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Es war in der Dämmerung eines regennassen Novembertages. Alle Dachrinnen trieften, und an den Eisenstäben des Beischlaggitters glitten in endloser Kette die grauen Tropfen dahin, um sich kopfüber in die Lache zu stürzen, die blank auf dem Estrich stand.
Ein trübseliges Vergnügen, dem Spiele zuzuschauen. Aber wo gab es heute ein besseres?
Da öffnete sich die Tür – die Klingel gellte – und herein hüpfte und stampfte mit hoch heraufgeschlagenem Rockkragen und tief herabgeschobenem Hut ein blondes, fixes Kerlchen, dessen kurzgeschorenes Haupthaar erglänzte wie weißgelber Sammet und das einen leisen Duft von Juchten und Parmaveilchen vor sich herströmen ließ.
Er maß Lilly zwischen herrisch zusammengekniffenen Lidern mit einem flüchtigen und scheinbar enttäuschten Blicke, gab ein knarrendes »Guten Abend« von sich und musterte umständlich die hinteren Räumlichkeiten, als müsse hinter den Bücherschränken noch irgend jemand zu seiner besonderen Begrüßung hervortauchen.
Lilly fragte nach seinem Begehr.
»Ah, Sie sind wohl das Leihbibliotheksfräulein?« fragte er zurück, durch ihre Existenz in eine Art von nachlässiger Heiterkeit versetzt.
Lilly bejahte.
»Das ist sehr gut,« erwiderte er, »wirklich sehr gut!« – und in den verzwickten, weißwimprigen Augen tanzten tausend kleine Lustigkeiten.
Lilly fragte, welches Buch er zu lesen wünsche.
»Wissen Sie, mein sehr geehrtes und gelehrtes Fräulein, ich bin nicht gerade sehr zu Haus in der deutschen Literatur und den angrenzenden Wissenschaften, aber ich habe seit gestern einen fabelhaften, einen geradezu gymnasialen Bildungseifer. Wenn Sie mir Ihre gewiß höchst wertvolle – –«
Er hielt plötzlich inne, klemmte ein Einglas ins Auge, besah sie von rechts unten, besah sie von links unten, wie man vor dem Kaufe ein hochbeiniges Pferd besieht, murmelte etwas wie »Donnerwetter« und wünschte dann eiligst Licht gemacht zu haben.
Und da man in der Tat kaum mehr die Nummern auf den Bücherrücken lesen konnte, so hatte Lilly keinen Grund, ihm diesen Wunsch nicht zu erfüllen.
Als sie sich in ihrer ganzen Herrlichkeit emporreckte, um den Zylinder von der Hängelampe zu heben, stieß er ein zweites, lauteres »Donnerwetter« aus. Und als sie, von der Flamme seitlich beschienen, mit beklommener Frage in den unwahrscheinlichen Augen – den lange versteckt gebliebenen Lillyaugen – vor ihm stand, da sank er, um sein vollendetes Baffsein zu markieren, auf den Stuhlsitz nieder, faltete die Hände und bat um Gnade.
Lilly fühlte ein heißes Gekränktsein in sich aufsteigen. So niedrig also wurde sie in ihrer Stellung bewertet, daß ein vornehmer junger Herr, – der erste, der sich in anderthalb Jahren zu ihr herein verirrt hatte, – es nicht für nötig hielt, ihr die allerselbstverständlichste Höflichkeit entgegen zu bringen.
»Wenn Sie nicht ein Buch zu leihen wünschen, mein Herr,« sagte sie und maß ihn von oben herab, »dann verlassen Sie, bitte, das Zimmer.«
»Was – was sagen Sie da,« erwiderte er entrüstet, »ich ein Buch leihen? ein Buch? ein lumpiges Buch? – mehr nicht? … für jede fünf Minuten, die ich hier bleiben darf, leihe ich ein ganzes Bordbrett … ich leihe meinetwegen den ganzen Schrank voll – aber unter der Bedingung, daß ich ihn morgen schon wiederbringen darf … ich werde sofort einen Vertrag mit der ersten hiesigen Transportgesellschaft abschließen, damit sie die Schränke immer hin und her schleppt, immer hin und her … Halt – halt – aber mir scheint, ich habe gehört, daß man in den Leihbibliotheken für jedes Buch drei Mark Pfand zahlen muß – nicht wahr? ist es nicht so?«
Lilly staunte ihn an und bejahte.
