Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVII

Nun war der Weg frei. Nun konnte in Jauchzen und Weihe das neue Leben beginnen.

Der Juli kam und brannte auf verödete Straßen.

Wer im vornehmen Westen daheim geblieben war und keines Vogtes Peitsche über sich hängen fühlte, der verträumte hinter herabgelassenen Läden zwischen Ruhebett und Badewanne seine trägen Tage.

Erst wenn der Abend die eingesogenen Gluten wieder auszuatmen trachtete, wenn über dem trüben Kanalwasser staubgelbe Dämpfe sich wiegten und hinter den frühwelkenden Kastanien der rote Gleisch des Himmels mit den zuckenden Lichtchen der Laternen in eins zusammenschmolz, dann erwachte auch Lilly erst eigentlich zum Leben.

Dann zog sie an Konrads Seite durch den blauen Dämmer der Straßen, mit tausend Augen sehend und immer ein wenig auf der Hut, selber ungesehen mitten durchzugleiten.

Tüchtige Familien wanderten den Biergärten zu. Liebespaare aller Arten fanden sich an den verabredeten Ecken. Und dazwischen wogte heißatmend und scheu das Volk der Alleingebliebenen, – alle jene, die vom lächelnden Zufall diebisch einzuheimsen suchen, was sie von strengeren Göttern nicht mehr zu erflehen wagen … Über der erschöpften Stadt hing ein schwüler Dunst heimlichen Begehrens, in dem äußere Zucht und innere Zartheit flackernd aufgingen, als wären sie nie gewesen.

Wie fern lagen die Zeiten, da sie selber so herumgezogen war, hoffend auf Schicksale, doch ohne Mut, sie herbeizuzwingen! Und schaudernd vor überstandenen Gefahren drängte sie sich enger an Konrads schützenden Arm.

Irgend ein heimlicher Winkel, um hineinzuschlüpfen, fand sich immer. Hier strichen Zigeuner ihre Fiedeln, dort klimperten Tiroler auf ihren Hackbrettern, oder der Wirt, ein gescheiterter Musikus, lenkte selber die Künstlerkapelle des Hauses.

In Efeunischen, zwischen den grüngestrichenen Kübeln der Lorbeerbäume, in deren trockenem Blätterwerk die heißen Windstöße raschelten, durften sie ohne Furcht vor Entdeckung die Abendstunden mitsammen verleben.

Die Art ihrer Unterhaltung hatte inzwischen eine Wandlung erfahren.

Wohl gab es auch jetzt noch lehrhafte Streitigkeiten aller Art, und lauschend hing sie noch immer an seinem Munde. Aber der heilige Eifer in wissenschaftlichen Dingen war verraucht.

Daß Gott nicht existiere, und daß Fra Filippo Lippi ein Taugenichts gewesen sei, daß die Barockkunst auch ihre Lichtseiten gehabt habe, und daß eine wahnsinnig gewordene Linie ins Tollhaus gehöre, selbst wenn sie sich als das Allermodernste gebärdet, das wußte Lilly nun längst und noch vieles andere Neue und Interessante. – Dabei durfte es sein Bewenden haben.

Oft tauchten beider Blicke mit einem weichen und sehnsüchtigen Lächeln ineinander und ließen sich nicht los, als wäre das die Sprache, in der man sich am beredtesten verständigen könnte. Oft auch wanderten seine Gedanken eigene verschwiegene Wege und kehrten nur gezwungenerweise zu ihr zurück. Dann wurde sie traurig und eifersüchtig und drängte zum Aufbruch.

Erst wenn er gut gebettet in ihrem Arm, an ihrem Herzen lag, fühlte sie sich ganz zufrieden.

Die Wände hatte der Tag durchheizt. Die Vorhänge drohten mit Ersticken. Durch die Spalten der Läden kroch eine Art von Wüstenwind. Sie merkten nichts von alledem, ihnen war gerade wohl in dieser Glut.

Als ein besonderes Mißgeschick fürchteten sie das endliche Einschlafen, das ihnen die Stunden des Beieinanderseins in schändlicher Weise verkürzte, und darum nahmen sie einander das Versprechen ab, daß derjenige, der die Sinne länger beisammen hielt, den andern wieder aufwecken müsse.

Sie blieb wach. Er jedoch war erschöpft von des Tages Arbeit. Denn für ihn gab es kein nochmaliges Eindröseln nach dem Frühstückstee, kein Ausruhen in der Mittagshitze. – Und wenn er dalag mit zuckenden Gliedern, wie die edlen Jagdhunde, dann tat er ihr viel zu leid, als daß sie ihr Versprechen hätte halten mögen.

