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Mit Lachen begann's und lachend ging es weiter.
Als Lilly am nächsten Morgen erwachte, sah sie, daß alles ringsum, Ampel und Waschtisch und die sentimentale schöne Schnitterin an der Wand, ein anderes Gesicht bekommen hatte und daß die Sonne doppelt so hell ins Fenster schien.
Und als sie noch im Hemde vor den Spiegel trat, mußte sie gleich wieder losjauchzen, denn ein richtiges Gassenjungengesicht mit schlau blitzenden Augen und schnüffelnder Ulknase sah ihr daraus entgegen.
Beim Morgentee gab sie einen Sprühregen lustiger Einfälle von sich, jagte den steifbeinigen Oberst um den Tisch herum und fühlte eine glühende Dankbarkeit zur Schwertfeger in sich emporschießen.
Die ihrerseits lächelte vielsagend in sich hinein, und als der Oberst sich zurückgezogen hatte, nahm sie sie bei den Ohren, küßte sie auf die Stirn und sagte: »Sie Kindskopf Sie.«
Das Geständnis, das Lilly sich hatte entschlüpfen lassen, erwähnte sie mit keinem Wort. Fast schien es, als ob sie es überhört hätte.
Lilly rannte auf den Balkon, schob das Geästel des wilden Weins auseinander und sandte ihm, der mit ungewissen Schritten zwischen Schloß und Amtshaus hin und her ging, ein aufforderndes Nicken hinunter.
Er verstand sofort, machte seinen Diener und verschwand nach der Gartentreppe hin. –
Was zwischen ihm und der Schwertfeger verhandelt worden war, blieb ein Geheimnis. Auch ob sie ihn nach seinen früheren Beziehungen zu der jungen Gutsherrin ausgefragt hatte, ließ sich nicht ergründen. Doch durfte man annehmen, daß er keinen üblen Erfolg gehabt hatte, denn statt fortgejagt zu werden, erschien er zwölf Stunden später, vom Oberst selbst hereingeschoben, in schrägem Rock und weißer Weste zum Abendessen, machte sein ehrbarstes Gesicht und schien in dem hohen Halskragen ertrinken zu müssen.
»Ich habe gehört,« sagte der Oberst, ihn Lilly vorführend, »daß Herr von Prell sich drüben nicht recht glücklich fühlt. Wenn du nichts dawider hast, wird er in Zukunft häufiger an unseren Mahlzeiten teilnehmen.«
Sie hatte nicht das mindeste dawider, nur der Gedanke, daß Käte sogleich in der Tür auftauchen würde, schnürte ihr die Kehle zusammen.
Aber statt Kätens reichte eine andere dem alten Ferdinand die Platten zu, und als Lilly die Schwertfeger daraufhin fragend ansah, sagte ihr diese so leise, daß die Herren es nicht hören konnten: »Das arme Mädchen hat wegen ihrer plötzlichen Kränklichkeit einen längeren Urlaub angetreten und wird wahrscheinlich gar nicht mehr wiederkommen.«
In jäher Freude preßte ihr Lilly unter dem Tisch die Hand. Sie hatte ein dumpfes Gefühl, als sei das nur um ihretwillen geschehen, damit das Widerstreben vor etwas Unsauberem ihr erspart bliebe.
Die beiden Herren hatten sich sofort in ein kavalleristisches Gespräch vertieft, das mit Personennamen reichlich gespickt war.
Herr von Prell lauschte vornübergebeugt den Belehrungen seines alten Kommandeurs und blinzelte vor ehrerbietigem Eifer dauernd mit den Lidern. Der Oberst thronte wie ein zürnender Gott, sprach schroff und polternd und versandte seine Dolchblicke, als gälte es, Feinde in ganzen Haufen niederzumähen, und doch war alles nur eitel Handwerksfreude.
Lilly lauschte und wollte gern mitreden. Aber schließlich hatten sie sie beide vergessen, und eine eifersüchtige Traurigkeit breitete sich über ihre Stimmung, nur wußte sie nicht recht, wem von beiden sie eigentlich böse war.
