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Wer da behaupten wollte, über Lillys reif gewordener Liebe hätte kein Glücksstern geleuchtet, der würde sich arg ins Unrecht setzen.
Denn erstens erwies sich Adele als umsichtige und an Verschwiegenheit gewöhnte Mitwisserin, die leidenschaftlich für den Herzensfreund Partei nahm; zweitens blieb Richard, der an dem bewußten Sonntag zu seiner Mutter nach Harzburg hatte verreisen müssen, statt eines Tages gleich eine halbe Woche; und drittens zeigte er sich bei seinem ersten Besuche so sehr mit sich und seinen Angelegenheiten beschäftigt, daß er von Lillys schuldvollen Wiedersehensnöten nicht das mindeste wahrnahm.
Er trug eine höchst erhabene Miene zur Schau, sprach heftig durch die Nase wie immer, wenn er sich in neugestraffter Seele seines ehemaligen Kavalleristentums bewußt wurde, und hatte sogar ein Monokel über der marineblauen Seidenweste hängen.
Bedachte man dazu noch seine schlau vorbeiblinzelnden Augen und den ganz auf der linken Schulter liegenden Kopf, so ergaben sich Anhaltspunkte genug zu der willkommenen Annahme, er habe den Besuch bei seiner Mutter nur vorgeschoben, um statt dessen – genau so wie Lilly selbst – eine Extratour zu Zweien in die blühende Welt hinaus zu unternehmen.
Aber diese Annahme erwies sich als irrig.
Er war nicht allein bis gestern abend in Harzburg gewesen, er mußte auch morgen wieder dorthin zurück und zwar auf längere Zeit, auf mindestens vier Wochen.
»Was hast du?« unterbrach er sich erschrocken, denn Lilly war im Übermaß des auf sie einstürmenden Glückes schwindlig gegen die Lehne des Stuhles gesunken.
Zwar raffte sie sich sofort wieder empor und wollte von der überstandenen Erregung nichts wissen, aber er blieb ängstlich und besorgt, rückte ihr einen Berg von Kissen in den Nacken und duldete nicht, daß sie sich die Strapaze des Teeeinschenkens auferlegte. Dabei guckte ihm das böse Gewissen aus allen Knopflöchern.
»Aus einer gemeinsamen Sommerreise,« sagte er, und versuchte dabei, sich zu der vorigen Erhabenheit zurückzufinden, »wird ja nun leider nichts mehr werden. Und überhaupt – wir haben uns viel zu sehr aneinander gewöhnt. Jeder von uns wird mal wieder dran denken müssen, sich ein bißchen mehr auf eigene Füße zu stellen. Das ist für alle Fälle sehr nötig. Entschieden.«
Das klang in Lillys Ohren wie eine altvertraute Musik ganz von fern her.
»Nun gesteh' schon,« sagte sie lächelnd. »Was ist denn wieder im Gange?«
Und da kam's mit Stottern und Wortkauen ans Tageslicht: Eine Amerikanerin – von deutschen Eltern – millionenschwer, und zwar Dollarmillionen – größter Stil – höchster Schick – Glücksfall erster Güte – – Mama zitternd, daß es was werden möchte – Eltern günstig gestimmt – auch sie scheinbar nicht abgeneigt … Diesmal oder nie.
»Gratuliere,« sagte Lilly und klopfte freundlich seine Hand.
Er sah mit großen, verwunderten und etwas klagenden Augen zu ihr herüber.
»Ist das alles?« fragte er.
