Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Drittes Kapitel

Geschichte der schönen Danae

Die Dame, mit welcher unsre Leser im vorigen Kapitel Bekanntschaft gemacht, hat vermutlich einem guten Teil derselben nicht so übel gefallen, daß sie nicht eine nähere Nachricht von dem Charakter und der Geschichte derselben erwarten sollten; und wir sind desto geneigter, ihrem Verlangen ein Genüge zu tun, je nötiger der Verfolg unsrer Geschichten zu machen scheint, daß der Leser in den Stand gesetzt werde, der schönen Danae Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Die allgemeine Meinung zu Smyrna war, daß sie eine Tochter der berühmten Aspasia von Milet sei, die, nachdem sie in ihrer Vaterstadt die Kunst der Galanterie, wovon sie Profession machte, durch die Verbindung derselben mit der Philosophie und den Künsten der Musen, zu jenem Grade der Vollkommenheit erhoben hatte, der sie zur wahren Erfinderin derselben zu machen schien, nach Athen gezogen war, wo sie sich ihrer seltnen Vorzüge auf eine so kluge Art zu bedienen gewußt, daß sie sich endlich zur unumschränkten Beherrscherin des großen Perikles, der das ganze Griechenland beherrschte, oder wie die komischen Dichter ihrer Zeit sich ausdrückten, zur Juno dieses atheniensischen Jupiters erhoben hatte. Allein die Vermutungen, worauf sich diese Meinung von der Abkunft der Danae gründete, können nicht für hinlänglich angesehen werden, das Zeugnis verschiedner Geschichtschreiber zu überwägen, welche versichern, daß sie aus der Insel Scios gebürtig gewesen, und nach dem Tod ihrer Eltern, in ihrem vierzehnten Jahr mit einem Bruder nach Athen gekommen, um in dieser Stadt, worin alle angenehmen Talente willkommen waren, durch die ihrigen ihren Unterhalt zu gewinnen. Die Kunst, welche sie hier trieb, war eine Art von pantomimischen Tänzen, wozu gemeiniglich nur eine oder zwo Personen erfordert wurden, und worin die tanzende Person, nach der Modulation einer Flöte oder Leier, gewisse Stücke aus der Götter- und Heldengeschichte der Griechen, durch Gebärden und Bewegungen vorstellte. Allein, da diese Kunst wegen der Menge derer die sie trieben, nicht zureichte sie zu unterhalten, so sahe sich die junge Danae genötiget, den Künstlern zu Athen die Dienste eines Models zu tun; und erhielt dadurch außer dem Nutzen, den sie davon zog, die schmeichelnde Ehre, bald als Diana, bald als Venus auf die Altäre gestellt, die Bewunderung der Kenner und die Anbetung des Pöbels zu erhalten. Bei einer solchen Gelegenheit trug es sich zu, daß sie von dem jungen Alcibiades überraschet, und in der Stellung der Danae des Acrisius, welche sie eben vorstellte, allzureizend befunden wurde, als daß einem geringern als Alcibiades auch nur der Anblick so vieler Schönheiten erlaubt sein sollte. Auf der andern Seite wurde die junge Danae von der Figur, den Manieren, dem Stand und den Reichtümern dieses liebenswürdigen Verführers so sehr eingenommen, daß er keine große Mühe hatte, sie zu bereden sich in seinen Schutz zu begeben. Er brachte sie also in das Haus der Aspasia, welches zu gleicher Zeit eine Akademie der schönsten Geister von Athen, und eine Frauenzimmer-Schule war, worin junge Mädchen von den vorzüglichsten Gaben, unter der Aufsicht einer so vollkommnen Meisterin, eine Erziehung erhielten, welche sie zu der Bestimmung geschickt machen sollte, die Großen und die Weisen der Republik in ihren Ruhestunden zu ergötzen. Danae machte sich diese Gelegenheit so wohl zu Nutze, daß sie die Gunst, und endlich selbst die Vertraulichkeit der Aspasia erhielt, welche, weit über die Niederträchtigkeit gemeiner Seelen erhaben, sich mit so vielem Vergnügen in dieser jungen Person wieder hervorgebracht sah, daß sie dadurch zu der Vermutung Anlaß gab, deren wir bereits Erwähnung getan haben. Inzwischen genoß Alcibiades allein der Früchte einer Erziehung, wodurch die natürlichen Gaben seiner jungen Freundin zu einer Vollkommenheit entwickelt wurden, die ihr den Namen der zweiten Aspasia erwarb; und die schöne Danae legte sich selbst die Pflicht auf, eine Treue gegen ihn zu beobachten, die er nicht zu erwidern nötig