Als Prell verabschiedet wurde, fragte der Oberst, die Hand auf seine Schulter legend: »Hören Sie mal, lieber Sohn, warum haben wir das eigentlich nicht schon früher gemacht?«
Und der Blick, den er dabei nach Lilly hinüberwarf, schien zu sagen: »So viel Vorsicht wär' eigentlich nicht nötig gewesen.«
Die Abende, an denen Prell zur Tafel gezogen wurde, mehrten sich, als mit Beginn der kälteren Septembertage das Hüftweh des Obersten sich wieder meldete und seine Fahrten zur Stadt bis auf weiteres eingestellt wurden.
Nur ächzend und fluchend stieg er noch zu Pferde, aber den Bitten Lillys, die Morgenritte einzustellen, gab er nicht nach.
»Schad', daß ihr immer solche Angst um mich habt,« meinte sie, »sonst könnt' ich mal statt deiner auf die Felder.«
Der Oberst und seine Hausdame wechselten einen Blick.
»Schließlich ist es ein Skandal,« sagte er, »daß sie noch immer auf keinen Gaul 'raufkann. Irgend ein ordentlicher Lehrer müßte die Sache statt meiner in die Hand nehmen. Denn ich hab' an dem Gereite morgens übergenug. Was meinen Sie, Schwertfegerin, könnten wir sie dem Windbeutel, dem Prell, anvertrauen?«
In Lillys Gesicht zuckte die Freude hellauf. Die Schwertfeger ließ die Lider in starrem Nachdenken auf ihren erglühenden Backen ruhen und sagte dann sehr langsam, gleichsam jedes Wort im Munde kauend: »Aber wenn der unvorsichtige junge Mann uns eines Tages unseren Liebling mit gebrochenem Arm oder Bein zurückbringt, was machen wir dann? Jedenfalls scheint mir die Sache noch sehr zu überlegen.«
Lilly hütete sich wohl, Verlangen oder Widerspruch laut werden zu lassen, aber sie mußte ihre heimlichen Wünsche noch immer nicht genügend zugedeckt haben, denn, als sie gelegentlich mit der Schwertfeger allein war, sagte diese plötzlich, ihr Gesicht in beide Hände nehmend: »Schlagen Sie sich's aus dem Kopf, Liebling. Glauben Sie mir, es ist besser so!« – – –
Um dieselbe Zeit ereignete es sich, daß Lilly, die es liebte, in dem weitläufigen und nur zum Teil bewohnten Schlosse auf Entdeckungsreisen auszugehen, einen merkwürdigen und etwas verdächtigen Fund machte.
Aus einer Kommode, die in einem der selten betretenen Fremdenzimmer des dritten Stockes stand, zog sie beim Herumstöbern ein klares, silberdurchwirktes Gewebe hervor, das mit glitzernden Metallschüppchen benäht war und an den Achseln durch fremdartige Spangen zusammengehalten wurde.
Es ähnelte dem Schleierhemde, das sie in den Dresdener Tagen vor dem Schlafengehen oft hatte anziehen müssen und das nun auf dem Grunde ihres Garderobeschrankes sich einer nie mehr gestörten Ruhe erfreute. Sie hatte es auch der Schwertfeger nie gezeigt, denn sie schämte sich seiner ein wenig.
Aber dieses hier raffte sie vorsichtig zusammen und ging damit zu ihrer Freundin hinunter, denn es reizte sie, zu erfahren, welche Geschichte wohl daran haften mochte.
Die Schwertfeger saß über ihren Rechnungsbüchern und schaute kaum auf. Dann plötzlich, als sie die Flittern in der Sonne glänzen sah, ging ein Zucken durch ihre Gestalt, ihre Augen weiteten sich, ganz versteinert saß sie da. Es war, als ob sie ein Gespenst erblickt hätte.
»Was ist denn? was ist denn?« lachte Lilly.
»Ich dachte, ich hätte gut aufgeräumt,« sagte sie und schüttelte sich.