»Da ich nun aber so viel Geld im Augenblick gar nicht besitze, so muß ich schon bitten, mich als Pfand selber hier zu behalten … Ich begebe mich also gewissermaßen zu Ihnen ins Schuldgefängnis … Sehr fatal für beide Teile – aber was kann man da machen, gnädiges Fräulein?«
Wider ihren Willen mußte sie lachen.
»Ah, sie ist versöhnt!« rief er triumphierend. »Die junge Majestät ist versöhnt, und nun lassen Sie uns wie ehrbare Freunde miteinander verkehren … Sehen Sie mich mal genau an, mein gnädigstes Fräulein! Sehe ich Ihnen aus, als ob ich Bücher lese? Ich habe zwar so meine Erwählten in der Weltliteratur, Schlicht, Roda-Roda und Winterfeld und was sonst noch so vorgibt, den Humor des Soldatenlebens zu kennen, aber wenn ich hierher gekommen bin, so hat das eine tiefere Bewandtnis. Ich hoffe, ich darf sie Ihnen anvertrauen.«
»Wenn Sie es für nötig halten,« stammelte Lilly, deren Blick gebannt an der leuchtenden Kette hing, die unter dem Ärmel des sandfarbenen Paletots hervorschaute. Sie hatte nie gewußt, daß Männer goldene Armbänder tragen.
»Also, ich liebe es, mich gegen Abend in Räuberzivil – sonst trage ich nämlich Uniform – nicht mehr lange – ich werde schon in den nächsten Wochen das Zeitliche segnen … denn wissen Sie, was Schulden sind, mein gnädiges Fräulein? – Nein? Nu, da seien Sie vergnügt – Schulden sind der bittere Bodensatz in der Limonade des menschlichen Daseins, und diese Limonade ist schon an sich nicht übermäßig gezuckert. Aber was wollte ich doch sagen? Ja richtig – also gegen Abend, da liebe ich es, den Harun al Raschid zu spielen und mich um die Volksgunst zu bewerben, indem ich die empfehlenswerteren Töchter dieses tüchtigen Volkes durch eine kleine Ansprache beehre. Verstehen Sie? So in entlegeneren Gegenden, wo hoch der Zaun und still der Neubau steht – Also – gestern, ich – hinter zweien her … lachen über die Schulter weg – und wippen mit den Röckchen – und überhaupt so, wie gut erzogene junge Mädchen zu tun pflegen.«
»Verzeihung, ich möchte dieses Gespräch gern abbrechen,« sagte Lilly, die schamrot geworden war.
»Im Gegenteil, mein gnädiges Fräulein,« erwiderte er, »daß Sie eine vollendete Dame sind, und mit solchen kitzligen Sachen nichts zu tun haben, das weiß ich längst. Ich beichte ja auch nur, um von Ihrer Reinheit eine kleine Absolution zu erlangen.«
Diese Wendung tat Lillys Seele wohl, und sie widersprach nicht mehr.
»Die beiden gehen also Arm in Arm vor mir her. Aber kaum habe ich sie erreicht, da lege ich mich fix dazwischen wie die Wurst zwischen zwei Butterbrötchen. Und sie sind auch sehr leutselig und erzählen mir, daß sie die Besitzerinnen einer großen Leihbibliothek sind, und sie werden demnächst in Berlin eine Kunsthandlung aufmachen – und so dergleichen. Aber ihre Adresse sagen sie nicht … und da ich bis vor wenigen Minuten fand, – ich muß es mit Beschämung gestehen, – daß sie gewissermaßen ihre Meriten hatten, so klappere ich jetzt einfach an der Hand des Adreßbuches sämtliche Leihbibliotheken ab. Es sind mit den bekannten Buchhandlungen nur drei. Die beiden anderen habe ich untersucht. Und nun ich auch die dritte kenne, können mir die beiden Kunsthändlerinnen gehorsamst gestohlen bleiben.«
In Lilly stiegen Spott und Schadenfreude grell empor. Sie lachte kurz auf, hütete sich aber wohl, die Existenz der beiden preiszugeben.
Dann – damit sie sehe, daß ihrer Hoheit gegenüber jede Abenteuersucht ein Ende habe – stellte er sich in voller Form rechtens vor: »von Prell, künftiger Leutnant außer Dienst.«
Und ihren fragenden Blick auffangend, fuhr er fort: »Denn wie ich schon zart andeutete, gnädiges Fräulein, meine Tage im Regiment sind gezählt … Dieser Regenschirm, auf den ich mich augenblicklich einexerziere, wird demnächst dauernd als Sonne – oder sagen wir korrekter, als Sonnenfinsternis – über meinem Haupte schweben.«
Lilly fragte schüchtern, ob ihm das Leben als Offizier nicht mehr gefalle.
