Christoph Martin Wieland
Geschichte des Agathon
Christoph Martin Wieland

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Zweites Kapitel

En animam & mentem cum qua Di nocte loquantur!

»Der Priester, der sich zu meinem Mentor aufgeworfen hatte, schien über den außerordentlichen Geschmack, den ich an seinen erhabnen Unterweisungen fand, sehr vergnügt zu sein, und ermangelte nicht, meinen Enthusiasmus bis auf einen Grad zu erhöhen, welcher mich, seiner Meinung nach, alles zu glauben und alles zu leiden fähig machen müßte. Ich war zu jung und zu unschuldig, um das kleinste Mißtrauen in seine Bemühungen zu setzen, bei welchen die Aufrichtigkeit meines eignen Herzens die edelsten Absichten voraussetzte. Er hatte die Vorsicht gebraucht, es so einzuleiten, daß ich endlich aus eigner Bewegung auf die Frage geraten mußte, ob es nicht möglich sei, schon in diesem Leben mit den höhern Geistern in Gemeinschaft zu kommen? Dieser Gedanke beschäftigte mich lange bei mir selbst; ich fand möglich, was ich mit der größesten Lebhaftigkeit wünschte. Die Geschichte der ersten Zeiten schien meine Hoffnung zu bestätigen. Die Götter hatten sich den Menschen bald in Träumen, bald in Erscheinungen entdeckt; verschiedene waren so gar glücklich genug gewesen, Günstlinge der Götter zu sein. Hier kam mir Ganymed, Endymion und so viele andre zu statten, welche von Gottheiten geliebt worden waren. Ich gab demjenigen, was die Dichter davon erzählen, eine Auslegung, welche den erhabenen Begriffen gemäß war, die ich von den höhern Wesen gefasset hatte; die Schönheit und Reinigkeit der Seele, die Abgezogenheit von den Gegenständen der Sinne, die Liebe zu den unsterblichen und ewigen Dingen, schien mir dasjenige zu sein, was diese Personen den Göttern angenehm, und zu ihrem Umgang geschickt gemacht hatte. Ich entdeckte endlich dem Theogiton (so hieß der Priester) meine lange geheim gehaltene Gedanken. Er erklärte sich auf eine Art darüber, welche meine Neubegierde rege machte, ohne sie zu befriedigen; er ließ mich merken, daß dieses Geheimnisse seien, welche er Bedenken trage, meiner Jugend anzuvertrauen: Doch sagte er mir, daß die Möglichkeit der Sache keinem Zweifel unterworfen sei, und bezauberte mich ganz mit dem Gemälde, so er mir von der Glückseligkeit derjenigen machte, welche von den Göttern würdig geachtet würden, zu ihrem geheimen Umgang zugelassen zu werden. Die geheimnisvolle Miene, die er annahm, so bald ich nach den Mitteln hiezu zu gelangen fragte, bewog mich, den Vorsatz zu fassen, zu warten, bis er selbst für gut finden würde, sich deutlicher zu entdecken. Er tat es nicht; aber er machte so viele Gelegenheiten, meine erregte Neugierigkeit zu entflammen, daß ich mich nicht lange enthalten konnte, neue Fragen zu tun. Endlich führte er mich einsmals tief im geheiligten Hain des Apollo in eine Grotte, welche ein uralter Glaube der Bewohner des Landes von den Nymphen bewohnt glaubte, deren Bilder, aus Zypressenholz geschnitzt, in Blinden von Muschelwerk das Innerste der Höhle zierten.

Hier ließ er mich auf eine bemooste Bank niedersitzen, und fing nach einer viel versprechenden Vorrede an, mir, wie er sagte, das geheime Heiligtum der göttlichen Philosophie des Hermes und Orpheus aufzuschließen. Unzähliche religiose Waschungen, und eine Menge von Gebeten, Räucherungen und andre geheimen Anstalten mußten vorhergehen, einen noch in irdische Glieder gefesselten Geist zum Anschauen der himmlischen Naturen vorzubereiten. Und auch alsdenn würde unser sterblicher Teil den Glanz der göttlichen Vollkommenheit nicht ertragen, sondern (wie die Dichter unter der Geschichte der Semele zu erkennen gegeben) gänzlich davon verzehrt und vernichtet werden, wenn sie sich nicht mit einer Art von körperlichem Schleier umhüllen, und durch diese Herablassung uns nach und nach fähig machen würden, sie endlich selbst, entkörpert und in ihrer wesentlichen Gestalt anzuschauen. Ich war einfältig genug alle diese vorgegebene Geheimnisse für echt zu halten; ich hörte dem ernsten Theogiton mit einem heiligen Schauer zu, und machte mir seine Unterweisungen so wohl zu Nutze, daß ich Tag und Nacht an nichts anders dachte als an die außerordentliche Dinge, wovon ich in kurzem die Erfahrung bekommen würde.

