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VII.

Der Verwundete schien immer mehr zu Bewußtsein zu kommen. Er fuhr sich bei geschlossenen Augen mit der linken Hand erst nach dem Knie, dann nach der Stirn. Vera holte aus ihrem Handtäschchen ein Fläschchen mit Kölnischwasser hervor, das neben kleinen roten Briefchen in der Form, wie man sie für Medizinpulver verwendet, in einer besonderen Abteilung des Täschchens untergebracht war. Sie spritzte aus dem kronenförmigen Verschluß des Fläschchens einige Tropfen auf ihre juwelengeschmückte Hand.

Als sie aber die linke blutige Handfläche vor sich sah und als sie, tief einatmend, den säuerlichen Geruch des Kölnischwassers mit dem süßlichen Blutgeruch vermischt sich ins Gesicht steigen fühlte, stöhnte sie leise klagend auf, blickte sich hilfesuchend um. Aber weder Rudolf noch Manfred waren zu sehen. Vor ihren Augen wurde es langsam, aber unabwendbar dunkel, sie sank hockend in sich zusammen. Das reizende rotblonde Köpfchen, von dem der elegante Hut längst herabgerutscht war, legte sich schief auf die zwei Händchen, mit denen sie ihre beiden Knie bedeckt hatte, wie um sie vor Frost zu schützen, und ein leichter, lösender Schauer durchlief sie von oben bis unten in einer langen Welle.

Auf ihrem schönen Schmuck brachen sich die Strahlen der rötlichen Morgensonne. Eine starke weiße Wolke legte sich über das Himmelslicht, und ein leichter, sausender, sehr frischer Wind erhob sich in den Zweigen über ihr. Die Vögel in den Zweigen zwitscherten matt und zart. Sie hörte noch, während sie das Köpfchen auf den Händen tiefer zu betten versuchte und das Zittern in ihr immer stärker wurde, das Rollen eines Autos von ferne, das Pfeifen eines Zuges, das quietschende Geräusch eines sich öffnenden Fensters, plötzlich kam ein nie gehörter, auch nicht zu beschreibender Laut, halb Rauschen, halb eine hohe, eintönige, nicht verstummende Stimme, die in ein Brausen wie von Meeresbrandung überging. Es war beruhigend und ihr war, als habe sie immer, schon seit den Schuljahren, darauf gewartet. In ihrem Munde fühlte sie etwas Süßes, wie einen Bonbon, lauwarm glitt er ihr zwischen die Lippen, auf die Zunge, als käme es aus einem anderen Munde, in einem Kuß. Sie glaubte, daß ihr Manfred, ganz in Schwarz gekleidet, neben ihr stand, dann wurde es noch tiefer dunkel, aber ihr Rudolf, nicht Manfred stand neben ihr, er versteckte sich hinter ihren langen, weichen Zöpfen, wie sie sie noch auf dem Lyzeum getragen hatte, zur Zeit, als sie beide, Manfred und ihren Rudolf, kennengelernt hatte, und die er mit seinen warmen lieben Fingern auflöste, und dann preßte er sein Gesicht an ihren Nacken, drückte ihren Kopf von rückwärts noch tiefer nieder. Ihr war wohl. Sie wußte nichts mehr von sich.

Sie sank flach auf den Boden hin, mit ihren Händen immer noch den kurzen Seidenrock über den Knien festhaltend und ohne das Kölnischwasserfläschchen aus der Hand zu lassen. Das Parfüm strömte tropfenweise aus und sammelte sich in einer winzigen hellen Lache neben der großen, blutig roten.

So fanden sie die Leute vom Polizeipräsidium, als sie im Überfallauto ankamen. Ihr Kamerad war eben aus seiner Bewußtlosigkeit ganz erwacht. Er hatte sich aufgesetzt und starrte mit verzerrtem Gesicht rings um sich. Er begann laut vor Schmerzen zu schreien. Aber die Blutung war gestillt, der Riemen, den Vera angelegt hatte, konnte bleiben, bis man den Armen im Polizeikrankenhaus eingeliefert hatte. Die Operation, die man dort sofort an ihm vornahm, rettete ihm das Leben. Ob er das Bein behalten würde, konnte man ihm, der verzweifelt die Ärzte mit seinen Armen festhalten wollte, nicht versprechen. Die Kugel hatte das Kniegelenk schwer beschädigt.


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