»Ich wüßte bisher kein Leben, das mir nicht gefallen hätte,« – und der Übermut glitzerte mit kleinen Lichtern aus feinen hellgrauen Äuglein – »aber der väterliche Mammon ist futsch, und mein Sold als Kriegsknecht reicht allenfalls zu Radieschen. Gegen Weihnachten sind aber sogar die Radieschen teuer. Und da tue ich am besten, ich schaffe mir ein altes Heringsfaß an und lasse mich einsalzen. Wenn Sie zufällig eins billig für mich kaufen können, ich zahle die höchsten Preise.«
Lilly lachte ihm fröhlich ins Gesicht, und er lachte mit, indem er die Hände in die Hüften stemmte und ein kleines, fistelstimmiges Kichern hören ließ, das, so leise es klang, den überschlanken, sehnigen Körper wie ein Sturm von Lustigkeit erbeben ließ.
Sie saßen sich nun wie zwei gute Freunde gegenüber. Der Ladentisch trennte sie, und Lilly wünschte, diese Stunde möchte kein Ende nehmen.
Als jetzt ein junges Dienstmädchen erschien, um für seine Herrschaft einen Band Flygare-Carlén zu wechseln, richtete er sich schlichtweg aufs Bleiben ein, besah etliche Bücherrücken und tat, als wäre er zum Hause gehörig. Dann, als die Kleine sich empfahl, riß er beflissen die Tür auf und dienerte hinter ihr her.
Lilly geriet immer mehr ins Lachen hinein und konnte nur noch mühsam an sich halten.
»Bevor die nächste kommt, müssen Sie gehen,« sagte sie. »Sonst denkt man sich noch was Schlimmes.«
»Warum?« fragte er. »Es kommen ja immer andere.«
Dann, als sie darauf bestand, legte er sich aufs Betteln. »Sehen Sie, mein allergnädigstes Fräulein, ich bin berühmt als ein Mensch ohne jeden moralischen Halt. Seien Sie meine Stütze durchs menschliche Leben – wenigstens so lange, bis die Tür zum nächsten Male geht. Während ich hier sitze, kann ich keine dummen Streiche machen, und das muß doch Ihrem mildtätigen Herzen ein gewisser Trost sein.«
Und so kam man überein, daß er, bis die Klingel wieder schellen würde, seinen Platz als berechtigter Inhaber behaupten dürfe.
Er legte sich wohlig gegen die Stuhllehne zurück und besah Lilly mit der zärtlichen Rührung des unumschränkten Besitzers.
»Alles Malheur auf Erden kommt von der Geschwätzigkeit,« begann er. »Wenn Kolumbus die Geschichte von der Entdeckung Amerikas hübsch für sich behalten hätte, würde ihm niemand Unannehmlichkeiten verursacht haben. Ich werde schlauer sein und meine Entdeckung als unser beider Familiengeheimnis betrachten … Das wär' ein Fressen für die Kerls! … Laß die sich man an solche Dämmerungsfalter halten wie die beiden hoffnungsvollen Kunsthändlerinnen, denen ich das Glück unserer jungen Freundschaft verdanke.«
Lilly hatte die Schwestern ganz und gar vergessen. Es war die Stunde, in der sie heimzukehren pflegten. Wenn sie plötzlich die Tür öffneten –
Die Klingel tönte. Nein, sie waren es nicht. Ein altes Fräulein, das täglich einige Bände Liebesglück verschlang, kam, um sich zum Abend neue Nahrung zu holen.
Der fröhliche Leutnant war des Paktes gedenk. Er schnellte von seinem Sitz empor. Seine Haltung verengte sich zu offizieller Kühle.
»Möchte mir gestatten,« schnarrte er, »um die neueste Erscheinung von – von –« offenbar fiel kein deutscher Schriftstellername ihm ein, und erst nach scharfem Nachdenken kam ihm der erlösende Name, »– von – Gerstäcker zu bitten.«
Lilly brachte ihm diese neueste Erscheinung, – sie trug die Jahreszahl 1849 – er zahlte die gesetzlichen drei Mark als Pfandgebühr und empfahl sich mit einem überhöflichen Kratzfuß, während zwischen seinen silberweißen Wimpern die kleinen Teufelchen spielten.