Du kannst dir einbilden, Danae, ob meine Phantasie in dieser Zeit müßig war. Ich würde nicht fertig werden, wenn ich alles beschreiben wollte, was damals in ihr vorging, und mit welch einer Zauberei sie mich in meinen Träumen bald in die glücklichen Inseln, welche Pindar so prächtig schildert, bald zum Gastmahl der Götter, bald in die Elysischen Täler, der Wohnung seliger Schatten, versetzte.

So seltsam es klingt, so gewiß ist es doch, daß die Kräfte der Einbildung dasjenige weit übersteigen, was die Natur unsern Sinnen darstellt: Sie hat etwas glänzenders als Sonnenglanz, etwas lieblichers als die süßesten Düfte des Frühlings zu ihren Diensten, unsre innern Sinnen in Entzückung zu setzen; sie hat neue Gestalten, höhere Farben, vollkommnere Schönheiten, schnellere Veranstaltungen, eine neue Verknüpfung der Ursachen und Würkungen, eine andere Zeit – kurz, sie erschafft eine neue Natur, und versetzt uns in der Tat in fremde Welten, welche nach ganz andern Gesetzen als die unsrige regiert werden. In unsrer ersten Jugend sind wir noch zu unbekannt mit den Triebfedern unsers eignen Wesens, um deutlich einzusehen, wie sehr diese scheinbare Magie der Einbildungskraft in der Tat natürlich ist. Wenigstens war ich damals leichtgläubig genug, Träume von dieser Art, übernatürlichen Einflüssen beizumessen, und sie für Vorboten der Wunderdinge zu halten, welche ich bald auch wachend zu erfahren hoffte.

Einsmals, als ich nach der Vorschrift des Theogitons acht Tage lang mit geheimen Zeremonien und Weihungen, und in einer unablässigen Anstrengung mein Gemüt von allen äußerlichen Gegenständen abzuziehen, zugebracht hatte, und mich nunmehr berechtiget hielt, etwas mehr zu erwarten, als was mir bisher begegnet war, begab ich mich in später Nacht, da alles schlief, in die Grotte der Nymphen, und nachdem ich eine Menge von schwülstigen Liedern und Anrufungsformeln hergesagt hatte, legte ich mich, mit dem Angesicht gegen den vollen Mond gekehrt, welcher eben damals in die Grotte schien, auf die Ruhebank zurück, und überließ mich der Vorstellung, wie mir sein würde, wenn Luna aus ihrer Silbersphäre herabsteigen, und mich zu ihrem Endymion machen würde. Mitten in diesen ausschweifenden Vorstellungen, unter denen ich allmählich zu entschlummern anfing, weckte mich plötzlich ein liebliches Getön, welches in einiger Entfernung über mir zu schweben schien, und wie ich bald erkannte, aus derjenigen Art von Saitenspiel erklang, welche man dem Apollo zuzueignen pflegt. Einem natürlich gestimmten Menschen würde gedeucht haben, er höre ein gutes Stück von einer geschickten Hand ausgeführt; und so hätte er sich nicht betrügen können. Aber in der Verfassung, worin ich damals war, hätte ich vielleicht das Gequäke eines Chors von Fröschen für den Gesang der Musen gehalten. Die Musik, die ich hörte, rührte, fesselte, entzückte mich; sie übertraf, meiner eingebildeten Empfindung nach (denn die Phantasie hat auch ihre Empfindungen,) alles was ich jemals gehört hatte; nur Apollo, der Vater der Harmonie, dessen Laute die Sphären ihre Götter-vergnügende Harmonien gelehrt hatte, konnte so überirdische Töne hervorbringen. Meine Seele schien davon wie aus ihrem Leibe emporgezogen zu werden, und, lauter Ohr, über den Wolken zu schweben; als diese Musik plötzlich aufhörte, und mich in einer Verwirrung von Gedanken und Gemütsregungen zurückließ, die mir diese ganze Nacht kein Auge zu schließen, gestattete.

