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Im Herbst des Jahres 1923 wurde in einer vornehmen Villengegend von B., einer großen Stadt im deutschen Osten, ein Raubmord an einem alten Kriegsindustriellen und Grundstücksmakler, Jakob Zollikofer, genannt »Rosenfinger«, verübt, wobei dem Täter oder den Tätern große Geldbeträge in fremder Währung, aber auch einige tausend Mark in der neuen Rentenmark, zahlreiche teils deutsche, teils ausländische Wertpapiere und besonders viele kostbare Schmucksachen in die Hände gefallen sein mußten. Auch ein rosafarbener Brillant, in einem Platinring gefaßt, sowie eine mittlere Perle in einer Schlipsnadel fanden sich nicht vor. Sie hatten zum persönlichen Gebrauch des Ermordeten gedient, während er die anderen Pretiosen als »Sachwerte« in den Inflationsjahren gesammelt hatte. Außerdem fehlten noch einige Kleinigkeiten, z.B. ein mit Schweizer Spitzen besetztes »Kavaliertaschentuch«, das der sehr gepflegte alte Mann, der als Schönheitsfreund in jeder Form bekannt war, stets in seiner linken vorderen Jackettasche getragen haben soll.
Der erste Verdacht, der dann am eifrigsten weiterverfolgt wurde, fiel auf einen gewissen Rudolf D., einen jungen, sehr schönen Mann aus bestem Hause, und zwar wurde der Verdacht durch einen der vielen »Vertrauten« der Polizei, Manfred v. G., und einen Beamten im Innendienst, namens Steffie, ausgesprochen, die den alten Herrn seit den Kriegsjahren gut gekannt hatten – aber unter vier Augen und ohne daß man sich an die Formalitäten eines Protokolles hielt. Manfred v. G. galt, ebenso wie Steffie, als ganz zuverlässig. Er betrieb zwar einen Spielklub, er soll sich aber weder dort noch sonst jemals etwas Unkorrektes zuschulden haben kommen lassen.
Der Makler, vormals ein in kleinbürgerlichen Kreisen geachteter und persönlich nicht unbeliebter Mann, war erst im Kriege sehr reich geworden. Ohne ein selbständiges Fabrikunternehmen zu eröffnen, hatte er Kriegsmaterialaufträge zu erhalten gewußt und hatte sich dann an verschiedenen älteren Unternehmungen mit großem Nutzen beteiligt. Er wußte im voraus, was man brauchte, und er hatte die Dauer des Krieges annähernd richtig eingeschätzt. In den letzten Jahren hatte er an seinen Anteilen an den Unternehmungen nicht unter allen Umständen festgehalten, er hatte vielmehr dem Ausland sein Interesse zugewandt, und zuletzt hatte er nur »Gold für Gold« arbeiten lassen.
Er rühmte sich, weder Kriegsanleihe gezeichnet, noch nachher einen nennenswerten Teil seiner Steuern gezahlt zu haben. »Wofür? Was gibt mir dieser sogenannte Staat? Für die vielen unnützen Beamten arbeiten? Nein! Rette sich, wer kann. Ich kann.«
Tagsüber arbeitete er sehr intensiv, er hatte die meisten interurbanen Gespräche in der Stadt. Seine Arbeitslust hatte sich nach dem Tode seiner Frau, mit der er »nett, anständig, zimmerrein«, ohne große Liebe zusammengelebt hatte, »ich begreife es heute selbst nicht mehr, – aber es war eine andere Zeit!« – nur noch gesteigert. Oft sprach er von seiner Jugend in einem kleinen Schwarzwaldort, wo sein Großvater und sein Vater Lehrer gewesen waren. Aber er dachte nie daran, dorthin zurückzukehren. Abends umgab er sich jetzt mit »interessanten Menschen«, wie er es nannte. Unter diesen machten ihm besonders ein paar junge Leute »reine Freude«, hübsche, gut gewachsene Jungens, so um die zwanzig herum, aber er mochte auch ältere Männer gern um sich sehen in seinem prachtvollen Hause, selbst dann, wenn sie vom Leben schon etwas mitgenommen waren.
Unter den Jüngeren hatte er besonders Rudolf D., der als siebzehnjähriger Junge im November 1918 einmal zu einer seiner Gesellschaften, der ersten nach dem Tode seiner Frau, gekommen war, in sein Herz geschlossen. Rudolf war für ihn »das Bild eines Menschen«. Vergebens hatte der Bruder Rudolfs, der um ein paar Jahre ältere Konrad, dagegen angekämpft. Der ältere Bruder fühlte sich verantwortlich für den jüngeren. Der Vater der zwei jungen Leute war gefallen.
Der alternde Mann hatte den jungen Menschen verwöhnt, hatte ihm seine Kälte verziehen, ja, er liebte ihn wegen dieser Kälte nur um so mehr. Ihm vertraute er. So hatte er ihn zu seinem, Zollikofers persönlichen Schutz durch den sportkundigen Steffie im Jiu-Jitsu und im Schießen ausbilden lassen.
Auf Rudolf D. fiel also der erste Verdacht, obwohl er nicht mehr und nicht weniger verdächtig war als eine Menge anderer »interessanter« Menschen, die in Zollikofers großer Villa ein und aus gegangen waren. Andererseits hieß es, Rudolf habe bereits einige Tage vor der Tat, deren man ihn beschuldigte, nach einem Streit mit seinem älteren Bruder die Stadt verlassen.
Möglicherweise war er, wie schon oft, seinem eigenartigen Wandertrieb gefolgt, von dem er in den letzten Jahren nur scheinbar geheilt gewesen war.
Der ältere Bruder setzte sich mit aller Liebe auch jetzt für den jüngeren ein. Aber warum meldete sich Rudolf nicht? Wußte er nichts von dem gewaltsamen Tode seines alten Freundes? Wäre er in B. anwesend gewesen, hätte er die nur im geheimen, unter vier Augen abgegebenen Aussagen des Spielbankbesitzers leicht Lügen gestraft. Vielleicht auch nicht.
Nach den einander nicht widersprechenden Aussagen von Manfred und Steffie konnte man sich vorstellen, daß Rudolf, ein hemmungsloser, in den letzten Jahren den Rauschgiften völlig verfallener Mensch, ein arbeitsscheues Subjekt, das niemals durch bürgerliche Arbeit einen Pfennig verdient hatte, einer solchen Tat in seiner Sucht nach dem kostspieligen und immer kostspieliger werdenden und in immer größeren Mengen benötigten Kokain ganz gut fähig wäre. So stellte es Manfred dar, diskret die Hand vor den dünnen Lippen haltend, und der »Kamerad« Steffie, nicht so leicht Worte findend, hatte die Achseln gezuckt, die Krawatte zurechtgerückt, den Blick nicht von Manfred gelassen und hatte nicht widersprochen. So wurden manche in dem Verdacht gegen den Abwesenden bestärkt, andere aber hielten eine solche Tat gerade bei Rudolf für außerhalb jeder Möglichkeit.