Bald darauf kamen die Schwestern nach Hause, maßen mit Argwohn Lillys flammende Backen und gingen grußlos an ihr vorbei. – – –
Der nächste Tag verlief wie jeder andere, aber in Lilly zitterte etwas wie weihnachtliche Erwartung, eine mahnende Unrast, ein Drängen nach neuem Leben.
Und siehe da! Um dieselbe Stunde wie gestern öffnete sich die Tür, und herein traten zwei elegante junge Herren, die einen knarrenden »Guten Abend« wünschten und, während sie ein wenig pfiffig und ein wenig befangen nach »etwas Lektüre« verlangten, Lilly mit großen, sachverständigen Augen musterten.
Sie fühlte ein mattes Erstarren in ihren Gelenken, wie immer, wenn das Bewußtsein, beobachtet und bewundert zu sein, sie übermannte. Aber sie behielt ihre Haltung, und als die Herren nach der Auswahl ihrer Schmöker, – die sie übrigens kaum eines Blickes gewürdigt hatten, – eine scherzende Unterhaltung beginnen wollten, warf sie den Kopf in den Nacken und trat hinter einen der Bücherschränke, der die Bände L bis N beherbergte, denselben, in dessen Schutze sie vor dem Fensterbrett ihre Schreibereien zu besorgen pflegte.
Die Herren berieten leise und traten dann mit kleinlautem Gruß den Rückzug an.
Ihr lustiger Freund hatte sie also doch verraten! – –
Von nun an wimmelte es in der armen Winkelbibliothek der Frau Kantor Asmussen von schlanken und patenten jungen Herren, die, von einer unersättlichen Lesegier gepeitscht, eine muffige Schwarte gegen die andere eintauschten.
Nur wenige wagten in Uniform zu kommen, aber ihre Namen verschwiegen sie nicht, und die letzte Seite des Kundenverzeichnisses sah aus, wie dem Gothaschen Almanach entnommen.
Die einen hüllten sich in geschäftsmäßige Strenge, die anderen kamen in nachlässiger Siegessicherheit daher. Einer liebelte auf der Stelle los, ein anderer wagte sogar über den Ladentisch hinweg ein Spiel von Handgreiflichkeiten, und der naivste von allen warf die herablassende Frage hin, an welchem der nächsten Tage er ihren liebenswürdigen Besuch erwarten könne.
Lilly hatte alsbald begriffen, daß sie sich durch diese Aufmerksamkeiten weder gekränkt noch geehrt fühlen durfte. Mit den Höflichen plauderte sie unbefangen, die Frechen fertigte sie wortlos ab, und sobald ein Gespräch sich in die Länge zu ziehen drohte, verschwand sie hinter dem Bücherschränke L bis N.
Es dauerte etliche Tage, da hatten die Schwestern die vornehmen Besucher entdeckt.
Ihre eifersüchtige Wut sprengte jedes Maß des Anstandes. Von nun an war Lilly keine Beleidigung, keine Schmach erspart. Nie gehörte Schimpfwörter rannen schmutzig auf sie nieder, und als sie das Ansinnen, den beiden ihren Platz am Ladentische einzuräumen, rundweg abschlug, ging man zu Mißhandlungen über.
In höchster Not wurde Frau Asmussen ihre Helferin.
Der Besen schauerte auf die weißen Nachtjacken der Megären nieder und trieb sie ins Hinterzimmer, wo die Schlacht in Tränenströmen erstickt wurde.
Aber die Feindseligkeiten dauerten fort. Und sah man sich während der Geschäftszeit um der Besucher willen zu einiger Zurückhaltung gezwungen, so ließ man morgens und abends seinen Gefühlen umso freieren Lauf.
Lillys Leben wurde zur Hölle.
Eine Kruste von Haß und Erbitterung legte sich um ihre Seele. Halb mit Schrecken, halb mit Genugtuung sah sie sich härter und bissiger werden, nur wenn sie zur Nacht den brennenden Kopf in die Kissen wühlte, brach ihr Jammer sich in lautlosem Weinen Bahn.
Der lustige Freund mit den weißen Wimpern, der das ganze Unglück angerichtet, hatte sich nicht wieder sehen lassen.
Erst etwa zehn bis vierzehn Tage nach seinem ersten Besuche trat er wieder ins Zimmer, schleppte ein wenig die Beine und hatte dicke, verwässerte Augen.