»Was – alles?«
»So kühl läßt dich das? So wenig empfindest du bei dem Gedanken, daß dein alter Freund nun von dir gehen soll? Ich hätte dich für liebevoller und teilnehmender gehalten. Entschieden.«
»Besinn dich gefälligst,« sagte sie. »Das hast du mir schon immer vorgeworfen, wenn irgend eine neue Heiratsgeschichte sich abspielte und ich dir nicht im Wege sein wollte. Du tust dann immer so, als ob ich dir den Stuhl vor die Tür setze und nicht du mir.«
»Stuhl vor die Tür setzen – was das für Redensarten sind! Was weißt du, was in mir vorgeht? … Wie ich mit mir ringe und kämpfe? Wieviel Nächte ich schon nicht mehr schlafe, bei dem Gedanken, was aus dir werden soll. Aber du tust grade so, als ob dich das nicht das mindeste anginge! Du bist überhaupt – leichtsinnig, gefühllos bist du – damit du's weißt.«
Vor ihren Blicken tanzten derweilen die Bilder des nahenden Freiseins. Nächte voll entfesselter Glut, – Tage voll süß dämmernder Träumereien.
Was dann folgte, lag so weit ab wie der Welt Ende.
Gutmütig lächelnd hörte sie zu und antwortete nicht einmal.
»Aber wenn du dir auch um deine Zukunft keine Gedanken machst,« fuhr er scheltend fort, » ich muß es umsomehr tun. Ich habe für dich zu sorgen, und da ist Mama auch ganz einer Meinung mit mir.«
Das Wort »Mama« riß sie zusammen.
Seit jenem schreckensvollen Begegnen im Kontor war es kaum jemals zwischen ihnen gefallen. Man hatte stets tausend Umschreibungen und Unterschiebungen dafür, die jeder von beiden verstand und anerkannte.
Nun trat es ihr plötzlich wie das Wahrzeichen aller über sie ergangenen Schmach flammend vor Augen.
»Wenn die dabei ist,« rief sie, »dann steckt sicher etwas Demütigendes für mich dahinter … Das eine sage ich dir gleich: Untersteht euch nicht, mir mit irgend einem Anerbieten zu kommen von Geld oder Geldeswert oder desgleichen. Ich würde das als eine Beschimpfung auffassen, die nie wieder gutzumachen ist.«
Er lief händeringend im Zimmer umher.
»Was sind das nu wieder für Chosen? … Ganz abgesehen davon, daß ich vor aller Welt blamiert wäre bis auf die Knochen, – Weib, weißt du denn nicht, daß du kaput bist, wenn ich dich mit leeren Händen abziehen lasse? Weißt du nicht, wo du dann hin mußt? In die Bars und die Metropols! … Weißt du das nicht?«
In seliger Geistesabwesenheit schaute sie über ihn und seinen braven Eifer hinweg.
»Es gibt auch noch andere Wege,« flüsterte sie halb in sich hinein.
»Welche?« schrie er. »Etwa heiraten? Welcher anständige Mensch wird dich heiraten, nachdem du vier Jahre lang meine Mätresse gewesen bist?«
»Es gibt auch noch andere Wege,« wiederholte sie immer lächelnd.
Vor ihrer Seele stand ein Leben voll Kampf und Kraft. Ein Hin- und Hergerissenwerden durch Sturm und Not und ein jauchzender Sieg, der sie denen zugesellte, die stolz und wahrhaftig waren wie er …
Aber das kam alles später – viel später. Wozu daran denken?
Richard hatte sie anders verstanden. Sein Blick erstarrte in argwöhnischer Bedenklichkeit. Er blieb vor ihr stehen und fragte mit einem kleinen Schauder: »Hör mal, du! – Willst du etwa – Dummheiten machen?«
Sie lachte hellauf. Wahrscheinlich sah er sie schon als schöne Wasserleiche auf dem Ruhebett ausgestreckt.
»Nein, ich will keine Dummheiten machen … Um deinetwillen sicher nicht … Und wenn ich es wollte, dann würde ich so viel guten Geschmack immer noch aufbringen, um dir damit nicht zu drohen.«
Er atmete tief auf, aber beruhigt war er immer noch nicht.
»Jedenfalls lass' ich dich höchst ungern hier allein rumsitzen,« sagte er. »Du fängst doch bloß Mucken und wirst kratzig gegen mich … Wie wär's? Möchtest du nicht unterdessen eine kleine Badereise machen – nach Ahlbeck oder Schreiberhau oder sonst wohin, wo's solide ist?«
Von dem Hohngelächter, das sie innerlich schüttelte, kam nichts wie ein leises Wimperzucken an die Oberfläche.
