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Nun hieß sie längst wieder Lilly Czepanek.
In dem Scheidungsprozesse, der rascher Hand von statten gegangen war, da an Leugnen und Vertuschen nicht zu denken gewesen, war sie durch Richterspruch für den allein schuldigen Teil erklärt worden und hatte, einer von dem Oberst abgegebenen Erklärung zufolge, das Recht auf Führung des ehelichen Namens für immer eingebüßt.
»Hier ist nichts zu retten,« schrieb Doktor Pieper, »als allenfalls der Schmuck, den Sie sich hoffentlich meinem Rate zufolge durch fleißiges Stehenbleiben vor den Schaufenstern der geschmackvolleren Juweliere inzwischen erworben haben. Das Perlenhalsband, das Ihnen Ihr nun verflossener Gemahl an Ihrem Hochzeitstage um den Hals gelegt hat, – ein wenig auf meine Veranlassung, wie ich hinterher bekennen muß – und das ich für Sie zu erobern versuchen werde, dürfte Sie allein etliche Jahre über Wasser halten.«
Die Folge dieses Briefes war gewesen, daß Lilly das genannte Halsband, das sie nach ihrer Flucht zwischen Staatskleidern und Spitzenzeug in einem der Koffer vorgefunden hatte, von einem Goldarbeiter einpacken ließ und an die Adresse der Schwertfeger absandte.
Nun blieben ihr noch die kleineren Schmuckstücke, die sie allenfalls als persönliches Eigentum betrachten zu dürfen glaubte. Ein beträchtlicher Teil hatte sich schon verflüchtigt, der Rest konnte kaum länger als ein halbes Jahr ausreichen. Und dann war das Elend da.
Aber sie dachte kaum daran.
Der Jammer um das Verlorene, das Bewußtsein der über sie gekommenen Schmach waren zu groß, als daß sie ihr die Zukunft nicht hinter Tränenschleiern verborgen hätten.
Ja, das Weinen – o, das Weinen – das lernte sie nun.
Sie lernte die Tränen schlucken, wie man Meerwasser schluckt, sie sog sie mit hochgezogener Unterlippe in den Mund hinein, sie schüttelte sie von den Wangen weg wie Regentropfen; und immer wieder quollen sie hervor; zuletzt auch ohne Anlaß, selbst wenn es dem Schmerze zu schweigen beliebte – im Wachen und im Schlafen, nur weil sie da waren.
In zitterndem Betäubtsein, ohne Verteidigung, ohne Klage war sie an jenem grauwindigen Dezembertage zwischen Vesperläuten und Nachtbeginn von hinnen gefahren.
Aufs Geratewohl – irgendwohin. – Nur fort. Rasch fort.
In Berlin, dem Zufluchtshafen aller Gescheiterten, war sie gelandet.
In jener Welt, wo das Vergessenwerden seine segnenden Hände über Gerechte und Ungerechte breitet, wo ein Funkenspiel lockender Möglichkeiten die dämmernde Schlaffheit trüber Tage erhellt, wo der Jammer um Verlorenes sich alsbald zu glückverlangender Erwartung spannt und der Zufall als Herr und Gottheit auf dem Throne sitzt, – in jener Welt der Unbekannten und Alleingebliebenen, in der nur, wer arm und alt zugleich ist, rechtlos und hoffnungslos ins Nichts versinkt, dort hatte sie sich verkrochen.
In Pensionaten, wo die schuldvoll Geschiedenen sich aneinander drängen wie in einem Häuflein die faulenden Äpfel, wo die chilenischen Attachés zu Hause sind und die Träger geheimnisvoller Geschäfte aus Bukarest und Alexandrien den Ton angeben, trieb sie sich umher manchen öden Monat lang, wich den Konfidenzen Trost spendender Leidensgefährtinnen freundlich aus und strafte die Annäherungen – auch die körperlichen – unternehmender olivenfarbener Nachbarn mit stummer Nichtbeachtung.
Allgemach begann sie auch für eine künftige Stellung zu sorgen.
Etwas ganz Besonderes mußte es sein – zwischen Hofdame und Lady patroneß gelegen, etwas, das zu ihrem bisherigen Range und der schlichten Hoheit ihres Auftretens nicht im Mißverhältnis stand.
Aber solche Stellungen schienen merkwürdig selten.
Und als einziges Ergebnis ihres Bemühens erntete sie die Zärtlichkeiten mehrerer älterer Herren, die um die Dämmerstunde bei ihr eintraten und die Tür erst fanden, wenn sie wieder sperrangelweit geöffnet stand.
Mutlos geworden, lief sie auf kein Annoncenbureau mehr und stellte das zwecklose Klingeldrücken ein. Die Zeit aber, ihre Ansprüche auf das Maß der Ladenmädchen und Probiermamsellen zurücksinken zu lassen, war noch nicht gekommen, würde wohl auch niemals kommen, denn die »Generalin« – dazu war sie nun einmal gestempelt, wohin sie auch kam – saß ihr im Nacken.