fand. Da die Liebe zur Veränderung eine stärkere Leidenschaft bei ihm war, als die Liebe die ihm irgend ein Frauenzimmer einflößen konnte, so mußte auch Danae, nachdem sie sich eine geraume Zeit in dem ersten Platz bei ihm erhalten hatte, einer andern weichen, die keinen Vorzug vor ihr hatte, als daß sie ihm neu war. So schwach Danae von einer gewissen Seite sein mochte, so edel war ihr Herz in andern Stücken. Sie liebte den Alcibiades, weil sie von seiner Person und von seinen Eigenschaften bezaubert war, und dachte wenig daran, von seinen Reichtümern Vorteil zu ziehen. Sie würde also nichts von ihm übrig behalten haben, als das Andenken von dem liebenswürdigsten Mann ihrer Zeit geliebt worden zu sein; wenn er nicht eben so stolz und freigebig gewesen wäre, als sie, wider die Gewohnheit ihrer Gespielen, uneigennützig war. »Ich verlasse dich Danae«, sagte er zu ihr, »allein ich werde nicht zugeben, daß diejenige, die einst dem Alcibiades zugehörte, jemals genötiget sein soll, dem Reichsten zu überlassen, was nur dem Liebenswürdigsten gehört.« Mit diesen Worten drang er ihr eine Summe auf, die mehr als zulänglich war, sie von dieser Seite außer aller Gefahr zu setzen. Der Tod der Aspasia und die Veränderungen, die er nach sich zog, bewogen sie, wenige Jahre darauf Athen zu verlassen, und nach etlichen Begebenheiten, an denen ihr Herz keinen geringen Anteil hatte, Smyrna zu ihrem beständigen Sitz zu erwählen. Hier hatte sie Gelegenheit dem jüngern Cyrus bekannt zu werden, dessen liebenswürdige Eigenschaften durch die Feder des Xenophon eben so bekannt worden sind, als der unglückliche Ausgang der Unternehmung, wodurch er sich auf den Thron des ersten Cyrus zu schwingen hoffte. Ihr erster Anblick unterwarf ihr das Herz dieses Prinzen, der so empfindlich gegen diejenige Art von Reizungen war, wodurch sich die Schülerinnen der Aspasia von den lebenden Statuen unterschieden, die in den Morgenländern zum Vergnügen der Großen bestimmt werden, und in der Tat zu dem einzigen Gebrauch den diese von ihnen zu machen wissen, wenig Seele nötig haben. Allein so schmeichelhaft diese Eroberung für sie war, so konnte sie doch nichts bewegen, ihn nach Sardes zu begleiten, und ihre Freiheit der Ehre aufzuopfern, die erste seiner Sklavinnen zu sein. Sie blieb also in Smyrna zurück, wo sie durch die großmütige Freigebigkeit des Cyrus, der sich hierin von keinem Athenienser übertreffen lassen wollte, in den Stand gesetzt war, ihre einzige Sorge sein zu lassen, wie sie auf die angenehmste Art leben wollte. Sie bediente sich dieses Glücks, wie es der Name der zwoten Aspasia erfoderte. Ihre Wohnung schien ein Tempel der Musen und Grazien zu sein, und wenn Amor von einer so reizenden Gesellschaft nicht ausgeschlossen war, so war es jener Amor, den die Musen beim Anacreon mit Blumenkränzen binden, und der sich in dieser Gefangenschaft so wohl gefällt, daß Venus ihn vergeblich bereden will, sich in seine vorige Freiheit setzen zu lassen. Die Spiele, die Scherze und die Freuden, (wenn es uns erlaubt ist, die Sprache Homers zu gebrauchen, wo die gewöhnliche zu matt scheint), schlossen mit den lächelnden Stunden einen unauflöslichen Reihentanz um sie her, und Schwermut, Überdruß, und Langeweile waren mit allen andern Feinden der Ruhe und des Vergnügens aus diesem Wohnplatz der Freude verbannt.

Wir haben, deucht uns, schon mehr als genug gesagt, um unsre Leser in keine mittelmäßige Sorge für die Tugend unsers Helden zu setzen. In der Tat hatte er sich noch niemals in Umständen befunden, wo wir weniger hoffen dürfen, daß sie sich werde erhalten können; die Gefahr worin sie bei der üppigen Pythia, unter den rasenden Bacchantinnen und in dem Hause des weisen Hippias, welches dem Stalle der Circe so ähnlich sah, geschwebet hatte, verdient nur nicht neben derjenigen genannt zu werden, welcher wir ihn bald ausgesetzt sehen werden, und deren wir ihn gerne überhoben hätten, wenn uns die Pflichten eines Geschichtschreibers erlaubten, unsrer freundschaftlichen Parteilichkeit für ihn, auf Unkosten der Wahrheit nachzugeben.


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