Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XV

In der Nacht von Sonnabend zu Sonntag waren sie auf Lischnitz angekommen.

Der Oberst hatte sich jeden Empfang verbeten gehabt, darum war von dem Schloß und den Hofgebäuden nichts mehr zu sehen gewesen als schwarze Schattenmassen, die der verschleierte Mond mit lichten Randlinien bestrich.

Ein paar Mägde hatten mit Windlichtern auf der bekränzten Freitreppe gestanden, und eine Dame, überschlank, mit Wespentaille und einem Flammenkranz von rotblonden, weißdurchfädelten Haaren hatte ein paar lange, sehr dünne Arme um ihren Hals geschlungen und mit einer wehleidig knirschenden Stimme mütterliche Willkommenworte gesprochen, die eine rasche Annäherung bezwecken sollten, ihr aber in Scheu und Bangen das Herz zusammenpreßten.

Dann war sie, von Übermüdung gelähmt, in ein weiß-bauschiges Messingbett gesunken, auf dessen goldglänzenden Stangen lichtblaue Seidenschleifen saßen wie fremde, große Schmetterlinge.

Und diese Schmetterlinge zogen sie auch aus dämmerndem Halbschlaf in den neuen Tag, in das neue Leben hinein.

Eine Goldampel hing von der Decke mit weißen Milchglasscheiben und blaue Schleier darüber geworfen … Bis zur Brusthöhe etwa zog sich an den Wänden entlang ein weißlackiertes Getäfel, und von dessen oberem Rande bis zur Decke empor spannten sich in gleichfalls weißlackierten Rahmen Seidentapeten von derselben lichtblauen Farbe, wie Steppdecke und Bettschleifen sie hatten.

Durch die schweren Vorhänge quoll ein Lichtspalt, der das alles zeigte und der über den gelblichen, lichtblau durchrankten Perserteppich eine leuchtende Brücke warf.

Aufjauchzend sprang sie aus dem Bett und trampelte in den Teppich hinein, der Wellen zu schlagen schien – so weich und so hochgeschoren war er.

Von dem Oberst ließ sich nichts sehen und nichts hören.

Daß er sein Schlafzimmer fortan von dem ihren trennen würde, das hatte er längst schon gesagt. Aber daneben – hinter jener weißglänzenden Schnitztür, mußte es liegen.

Vorsichtig öffnend schaute sie hinein.

Die Fenstervorhänge waren kaum geöffnet … Das Bett – ein mächtiges, dunkelschweres Mahagonibett, stand mit zerbeulten Kissen – leer … Stiche von Reitpferden an den Wänden, lange Stiefel, Peitschen, Pistolen, ein paar Uniformröcke, auf dem runden Sofatisch ein Shagpfeifengestell und neben dem Bett die Tube mit seiner Ischiassalbe … So hatte er sich also gestern abend tückischerweise selber eingerieben, obgleich das doch sonst immer ihr heiliges Amt gewesen war.

Mitten in ihrem Gekränktsein überfiel sie ein leises Erschauern. Das war alles so fremd und so hart und als lauerten unbekannte Drohungen dahinter.

Rasch schlug sie die Tür wieder zu und floh in ihr lichtblauseidenes Reich zurück.

Noch zwei andere Türen hatte der Raum. Die eine ging auf den Korridor hinaus; – von dorther hatte Fräulein von Schwertfeger sie gestern hereingeführt.

Und schon erschauerte sie wieder. Ohne zu bitten, ohne zu fragen, hatte die dünne, wehleidige Person mit dem erloschenen Auge und den befehlenden Manieren sich gestern ihrer bemächtigt. Ein Blick war zwischen ihr und dem Oberst ausgetauscht worden. Ein kurzer Blick des Einverständnisses, der hieß: »Ich übergebe sie dir.«

So war sie ihr denn auf Gnade und Ungnade verfallen.

Wohl hatte das Fräulein sich ihr auch weiterhin anzuschmeicheln versucht, hatte mit Kosenamen um sich geworfen und ihr den wärmenden Tee selber ans Bett gebracht, aber in ihr, die sonst jedem Menschen, ob Mann, ob Weib, in hoffendem Vertrauen entgegenflog, hatte eine Stimme geschrieen: »Nimm dich in acht!«

Und wie sie in zagem Erinnern die Tür anstarrte, die gestern die Spinnenfinger vor ihr geöffnet hatten, übermannte sie mitten in ihrer lichten Herrlichkeit ein Gefühl des Fremdseins und Verlassenseins, das ihr das Herz abdrücken wollte.

