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XVI.

Manfred hütete sich wohl, Vera durch ein ironisches Wort zu verletzen. Er redete vielmehr dem ganz zusammengebrochenen Frauchen vernünftig und so herzlich er nur konnte zu. Er versuchte sie von den Gewissensbissen zu kurieren, welche die Hauptquelle ihrer Verzweiflung zu bilden schienen. Wenn er auch in eigener Person niemals sehr von Gewissensbissen beunruhigt worden war, verstand er doch sehr gut, was sie für andere bedeuteten. Ihm bedeuteten sie fast nichts. Er war immer mit sich einig. Wie hätte er auch sonst in so großartiger Seelenruhe, anders als der nur nach außen großspurige Steffie, alle die Jahre nach Rosenfingers grausigem Ende verleben können? Gerade seine Überlegenheit hatte sie beide, Steffie und ihn, aus mancher brenzligen Situation gerettet, ohne sie hätte er nicht so ruhig seinen Aufenthalt in dieser Straße, »in der er die wichtigste Zeit seines Lebens verbracht hatte«, abbrechen können, einer besseren Zukunft an anderer Stätte entgegen ... er wußte nur noch nicht, wo ...

Schon durch seine Ruhe – er tat jetzt so, als hätte er alles vorausgesehen – brachte er eine gewisse Wandlung bei seiner Vera zustande. Sie sah in dieser Nacht ein, daß sie mit einer endgültigen Wiederkehr ihres Rudolf nicht rechnen konnte, daß sie froh sein mußte, wenn sie möglichst schnell von hier fortkam. Wohl war ein Mensch, den sie so kannte wie Rudolf, nicht schuldig an einem scheußlichen Raubmord, wie er an ihrem alten, immer freundlichen und oft sogar zarten Gönner Rosenfinger begangen worden war, das wußte sie, davon ließ sie sich durch keinen Menschen auf der Welt abbringen.

Aber das Blut der beiden Polizisten am Kiosk, des erschossenen wie des schwerverwundeten, klebte an Rudolfs Händen. Und wenn auch Manfred hievon niemals Erwähnung tat, so hatte sie doch diese Schüsse gehört, sie hatte das Blut gesehen ebenso wie die Waffe; heute nacht hatte sie sie wiedererkannt, und es war ihr ein Gefühl der Erleichterung gekommen, als man den Revolver rechtzeitig noch vor Rudolf in Sicherheit gebracht hatte – auch an ihren eigenen Händen, besonders der rechten, hatte das Blut gehaftet, lange Zeit, mehr als vierundzwanzig Stunden, hatte sie die Hand immer weit von sich gehalten, nachdem sie sie stundenlang in fließendem Wasser gereinigt, und sie hatte mit der linken Hand gegessen, um nichts mit dieser blutbefleckten Hand berühren zu müssen. Aber was hatte er getan? Vielleicht hatte er die Tat nur im Rausch begangen. Sie verstand es nicht, denn wenn sie etwas »Rouge« erbettelt hatte, machte sie das Schnupfen vergnügt, sie hätte dann immer vor sich hinsummen oder in ihrem »Lyzeumspanisch« vor sich hinschwätzen, immer die Hand ihres lieben Jungen Rudolf in ihrer halten mögen, bis sie müde wurde und an seiner großen breiten Schulter einschlief; sie machte das bißchen Schnee friedlich, ihn aber brachte es auf. Er hätte um ihretwillen davon lassen sollen, aber er hatte es nicht getan. Blut war Blut, und von ihrem Rudolf wusch es ihre ganze »reine« Liebe nicht ab. Und doch war ihr der Gedanke fürchterlich, daß er jetzt ungepflegt und einsam in der häßlichen engen Zelle sitzen sollte, vielleicht monate- oder gar jahrelang?

Aber konnte sie ihm helfen? Sie mußte ihn vor Manfred schützen, an dem er sich erst heute nacht wieder vergriffen hatte. Wenn sie scheu von ihrem Teppichbündel aus ihren Mann betrachtete, wie er die bösen, strickartigen Schrammen, quer vor der mageren Kehle, mit ihrem Eau de Cologne – (auch nach dem Tode des Polizisten auf dem Platze beim Kiosk hatte Eau de Cologne eine Rolle gespielt, sie wußte nur nicht mehr welche?) – betupfte, weil er sich davon eine desinfizierende Wirkung versprach, vor Schmerz dabei die blasse dünne Nase rümpfend, so wußte sie, daß zu allen anderen belastenden Dingen auch nun noch der Mordversuch an ihrem Mann dazukam – wahrscheinlich hatte Rudolf, nachdem er die Tür durch einen Stecker barrikadiert hatte, Manfred vor der Kasse angefallen, hatte ihn am Hals gewürgt, hatte ihm nach dem Leben getrachtet. Alles um des dummen »Rouge« willen, das man mit allen den blutfarbenen Briefchen längst schon hätte verbrennen sollen. Und sie hatte dann noch nach ihm, Manfred, geschlagen! Er hätte ihr eher sehr leid tun müssen.

Sie wußte nur das eine, Manfred mußte fort und sie mit ihm. Sie hatte die Schüsse beim Kiosk mit angesehen, sie konnte nichts anderes aussagen, und ihr Mann konnte und würde nichts anderes tun, als Rudolf belasten. Ihr Mann mußte fort. Er sollte nicht gegen Rudolf Zeugnis ablegen, er sollte nicht mit der Behörde ein Netz dem armen, unbegreiflichen Rudolf über den Kopf werfen.

Oft hatte sie sich geschämt, daß sie einem Mann wie Manfred vom ersten Tag, von der ersten Nacht verfallen war. Sie liebte ihn anders, niedriger und heißer als Rudolf. Vor Rudolf hatte sie sich schuldig gefühlt, und dieses Gefühl des Schuldigseins vor Rudolf gab ihr in den Armen ihres Mannes erst das letzte, wollüstige, demütige, zerbrochene Zittern, das ihr den Nacken heiß und eiskalt übergoß, so daß er, Manfred, mit ihr machen konnte, was er wollte, je wilder, desto besser. So auch jetzt, wenn sie sich langsam vom Teppich erhob, ihrem Mann das leicht blutbefleckte Wattebäuschchen aus der Hand nahm und viel sanfter, als er es konnte, ihm über die wunde Stelle an seinem mageren Halse fuhr. Er streichelte ihr kaltes Händchen. Er lächelte. Er schwieg.

Manfred konnte es sich nicht besser wünschen. Auch er wollte fort, denn er mußte. Zum letztenmal ging Vera in die Küche, sie schmorte als Abschiedssouper auf dem kleinen Herde ein scheußliches Mischmasch zusammen, aus dem Manfred eine »französische Ragoutomelette« herauserkennen sollte. Die Enden ihrer Boa, die sie in dieser Nacht nicht ablegen wollte, drohten immer in die Töpfe und Pfannen einzutauchen, immer wieder warf sie sie unter den vorwurfsvollen Blicken ihres Mannes mit ihren von Ringen glitzernden Händchen über die Schulter zurück ... Nach dem Essen näherte sie sich ihm. Auf einmal besann sie sich. Entsetzt starrte sie ihren Mann an, beide gingen stumm an die Arbeit.


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