Damit riß sie ihr das Gewebe aus den Händen, wickelte es in einen Bogen Papier und trug es in die Küche. – Lilly, die ihr gefolgt war, sah, wie aus dem Herde eine Rauchwolke kurz emporstieß, Fetzen des Silbergewebes mit sich in die Höhe wirbelnd.
Die alte Grete stand dabei und blickte mit bestürzten Augen bald die Schwertfeger an, bald zu Lilly hinüber. Sie schien genau zu wissen, was es mit dem Funde für eine Bewandtnis hatte, aber als sie später davon berichten sollte, wollte sie nicht mit der Sprache heraus.
»Ich bin ja meistenteils weg gewesen,« sagte sie, »da, wo der Herr Oberst gerade war. Fragen Sie man das gnädige Fräulein. Die kann Ihnen erzählen.«
Doch die erzählte nicht. Mit eingekniffenen Lippen ging sie umher, stand nicht Red' noch Antwort, und ihre ausgeblaßten Augen starrten ins Leere.
Das dauerte wohl drei Tage so.
Dann plötzlich, als man gerade beim Abendessen saß, taute sie ohne äußeren Anlaß plötzlich wieder auf, lachte, plauderte, war zärtlich mit Lilly und zutunlich zu ihrem Brotherrn.
Sie bedauerte ihn um seiner Schmerzen willen, gab neue Mittel an und nahm ihm das Versprechen ab, die Morgenritte endlich einzustellen.
Und mitten darein sagte sie: »Übrigens, was die Reitstunden unseres Lieblings anbelangt, so hab' ich die Sache sorgfältig erwogen und bin zu der Ansicht gekommen, daß, wenn man – wenigstens anfangs – immer dabei ist, man es dem jungen Menschen doch wohl überlassen könnte.«
Lilly seufzte vor Glück tief auf, aber ein Lächeln, einen noch so leisen Schimmer von Freude würden beide Augenpaare auf ihrem Gesichte nicht haben entdecken können. So sehr hatte sie inzwischen gelernt, sich in der Gewalt zu haben. –
Am nächsten Vormittag begannen die Stunden.
Walter von Prell erschien in Reitgamaschen und Jokeimütze, hielt, nahender Befehle gewärtig, den Oberkörper vorgeneigt und trat vor Ehrerbietung und Beflissenheit dauernd von einem Fuß auf den andern. –
Freilich standen beide, der Oberst und die Schwertfeger, zur Aufsicht auf dem Platze.
Eine lammfromme Schimmelstute, schmalbrüstig, mit etwas strapazierter Vorhand, aber noch ganz schmuck herausgefuttert, diente für die ersten Versuche.
Herr von Prell ging ganz methodisch vor, erklärte Sattelung und Zaumzeug, zeigte, wie man die Gurten anzieht, wie Trense und Kandare liegen müssen und wie man dafür sorgt, daß die Kinnkette nicht einschnürt.
Dann wurde Aufsitzen geübt. Als Lilly zum erstenmal den linken Fuß in seine gefalteten Hände setzte, spürte sie ein warmes Rieseln am Nacken herauf, als wäre diese Berührung ein Verständigungszeichen ihrer heimlichen Freundschaft gewesen.
Er zählte »eins, zwei, drei«, und siehe! da saß sie auch schon im Sattel.
Der Oberst klatschte Beifall, und Walter wurde vor Freude rot bis unter die weißblonden Haarwurzeln.
Von nun an hatte er gewonnenes Spiel.
»Hätte gar nicht gedacht, daß soviel Pedanterie in dem Windikus steckt,« sagte der Oberst zur Schwertfeger gewandt, und sie nickte schweigend mit einem kleinen, beklommenen Aufatmen, als wäre ihr nicht ganz wohl dabei zu Mute.
Als Lilly aus dem Sattel stieg, konnte sie zurücknehmen und nachgeben, konnte die Rechts- und die Linkswendung, hatte auch schon einen kleinen Trab gewagt, kurzum, »sie war auf dem besten Wege, die schneidigste Reiterin der Armee zu werden«, wie der Oberst gut gelaunt bemerkte.