Mit fliegenden Händen warf sie das Morgenkleid über, das die Schwertfeger noch gestern ausgepackt und leise hereingetragen haben mußte, denn ganz selbstverständlich hing es neben dem Bette.

Nun blieb noch die dritte Tür zu untersuchen, die, wie sie hoffte, irgendwohin ins Freie führte.

Vorsichtig drückte sie auf die Klinke, und mit leisem Aufschrei fuhr sie geblendet zurück.

Ein schmaler, sonnendurchfluteter Raum, ganz mit Blumen erfüllt, lachte ihr wie ein Gottesgarten entgegen … Mannshohe Azaleen breiteten ihre rosigen Blütenkronen über ein kissenbeladenes Ruhebett … Ein süßer, kleiner Schreibtisch stand da, mit Perlmutter und Schildpatteinlagen, darüber neigte eine Palme ruhevoll ihre schmeichelnden Wedel … Aber das war noch nicht einmal das Schönste. Das Schönste war der Toilettentisch. In weiße Spitzen gehüllt, grüßte er lieb und schämig aus einer Ecke. Eine große, an den Kanten scharf geschliffene Platte von dickem Kristallglas bedeckte ihn. Und darauf stand ein hoher, aus drei verschiebbaren Teilen bestehender Spiegel, in dem man sich von allen Seiten begucken konnte, – die Coiffüre im Nacken, den Schluß des Kleides und alles.

Ein solcher Spiegel war schon längst ihr Wunsch gewesen. Nur hatte sie nie darum zu bitten gewagt.

Dieser Raum war zweifellos das »Boudoir«.

Sie, Lilly Czepanek, besaß ein »Boudoir«! War solch ein Wunder auszudenken?

Auf der Glasplatte lag noch allerhand, was sich im ersten Augenblick gar nicht übersehen ließ und dennoch wie eine himmlische Offenbarung Auge und Seele weitete: da waren elfenbeinerne Bürsten, drei, vier an der Zahl – die eine weicher, die andere härter – ein elfenbeinerner Spiegel mit holdselig geschnitztem Handgriff – eine Puderquaste in elfenbeinernem Döschen – ein Handschuhknöpfer, ein Stiefelzieher – alles aus Silber und Elfenbein. – Und noch viel mehr, viel mehr! – Lauter geheimnisvolle Dinge, deren Bedeutung man erst allmählich kennen lernen mußte. Und auf jedem prangten goldglänzend die ineinander verschlungenen Buchstaben L. M. und eine siebenzackige Krone darüber.

Kurz, es war zum Verrücktwerden schön!

Als sie dies alles zur Genüge bewundert hatte, machte sie sich daran, ihren Eroberungsfeldzug auch auf weiterliegende Gebiete auszudehnen.

Der Raum, in dem sie sich befand, hatte nur ein Fenster oder vielmehr eine Glastür. Die ging auf einen Balkon hinaus, auf dem ein Schaukelstuhl stand und dessen sehr hohes Eisengitter jungsprossende Weinranken trug. Später im Jahr, wenn die Blätter ausgewachsen waren, mußte man dort von grünen Mauern ganz umschlossen sein. Jetzt aber im frühen Frühling war noch soviel Licht zwischen den Trieben, daß man von unten her leicht gesehen werden konnte.

Darum öffnete sie leise die Flügel der Glastür und schob sich vorsichtig ins Freie hinaus.

Links – über eine Gartenmauer ragend – die Scheunen und Stallungen, die in einem mächtigen Viereck den weitgedehnten Hofplatz umgaben.

Rechts – das Astgewirr moosgrüner Baumriesen, kraus ineinander geschlungen und mit noch spärlichem Blattwerk wie mit goldenen Knöpfchen besetzt; – und darin ein Vogelskandal, der einem wie ein Hagelwetter von Tönen betäubend in die Ohren drang.

