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IV.

Das Treiben des Spielbankbesitzers Manfred von G. konnte der Polizei nicht unbekannt sein. Und doch ließ sie ihn gewähren. Offenbar schien er mit seinen Gefälligkeiten der Polizei mehr zu nützen, als seinen törichten Opfern, den spielwütigen Spießern und den auf die schiefe Bahn gekommenen Jugendlichen, wie Vera und Rudolf, zu schaden. Wenigstens hatte es ganz so den Anschein und alle Tatsachen sprachen dafür, daß er stets seiner Sache sicher war. In seinen Spielzimmern fanden sich oft Menschen ein, für die sich die Kriminalpolizei einigermaßen interessierte. Intelligenz konnte man Manfred von G. nicht absprechen, er beherrschte mehrere Sprachen fast vollkommen und hatte ein glänzendes Personengedächtnis. So still er anscheinend lebte, hatte er doch Verbindungen mit allen möglichen Kreisen. Nur eine einzige Berufsklasse durfte seine Schwelle nicht betreten, die »Heldenkinder«, das war das Militär und die Freikorps. Er, der oft die unmöglichsten Kerle abfütterte und sie dann seelenruhig an den Spieltischen Platz nehmen und sie ihr letztes bißchen Geld verlieren ließ, wies jeden Menschen, der auch nur entfernt nach Uniform aussah, kalt und bestimmt ab. Er irrte sich in diesem Punkt fast nie. Vielleicht wußte er, daß das Militärkommando von B. es nicht zulassen würde, wenn Offiziere oder Mannschaften der Reichswehr zu Spielern würden. Man mußte dafür sorgen, daß keiner ihrer Angehörigen hier, nahe der Grenze, in Versuchung kam. Im übrigen war die Gesellschaft sehr gemischt, man sah in der »Hera« neben einem dicken, vom Alkohol aufgeschwemmten Apotheker a. D., der sehr oft erschien, auch einen alten, etwas zweifelhaften Arzt, Dr. M., der bereits oft mit dem Gericht wegen des § 218 in Berührung gekommen, aber dank eines guten Verteidigers immer wieder freigekommen war, und oft von seiner Haushälterin vom Spieltisch weg zu seinen Patienten gerufen wurde – es kamen Journalisten, freilich mehr als Zuschauer denn als zahlungsfähige Hasardeure, Geschäftsreisende ohne Geschäft, Devisenhändler, jetzt leider meist ohne Devisen, Beamte außer Dienst, Vertriebene, Studenten ohne Studium, Gutsbesitzer ohne Gut und Arbeiter ohne Arbeit –, dann aber tauchten neben den regelmäßigen, mehr oder weniger bekannten Besuchern auch namenlose Existenzen auf, gut, oft zu gut für die schwere Zeit jener Jahre gekleidet, Herren, die ihre Unruhe, Angst und Getriebenheit hinter aufgeblasenem, hochfahrendem, arrogantem Benehmen verbargen, Menschen, die wohl ein Monokel hatten, aber kein sauberes Taschentuch, um das Glas zu reinigen, Leute, die möglicherweise aus dem Gefängnis ausgebrochen waren oder denen es bald bevorstand. Auch für diese »namenlosen Existenzen« hatte Manfred von G. einen guten Blick, ebenso wie für Reichswehrangehörige in Zivil und für »Bündische«. Er dankte schön dafür und hielt sich korrekt an seinen ungeschriebenen Pakt, an seine »guten« Kinder. Sie trugen ihm genug; und wenn er über schlechte Geschäfte klagte, hatte es einen feinen Reiz für ihn, sich bemitleiden zu lassen, ebenso wie es ihm einen Höllenspaß bereitete, wenn einer der von ihm Denunzierten beim Verlassen des Lokales ihm besonders herzlich die Hand drückte.

Obwohl sich der Spielbankbesitzer sagen mußte, daß eines Tages seine Doppelrolle ans Licht kommen müsse, lieferte er jeden ihm verdächtigen Gast unverzüglich an die Polizei aus. Offenbar bekam er die offizielle Fahndungsliste der steckbrieflich verfolgten Verbrecher von der Polizei regelmäßig zur Einsicht. Dabei war Manfreds Methode ganz naiv. So naiv, daß lange Zeit kein Verdacht auf ihn fiel. Er ließ den verdächtigen Gast sich ruhig am Spieltisch niedersetzen, gab einem seiner Angestellten, dem ältesten, einen Wink, den Betreffenden eher gewinnen als verlieren zu lassen. Indessen trippelte er in die Telephonzelle, ließ, wie um zu zeigen, wie unverfänglich das Telephongespräch sei, die Türe der Zelle offen und bekam die Nummer des Reviers von dem verbindenden Telephonfräulein auf ein vereinbartes Kennwort. Dann machte er dem diensthabenden Beamten, immer nach einem Code, seine Angaben in ganz exakter Weise, so daß die Polizei nicht nur erfuhr, ob es sich um eine bloß vage verdächtige oder aber um eine steckbrieflich verfolgte »schwere Nummer« (ausgedrückt durch eine Zahl über zehn, z. B. »Zwanziger«, »Dreißiger« usw.) handelte oder um einen aus dem Zuchthaus Ausgebrochenen, genannt »Differenzeinwand« – sondern daß sich die Polizei auch danach richten konnte, ob der Betreffende nüchtern (»Wasserratte«) oder bereits durch Alkohol benebelt war (»Spirituskocher«), ob er allein (»Hagestolz«) oder von einer Kohorte seinesgleichen umgeben in den Klub »Hera« gekommen war (»Kegelklub«), ob er schon abschiedsbereit auf der Schwelle stand (»Lohengrin«) oder ob er voraussichtlich noch längere Zeit im Spielsaal bleiben wollte (»Nachtquartier«).

Manfred von G. war kein schlechter Menschenkenner, seine Angaben waren meist richtig und in ihrer Form oft so erheiternd und (wenigstens für ihn) so komisch, daß die Zelle von seinem kichernden Lachen widerhallte. Wenn die Kriminalpolizei einen solchen Helfer an ihm hatte (er verrichtete seine »Gefälligkeiten« so gut wie freiwillig und lehnte die für die Fahndung ausgesetzten Geldbeträge fast immer zugunsten der aktiven Kripobeamten ab), konnte sie oft darauf verzichten, vier oder fünf Mann hoch in dem Klub zu erscheinen und persönlich die Verhaftung vorzunehmen. Sie konnte sich darauf beschränken, draußen, meist an der nächsten Ecke beim Zeitungskiosk, hin und her zu gehen, den Zeitpunkt abzupassen, den Betreffenden dann zur Ausweisleistung aufzufordern und gegebenenfalls zur Wache zu bringen.


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