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XVII.

Um sieben Uhr wurde der Gefängnisarzt Dr. Konrad D. angerufen. Er schlief noch. Seine Flossie ging an den Apparat, eine Frauenstimme verlangte ihren Mann. Sie fragte nach dem Namen, Vera wollte ihn aber nur dem Arzte selber sagen. Als Konrad schlaftrunken an den Apparat kam, hörte er nur die Worte: »Herr Doktor, Ihr Bruder –«, dann wurde das Gespräch unterbrochen. Von der Verhaftung Rudolfs erfuhr der Arzt daher erst durch seinen Chef, den Gefängnisdirektor, nach neun Uhr.

Am nächsten Morgen wurden der Spielbankbesitzer Manfred von G. und seine Frau Vera schon in den ersten Vormittagsstunden sowohl als Belastungszeugen von der Untersuchungsbehörde als auch wegen des Rauschgifthandels von der Polizei gesucht. Man fand in der strahlend hell erleuchteten Wohnung niemanden vor. Im Laufe des Vormittags erschienen die drei Angestellten Manfreds (in den blühenden Zeiten waren es sechs bis sieben gewesen, und einer von ihnen hatte, wie es später herauskam, die Drohbriefe an Manfred geschrieben). Auch eine stundenweise bezahlte, ältliche, verhärmte Scheuerfrau trat an, wurde aber ebensowenig wie die sehr bedrückten Angestellten in die Klubräume gelassen.

Manfred und seine, jetzt nur »seine« Vera hatten längst die Stadt verlassen. Das kurze Telephongespräch mit Konrad war Veras Abschiedsgruß gewesen. Nach den ersten Worten hatte ihr Mann ihr den Hörer aus der Hand genommen, und sein Abschiedsgruß hatte Steffie gegolten. Auf dem Herde in der Küche fanden sich noch schmutzige Pfannen und Töpfe, auf den Tellern Reste der »französischen Omelette«. Dagegen waren große Mengen von Papieren verbrannt, die Kasse klaffte offen und leer, von dem Pfandbuch war nur der aus Messing bestehende Rücken und ein Teil des Deckels den Flammen entgangen. Alles, was man in der Zeit zwischen 4 Uhr morgens und 7 Uhr 45 in die Koffer hatte packen können, war fort. Bloß in der winzigen Garderobe war noch ein »Andenken« erhalten geblieben: der mißhandelte, aber sauber gebürstete Hut des verhafteten Rudolf D. Zufällig entsann sich der Kommissar des ebenso mißhandelten Taschentuches, das Manfred dem gefesselten Rudolf aus der Tasche gezogen und dann in eine Ecke auf den Teppich geworfen hatte. Man suchte es, fand es aber nicht.

Aus allem ging hervor, daß man vorderhand weder mit Manfreds Aussagen noch mit denen seiner Frau rechnen konnte. Diese zwei Menschen waren aber sehr wichtige Zeugen.

Aber wer war dieser Manfred von G.? Hieß er wirklich so? Waren seine Papiere echt? War vielleicht Chiffon sein richtiger Name? Vielleicht ja, vielleicht nein. Nachdem vor einiger Zeit die Leitung der Polizeibehörde gewechselt hatte, wurden nun die Nachforschungen ohne Rücksicht auf irgendeine Persönlichkeit, mochte sie sein, wer sie wollte, mit allem Eifer betrieben. Aber sie gestalteten sich vom ersten Morgen an schwierig und immer schwieriger. Unter anderem stellte es sich heraus, daß Manfred nicht einmal im Personenstandregister der Stadt verzeichnet war. Er mußte aber auf dem Meldeamt, das früher einmal Steffie geleitet hatte, gemeldet gewesen sein, da er doch bei seiner Verheiratung formell auf dem Standesamt aufgeboten worden war.