Geradeaus – ein Dachgiebel, etwa dreißig Schritte entfernt, zu einem altertümlichen einstöckigen Bauwerk gehörig, das gleichfalls an die Parkmauer grenzte und dessen vorderer Ausgang nach dem Hofe zu münden schien.

Hier sah man auch endlich ein paar Menschen. Zwei Herren – der eine mit grauem Rundbarte, der andere, dick und kupfrig von Farbe und mittelalt – gingen rauchend und eifrig sprechend hinter dem Hause auf und nieder, während ein dritter –

Ja, was war denn das?

Der schlanke, sehnige junge Mann mit dem hohen Halskragen und den hellgelben Gamaschen, der dort auf der Fensterbank des Giebelendes saß und einen roten jungen Hund an dünner Kette zu sich auf den Schoß zerrte, das war doch – nein, unmöglich! – und doch – das war – das war niemand sonst als – Walter von Prell.

Ja, das war ihr lustiger Freund, der um die Ecke gegangene, kleine Leutnant, berühmt als ein Mensch ohne jeden sittlichen Halt und der einzige auf Erden, der je ihren Mund geküßt hatte.

Außer dem Oberst natürlich, doch der zählte nicht.

Da waren die silberweißen Wimpern – und das klingelnde Armband, – und das helle, fast lautlose Lachen, das ihn jedesmal schüttelte wie ein Sturm, wenn der rote, spitzohrige Hund sich von seinem Knie herab fallen ließ … Nur der kurz geschorene Gelbsammetkopf war nicht mehr da, der hatte einer geölten und etwas struppigen Scheitelfrisur Platz machen müssen.

Mit hellem Auflachen streckte sie die Arme nach ihm aus.

»Herr von Prell, Herr von Prell!« wollte sie rufen, aber glücklicherweise verschluckte sie es noch.

Gleichviel, nun war sie ja nicht mehr einsam in dieser fremden Welt. Ihr lustiger Freund war da, ihr Kumpan, ihr Spießgeselle, er, dem sie ihr ganzes Lebensglück verdankte.

Und dann besann sie sich auch, daß er gesagt hatte, der Alte habe einen Narren an ihm gefressen und wolle ihn als »Fritz Triddelfitz« – ihre »Stromtid« kannte sie gut – bei sich herumlaufen lassen.

Merkwürdig war es nur, daß es in diesen Monaten dem Oberst nie eingefallen war, von seiner Anwesenheit eine Silbe zu erwähnen.

Freilich, er hatte ja nur selten von seinem Gute gesprochen. Und auch die Schwertfeger war ihm nur dann in den Sinn gekommen, wenn er seiner jungen Frau eine Rüge hatte verabfolgen wollen.

Ob er ahnen mochte, daß dieser da und kein anderer sie entdeckt und ans Tageslicht gezogen hatte? Jedenfalls wollte sie dem Oberst und der Schwertfeger noch heute vormittag sagen, daß sie einen alten Bekannten getroffen habe. Von dem Kuß brauchten sie ja nichts zu erfahren. Wozu auch? Der hatte ja nicht mehr bedeutet als einer im Pfänderspiele …

Gerade, als sie wieder ins Schlafzimmer zurückgeschlüpft war und die Vorhänge geöffnet hatte, klopfte es. Drei kurze, hastige, gleichsam prüfende Schläge, die ihr durch Mark und Bein gingen.

Die Schwertfeger war's. Natürlich war's die Schwertfeger. Wer sonst hätte sie so zusammenschrecken lassen?

Man küßte sie auf die Stirn, man streichelte ihr die Wangen voll Rücksicht und Zuneigung. Aber der Blick der großen, blassen Augen ging schweigend an ihr auf und nieder, und um den fleischigen, hartgeschnittenen Mund, dessen ganze Umgebung bis zu den Backen hinauf gerötet war, – wie man es bei feinhäutigen, vorzeitig alternden Frauen häufig findet – huschte ein verkniffenes, bitteres Lächeln.

Auf dem Arme hielt sie einen Packen Kleider, die Lilly als die ihren erkannte.

