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XIII.

Im gleichen Augenblick hörte man ein rasselndes Geräusch von der Entreetür, einen donnernden Knall, und in derselben Sekunde begann ein Flüchtlingskind oben in der Wohnung aufzuschreien, im Spielsaal flammten die Lichter auf, Rudolf war mit einem gewaltigen Raubtiersatz zurückgesprungen in die Mitte des Zimmers, nachdem er noch, vielleicht ohne es zu wissen, vielleicht aber auch aus einem Gefühl des Mitleids heraus, das ihm nicht so fremd war wie seinem Opfer, mit einem brutalen Fußtritt den hockenden, des Todes gewärtigen, vor Angst ohnmächtigen, leichenblassen Manfred aus der Gefahrenzone herausgestoßen hatte. Manfred war, wie ein leichtes Kleiderbündel am Boden hingeschleudert, in dem gleichen Augenblick in Bewußtlosigkeit gefallen, als hart neben ihm die Kassentür donnerdröhnend ins Schloß krachte.

Zugleich hatte Rudolf seinen kleinen Revolver herausgerissen, aber er war, durch den wohlgemeinten Fußtritt nach dem Spielbankbesitzer aufgehalten, diesmal um ebendiesen Bruchteil einer Sekunde zu spät gekommen, die winzige schwarze Waffe wurde ihm von dem ersten der eindringenden Kriminalpolizisten von unten her aus der Hand geschlagen. Der Kommandant der Streife feuerte einen Schreckschuß gegen die Decke, von welcher der Stuck rieselnd herabfiel. Vera kreischte hoch auf, als sie ihren Rudolf erkannte. Jetzt forderte die Kriminalpolizei mit den üblichen Worten Rudolf D. auf zu parieren.

Der hochgewachsene Mensch, der die Polizisten fast um Haupteslänge überragte, warf sich mit der blinden Gewalt, die ihm in verzweifelten Augenblicken eigen war, und zugleich mit den raffinierten Tricks des Jiu-Jitsu, das er seit den Jahren bei dem Makler meisterhaft beherrschte, gegen seine Angreifer. Von dem Getümmel und dem dröhnenden Hin- und Herwälzen der Polizisten, denen Rudolf den Fuß gestellt und die er durch blitzschnelle unerwartete Schläge mit der Handkante getroffen hatte, hallte der kleine Raum wider. Die Polizisten, diesmal ihrer Sache sicher, dachten nicht daran, von der Waffe Gebrauch zu machen, nachdem sie Rudolf so schnell entwaffnet hatten; einer von ihnen hatte Rudolfs Revolver schnell vom Boden aufgenommen und fortgebracht.

Jetzt erwachte Manfred stöhnend und stammelnd aus seiner Betäubung. Vera, seine Frau, welche die Polizeistreife herbeigerufen und in aller Hast hierher begleitet hatte, stand noch immer starr vor Schrecken da; noch immer hatte sie sich nicht von ihrem Entsetzen erholt. Wie konnte es denn sein, daß sie nicht einen wildfremden Einbrecher oder Erpresser, wie sie geglaubt hatte, sondern ihren guten, armen, alten Rudolf in die Hände der Polizei geliefert hatte. Jetzt warf sie sich zwischen ihn und seine Bedränger, versuchte ihm beizustehen, kratzte die Polizisten, schluchzte und schrie verzweifelt: »Lassen Sie ihn! Er kommt nur zu uns! Wir kennen ihn ja! Er ist es nicht!«, als hinge es von ihrem Dafürhalten, ob »er es sei«, ab, was mit Rudolf geschehen solle. – Manfred, kaum noch zu Bewußtsein gekommen, konnte es sich nicht versagen, sie von ihrem alten Freund fortzuzerren. Er ließ sich dafür ruhig die wütenden Schläge gefallen, mit denen die außer Rand und Band geratene, wutverzerrte, häßlich gewordene Vera ihn anfiel. Plötzlich aber verlor er die Geduld und packte ihre Hände und hielt sie fest. Nach zwei bis drei Minuten sah er aus seiner sicheren Ecke hervor, während er die sich windende Vera gewaltsam an sich preßte, sie abwechselnd mit zuckersüßen Worten umschmeichelnd, dann wieder sie finster bedrohend, seinen Todfeind Rudolf im stummen Handgemenge mit den Polizisten auf dem sich zusammenrollenden, verknäulten Teppich kämpfen. Plötzlich kam ihm ein witziger Einfall, als Rudolf mit einer letzten, verzweifelten Kraftanstrengung seine Angreifer abgeschüttelt hatte und schon Ausschau nach einer Rettungsmöglichkeit hielt, ihn von der linken Seite her unversehens zu Fall zu bringen und dann wie eine Wurst in den Teppich einzurollen.