»Du weißt ja, daß ich mich ungern anschließe,« erwiderte sie leichthin, »und da bin ich denn bloß doppelt einsam.«
Er versank in stirnrunzelndes Nachdenken.
»Ja – dann« – er zögerte und kaute, wie Leute pflegen, denen vor der eigenen Kühnheit bange wird. »Dann – – wäre es schon am besten, du kämst – irgendwo in die – in die Nähe.«
»In wessen Nähe?«
»Ach, tu doch nicht so! Du verstehst mich ganz gut.«
»Ich versteh' schon, aber ich glaub' nicht recht, was ich verstehe.«
»Was ist denn so Großes dabei?« schalt er. »Man könnte dann doch wenigstens manchmal nach dir sehen … Oder mal dies und jenes besprechen könnte man.«
»Möchtest sie mir wohl auch zeigen, damit ich meinen Senf und meinen Segen gebe, – was?«
»Na und wenn? Wie wir beide miteinander stehen – wo wir doch nichts tun seit Jahren, ohne einer den andern zu fragen, – was wäre denn schließlich so Ungeheuerliches dabei?«
Sie fühlte ein kleines, gönnerhaftes Mitleid in sich aufsteigen, und seine Hand streichelnd sagte sie: »Ich glaube nicht, lieber Freund, daß ich für deine Brautwerbung die richtige Assistenz wäre.«
Ihr überlegener Ton steigerte seinen Mißmut.
»Ach was, Assistenz! Du redest heute wie auf'm Theater. Du bist überhaupt von einer Geschwollenheit, – von einer Geschwollenheit bist du! Willst dich selbstverständlich bloß an mir rächen. Bloß ärgern willst du mich. Und das ist höchst unnobel von dir in diesem Augenblick.«
Sie lachte und reckte sich. Wie tief lag das alles! Wie drollig war es und wie gleichgültig dabei … Und was ging es sie überhaupt an?
Allein sein – mit ihm allein sein! Eine andere Sorge gab es nicht mehr auf der Welt.
»Also du willst nicht?«
Sie schüttelte schweigend den Kopf.
»Gut!«
Er machte Miene, im Zorne wegzugehen, aber er hatte nicht die Kraft dazu.
»Hm?«
» Ein Mißverständnis möchte ich doch von vornherein beseitigen. Du scheinst nämlich zu glauben, daß es auch diesmal bloß Spaß ist.«
»Durchaus nicht, lieber Richard. Ich wünsche dir alles Glück. Nur kann ich in dieser Sache beim besten Willen nichts für dich tun.«
»Für mich tun! Für mich tun! Wer spricht denn was von ›für mich tun‹? … Mama hat ganz recht gehabt: Wenn ich auch diesmal abschnappe, dann ist nichts mehr für mich zu wollen. Darum mach dir klar: In wenigen Wochen ist alles aus zwischen uns.«
»Umso besser,« hätte sie beinahe gesagt.
Aber sie sah die Tränen in seinen Augenwinkeln und mochte ihm nicht wehe tun.
Vier Jahre gemeinsamen Lebens lagen hinter ihnen. Er war allzusehr an ihren Einfluß gewöhnt, als daß sie ihn ohne Rat und Zuspruch abziehen lassen durfte.
Und sie sprach ihm zu wie einem Kinde, gab seiner Mutter recht, lobte sein Vorhaben und zählte dessen Notwendigkeiten her. Um ihn über ihre eigene Stimmung zu beruhigen, erinnerte sie ihn daran, wie es stets ihr höchster Ehrgeiz gewesen sei, das Gefühl seiner Freiheit in ihm wach zu halten und seinem Glücke nie im Wege zu stehen. Auch daß sie ihm ihre freundschaftliche Neigung bewahren wolle bis an ihres Lebens Ende, beteuerte sie.
Und schließlich, als sie Abschied nahmen, weinten sie beide.