»Ich habe Ihnen das Nötige mitgebracht, mein geliebtes Kind,« sagte sie, »damit Sie sich für den Vormittag anziehen können. Es ist nicht Sitte bei uns auf dem Lande, im Morgenkleid herumzulaufen. Zudem wollen wir gleich nach dem Tee einen Rundgang machen, damit Sie Wirtschaft und Leute und alles kennen lernen.«

»Werde ich auch selbst wirtschaften dürfen?« fragte Lilly zaghaft.

»Wenn Sie es verstehen,« sagte die Schwertfeger, und kaute sich mit einem schielenden Seitenblicke die Lippen.

Lilly fühlte dunkel, daß schon diese eine harmlose Frage einen Einbruch in fremde Rechte bedeutet hatte, und um ihre Unvorsichtigkeit rasch wieder gut zu machen, fügte sie stotternd hinzu: »Das heißt – ich verlange ja nur, was mir« – »erlaubt ist,« wollte sie sagen, aber die Schwertfeger unterbrach sie.

»Mein liebes Kind,« erwiderte sie emporwachsend, »Sie kommen zwar als Herrin hierher, und niemand erkennt das so ohne weiteres an wie ich. Aber da ich es gut mit Ihnen meine, so rate ich Ihnen, vorläufig gar nichts zu verlangen, sondern nur auf Ihre eigene Haltung bedacht zu sein … Von dieser Haltung wird es abhängen, wie bald Sie in Wahrheit sein werden, was Sie jetzt leider nur dem Namen nach sind.«

Lilly schwieg bedrückt und gedemütigt.

Die Zuchtmeisterin streckte bereits die Krallen heraus.

»Ich rate Ihnen ferner,« fuhr sie fort, »zu bedenken, daß Sie das Terrain, auf dem Sie sich in Zukunft bewegen sollen, erst kennen lernen müssen, und daß Sie zu diesem Zweck einer Führerin bedürfen, die um einiges besser Bescheid weiß als Sie. Sonst würden Sie alsbald in Lagen geraten, die nicht mehr aufzubessern sind, und das würde vor allen Dingen wegen Ihrer Beziehungen zum Obersten doch sehr zu beklagen sein.«

Lilly fühlte die Tränen hochsteigen. Die alte Wehrlosigkeit, die ihr schlimmster Fehler war, kam wieder einmal über sie.

»Ach bitte, seien Sie mir wenigstens nicht feindlich gesonnen,« flehte sie, die Hände faltend.

In dem ausgeblaßten Auge der Schwertfeger, das unter schweren Lidern halb versunken lag, flammte etwas auf. – Eine Frage, ein Verwundern, ein Mitleid. Man konnte nicht wissen, was es war.

Für einen Augenblick starrte sie an ihr vorbei ins Leere, und Lilly sah ein nobles, kühnes, wie aus Marmor gemeißeltes Profil, das einer ganz anderen zu gehören schien.

Dann fühlte sie sich von ihren langen Armen umschlungen und mit einem Drucke festgehalten, der wärmer, echter schien als alle die Liebkosungen, die sie seit gestern abend von ihr erlebt hatte.

»Mein liebes Kind,« sagte sie, »Sie sind wirklich ein liebes Kind.«

Damit ging sie hinaus.

Eine halbe Stunde später trat Lilly in den Kleidern, die die Schwertfeger für sie ausgesucht hatte, in den Speisesaal, wo der alte Ferdinand, ein dürres, spindelbeiniges Erbstück von einem Diener – jener runde, glatte mit dem Spitzbubenlächeln war Gott sei Dank! entlassen worden – das Frühstück bereitete.

Der Oberst kam vom Morgenritt. Sein Auge blitzte in stolzer Herrenfreude. Das Geäder auf den hageren Backen war mit Blut gefüllt, und in den grauen Stachelbürsten über den Ohren funkelte noch in kleinen Perlenlichtern der Tau. Die dicke Flausjacke stand ihm gut. Die O-Beine verschwanden hinter dem Tische. Wie ein alternder, königlicher Recke sah er aus, bös und gütig zugleich.

Lilly flog ihm in die Arme, und er sagte, in die Runde weisend: »Nun, gefällt's dir – bei – dir?«

Sie küßte ihm die Hand für dieses »Dir«.