Steffie hatte jetzt ein anderes, viel wichtigeres Ressort inne. Er hatte wenig Zeit, sagte aber freiwillig seine Mitwirkung zu. Aber er wußte eben nichts. Hätte er sonst immer mit den Achseln gezuckt, sich niemals auf ein klares Nein oder Ja festgelegt? Er berief sich auf seine Leistungen im Kriege, tat geheimnisvoll, zuckte mit den Ohren, ließ so nebenbei die Namen verschiedener, sehr hochstehender Herren in der Verwaltung (meist noch vom alten System her) fallen. Je mehr man in ihn drängte, desto überlegener wurde er, schließlich gähnte er und sah auf seine Uhr, nestelte an den Bändchen, die er im linken Knopfloch trug neben der Plakette einer neuen vaterländischen Vereinigung. Man wußte, daß Steffie auch im jüngeren Lager einen großen Anhang hatte, man sah ihn zu oft mit jungen, hübschen, gut gewachsenen Leuten. Aber davon schwieg man, und er brachte es auch nicht zur Sprache. Um der Sache ein Ende zu machen, gab er schließlich zu, daß die Personalakten Manfreds früher einmal dagewesen sein mußten. Der neue Leiter des Fremdenamtes, ein aus dem niederen Beamtenstand hervorgegangener, kluger, aber verschüchterter Mensch, stand dabei und nickte. Steffie blickte ihn von seinem Ledersessel aus nicht an. Er kleckste in seinen dicken, etwas zu schwarzen Schnurrbart hinein: »Ja, Kamerad, zu meinen Zeiten hat es keine Beanstandung gegeben. Die Akten sind korrekt beim Dienstantritt übernommen. Restlos! Also müssen sie da sein. Suchet, so findet ihr. Übrigens, meine Herren, Sie wissen ja, wer ich bin und wo Sie mich immer finden können. Jetzt sind Sie also zufrieden? Was haben die Herren denn von mir erwartet? Es fehlt nur noch, daß man mich in eine Disziplinaruntersuchung verwickelt, man hat ja vielleicht auch einen von den neuen demokratischen Herren für meinen jetzigen Posten?« Er lächelte bitter, schwieg und brachte es dazu, daß man sich bei ihm entschuldigte. Trotzdem fiel es auf, daß er fahl geworden war und daß man ihm aus seinem Lehnstuhl hatte heraushelfen müssen. Es hieß, daß er auf seinem alten Rücken viel zu tragen habe. Aber er sprach nie darüber, und man achtete ihn, weil er sich selbst achtete.

Manfreds Akten fanden sich aber nicht, obgleich man jeden Winkel durchforschte. Bloß nebensächliche Dokumente, etwas sonderbarer Art freilich, wurden gefunden, die sich auf Manfreds »Krankheit« bezogen. Wer hatte also seine Personalakten, die verschiedenen Meldezettel eingeschlossen, beiseite geschafft? Über diese dunklen Punkte wurde man sich nicht klar. Der Rauschgifthandel? Seine Beziehungen zu Zollikofer? Seine politische Rolle, seine verschiedenartigen »Dienste und Verdienste«? Alles Fragezeichen. Dann die Pfänder! Von den Pfändern, die er genommen hatte, war nicht ein einziges mehr da. Eine reguläre Konzession hatte er niemals gehabt. Die Beamten, die bei ihm ein- und ausgegangen waren, wollten nie etwas davon bemerkt haben, daß er eine schwarze Pfandleihe betrieben habe. Seine Steuerschulden hatte er bis zum letzten Pfennig bezahlt, sogar Vorauszahlungen geleistet. Es kamen immer mehr Kunden von ihm und wollten klagen. Die Pfandzettel waren ungültig, der Aufdruck auf ihnen besagte nichts. Das Pfandbuch war verbrannt. Ob er Geld bei der Bank gehabt hatte, war nicht klar. Auf seinen Namen hatte das Konto keinesfalls gelautet. Man forschte und forschte. Die Pfandsachen gaben Anlaß zu schwierigen Verhandlungen (meist waren es sehr arme Leute), zu zeitraubenden Ermittlungen ohne Ergebnis.

Die Polizei konnte sich nichts von alledem erklären.

Aber konnte man es sich denn erklären, wie Rudolf das geworden war, was er heute war, am 17. Juni 1926?


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