Des folgenden Tages erzählte ich dem Theogiton, was mir begegnet war. Er schien nichts sehr besonders daraus zu machen; doch gab er, nachdem er mich um alle Umstände befragt hatte, zu, daß es Apollo, oder eine von den Musen gewesen sein könne. Du wirst lächeln, Danae, wenn ich dir gestehe, daß ich, so jung ich war, und ohne mir selbst recht bewußt zu sein, warum? doch lieber gesehen hätte, wenn es eine Muse gewesen wäre. Ich unterließ nun keine Nacht, mich in der Grotte einzufinden, um die vermeinte Muse wieder zu hören: Aber meine Erwartung betrog mich; es war Apollo selbst. Nach etlichen Nächten, worin ich mich mit der stummen Gegenwart der Nymphen von Zypressenholz hatte begnügen müssen, kündigte mir ein heller Schein, der auf einmal in die Grotte fiel, und durch die allgemeine Dunkelheit und meinen Wahnwitz zu einem überirdischen Licht erhoben wurde, irgend eine außerordentliche Begebenheit an. Urteile, wie bestürzt ich war, als ich mitten in der Nacht, den Gott des Tages, auf einer hellglänzenden Wolke sitzend, vor mir sah, der sich mir zu lieb den Armen der schönen Thetis entrissen hatte. Goldgelbe Locken flossen um seine weißen Schultern; eine Krone von Strahlen schmückte seine Scheitel; das silberne Gewand, das ihn umfloß, funkelte von tausend Edelsteinen; und eine goldne Leier lag in seinem linken Arm. Meine Einbildung tat das übrige hinzu, was zu Vollendung einer idealischen Schönheit nötig war. Allein Bestürzung und Ehrfurcht erlaubte mir nicht, dem Gott genauer ins Gesicht zu sehen; ich glaubte geblendet zu sein, und den Glanz von Augen, welche die ganze Welt erleuchteten, nicht ertragen zu können. Er redete mich an; er bezeugte mir sein Wohlgefallen an meinem Dienst, und an der feurigen Begierde, womit ich, mit Verachtung der irdischen Dinge mich den himmlischen widmete. Er munterte mich auf, in diesem Wege fortzugehen, und mich den Einflüssen der Unsterblichen leidend zu überlassen; mit der Versicherung, daß ich bestimmt sei, die Anzahl der Glücklichen zu vermehren, welche er seiner besondern Gunst gewürdiget habe. Er verschwand, indem er diese Worte sagte, so plötzlich, daß ich nichts dabei beobachten konnte; und so voreingenommen als mein Gemüt war, hätte dieser Apollo seine Rolle viel ungeschickter spielen können, ohne daß mir ein Zweifel gegen seine Gottheit aufgestiegen wäre. Theogiton, dem ich von dieser Erscheinung Nachricht gab, wünschte mir Glück dazu, und sagte mir von den alten Helden unsrer Nation, welche einst Lieblinge der Götter gewesen, und nun als Halbgötter selbst Altäre und Priester hätten, so viel herrliche Sachen vor, als er nötig erachten mochte, meine Betörung vollkommen zu machen. Am Ende vergaß er nicht, mir Anweisung zu geben, wie ich mich bei einer zweiten Erscheinung gegen den Gott zu verhalten hätte. Insonderheit ermahnte er mich, mein Urteil über alles zurückzuhalten, mich durch nichts befremden zu lassen, und der Vorschrift unsrer Philosophie immer eingedenk zu bleiben, welche eine gänzliche Untätigkeit von uns fodert, wenn die Götter auf uns würken sollen. Man mußte so unerfahren sein, als ich war, um keine Schlange unter diesen Blumen zu merken. Nichts als die Entwicklung dieser heiligen Mummerei konnte mir die Augen öffnen. Ich konnte unmöglich aus mir selbst auf den Argwohn geraten, daß die Zuneigung einer Gottheit eigennützig sein könne. Ich hatte vielmehr gehofft, die größesten Vorteile für meine Wissens-Begierde von ihr zu ziehen, und mit mehr als menschlichen Vorzügen begabt zu werden. Die Erklärungen des Apollo befremdeten mich endlich, und seine Handlungen noch mehr; zuletzt entdeckte ich, was du schon lange vorher gesehen haben mußt, daß der vermeinte Gott kein andrer als Theogiton selber war; welcher, sobald er sein Spiel entdeckt sah, auf einmal die Sprache änderte, und mich bereden wollte, daß er diese Komödie nur zu dem Ende angestellt habe, um mich von der Eitelkeit der Theosophie, in die er mich so verliebt gesehen hätte, desto besser überzeugen zu können. Er zog die Folge daraus: Daß alles, was man von den Göttern sagte, Erfindungen schlauer Köpfe wären, womit sie Weiber und leichtgläubige Knaben in ihr Netz zu ziehen suchten; Kurz, er wandte alles an, was eine unsittliche Leidenschaft einem schamlosen Verächter der Götter eingeben kann, um die Mühe einer so wohl ausgesonnenen und mit so vielen Maschinen aufgestützten Verführung nicht umsonst gehabt zu haben. Ich verwies ihm seine Bosheit mit einem Zorne, der mich stark genug machte, mich von ihm loszureißen. Des folgenden Tags hatte er die Unverschämtheit, die priesterlichen Verrichtungen mit eben der heuchlerischen Andacht fortzusetzen, womit er mich und jeden andern bisher hintergangen hatte. Er ließ nicht die geringste Veränderung in seinem Betragen gegen mich merken, und schien sich des Vergangenen eben so wenig zu erinnern, als ob er den ganzen Lethe ausgetrunken hätte. Diese Aufführung vermehrte meine Unruhe sehr; ich konnte noch nicht begreifen, daß es Leute geben könne, welche, mitten in den Ausschweifungen des Lasters, Ruhe und Heiterkeit, die natürlichen Gefährten der Unschuld, beizubehalten wissen. Allein in weniger Zeit darauf befreite mich die Unvorsichtigkeit dieses Betrügers von den Besorgnissen, worin ich seit der Geschichte in der Grotte geschwebet hatte. Theogiton verschwand aus Delphi, ohne daß man die eigentliche Ursache davon erfuhr. Aus dem, was man sich in die Ohren murmelte, erriet ich, daß Apollo endlich überdrüssig geworden sein möchte, seine Person von einem andern spielen zu lassen. Einer von unsern Knaben, der ein Verwandter des Ober-Priesters war, hatte (wie man sagte) den Anlaß dazu gegeben.