Der Speisesaal war ein weiter, an den Schmalseiten gewölbter Raum, der mit altersdunklen Schnitzmöbeln vollgefüllt war und den die drei großen Bogenfenster nur mäßig erhellten.

Von der Terrasse, die sich davor lagerte, führten rundbauchige Geländertreppen in den Park hinunter, in dem die Sonnenstrahlen sich mit dem Blattknospengewirr zu einem goldgesprenkelten Vorhang verwoben.

Beim Frühstück wurde der Rundgang besprochen, auf dem die junge Gebieterin ihr neues Reich in Augenschein nehmen sollte. Von einer feierlichen Vorführung der Leute hatte der Oberst nichts wissen wollen. Aber da sie sowieso im Sonntagsstaat waren, konnten sie sich auch da, wo sie gingen und standen, in Ehren sehen lassen.

Die Honoratioren des Hofes, Inspektoren und Rechnungsführer, sollten hernach bei der Mittagstafel, an der sie an Sonntagen von alters her teilzunehmen pflegten, die schuldige Reverenz machen.

»Der jüngste von ihnen ist übrigens einer meiner früheren Herren,« bemerkte der Oberst, »ein Herr von Prell, –« er stutzte, umfing Lilly mit einem nachdenklichen Blicke und fügte dann, gleichsam beruhigt, hinzu: »Er hatte aber schon einige Zeit vor mir den Dienst quittiert und soll nun bei mir die Landwirtschaft lernen.«

Das war der Moment, in dem sie ihr frohes Geständnis hätte an den Mann bringen müssen. Aber das Wort erstarb ihr in der Kehle. Es ging nicht. Es ging beim besten Willen nicht. Sie hätte sich sofort in einem Netz des Argwohns verfangen. Die großen, blassen Augen der Schwertfeger lagen ohnehin prüfend genug auf ihrem Angesicht.

Aber eines wurde nun klar: Der Oberst wußte nichts. Sein früheres Schweigen kam nur daher, daß er den jungen Windhund eines Erwähnens nicht für wert gehalten hatte.

»Wie macht er sich denn nun?« fragte er, zur Schwertfeger gewandt.

»Ach Gott, Herr Oberst,« sagte sie, indem sie lächelnd ihre langen Knochenfinger besah, an denen die Halbmonde der Nägel glänzten wie Perlmutter, – »Sie wissen ja, Denunziantin bin ich bloß, wenn ich muß.«

»So'n verdammter Bengel!« lachte der Oberst, und Lilly, die unwillkürlich des Freundes Partei nahm, fand, das sei denunziert genug.

Nach dem Frühstück kam der große Rundgang.

Der Oberst und die Schwertfeger nahmen sie in die Mitte, – ein Rudel Hunde fand sich ein, das ihr von allem ringsum als das Liebenswerteste erschien, und dann ging's los.

Zuerst die Herrschaftsküche. Ein wahres Wunder von einer Küche. Mit holländischen Fliesen an den Wänden, mit Kupferröhren, aus denen heißes und kaltes Wasser floß, mit einem Herde, dessen Platte gar keine Löcher hatte. – Man wußte nicht, wohin man vor Staunen den Blick zuerst wenden sollte.

Und dann war da ein Gesicht – ein altes, braunrissiges, dickmäuliges Köchinnengesicht, aus dem zwei feuchtglänzende Augen in stummer Frage zu ihr emporsahen: »Erkennst du mich denn nicht?« und Lillys Augen gaben Antwort: »Ja, ich erkenne dich.«

Aber zu sagen wagte sie nichts – aus Furcht, daß die Schwertfeger über die entscheidende Stunde ihres Lebens Nachforschungen anstellen und sie dann noch mehr verachten würde.

Sie gab der Alten nur die Hand, und der Freundschaftsbund war erneuert.

Dann kam man in die Leuteküche, wo in einem mächtigen Kupferkessel die sonntägliche Fleischsuppe brodelte wie ein siedendes Meer; – dann in die Waschküche, wo die Wring- und Rollmaschinen standen wie blankbehelmte Ungeheuer, und wo ein alter Seifendunst sich lieblich festgefressen hatte. –

Dann ging's weiter in die Speise- und Vorratskammern. Da hingen an der Decke Reihen von Schinken, in graue Gazehüllen gesteckt, wie riesenhafte Fledermäuse, und Würste wie braunpolierte Keulen, und auf der Streu lagen jetzt noch im April die goldbäckigen Winterkalvillen und andere edle Sorten. In den Fachschränken blinkten viele breithalsige Flaschen. Das war das Eingemachte. Da konnte man naschen nach Herzenslust.