In dem brausenden Menschenmeere trieb sie dahin ohne einen Balkensplitter, an den sie sich hätte klammern können. Den Brief Walters allenfalls ausgenommen, der ihr zwei Monate nach ihrer Verstoßung durch die Vermittlung der Schwertfeger zugegangen war und in dem der jetzt gänzlich ruinierte arme Bursch einen bescheidenen Versuch gemacht hatte, ihrer Zukunft einen Halt zu geben.
Er lautete:
»Gnädigste Freundin!
Ich bin kaput geschossen. Ein höchst geringfügiges Malheur, wenn es anderen passiert. Trifft es aber einen selber, so hat es unter anderem die Folge, daß die Hoffnung, jenseits des Ozeans die ruhmreiche Karriere eines Oberkellners zu begründen, dadurch nicht unwesentlich beeinträchtigt wird.
Nichtsdestoweniger danke ich dem Schicksal, das die Gnade hatte, mir ein so rührend gutes und menschenrettendes Lämmlein, wie meine Baronissima, in den Weg zu führen.
Daß ich nunmehr eine leise Verpflichtung fühle, auch meinerseits den Menschenretter zu spielen – schon allein damit unsere Seelen einander erhalten bleiben, – das wirst Du, Vielteure und Allzugnädige, begreiflich finden.
Das Wie? hat freilich seine Schwierigkeiten. Wollte ich Dich an meine ehemaligen Freunde weisen, so wäre Deine Zukunft damit erledigt. Denn noch immer fallen zu holder Stunde Blätter und Tugenden.
Darum steige ich eine Stufe tiefer in jene Regionen, in denen wackerer Bürgersinn vor unseren Kronen auf dem Bauche rutscht, auch wenn sie zerbrochen am Boden liegen. Es lebt zu Berlin in der Alten Jakobstraße ein tüchtiger Zinkgußwarenfabrikant, Kamerad der Reserve und dergleichen, mit Namen Richard Dehnicke, der sich mir dadurch verschuldet fühlt, daß er mir etlichen Mammon pumpte. An ihn schreibe ich zugleich mit diesem Briefe. Begib Dich kühn zwischen seine Lampen und Blumenvasen. Die einen werden, so hoff' ich, Deine Nacht erhellen, die anderen lieblich am Rande Deines Weges stehen. – Und zwar, ohne daß die bei schönen Frauen landesübliche Gegenleistung von Dir eingefordert werden dürfte. Es muß auch solche Käuze geben.
Meine künftige Adresse ist:
W.+v.+P.
Eckensteher und Glücksaspirant.
Chicago, Erster Fleischladen links.
P.S. Tommy läßt grüßen. Ich habe ihm noch rasch eine blaue Bohne zwischen die Augen gepflanzt.«
Dieser Brief, der letzte und einzige Gruß ihres Freundes, der, wie die Schwertfeger schrieb, kurze Zeit darauf mit lahmem Arme nach Amerika abgedampft war, hatte Lillys Empfinden kaum noch berührt. – Wie er ohne Bitterkeit und Vorwurf an sie dachte, so wollte sie es auch. Ein ehrenvolles Begräbnis hatte diese Liebe schon verdient, mochte ihre Trunkenheit auch unecht gewesen, mochte ihr hoher Sinn auch in Schmutz und Schanden untergesunken sein.
»Damit unsere Seelen einander erhalten bleiben,« hatte er geschrieben, der liebe, kleine Kerl. –
Wohl bot sein Brief eine gewisse Gewähr dafür, daß in der Stunde der Not eine helfende Hand sich nach ihr ausstrecken würde, aber den Gang, den er ihr anempfahl, gedachte sie nie und nimmer zu tun. – Sie hatte Angst vor allem, was mit Männeraugen begehrlich forschend ihr ins Gesicht sah, was von Männerlippen willensstark und überredend ihr entgegenströmte.
Sie wollte ihr Schicksal in der Hand behalten und eigene Wege gehen.
Welche freilich, das blieb ihr unklar.
So willenlos war sie durch Gram und Verängstigung geworden, daß es kaum einmal eines Anstoßes, nur eines Windhauches bedurft hätte, um ihrem künftigen Leben eine Richtung zu geben.
Aber von nirgendsher blies einer über sie hin.
Immer neue Monate verstrichen. Die Briefe der Schwertfeger blieben aus. Die Geldmittel erschöpften sich, der kleine Schatz an Schmucksachen schmolz zusammen.
Immer bescheidener wurden die Pensionate, in die sie übersiedelte. Statt chilenischer Attachés und griechischer Geschäftemacher, wünschten verkrachte Güteragenten und stellenlose Bankbeamte sich als Trösteinsamkeit ihrer Abende anzunehmen, und die Damen, die ihr in schmutzigen Hängern nachbarliche Besuche abstatten kamen, warfen begehrliche Blicke nach den paar Broschen, Armbändern und Ringen, die ihr noch übrig blieben.
Da beschloß sie mit dieser Art von Lebensführung ein Ende zu machen.