Der Jiu-Jitsu-Kämpfer mit seinen vielen Tricks kannte diesen neuesten Griff nicht, den der Gott der List seinem Feinde Manfred eingegeben hatte, und er konnte sich den dicken Falten nicht entwinden. Die Polizisten hatten nun sofort leichtes Spiel. Sie setzten sich schmunzelnd mit ihrem ganzen Gewicht auf das zuckende Bündel Mensch unter dem wogenden Teppich, sicherten zuerst die wild umherstampfenden Beine, dann faßten sie, Rudolfs brutal umherhackenden, weißen, scharfen Zähnen ausweichend, nach seinen Händen und brachten an jeder Hand einzeln Handschellen an, die sie dann mittels eines Verbindungsgliedes geschickt aneinanderknüpften. Jetzt stellte man Rudolf auf die Beine. Alle atmeten schwer.

Vera war still, wie gebrochen, sie konnte nicht verstehen, wie alles gekommen war. Sie wollte auf den Gefangenen zu. Aber jetzt war er es, der sie von sich stieß. Sie versteckte ihr blasses, süßes Köpfchen zwischen den Federn ihrer Boa, die sie mitten im Tumult nicht von den Schultern gelassen hatte. Sie blickte ihren Rudolf verstohlen von der Seite an. Ein krampfartiges Lächeln ging um seinen Mund. Er konnte es ebensowenig wie sie fassen, daß sie, seine Vera, ihn in die Hände der Polizei hatte liefern können. Zweimal war er zu ihr zurückgekommen und beidemal zu seinem Verderben.

Bloß Manfred verstand den Zusammenhang. Als Vera von ihrem Gange zurückgekommen war, hatte sie bemerkt, daß sich ein Fremder in die Wohnung eingeschlossen hatte. Später stellte es sich heraus, daß sie das Schloß der Haustür durch ein zylinderförmiges, winklig abgebogenes Stück Stahl, einen sogenannten Sicherheitsstecker, von innen versperrt gefunden hatte, der von Rudolf herrührte. Sie hatte sich sofort des am vorigen Tage eingelaufenen Drohbriefes erinnert. Auf Rudolf, an den sie doch so viel dachte, war sie nicht gekommen. Sie konnte sich nicht ausdenken, was er hier wollte. Sich an ihrem Manfred rächen? Nicht Manfred, sondern er hatte auf die Polizisten beim Kiosk geschossen. Sie mit sich nehmen? Nie konnte er damit rechnen, daß Manfred sie ohne weiteres mit ihm würde fortziehen lassen. Und wäre sie auf alle Fälle mit ihm gegangen? Vielleicht doch! Vielleicht aber auch nein, denn von ihrem Chiffon hatte sie sich nie losmachen können – und doch war sie auch Rudolf mit ihrem ganzen, dummen Herzen gut! Aber warum hatte er durch alle die Jahre nie geschrieben? Die Mutter hätte die Briefe immer weitergeleitet. Warum hatte er nicht einmal telephoniert? Hatte er sie denn ganz vergessen? Sie konnte es nicht glauben. Furchtbar traurig! Sie begriff nichts mehr.


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