Dann quer über den gepflasterten Hof, auf dem die Wagen und die Ackermaschinen in Reih und Glied dastanden, wie die Soldaten zur Parade – hinüber nach den Stallungen.

Der Herrschaftsstall – Donnerwetter! – der war ja wie ein Salon. – Korbsessel mit Polsterlehnen und Schemeln davor luden zum Rasten ein. Ein Kokosläufer lief an den Boxen entlang, über deren jeder eine Porzellantafel den Namen des edlen Pferdes nannte, das darin seine Wohnung hatte. Schlanke, seidenglänzende Hälse spielten federnd, und kluge, menschenhafte Augen grüßten die schöne Herrin.

»Unter diesen hier wirst du dir eines zum Reiten aussuchen,« sagte der Oberst.

»Ich kann ja gar nicht reiten,« erwiderte sie verlegen.

Und die rotjackigen Stallknechte, die mit den Mützen am Hosensaum dastanden, grinsten sie fassungslos an. Eine Gnädige Frau, die nicht reiten kann, war ihnen sicher noch nicht vorgekommen.

Nun folgten die Ställe der Arbeitspferde. Da war es schon bedeutend weniger interessant – schmutzig und schlecht riechend. Und in den Kuhställen gar wandelte Lilly eine Übelkeit an.

Aber sie hütete sich wohl, etwas merken zu lassen, und hörte geduldig und lerneifrig zu, wenn bald der Oberst, bald die Schwertfeger ihre Erklärungen zum Besten gaben.

Ein schweres Stück Arbeit war noch ungetan: Der Gang an den Häusern der Instleute vorbei, die eben aus der Kirche zurückgekehrt waren und in kleinen, dunklen Gruppen erwartungsvoll vor ihren Türen standen.

Die Ältesten und Würdigsten kamen zuerst an die Reihe. Da gab es viel fremde Namen, viel schmutzige Hände und in ehrerbietigem Argwohn erstarrende Gesichter.

Aber Lilly fühlte, daß sie ihrer Aufgabe leidlich gewachsen war. Sie fand manches freundliche Wort, das den Alten und Kränklichen zu Herzen ging, und als sie gar niederhockend einen greinenden Hosenmatz zu sich auf den Schoß zog, lief ein wohlgefälliges Raunen wegebnend vor ihr her.

Am Ende der Ansiedlung erhoben sich ein paar scheunenartige Gebäude, deren Inneres erst später in Wohnräume umgewandelt schien. Kleine, rot und blau umrahmte Fenster saßen unregelmäßig darin, und die einstige Toröffnung war durch eine gelbe Notmauer wieder verklebt worden.

Dort hausten die polnischen Zuzügler, die aus fernab liegenden Gegenden sich zur Feldarbeit hierher verdungen hatten. Denn der Landstrich selbst, in dem das Schloß des Obersten lag, war deutsch von alters her und in der ringsum andrängenden Slawenflut eine deutsche Insel geblieben.

Darum war es auch nötig, sein Deutschtum hoch zu halten, wie die Schwertfeger mit warnender Liebe betonte. Und Lilly schämte sich, als ob sie es bisher andauernd verleugnet hätte.

Rote Kopftücher blinkten. Große, blaue, verschüchterte Augen beteten zu ihr auf. Hie und da ein furchtsames Neigen nach ihrem Rocksaum hinunter, ein scheuer Kuß nach ihrem Ärmel hin. » Niech bedzie pochwalony Jezus Chrystus« ertönte es im Flüstertone, und sie antwortete unwillkürlich: » Na wieki wiekow! Amen.« Denn daß so die Antwort auf die polnische Begrüßung heißt, das hatte man ihr, der Katholikin, einst in der Kinderlehre beigebracht.

Da erhob sich ein freudiges Rauschen, ein Schwirren, ein Rieseln von Glück in dem ängstlich zusammengedrängten Häuflein.