Dann richtete sie sich neben ihm auf, und in dem Dämmer des rot umschirmten Nachtlichts konnte sie ihn stundenlang anstarren und wurde dessen nicht müde.

Immer gab es etwas in seinem Gesicht zu studieren. Da war die Falte der Willenskraft zwischen den Brauen, schärfer eingeprägt als zuvor und ihr immer noch ein wenig bange machend; – und die unaufhörlich arbeitenden Muskeln in den Schläfen; – und die straff geschürzte Oberlippe, deren rechtes Ende sich zuckend ein wenig in die Höhe zog, so daß es schien, als ob er ihr im Traume entgegenlächelte … Hager war er geworden. In dem lockern Fleisch der Backen saßen Schatten, die nach den Kiefern hin sich verdunkelten, und um die Nasenflügel spielte ein Leidenszug. Wie ein junger Christus sah er aus. So recht zum Anbeten gemacht.

Manchmal während des Anschauens dachte sie: »Wenn ich ihn jetzt tötete, ihm eine Hutnadel ins Herz stieße oder sonstwie, so gehörte er mir, mir allein und für immer.«

Dann tastete sie mit der hohlen Hand nach seiner linken Brust und stellte sich vor, sie hielte das Herz selbst in ihrer Gewalt und mit dem Herzen zugleich die Liebe zu ihr und brauche sie nie mehr wieder herzugeben.

Erwachte er gelegentlich einmal, während sie sich so über ihn geneigt hatte, dann erschrak er ein wenig und fragte noch im Halbschlaf: »Was hast du? Hab' ich dir etwas getan?«

»Warum?«

»Dein Auge hatte einen so seltsamen Blick, beinahe, als ob du mir böse wärst.«

Hierauf nahm sie sich jedesmal vor, das Spiel zu unterlassen. Aber sie konnte nicht anders, sie mußte ihn ansehen.

Sie hatte ihn viel zu lieb.

Schlimm war es, wenn plötzlich die Angst sie packte, sie würde ihn verlieren. Und diese Angstanfälle kamen in mancher Nacht mit so grausamer Gewalt, daß sie den Drang fühlte, zu toben, zu schreien und sich die Haare zu raufen. Aber sie durfte ihn ja nicht erwecken. Und darum kroch sie leise mit dem Kopfe unter seine Achsel, schloß die Arme über seiner Brust und unter seinem Rücken zusammen und schmiegte sich so dicht an ihn, daß sie sich vorstellen konnte, mit ihm verwachsen zu sein.

Dann wurde sie allmählich ruhiger und konnte sich ausweinen, oder sie erging sich in Phantasien darüber, wie glücklich sie ihn machen würde.

So unerhört, so über alles Sagen glücklich war noch nie ein Menschensohn gewesen. In einen Mantel von Liebe würde sie ihn hüllen, so weich, so undurchlässig, daß keine Schicksalsrauheit ihn jemals würde erfrösteln lassen. Seine Muse würde sie sein, – einen unsichtbaren Strahlenglanz würde sie ums Haupt tragen, anspornen und entflammen würde sie ihn zu tausend großen Taten. – Pflegen würde sie ihn mit der Sorgfalt einer barmherzigen Schwester. – Kochen würde sie lernen und Wäsche schneidern. – Nein, lieber Universitätskurse hören und wissenschaftliche Arbeiten machen und Musik studieren. – Und noch vieles andere. – Damit er niemals an ihr ermüdete.

Zu dem allen mußte sie natürlich erst frei sein. Sich ganz von Richard gelöst haben.

Auch an Richard dachte sie oft. Doch nie mit Groll. Daß er ihr Leben in den Abgrund gelenkt hatte, war ihm längst verziehen.

»Jeder tut, was ihm Gesetz ist,« sagte Konrad.

Und schließlich war er ja einst ihr Retter geworden.

Mit seiner Verlobung, die, wie er schrieb, sich hoffnungsvoll entwickelte, sollte auch äußerlich das neue Leben seinen Anfang nehmen. Von Rechts wegen hätte es jetzt schon geschehen müssen. Aber noch fühlte sie sich keiner Krise gewachsen. Ihr graute vor all den Lügen, die Konrad abermals aufgetischt werden mußten, sobald ein Wechsel ihres Haushalts sich vollzog.

An der Notwendigkeit künftigen Darbens sah sie scheu vorbei.

Nur wenn sie Nachts an der Brust des Schlafenden sich zu jauchzenden Ekstasen gesteigert hatte und die Zukunft an seiner Seite in Gold und Purpur vor ihr lag, erschien es ihr als Inbegriff alles Glückes und aller Fülle.

Morgens gegen drei, wenn die Krickelkrackel der Gaslaternen allgemach verblaßten und der Widerschein der ersten grauen Wolken über die Decke glitt, dann mußte sie ihn wecken.

