ich gleich wenig daran, wie ich mir einen Anhang mache, als wie ich die geheimen Anschläge von Feinden, welche mir unsichtbar waren, vereiteln wolle. Denn ich glaubte nicht, daß die Freimütigkeit, womit ich, ohne Galle oder Übermut, meine Meinung bei jeder Gelegenheit sagte, eine Ursache sein könne, mir Feinde zu machen. Mit einem Wort, ich wußte noch nicht, daß Tugend, Verdienste und Wohltaten gerade dasjenige sind, wodurch man gewisse Leute zu dem tödlichsten Haß erbittern kann. Eine traurige Erfahrung konnte mir allein zu dieser Einsicht verhelfen; und es ist billig, daß ich sie wert halte, da sie mir nicht weniger, als mein Vaterland, die Liebe meiner Mitbürger, meine schönsten Hoffnungen, und das glückselige Vermögen, vielen Gutes zu tun, und von niemand abzuhangen, gekostet hat.«