Eine Lehrstunde folgte der anderen.
Bald war der Oberst, bald die Schwertfeger zugegen, und für Zwiegespräche blieb kein Raum.
Er verharrte in der stets gleichen, steif dienernden Unterwürfigkeit, und sie brannte vor Verlangen, in einem verstohlenen Blicke oder Worte, nur ihr verständlich, sein Schalksnarrentum aufleuchten zu sehen.
Und eines Tages fehlten die Wächter beide.
Der Oberst hatte mit dem Bau einer Reitbahn zu tun, in der seine Ischias den Unbilden der Witterung zu trotzen gedachte, und die Schwertfeger war nicht zu finden gewesen.
Mit Herzklopfen stand Lilly dem lustigen Freunde gegenüber, und das Lächeln, mit dem sie ihm die Hand zum Morgengruße bot, war ein beklommener Triumph.
Er quittierte dafür mit einem kleinen, verschmitzten Zungeausstrecken nach der Richtung der Rampe hin, wo ihre Ehrendame sonst Posten zu stehen pflegte.
»Ist nicht zu finden gewesen,« flüsterte Lilly.
»Was fangen wir nu bloß an?« jammerte er händeringend. »Ohne den Schutz des edlen Fräuleins werden wir ja gar nicht in den Sattel klettern können.«
Der Septemberhimmel blaute. Ein leiser, kühler Wind, von Erdkrumenduft geschwängert, strich über den Hofplatz.
Er wies mit einem schlauen Blicke zum Tor hinaus.
Sie nickte auflachend.
Und gleich darauf trabte sie neben ihm auf dem weidenbestandenen Feldwege, dort, wo kein Wächterauge sie verfolgte, losgebunden, in sich hineinjauchzend und toller Streiche gewärtig.
Aber er schien nicht willens, die unverhoffte Freiheit auszunützen. Den Weg im Auge behaltend, griff er ab und zu nach ihrem Zügel, verstärkte ihre Hülfen und regelte ihren Sitz – Lehrmeister und sonst nichts.
»Was macht Tommy?« fragte sie endlich, da die Geschichte ihr langweilig wurde.
»Tommy läßt schön grüßen,« erwiderte er, ohne den Blick vom Wege abzuwenden, »und läßt sagen, wir möchten uns heut' nur um die Pferde kümmern, da wir, wenn was passiert, sonst nie wieder 'rausgelassen werden.«
»Und ich lass' Tommy auch schön grüßen,« erwiderte sie, »und ihm sagen, er ist 'n Esel.«
»Werde nicht verfehlen,« entgegnete er und neigte seine Gerte.
Ein Birkenwäldchen legte sich quer vor den Weg, der nun ein wenig morastig wurde und doppelte Aufmerksamkeit verlangte.
Aber sie hatte nur Augen für das Silberleuchten der Stämme und die Goldschleier, die, vom Winde durchrieselt, mit leisen Backenstreichen auf sie niederwehten.
»Ach, sehen Sie, wie schön!« sagte sie mit einem Seufzer des Glückes.
»Schritt, wenn ich bitten darf!« erwiderte er.
Da packte sie der Teufel, und, dem Gaul die Peitsche gebend, jagte sie in einem höchst unvorschriftsmäßigen Kreuzgalopp von dannen.
Aber nach wenigen Augenblicken war er an ihrer Seite, griff ihr in den Zügel und, im rechten Winkel gegen sie parierend, brachte er mit seinem Pferde auch ihr Pferd zum Stehen.
Beider Augen blitzten ineinander.
Ihr war, als müsse sie sich nach ihm hinüberwerfen, nur um ihm näher zu sein.
»Du, Kamerad, was fällt dir ein?« knirschte er sie an.
Sie zuckte auf und wies ihm ihre weißen Zähne.
»Du, Kamerad, was fällt dir ein?« gab sie zurück.
Und dann wandten sie die Pferde und ritten im Schritt, schweigend, ohne sich anzusehen, nach Hause.