Hausbewohnern durfte er nicht begegnen, das war sie ihm und dem eigenen Rufe schuldig.

Beim Ankleiden tastete er schlaftrunken über die elfenbeinernen Bürsten, auf denen die siebenzackige Krone noch immer prangte, und richtete sich so weit her, um im nächsten Wiener Café eine ermunternde Tasse Schwarz hinunterzustürzen.

Denn von Lillys Bette sollte es auf raschestem Wege an den Schreibtisch gehen.

Dieser Wahnsinn war ihm nicht auszureden.

Die durchschwelgten Stunden der Nacht verlangten eine Sühne. Daran hielt er fest, mochte er immerhin bis zum Vormittag in fruchtlosem Mühen über seinen Papieren brüten.

Sie aber sank in tiefen Schlaf, aus dem erst Adele sie erweckte, die zufrieden lächelnd gegen zehn Uhr mit dem Frühstücksbrett ins Zimmer trat.

Jede zweite Nacht gab sie ihn frei.

Ihm sein Lebensblut austrinken wollte sie nicht. Und Sorgen genug bereitete er ihr ohnedies. Seine Gesichtsfarbe gefiel ihr nicht. Sein Auge flackerte. In seiner Stimmung wechselten jagende Lustigkeit und stieres Insichversunkensein.

Das mußte alles anders werden, wenn nur erst – was –?

Nichts denken, nichts planen, nichts wollen, nur ihn lieben und ihn glücklich wissen.

Ihre Tage verbrachte sie in genießenden und bangenden Träumereien. Zu geistiger Beschäftigung fehlten ihr jetzt Spannung und innere Anteilnahme. Auch drängte allerhand Neues und Wichtiges sich dazwischen. – Vor allem die Notwendigkeit, ihm zu gefallen, ihm den täglichen Rauschtrank zu reichen, dessen er bedurfte, um ihr Eigentum zu sein und zu bleiben.

Bis jetzt war ihr die Schönheit ihres Leibes ein selbstverständlicher Besitz gewesen, den sie so wenig beachtete, wie es einer verborgenen und nutzlosen Sache zukam. Nun mußte sie stets darauf bedacht sein, dem Ideal zu gleichen, das neben und über ihr in seinem Hirne lebte und dem sie in Wahrheit – das fühlte sie wohl – nur dann ein wenig näher kam, wenn trunkene Seligkeiten sie über sich selbst und die Flachheit ihres Lebens hinaushoben.

Aus dem Schönseinwollen und Schönsein müssen entstand ein ängstlicher Kultus des eigenen Fleisches, der ihr bis dahin etwas Fremdes und Verächtliches gewesen war.

Sie pflegte sich wie eine Haremsfrau, sie parfümierte ihre Bäder, sie färbte ihre Zehennägel, sie verlängerte ihre Augenbrauen und puderte Arme und Schultern. – Jeden Tag entdeckte sie neue Unzulänglichkeiten, die sie mutlos stimmten und denen nur mit neuen Mitteln abzuhelfen war.

Dabei lauerte im Hintergrunde der stete Argwohn, sie könne sich durch lauter Verputzen einer schönen Dirne ähnlich machen. Darum verschloß sie ihren Schmuck und kleidete sich schlichter als irgend eine Bürgersfrau. Nur der Sachverständige vermochte zu erkennen, wieviel kunstvolle Sorgfalt dahintersteckte.

Am meisten machte ihr in den Zeiten des Alleinseins die Eifersucht zu schaffen.

Nicht, daß sie ihn mit anderen Frauen beargwöhnt hätte.

Dazu stand er ihr viel zu hoch.

Aber sie war eifersüchtig auf alles, was er trieb und was ihn anging. Der Gedanke an seinen Schreibtisch bereitete ihr Qualen. Jede Stunde, die er nicht in ihrer Nähe verbrachte, erschien ihr als Verrat an ihrer Liebe, und seiner Freunde gedachte sie mit einer Feindseligkeit, deren sie sich nie für fähig gehalten hätte.

Die Abende über, an denen sie nicht mit ihm zusammen war, hielt sie seiner Wohnung gegenüber Wache, heimlich in eine Haustürnische gedrückt, grade so, wie sie früher in der Alten Jakobstraße gestanden hatte.

Wenn die Lampe hinter seinem Fenster brannte, war sie zufrieden. Wenn sie ihn zu später Stunde kommen oder fortgehen sah, schloß sie die ganze Nacht kein Auge mehr.

Er bewohnte nicht weit von ihr, am Karlsbad, ein Zimmer des dritten Stockwerks.

Lange hatte es gedauert, bis er zugab, daß sie ihn besuchte.