Die junge, schöne Pana hatte ihre Sprache, die Sprache ihres Gottes, mit ihnen gesprochen.

»Ich wußte gar nicht, daß du polnisch kannst,« sagte der Oberst mit einem schnarrenden Tadel in der Stimme.

Und sie erklärte verlegen lachend, wie sie dazugekommen war.

An der Gruppe der Burschen, die in ihren grauen Wantröcken, mützendrehend und Bücklinge schusternd, am nächsten Eingange standen, ging es rascher vorbei. – Kaum, daß sie ihnen einmal herzlich zunicken konnte, und schon dabei war ihr zu Mute, als ob sie etwas Verbotenes täte.

Die Schwertfeger hatte kein Wort gesagt, aber die Adlernase in die Luft gestreckt, hielt sie ihr Deutschtum hoch.

»Jetzt wollen wir das dunkelblaue Tuchkleid anziehen, mein Liebling,« sagte sie, als man die Vordertreppe wieder hinanstieg. »Ich habe es bereits aus dem Koffer genommen und aufbügeln lassen. Sie finden es im Ankleidezimmer, und einen Spitzenkragen dazu. Das ist für Sonntag mittag hier das Richtige.«

Lilly zog gehorsam das blaue Tuchkleid an, das sie besonders schlank machte, und ihr Herz klopfte vor Bangen, der lustige Freund, der ja nicht ahnen konnte, daß sie ihn verleugnet hatte, möchte beim ersten Begegnen durch ein unbedachtes Wort des Wiedererkennens sie und sich selber verraten.

Die Tischglocke gellte durch das Haus.

Da klopften auch schon die drei prüfenden Schläge hastig an die Tür.

Aufschreckend fuhr sie vom Spiegel zurück, denn daß sie eitel war, das durfte die Schwertfeger beileibe nicht wissen. Die maß sie erst eine Weile von oben bis unten, faßte dann ihre zwei Hände, und während sich die blaßblauen Augen aufbrennend in die ihren bohrten, sagte sie: »Gott gebe, daß Sie nicht zu viel Unheil anrichten im Leben – mein Kind.«

»Warum soll ich denn Unheil anrichten?« stammelte Lilly aufs neue gedemütigt. »Ich tu' doch keinem Menschen was Böses.«

Die Schwertfeger lächelte.

»Das einzige Glück ist eben, daß Sie nicht wissen, wer Sie sind,« sagte sie und zog sie am Arm in den Korridor hinaus und die alte, dröhnende Treppe hinunter zum Speisesaal.

Dort standen mit dem Oberst vier dunkle Männergestalten, die sich bei ihrem Eintritt rasch in Reih und Glied ordneten.

Da war der mit dem grauen Rundbart – »Herr Leichtweg, unser erster Inspektor,« sagte der Oberst; – da war der Dicke, Kupfrige – »Herr Meßner, unser Rechnungsführer« – sagte der Oberst; – dann kam noch einer, und dann – und dann –

»Leutnant von Prell, Wirtschaftseleve,« sagte der Oberst.

Ein halbes Kopfnicken, wie bei den anderen, mehr durfte es nicht sein.

Aber du – mein armer, lustiger Freund, wie siehst du aus!

Ein langer, langer Bratenrock schlug seine Wellen bis über die Kniee hinunter, der schmale, spitzig zulaufende Kopf ertrank in dem hohen Kragen, alles schlappte und faltete sich. Stocksteife Ehrsamkeit und dienerndes Hampelmanntum saßen in jeder Miene, jeder Bewegung.

Ganz verloren in verwundertem Bedauern stand sie da. Hätte sie ihn nicht morgens beobachtet, wie er –

»Den Herren die Hand geben,« hörte sie hinter sich die Schwertfeger raunen.

Sie schrak zusammen.

Und heftiger, als es sich für die Schloßfrau schickte, preßte sie die biederen Landmannsfäuste, nur aus Herrn von Prells noch immer gepflegter, sommersprossiger Rassehand zog sie die ihre rasch wieder zurück.

»Gott sei Dank, der verrät nichts,« dachte sie dabei.

Und dann kam das Tischgebet.


 << zurück weiter >>