»Dies ist die gesprenkelte Topf- oder Gartennelke,« sagte er, die Seidenpapierhülse von dem Päckchen lösend, das er in der Hand hatte. »Sie hält sich fünf bis sechs Tage frisch, länger als jeder Abschiedsschmerz.«
Lilly, die bei seinem Anblick eine kleine, trostbringende Freude in sich aufleuchten fühlte, nahm den Strauß wie etwas, worauf sie ein Recht hatte. Dann machte sie ihm ein paar Vorwürfe darüber, daß er den Mund nicht hatte halten können.
»Ich sagte Ihnen ja,« erwiderte er gleichmütig, »daß ich ein Mensch ohne jeden moralischen Halt bin.«
Und dann erzählte er ihr, er sei nun endgültig aus dem Regimente weggegessen und hätte nichts dringenderes zu tun, als sich eine Fahrkarte zu lösen, – wenn er nur erst wüßte, wohin?
»Aber darum belieben wir uns noch nicht einmal hinter den Ohren zu kratzen,« fuhr er fort. »Glänzende Leut' wie wir beide machen auch glänzende Karrieren … Mein Lebensweg führt an einer kühlen Sektquelle entlang und ist mit kleinen Fleischpastetchen gepflastert. Das ist Kismet. Dagegen kann man nichts machen. Und wenn er schließlich auf einer Sirupfarm in Louisiana endet, so soll's mir auch egal sein. Man sieht doch immer was Neues, und darauf kommt es hauptsächlich an. Vorläufig will mich der Alte, der einen Narren an mir gefressen hat, auf seinem Gute als Fritz Triddelfitz rumlaufen lassen. Ich bin neugierig, was ich da wieder für'n Feetz anstellen werde.«
Und er lachte sein hohes, kaum hörbares Lachen, das ihn schüttelte wie ein Sturm.
Lilly wollte wissen, wer das wäre: »der Alte«.
Daß man das erst fragen mußte, schien ihm unfaßbar.
»Haben Sie 'ne Ahnung vom menschlichen Leben, wenn Sie nicht mal wissen, wer der Alte is. Der Alte ist der Rohrstock hinterm Spiegel. – Der Alte bestimmt, was auf Erden gut und böse ist. – Der Alte bricht dem einen das Genick und bezahlt dem andern die Schulden. – Der Alte ist der große Bowlentopp für alle unsere Tugenden und alle unsere Sünden, und dabei ist der Alte der ewig Junge. – Der Alte kriegt Sie zu sehen und sagt: ›Komm mal her, kleines Mädchen. Ich bin ein graues, altes Scheusal, aber ich wünsche dich zu haben.‹ Und dann bleibt Ihnen gerade bloß noch die Courage zu fragen: ›Wann befehlt Ihr, hoher Herr?‹ … Sehen Sie, Kindchen, das ist der Alte … Gehetzt haben sie ihn schon längst auf Sie, und sollte der wirklich mal den Weg zu Ihnen finden, dann gnad' Ihnen Gott. Dann ist es Matthäi am Letzten mit meiner armen jungen Königin.«
»Und dabei weiß ich noch immer nicht, wer der Alte ist,« sagte Lilly, der bei diesem rätselhaften Bangemachen ein wenig unbehaglich zu Mute wurde.
»Dann fragen Sie auch nicht,« erwiderte er und reichte ihr zum Abschied die von Sommersprossen gesprenkelte Hand.
»Es is schad' um uns beide,« fügte er hinzu, sie zwischen zusammengekniffenen Wimpern hervor mit zärtlichem Bedauern anlachend. »Wir hätten die Weltgeschichte so gut um ein berühmtes Liebespaar bereichern können.«
Und dann sich über den Ladentisch hinwegreckend: »Da ich ein Mensch ohne jeden moralischen Halt bin, möchte ich Ihnen noch gern einen Kuß verabfolgen.«
Lilly hielt ihm lachend den Mund hin.
Als er sie geküßt hatte, wandte er sich steifbeinig zur Tür.
»Ich kann gar nicht laufen, ich bin so verbummelt,« sagte er, und damit war er draußen. – – –
Lilly wurde nach dieser Unterredung von einem ähnlichen Unruhegefühl befallen, wie damals, als ihr lustiger Freund zum erstenmal bei ihr gewesen war. Ihr schien's, als würde sie im Spiel von kitzelnden Ruten leise gepeitscht.
Und darein mischte sich diesmal eine Angst, die halb quälerisch, halb wohlig ihre Nerven erbeben ließ, – eine Angst, als stünde sie harrend vor einer verschlossenen goldenen Tür, hinter der, bereit sie zu ergreifen, ein unbekanntes Schicksal kauerte.