Diese Begebenheiten führten mich natürlicher Weise auf viele neue Betrachtungen; aber meine Neigung zum Wunderbaren und meine Lieblings-Ideen verloren nichts dabei; sie gewannen vielmehr, indem ich sie nun in mich selbst verschloß, und die Unsterblichen allein zu Zeugen desjenigen machte, was in meiner Seele vorging. Ich fuhr fort, die Verbesserung derselben nach den Grundsätzen der Orphischen Philosophie mein vornehmstes Geschäfte sein zu lassen. Ich fing nun an zu glauben, daß keine andre als eine idealische Gemeinschaft zwischen den Höhern Wesen und den Menschen möglich sei; daß nichts als die Reinigkeit und Schönheit unsrer Seele vermögend sei, uns zu einem Gegenstande des Wohlgefallens jenes Unnennbaren, Allgemeinen, Obersten Geistes zu machen, von welchem alle übrige, wie die Planeten von der Sonne, ihr Licht – und die ganze Natur ihre Schönheit und unwandelbare Ordnung erhalten; und daß endlich in der Übereinstimmung aller unsrer Kräfte, Gedanken und geheimsten Neigungen mit den großen Absichten und den allgemeinen Gesetzen dieses Beherrschers der sichtbaren und unsichtbaren Welt, das wahre Geheimnis liege, zu derjenigen Vereinigung mit demselben zu gelangen, welche ich für die natürliche Bestimmung und das letzte Ziel aller Wünsche eines unsterblichen Wesens ansah. Beides, jene geistige Schönheit der Seele und diese erhabene Richtung ihrer Würksamkeit nach den Absichten des Gesetzgebers der Wesen, glaubte ich am sichersten durch die Betrachtung der Natur zu erhalten; welche ich mir als einen Spiegel vorstellte, aus welchem das Wesentliche, Unvergängliche und Göttliche in unsern Geist zurückstrahle, und ihn nach und nach eben so durchdringe und erfülle, wie die Sonne einen angestrahlten Wasser-Tropfen. Ich überredete mich, daß die unverrückte Beschauung der Weisheit und Güte, welche so wohl aus der besondern Natur eines jeden Teils der Schöpfung, als aus dem Plan und der allgemeinen Ökonomie des Ganzen hervorleuchte, das unfehlbare Mittel sei, selbst weise und gut zu werden. Ich brachte alle diese Grundsätze in Ausübung. Jeder neue Gedanke, der sich in mir entwickelte, wurde zu einer Empfindung meines Herzens; und so lebte ich in einem stillen und lichtvollen Zustand des Gemüts, dessen ich mich niemals anders als mit wehmütigem Vergnügen erinnern werde, etliche glückliche Jahre hin; unwissend (und glücklich durch diese Unwissenheit) daß dieser Zustand nicht dauern könne; weil die Leidenschaften des reifenden Alters, und (wenn auch diese nicht wären) die unvermeidliche Verwicklung in dem Wechsel der menschlichen Dinge jene Fortdauer von innerlicher Heiterkeit und Ruhe nicht gestatten, welche nur ein Anteil entkörperter Wesen sein kann.«


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