Neben ihm liege eine Kranke, hatte er gesagt, die strengster Schonung bedürfe; jedes unbedachte Gespräch könne Ursache werden, daß ihr Zustand sich verschlimmere.

Dabei hatte er in eigentümlicher Weise an Lillys Augen vorbeigesehen. Man durfte hundert gegen eins wetten, daß irgend ein Geheimnis hineinspielte.

Aber als sie nach langem Bitten und Bohren zu einer unverfänglichen Nachmittagsstunde endlich bei ihm war, fand sich nichts, was ihren Verdacht bestätigte. Nur ganz leise sprechen mußte sie, und das hatte sie ja im voraus gewußt.

Seine Behausung war kaum mehr als eine Studentenbude. Ein hoher, zweifenstriger Raum mit billigem Geräte vollgestellt, ohne Ruhebett und ohne Teppich. Aber an den Wänden hingen kostbare Stiche, und den üblichen Pfeilerspiegel hatte eine alte Kopie der Madonna di Foligno verdrängt, die in heiterer Erhabenheit auf den Jammer nordischer Kleinbürgerei herniederschaute … Auf langen, niedrigen Regalen standen viele Bücher; andere, die keinen besseren Platz gefunden hatten, waren in den Ecken zu hohen Stapeln aufgeschichtet. Zermürbte Wachstuchdecken, wie sie fahrende Händler zum Einpacken ihres Krams benutzen, lagen, um sie gegen den Staub zu schützen, darüber ausgebreitet.

Nur der Schreibtisch zeigte eine gewisse selbstverständliche Üppigkeit.

Konrad hatte ihn, gleich den Bildern, aus eigenem Besitz der Einrichtung hinzugetan.

Mit seinem edlen Schnitzwerk und seiner breitausladenden Platte erhob er sich feierlich wie ein Altar in der Mitte des Raumes.

Nicht ein einziges Frauenbildnis ließ sich darauf ertappen. Das ihre hatte sie ihm noch nicht geschenkt, und andere waren des bevorzugten Platzes nicht für wert erachtet worden.

Nur ein Porträt, das eines alten Herrn, stand in Glas und Rahmen hinter Mappe und Tintenfaß … Ein verwittertes Feinschmeckergesicht, mit schön gepflegtem, schneeweißem Haupthaar und unter halb gesenkten Lidern pfiffig schielenden Augen, wie sie alten Frauenkennern eigen sind.

Das war der bewußte Oheim, der ihn hatte erziehen lassen und erhielt.

Lilly fühlte eine dumpfe Beklemmung, als sähen diese Augen sie durch und durch, als genüge ihnen ein einziger Blick, um das große Geheimnis, das sie in tausend Nöten vor dem Geliebten barg, ans Tageslicht zu ziehen.

»Ich werd's schon einrichten, daß ich ihm nie begegne,« dachte sie.

Konrad hatte seinen höchsten Schatz, die Vorarbeiten zu seinem großen Werke, aus einer Schublade hervorgeholt und zeigte ihr die Stöße engbeschriebener Bogen.

Liebkosend ließ sie die Finger darüber gleiten.

Ihr wurde ganz heilig zu Mute.

Aber dann plötzlich packte sie wieder die Eifersucht, die seit einiger Zeit ihre Seele verhärtete.

Dies hier war ja seine eigentliche Geliebte, und sie selbst nur ein dunkler, blutloser Schatten, der gierig durch seine Nächte streifte.

»Schließ weg!« sagte sie unmutig und wandte sich zum Gehen. – – –

Aber mit diesem großen Werke war es noch nicht einmal genug. Daneben gab es noch eine Fülle kleinerer Arbeiten, mit denen er sich plagte. Je mehr sein Name in den Kreisen der Fachleute bekannt wurde, desto häufiger traten Aufträge an ihn heran, die er alle bewältigen wollte.

Und eines Tages kam es auch ans Licht, welcher bedeutungsvolle Posten es war, von dem er vor drei Wochen auf jener unvergeßlichen Wanderfahrt erzählt hatte, daß er ihm angeboten sei.

»Bis heute habe ich nicht gewagt, mich zu entscheiden,« sagte er. »Aber jetzt ist es so weit. Der Herausgeber der Zeitschrift, die ich in Zukunft redigieren soll, ist bei mir gewesen und hat nicht locker gelassen, bis ich Ja sagte. Im übrigen ein bezaubernder Kerl. Trotz seiner großen geistigen Potenz von einer gradezu kindlichen Harmlosigkeit … Und so offen, und so freundschaftlich anschmiegsam! Den mußt du sehr bald kennen lernen, falls du ihn noch nicht kennst.«

»Wie heißt er denn?«

»Doktor Salmoni.«


 << zurück weiter >>